
Seit 2001 versuchte unsere Mitarbeiterin Katarina Mazurkiewicz vergeblich ein Interview mit Torben Wendt, dem Mastermind der Band DIORAMA zu führen. Das ganze hatte einen einfachen logistischen Hintergrund, da sich der begnadete Texter, Sänger, Komponist und Keybarder äußerst selten auf Tour begab. Als es am 18 April im Osnabrücker „Rosenhof“ endlich soweit war, war ihr Fragenkatalog natürlich dementsprechend lang… DIORAMA HAT VIER ALBEN HERRAUSGEBRACHT, TROTZDEM HABE ICH EUCH NOCH NIE ALS HEADLINER GESEHEN. IHR HABT MIT DIARY OF DREAMS UND AUF DEM PLUSWELT FESTIVAL GESPIELT, JETZT TOURT IHR GERADE MIT VNV NATION. ALS SUPPORT ACT IST MAN IMMER ETWAS BENACHTEILIGT, DER SET IST KÜRZER, DAS LICHT IST SCHLECHTER, DER SOUND MERKWÜRDIGER WEISE WENIGER FETT… NERVT ES NICHT? DENKST DU NICHT MANCHMAL „VERDAMMT, ICH WILL AUCH MAL DER HEADLINER SEIN!“? Gewisserweise nervt es schon. Vor allem, wenn man Licht- und soundtechnisch benachteiligt ist, weil man immer das Verlangen hat, dem Publikum die bestmögliche Performance abzuliefern und das Publikum dann letztendlich der Leidtragende der ganzen Sache ist, was wiederum auf die Band zurückfällt. „Wenn der Sound weniger gut ist, so ist die Band weniger gut“ – das ist verständlicherweise in den Köpfen der Leute irgendwo verankert. Nerven tut es nicht in der Hinsicht, dass ich mich mit der Zielsetzung unbedingt Headlinerstatus zu erreichen komplett verstellen würde. Musikalisch gesehen haben wir ganz andere Ziele, als groß, berühmt und mächtig zu werden. Wir würden uns ganz anders verhalten, wenn es tatsächlich so wäre. Insofern bin ich mit dem Status Quo zufrieden. Die Tour mit VNV NATION ist natürlich auch extrem weit in die Zukunft gedacht und natürlich auch ein bisschen in Richtung eigene Tour ausgerichtet, die wir auf jedem Fall anstreben und die wir auch gerne annehmen, wenn solch eine Möglichkeit kommt, aber wir reißen uns da momentan kein Bein aus. NA JA, „GROSS, BERÜHMT UND MÄCHTIG“ BRINGT AUCH GEWISSE VORTEILE MIT SICH. MANCHE MUSIKER ERZÄHLEN ZWAR SOWAS WIE „BLOSS NICHT ZU VIELE CDS VERKAUFEN, DA WERDE ICH KOMERZIELL…“, ABER DAS IST EIGENTLICH BLÖDSINN. WENN DIE LEUTE DEINE ALBEN MASSENHAFT KAUFEN, ZEIGEN SIE DIR DEN RESPEKT FÜR DAS, WAS DU MACHST. DIESE ANERKENNUNG ERREICHT MAN, WENN MAN HALT GROSS UND BERUHMT IST, ODER? Du hast absolut Recht. Das ist bestimmt kein Widerspruch. Wenn es uns einmal beschert sein wird, dass wir diesen Status, diese Größe erreichen, dann nehmen wir es dankend an. Aber wir arbeiten nicht in der Form daraufhin, dass wir uns fürchterlich verbiegen, um es zu erreichen. Natürlich wäre es super, wenn ich eines Tages komplett von der Musik leben könnte und dadurch meine Salami auf dem Brot hätte, aber wie gesagt, unsere Zielsetzung heißt primär Selbstverwirklichung, und wenn uns die Leute hören möchten und unseren Weg gehen wollen – gerne. Und wenn wir weiter nur als „Insider Tipp“ unterwegs sein werden, dann ist es eben so. Frustrierend ist es in dem Maße nicht, weil durch die Musik ganz andere Werte zurückkommen als die bloßen lieblosen Verkaufszahlen. HAST DU DENN NOCH EINEN „NORMALEN“ JOB, UM DIE ZEITEN ZWISCHEN DEN ALBEN ZU ÜBERWINDEN? ODER GAR VIELLEICHT EINEN „PLAN B“, FALLS ES MIT DER MUSIK GAR NICHT HINHAUEN SOLLTE? WAS ICH DIR NATÜRLICH VON GANZEN HERZEN NICHT WÜNSCHE… Einen Plan B habe ich schon, deswegen habe ich ein Studium gemacht in einer ganz musikfremden Welt, in der wirtschaftlichen Welt nämlich. Habe es auch letzten Juli abgeschlossen und so – denke ich zumindest – eine Basis, auf der ich was aufbauen kann, sollte es mit der Musik in die Binsen gehen. Momentan konzentriere ich mich allerdings tatsächlich nur auf das Musikmachen, weil es meine große Leidenschaft ist. Solange ich noch jung bin und die Zeit dazu habe, macht es auch durchaus Sinn. Ich arbeite nebenbei als Kellner und habe verschiedene Nebenjobs, falls es mit den CD Verkäufen gerade nicht so gut läuft. Zur Zeit läuft es allerdings recht ordentlich bei uns, und ich komme auch ganz gut über die Runden. IHR SEID SEIT JAHREN UNTER VERTRAG BEI ACCESSION RECCORDS, IRGENDWIE JA EINE ART „AUSNAHME PLATTENFIRMA“. SELTEN IST ES NÄMLICH SO, DASS EIN VON EINEM MUSIKER GEGRÜNDETES LABEL IN DIESEN HARTEN ZEITEN SO KONSTANT ALLE KRISEN ÜBERSTEHT UND SO GUT PROSPERIERT. WAS SND DENN DIE VOR- UND VIELLEICHT AUCH MAL DIE NACHTEILE EINER SOLCHEN PLATTENFIRMA. GEHT ES DORT ZU WIE IN EINER „FAMILIE“? KENNT DORT JEDER JEDEN? Klar, es ist ein absolut familiäres Label. Der große Vorteil davon ist, dass man sich demzufolge sehr um dich kümmert. Wir stehen in regem Kontakt, telefonieren mehrmals in der Woche und es wird unheimlich geschaut, dass wir was erreichen. Die Jungs in der Firma geben schon Gas für uns. Bei einem größeren Label, wo wir eine Band von vielen wären, wäre es sicherlich anders. Hinzu kommt, dass mich eine jahrelange Freundschaft mit Adrian Hates, dem Labelchef, verbindet und ich deswegen dort auch gut aufgehoben bin. Die Bands halten auch Kontakt untereinander, ich habe ein ganz gutes Verhältnis zu [:SITD:] und ASSEMBLAGE 23. Das Umfeld stimmt also, und es ist auch ein sehr nettes Umfeld. Alle sind sehr engagiert und idealistisch unterwegs. Ich sehe überhaupt keinen Grund, das Label zu wechseln und kann es nur weiterempfehlen. NA WENIGSTENS REMIXED IHR EUCH GEGENSEITIG NICHT ZU TODE. ES GIBT DA GEWISSE ANDERE BANDS, DIE ES SO OFT MACHEN, DASS ES FAST SCHON PEINLICH IST. BEI ACCESSION RECORDS IST DIESER REMIX WAHNSINN DOCH WOHL IRGENDWIE IM RAHMEN GEBLIEBEN, ODER? Ja, sicher. Accession ist kein Label, das ausschließlich für Clubs produziert und diese Remixe sind maßgeblich dazu da, um die Clubtauglichkeit für Bands, oder für Stücke, deren Basisversionen einfach nicht genügend Clubpotenzial in sich bergen, zu erzielen. Mich nerven diese Remix Geschichten auch zum Teil, vor allem dann, wenn das Remix Stück einfach überflüssig ist und einfach dazu dient, eine Lücke zu füllen, um eine Maxi releasen zu können. Es nervt mich im Hip Hop, im Techno-Bereich, und dass es in unsere Szene übergeschwappt ist, halte ich für grenzwertig. Natürlich gibt es auch superfette Remixe. Ronan (Harris, VNV NATION Anm. d. Int.) macht schon richtig gute Sachen. Es gibt noch ein paar andere Kandidaten, die ich dafür richtig bewundere, und ich denke, dass es eine manchmal notwendige, interessante Sache ist, man soll es nur nicht übertreiben. Ich persönlich gehe mit dem Thema für DIORAMA vorsichtig um. SOWEIT ICH WEISS, WIRD DAS THEMA „SINGLEPOLITIK“ BEI ACCESSION RECORDS AUCH ETWAS ANDERS BEHANDELT. FÜR EURE VIER ALBUMVERÖFFENTLICHUNGEN EXISTIERT NUR EINE EINZIGE MAXI. DAS IST RELATIV WENIG, ODER? Ich glaube, dass es daran liegt, dass wir sehr wenig Hitorientiert sind. Bei uns sind die Alben in ihrer Gesamtheit ausschlaggebend. Daraus ein Lied rauszugreifen, das die Massen bewegen soll, ist schwierig. Auf „Her Liquid Arms“ hatten wir mit „Advance“ ein relativ Clubtaugliches Lied gehabt, und das ist auch auf der Maxi mit drauf als „Reeeemix“ AAACHJA! Na ja, wie gesagt: Unsere Alben wirken in ihrer Gesamtheit und eine Singleauskoppelung macht da nicht so viel Sinn. Eine Maxi macht nur dann Sinn, wenn es sich dabei um einen Hit handelt, der sich den Leuten ins Gehirn prägen kann und bei uns, so hoffe ich zumindest, sind das die kompletten Alben, die unsere Hörer erreichen. SPRECHEN WIR ÜBER DIORAMA AN SICH. ICH GLAUBE, ICH KENNE KEINE ANDERE BAND MIT EINEM SOLCHEN WERDEGANG. DU HAST DIORAMA ALS ONE MAN PROJEKT INS LEBEN GERUFEN, ZU „HLA“ ZEITEN WART IHR ZU ZWEIT, ZU „THE ART OF CREATING CONFUSING SPIRITS“ ZU DRITT UND JETZT – SEHE DA – DAS VIERTE ALBUM IST DA UND IHR SEID ZU VIERT! WAS MACHT IHR DENN BEIM ALBUM NUMMER ZWANZIG? MÜSST IHR DANN ZWEI TOURBUSSE MIETEN?! Da wird es auf jeden Fall sehr eng im Studio (beide lachen). Ich glaube und hoffe, dass ich mit dieser Vierer-Konstellation das Richtige gefunden habe und dass sie uns im Studio und Live genau das bietet, was wir erwarten. Ich muss dazu sagen, dass die Line Up Erweiterung mehr für die Live Auftritte eine Rolle gespielt hat. Im Studio ist es dann anders. Musik und Texte werden maßgeblich von mir gemacht, fast ausschließlich, würde ich sagen, Felix (Marc – Anm. der Int.) hat einen sehr großen Einfluss auf die Sache als Co-Produzent, er sorgt dafür, dass die richtigen Sounds zustande kommen und ebenso die Arrangements. Die beiden anderen – Sash und Bernard – sind mehr externe Mitglieder, die einfach mit ihren Instrumenten nach Lust und Laune was dazuschießen, was uns manchmal einfach fehlt, also sozusagen zusätzlicher Kreativ-Input. Momentan klappt es mit uns vieren ganz gut, mal schauen, wie es sich in Zukunft entwickelt. ES IST SCHON ERSTAUNLICH WIE IHR, NA JA EIGENTLICH DU, EUCH/ DICH MUSIKALISCH ENTWICKELT HABT/ HAST: VON „PALE“ ÜBER „ADVANCE“ ZU „HER LIQUID ARMS“- WAS SEHR FUTURE POPPIG WAR. DANACH KLANGEN DIORAMA MEHR ELEKTRONISCH – EXPERIMENTELL, JA IN MANCHEN LIEDERN GAR TRIP POPPIG UND JETZT WIEDERRUM WIRKT IHR EIN BISSCHEN ANDERS. ICH KANN MIR NICHT VORSTELLEN, DASS DU EIN TRENDFORSCHUNGS-INSTITUT ANRUFST UND DANACH FRAGST, WAS IN ZWEI JAHREN „IN“ SEIN WIRD. ES IST SCHON UNGLAUBLICH – DU HAST, DENKE ICH, GANZ SCHNELL ERKANNT, DASS ES MIT DEM FUTURE POP NICHT SO WEITER GEHEN WIRD, WIE ES 2001 DER FALL WAR. IST ES DEINE REINE PERSÖNLICHE ENTWICKLUNG, ODER SCHAUST DU DA EIN BISSCHEN, WAS SICH VIELLEICHT ALS THEMA EIGNET UND WAS SCHON AUSGEREIZT IST? Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass es meine persönliche Entwicklung ist, und zwar ausschließlich. Die Future Pop-Elemente auf „Her Liquid Arms“ lagen einfach daran, dass ich von der Musik damals sehr begeistert war. Ich war ein großer Fan von VNV NATION, und das ist damals in meine Musik zweifellos irgendwie eingeflossen, aber ich habe nie überlegt, welche Markttaktischen Gründe dafür sprechen würden, mich so und nicht anders zu entwickeln. Das ist einfach passiert. Meine Präferenzen haben sich mit den Jahren verschoben, die Reaktionen der Außenwelt waren mir immer egal. Hätte ich nämlich so verfahren, wäre das neue Album teilweise anders geworden, da es schon streckenweise die Rückbesinnung auf das Debütalbum „Pale“ ist, obwohl es dort ab und an kracht. Jedoch ist es im Grunde nichts, was den Zeitgeist trifft, oder zu treffen sucht. Sonst hätten wir mehr Industrial Einflusse, weniger Melodien, mehr Schreigesang drauf. Meine musikalische Entwicklung unterliegt leider keinen logischen Überlegungen. Ich mache Musik und hoffe, dass die Leute es annehmen, akzeptieren und den Weg mit uns gehen, aber wenn es nicht zutrifft, dann tut es mir leid, ich kann es nicht ändern. Bis jetzt hatten wir das Glück, dass sie es verstanden und angenommen haben. WAS FÜR MUSIK HÖRST DU PERSÖNLICH ZU HAUSE. ICH VERMUTE, DASS ES NICHT VNV NATION ODER DEINE LABEL KOLLEGEN SIND… Kaum, zuhause höre ich sowieso nicht viel Musik. Es war früher mal anders, weil ich mehr Zeit hatte. Ich mag ungern Musik im Hintergrund zu einer anderen Beschäftigung hören, es sei denn, es ist eine entspannende Beschäftigung wie Kochen oder Einschlafen. Aber wenn ich selber arbeite – ob im Büro oder im Studio oder beim E-Mailen – die Hintergrundmusik lenkt mich dann zu sehr ab, da ich ziemlich Musikfokussiert bin und wenn was läuft, dann achte ich schon ziemlich auf das Stück und kann kaum abschalten. Auch wenn es MOBYs neue Ambient Scheibe ist, es beschäftigt mich trotzdem in dem Moment. Ansonsten vom Geschmack her höre ich alles querbeet, es gibt da überhaupt keine Grenzen. Mal so, mal so, was natürlich Situation- und Stimmungsabhängig ist. Die letzten CDs, die ich mir gekauft habe waren, glaube ich, eine DOORS CD, die ich noch nicht hatte, die neue MOBY und MAXIMILIAN HECKER. Ich höre viel Elektronik Krams, Elektronik Beats, 80er Mucke, Klassik, teilweise Jazz… Ich kann von der Stilistik momentan nichts rauspicken, was mich am meisten kickt. Es gibt für mich auch keinen Musikbereich, der für mich nichts hergibt, und womit ich gar nicht anfangen könnte. WO KAUFST DU DENN DEINE CDS? EHER IM INTERNET ODER IM LADEN UM DIE ECKE, WO MANN SIE VORHER HÖREN KANN? Meistens übers Internet. Wenn ich was kaufen will, dann weiß ich oft vorher schon ganz genau, was mich erwartet, andererseits lasse ich mich auch manchmal überraschen. Ich habe mir z.b. die neueste SIGUR RÓS gekauft, ich weiß nicht, ob dir das was sagt.. JA, ES SAGT MIR WAS …die „( )“ . Ich habe zuvor im Internet die Kritiken gelesen und ich habe mir gesagt „die muss ich haben“ und ich habe sie mir bestellt. Als die CD endlich ankam, habe sie reingelegt, mich aufs Bett geschmissen und sie komplett durchgehört. Ich war sprachlos! Das Erlebnis wäre mir entgangen, hätte ich da zuvor reingehört. Darüber hinaus mag ich sehr gerne übers Internet bestellen, weil es eine superbequeme Einkaufsart ist. Ein Klick und das Ding wird geliefert und alles wird gut. In meiner kleinen Stadt verfügen die Läden nicht über das Sortiment, deswegen kann ich nicht alles Probehören und dann kaufen. Die führen sowieso nur Major Acts, und da ist ja meine Kauflust sowieso gebremst. MEINST DU NICHT, DASS MUSIK HEUTE ETWAS „NICHT MATERIELLES“ GEWORDEN IST? FRÜHER KONNTEST DU EINE PLATTE, MEINETWEGEN AUCH EINE CD, IN DEN HÄNDEN HALTEN, HEUTE SIND DAS ÖFTERS MP3S, DIE DU NICHT ANFASSEN KANNST, ALS OB SIE NICHT DA WÄREN. DASSELBE PASSIERT MIT DEN E-TEXTEN. DASS HABE ICH ZUM BEISPIEL SELBST GEMERKT. WENN ICH WAS SCHREIBE – UND ICH SCHREIBE SEHR VIEL FÜRS INTERNET – SCHREIBE ICH ANDERS, WENN ICH VOM COMPUTER SITZE. ICH SPIELE VIEL MEHR MIT WÖRTERN, SCHNEIDE SIE, FÜGE EIN, LÖSCHE. MEINE SCHREIBWEISE IST GANZ ANDERS ALS MIT EINEM BLATT PAPIER UND BLEISTIFT. MEINST DU NICHT, DASS DIE LEUTE DANK DES „NICHT MATERIELLEN“ EINE ANDERE ATTITÜDE ZUR MUSIK UND KUNST HABEN, KEINEN RESPEKT DAFÜR? VIELLEICHT HAT DIESE „ÜBERSCHWEMMUNG“ UND NICHT DAS BRENNEN DAS MUSIKGESCHÄFT KAPUTT GEMACHT HAT. WAS DENKST DU DARÜBER? Zu den Texten und den E-Schreiben, da stimme ich dir völlig zu. Man kann auf dem Computer tatsächlich Sachen verschieben, umbauen und löschen. Man schreibt viel mehr blödes Zeug, um es sofort wieder zu löschen und einen neuen Satz anzufangen. Wenn du Papier vor dir hast, dann bist du vorher gezwungen darüber nachzudenken, was du schreiben willst. Demzufolge ist das, was zustande kommt, viel reflektierter. Das lässt sich vielleicht sogar auf die Musik übertragen. Wenn die Wichtigkeit wie ein Album aussieht abnimmt, wie es ist, die CD in den Händen zu halten, im Booklet zu blättern, das Ganze als haptisches Erlebnis nicht mehr vorhanden ist, dann sinken sowohl Qualität als auch Anspruch der Musiker und auch der Anspruch der Zielgruppe. Ich komme aus einer Generation, wo es noch anders war. Wir haben damals als Jugendliche CDs gekauft und es war das größte überhaupt, eine neue CD zu haben. Wir haben sie denn Nachmittage durchgehört, allen Freunden und Freundinnen vorgespielt. Ich glaube, mittlerweile ist es mit dem ganzen MP3 Gehabe bei den Jugendlichen anders. Musik wird beliebiger wahrgenommen, es ist viel wichtiger, dass sie cool klingt und dass sie momentan gerade angesagt ist, als dass man sich intensiv mit Musik als Kunstform auseinandersetzt. Und hierzu muss ich sagen, dass ich den Major Labels die Hauptschuld dafür in die Schuhe schiebe, weil seit Anfang der 90er Jahre im kommerziellen Musikbereich nur noch Scheiße rüberkommt, und das wissen sie auch ganz genau, aber sie machen es trotzdem. Mann kann doch nicht erwarten, dass man mit einem schlechten Produkt auf Dauer seine Zielgruppe begeistert, beziehungsweise ihre Kauflust erhält. Wenn man nur Sachen macht wie Casting Bands, oder Fake Rock Geschichten mit Frauenstimme, oder weiß der Teufel was, dann bereitet man den Leuten nur ein sehr kurzfristiges Vergnügen und sägt langfristig am eigenen Stuhl! Mittlerweile sind die Lebenszyklen von Major Label-Produkten dermaßen kurz, weil die Leute gar nicht daran interessiert sind einer Band über die Jahre zu folgen, sie wollen nur das, was angesagt ist, kaufen und zwei Wochen später was völlig anderes. Das hat dazu geführt, dass die Verkäufe im Major Sektor total in den Keller gegangen sind. Wir, die in der „schwarzen“ Szene unterwegs sind, haben das Glück, dass sich dort das Interesse an der Musik noch erhalten hat. Unsere Szene, die zum Glück in Deutschland relativ groß ist, wird maßgeblich von den Bands bestimmt. Im „Zillo“ und anderen Gothik Magazinen drehen sich die Stories um die Bands, die diese Szene prägen. Dadurch bleibt das Interesse an die Musik, an der Kunst, erhalten, was wiederum dazu führt, dass die („unsere“) Verkaufszahlen, soviel ich weiß, relativ stabil bleiben. MEINST DU, DASS GRUFTIES BELESENER, VIELLEICHT GAR INTELLIGENTER SIND ALS ANDERE LEUTE? DIESE FRAGE MUSSTE ICH MIR VOR ETWA DREI MONATEN STELLEN, ALS DAS ERSTE HÖRBUCH „VON DER SCHWARZEN SZENE FÜR DIE SCHWARZE SZENE“ RAUSGEKOMMEN IST. DIESER SATZ STAND NÄMLICH DAMALS AUF DEM INFOBLATT UND ICH BIN DAMIT NICHT WIRKLICH ZUFRIEDEN. WAS MEINST DU? STEHT UNSERE SZENE ETWAS BESSER DA ALS, SAGEN WIR, Z.B. DIE TECHNO LEUTE? SIND WIR WIRKLICH BELESENER ALS ALLE ANDEREN „SZENEN“? Ich glaube, dass, verglichen mit anderen Szenen, das Interesse an Philosophie oder philosophischen Gedankengängen innerhalb der „schwarzen“ Szene sehr groß ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der Hip Hop Szene solche Sachen diskutiert werden oder dass man sich mit Themen auseinandersetzt, die ins übersinnliche schwappen. Da ich nie in einer anderen Szene war, kann ich es allerdings persönlich nicht richtig beurteilen, aber wenn ich in der Innenstadt irgendwelche Hip Hop Kids sehe, dann schreibe ich ihnen kein ausgeprägtes Interesse für Nietzsche zu. Das sehe ich aber auch nicht, wenn ich ein paar Gruftie Picos mit einer Flasche Bier in der Hand durch die Fußgängerzone ziehen sehe. Wie gesagt, mir fällt es schwer, es richtig zu beurteilen, aber ich denke schon, dass es bei „uns“ das Interesse gibt übers Leben nachzudenken, darüber zu lesen, sich zu unterhalten, und dass die Leute eine gemeinsame Basis haben, die es ihnen ermöglicht über so was zu kommunizieren, beziehungsweise es entsteht das Gefühl irgendwo aufgehoben, unter Gleichgesinnten zu sein. Und das ermöglicht natürlich wiederum den Leuten sich zu öffnen. Wobei ich aber auch sagen muss, dass trotzdem unheimlich viele Spinner bei uns rumlaufen …(lacht), aber das ist sicherlich in jeder Szene so. NA JA, UNSERE SPINNER SIND WENIGSTENS NICHT SO BEKIFFT, ODER AUF ECSTASY… Na, das hast du gesagt (lacht)… Aber ich muss noch was loswerden. Was ich nämlich an der Szene so unheimlich schätze, ist, dass Drogen und Gewalt eine sehr geringe Rolle spielen. Ich persönlich habe überhaupt kein Verhältnis weder zur Gewalt noch zu harten Drogen und ich finde es erstaunlich, wie respektvoll und harmonisch die Szene untereinander umgeht. Das ist es auch, glaube ich, was die Szene auszeichnet und was auch der Grund ist, warum so viele sich dort hingezogen fühlen, neben der Tatsache, dass solche Themen wie Melancholie und Tot und worüber man sich noch gerne unterhält, eine große Rolle spielen. MUSS MAN TATSÄCHLICH TRAURIG–MELANCHOLISCH SEIN, UM TRAURIGE TEXTE ZU SCHREIBEN? Ich glaube schon, ja… Also, ich bin kein Mensch, der die ganze Zeit mit langem Gesicht rumsitzt. Ich würde mich schon als Melancholiker bezeichnen, aber mit einer sehr fröhlichen Lebenseinstellung, wenn das überhaupt zusammenpasst. Wenn die Leute es als zu widersprüchlich empfinden, so be it… Aber ich mache meine Musik schon aus einer melancholischen Lebenseinstellung raus. Und ich kann von mir sagen, wenn ich sehr gut drauf bin, wenn alles nach Plan läuft und ich das Leben in vollen Zügen genieße, dann ist es eigentlich eine sehr schlechte Zeit für mich Musik zu machen. Meistens fällt mir dann wirklich nichts ein, weil ich es schon probiert habe fröhliche Musik zu machen, aber es gelingt mir überhaupt nicht! Es wird sofort lächerlich und darin sehe ich auch nicht meine Lebensaufgabe. Der Grund Musik zu machen ist für mich halt meine melancholische Lebenseinstellung, die sich zwar nicht immer äußert, aber in der Musik eben doch zum Ausdruck kommt. Ich glaube auch, dass wenn ich diese Möglichkeit, dieses Ventil nicht hätte, meine melancholische Seite so auszuleben, dann wäre ich im Alltag ganz anders unterwegs und hätte einige Probleme. REFLEKTIERST DU IN DEINEN TEXTEN EHER DAS ERLEBTE, ODER VIELLEICHT MACHST DU ES WIE Z.B. DEINE LAKAIEN, DIE IN DEREN TEXTEN ÖFTERS GELESENE BÜCHER, GESEHENE FILME UND SO WEITER REFLEKTIEREN? GIBT ES SOWAS WIE EINEN THEMENKOSMOS, ETWAS WAS ZU DIORAMA PASST UND GIBT ES WIEDERUM THEMEN, WORÜBER DU NIE EIN LIED MACHEN WÜRDEST? Gesehene Filme und gehörte Musik spielen schon eine Rolle. Das fließt schon mit ein, aber ich glaube eher zu einem geringen Anteil. Die Hauptinspiration ist meine Persönlichkeit und alles, was ich erlebe und auch die Leute, die ich treffe. Was ich denke und fühle, versuche ich schon eins zu eins in der Musik umzusetzen. Was sehr schwer zu uns passen würde, wären politische und religiöse Themen, die Weltanschauungsthemen eben, die irgendwelche Messages verbreiten, da ich definitiv keine Musik mache, um Messages zu verbreiten. Das können andere besser und haben dabei auch mehr zu sagen, da sie auch eine fundiertere Meinung über Dinge haben. Ich bin da jemand, der Musik im Stillen für sich macht, und der Output reflektiert danach wirklich zum größten Teil mein Gemüt und natürlich auch eine gewisse Gefühlssphäre, die andere dann auch vielleicht nachvollziehen können, weil ich denke, ich bin nicht der einzige, der sich in gewissen Situationen so fühlt oder verhält. GIBT ES FÜR DICH EINE ART GRADATION WAS WICHTIGER IST? IST DER TEXT WICHTIGER ALS DIE MUSIK, IST DIE MUSIK WICHTIGER ALS DER TEXT, ODER IST ES ABHÄNGIG VON DEM STÜCK? Absolut abhängig vom Stück, absolut… Es gibt Stücke wie „The Girls“ auf dem neuen Album, wo der Text zwar eine Rolle spielt und seine Wichtigkeit hat, aber doch simpel gehalten ist, um die Musik wirken zu lassen. Ich kann mir nicht vorstellen einen hochphilosophischen Text auf diese Musik singen zu können! Der Kerncharakter des Stücks ist hier wichtiger für den Eindruck, den der Hörer mitnehmen soll. Bei anderen Songs steht der Text total im Vordergrund… DAS SIND WAHRSCHEINLICH EHER BALLADEN… Ja, natürlich. „The Convenience of Being Absent” ist ein Stück auf der “The Art of Creating Confusing Spirits” – oh, das waren jetzt aber sehr viele englische Wörter – wo allein der Text im Vordergrund steht, wo das Klavier eine ganz untergeordnete Rolle spielt und es nur begleitet. Generell würde ich sagen, dass die Texte und die Musik ähnliche Wichtigkeit haben, mit leichter Tendenz zur musikalischen Wichtigkeit. WAS ICH VIELLEICHT ETWAS VERMISST HABE AUF DEM NEUEN ALBUM WAR DER SOUND VOM ANALOGEN KLAVIER. AUF DEM NEUEN ALBUM WIRD ES SELTENER EINGESETZT, WENN ICH ES SO SAGEN DARF… WAS MICH DARAUF WIEDERUM TOTAL VERBLÜFFT UND WAS ICH SEHR SCHÖN FINDE, IST DER TRACK „RANDOM STARLIGHT“, WO SICH DIE VOCAL PASSAGEN TOTAL NACH DAVID BOWIE ANHÖREN, DAS HAST DU WAHRSCHEINLICH IN DEN LETZTEN TAGEN ÖFTERS GEHÖRT, ODER? WAR BOWIE TATSÄCHLICH EINE GEWISSE INSPIRATION FÜR DICH, ODER HABEN WIR MUSIKJOURNALISTEN WAS RAUSGEHÖRT, WAS DEINER MEINUNG NACH GAR NICHT DA IST? Mal zu Frage eins – mit dem Klavier – wenn ich mich recht entsinne, haben wir auf der „Amaroid“ wieder mehr Klavier eingesetzt als auf dem letzten Album, weil es mir tatsächlich auch ein bisschen fehlte. Ich kann aber solche Sachen nicht erzwingen, diesen Kick mit dem Klavier. Bei dem dritten Album war es zum Beispiel gar nicht der Fall, aber jetzt habe ich es wiederentdeckt und bin auf dem Trichter gekommen. Das Klavier wird bei uns bestimmt immer eine Rolle spielen und niemals ganz ausgeblendet werden. Die zweite Frage mit David Bowie, ja, ich muss sagen, das habe ich sehr oft gehört. Es steht fast in jeder Kritik zu „Amaroid“, und das ohne dass er für mich in dem Fall die Inspiration war. Ich bin mit den Frühwerken Bowies nämlich gar nicht so gut vertraut, dass ich es davon abkupfern, oder mich davon inspirieren lassen haben könnte… – das waren jetzt vier Infinitive Junge, Junge (lacht). Aber auf jeden Fall ist es ein Statement, das mich nicht ärgert und mich eigentlich wirklich freut, weil ich großen Respekt vor Bowie habe, bzw. dem, was ich von ihm kenne. Da werde ich natürlich gerne mit dem Großmeister in einem Satz genannt! WAS ICH EIGENTLICH IMMER WISSEN WOLLTE, KRIEGT MAN AUCH TANTIEMEN, WENN MAN RÜCKWERTS IN EINEM LIED SINGT? (In dem letztem Stück auf „Amaroid“ namens „Two Boats“ ist kurz Liv Tyler rückwärts singend zu hören Anm. d. Int.) Es darf niemals an die Öffentlichkeit geraten … (lacht) ZU SPÄT! ES STEHT AUF DEM BOOKLET DRAUF! (beide lachen) IHR SEID WÄHREND DER TOUR ZUSAMMEN IN EINEM BUS UNTERWEGS. HABT IHR DEN KONSENS GETROFFEN WAS IHR DORT HÖRT, ODER EBEN WELCHE MUSIK DORT NIE LAUFEN DARF? IHR HABT DOCH BESTIMMT DORT DRIN EINEN CD BZW. DVD SPIELER, VIELLEICHT SOGAR EINE PLAYSTATION.WIE ARRANGIERT IHR EUCH UNTEREINANDER? Wir sind, glaube ich, 16 Mann im Bus und da müsste man sich schon sehr arrangieren, wenn man Musik hören würde. Aber faktisch läuft nie Musik im Bus. Ich glaube, dadurch dass man Abends stundenlang mit der Musik zugeballert wird, ist das Verlangen da, tagsüber im Bus Ruhe zu haben. Der Tagesrhythmus bietet sich nicht dazu an, im Bus zu chillen und Musik zu genießen. Man wacht um 13 – 14 Uhr auf, ist gerade direkt am Venue angekommen und geht frühstücken. Danach hält man sich die ganze Zeit entweder im Backstage Bereich oder in der Halle auf und geht nur ab und an zum Bus, um was zu holen. Aber da bietet es sich nicht so großartig an dort viel Zeit zu verbringen, weil es dort auch nicht wirklich bequem ist. Die beste Möglichkeit was zu hören, oder einen Film zu schauen ist eigentlich immer spät nachts, wobei dann immer entweder was los ist im Bus, es wird noch ein wenig getrunken, oder ein bisschen gefeiert, oder die Leute sind dermaßen fertig, dass sie sofort ins Bett gehen. Ich glaube, auf der ganzen Tour haben wir nur zwei, oder drei DVDs geschaut und paar Mal Play Station gespielt. Bei meiner letzten Tour mit DIARY OF DREAMS war es ein bisschen anders, da haben wir fast jeden Abend eine DVD eingelegt. Es war auch relativ einfach sich zu einigen, da wir nicht so viele mit hatten. KOMMEN WIR NOCH EINMAL KURZ ZU „AMAROID“ ZURÜCK. ICH HABE IRGENDWO GELESEN, DASS DAS ALBUM IN FÜNF STUDIOS AUFGENOMMEN UND ABGEMISCHT WURDE. WARUM? Es gibt einen Unterschied zwischen analoger und digitaler Aufnahmetechnik. Wir haben die bisherigen Alben immer digital produziert und wollten diesmal etwas ausprobieren und es diesmal komplett analog aufnehmen und abzumischen. Auf den Unterschied will ich jetzt nicht eingehen, da ich glaube, dass es nicht wirklich interessant ist, aber wir verfügen nicht über das technische Equipment, um eine solche Produktion allein durch zuziehen. Deswegen mussten wir uns umschauen, wo externe Studiolösungen sind, mit denen wir im Endeffekt zusammenarbeiten wollten. Wir haben in vielen verschiedenen Studios mit verschiedenen Tontechnikern gearbeitet, bis wir endlich rausgefunden haben, welche Peripherie sich für welches Stück eignet und welche nicht. Wir haben relativ lange dazu gebraucht und relativ viele Studios durchwandert, bis es richtig feststand und deswegen wurde es am Ende ein Marathon. Wir haben es uns anfänglich viel einfacher vorgestellt, wir dachten, wenn wir was finden, dann ziehen wir dort die ganze Produktion durch. Das war aber in der Form gar nicht möglich, da sich die Studios sehr stark voneinander unterscheiden und so auch unsere Stücke. Es hat sich gezeigt, dass irgendwo die schnellen, druckvollen Sachen produziert werden mussten und anderswo die Technik da war, um die balladesken Sachen zu machen. Dazu muss ich auch sagen, dass bei den fünf Studios auch unser eigenes dabei war, und auch das Mastering Studio ist dasselbe geblieben. VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH
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