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FAD GADGET

Wir betreten die kleine Butze, die sich „Dressing Room“ schimpft. Überall fliegen kleine, weiße Federn herum. Ein ausgeschlachtetes Kopfkissen liegt in der Ecke. Der Mann, der uns rein gelassen hat, schmunzelt: „Sorry, ich habe gerade mit einem gigantischen Hähnchen gekämpft…“ Ich mache mein MD Gerät an. Es ist Freitag, der 25. Januar 2002, kurz vor Mitternacht. Der Laden heißt PC69 und füllt sich gerade langsam mit „Grufties“ aus Bielefeld und Umgebung. Die allwöchentliche „Schwarze Freitag“ Tanzveranstaltung ist angesagt. Vor einigen Minuten ist dort eine Show zu Ende gegangen, die allen Beteiligten als einzigartiges Ereignis für lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird. Deren Hauptakteur – FAD GADGET a.k.a. FRANK TOVEY – geteert und gefedert, sang, sprang und kletterte gerade eben rum zu „Back to Nature“. Ein wieder auferstandenes Relikt der 80er Jahre, welches allerdings schon damals eher als „Geheimtipp“ jenseits der Top 10 Charts agierte. Einer der innovativsten Künstler der Post Punk und frühen New Wave Ära.. Ein musikalisches Genie, dessen Zeit vielleicht gerade jetzt kommen sollte… Das vor einigen Monaten erschienene „Best Of“ Album brachte gewissermaßen späte Anerkennung seiner früheren Werke. Zu recht! FAD GADGET hat mit Alison Moyet gearbeitet, bevor sie zusammen mit Vince Clark als YAZOO weltberühmt wurde. Er war es auch, der eine gewisse junge Synthiepop Band namens DEPECHE MODE als Support für seinen Auftritt angeheuert hat. Die legten danach bekanntermaßen eine Karriere hin, die ihresgleichen sucht. 2001, 20 Jahre später hat sich die Band bei ihm bedankt und nahm ihn mit auf die „Exciter Tour“. Er betonte immer, dass es ihm nichts ausmache, nicht im Rampenlicht zu stehen und keine Millionen mit seiner Musik zu verdienen. Seine Deutschland-Mini–Clubtour als Main Act (eigentlich nur zwei Städte: Berlin und eben Bielefeld) ging an diesem Abend zu Ende. FAD GADGET war gerade dabei neue Fans zu gewinnen. Trotz zahlreicher früherer Rückschläge und viel Pech als Künstler klingt er im Interview ganz und gar nicht verbittert. Ich behielt ihn in meinem Gedächtnis als einen äußerst netten Menschen mit einer unglaublichen Ausstrahlung, die ich weder vorher noch danach, bei keinem Künstler, den ich interviewen durfte, entdeckt habe.

KÖNNTEST DU DICH BITTE KURZ VORSTELLEN? Hallo, mein Name ist Frank und ihr kennt mich wahrscheinlich unter dem Namen FAD GADGET. DARUM HABE ICH DICH GEFRAGT, DENN ICH HÄTTE GERNE GEWUSST, WIE VIELE GESICHTER FRANK HAT. Es ist normal fürs Showbusiness, viele Gesichter zu haben… In der Tat habe ich vor der Musik etwas im Performance-Bereich gemacht, das war so in der Richtung des in den 50er und 60er Jahren berühmten Künstler Joseph Beuys. DAS IST INTERESSANT, DENN FAD GADGET WAR SO ETWAS WIE DEIN ALTER EGO SEIT ETWA 1980. DANN, 1985 HAST DU PLÖTZLICH DIESES KAPITEL BEENDET UND AUF EINMAL, 17 JAHRE SPÄTER, MACHST DU DAS ABGESCHLOSSENE KAPITEL DEINER GESCHICHTE WIEDER AUF. WIE KAM ES DAZU? Meine Hauptmotivation war schon immer, nicht gelangweilt zu sein. Darum klingt auch jedes Album, das ich mache, vollkommen anders als das vorherige. Wenn ich etwas entdecke, was mir gefällt, wobei ich mich gut fühle, mache ich das nur so lange, bis ich davon gelangweilt bin. Und dann mache ich wiederum was anderes. Ich hätte so was wie „Ricky’s Hand“ immer und immer wieder machen können und damit wahrscheinlich sogar großen Erfolg in den Charts gehabt, aber das war für mich nicht interessant. Jedes meine Stücke war eine Art Experiment, einschließlich der Folk-Sachen. (VON DRAUSSEN DRINGT LAUTE MUSIK IN DEN RAUM (VNV NATION!) UND FRANK SCHLÄGT VOR, IN SEINEM VAN WEITERZUMACHEN. DORT GEHT ES NUN MIT DEM INTERVIEW WEITER…) HAST DU EIGENTLICH MITTLERWEILE DIE SCHNAUZE VOLL VON DEPECHE MODE-FRAGEN? ICH MEINE, WEIL VIELE JOURNALISTEN DICH IMMER WIEDER DANACH FRAGEN WERDEN, NACH DEM „COLLAPSING NEW PEOPLE-SAMPLE“. DU HAST ES SCHLIESSLICH ALS ERSTER BENUTZT, BZW. NATÜRLICH DIE EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN, DANN DU UND DEPECHE MODE HABEN ES DANN VON DIR ÜBERNOMMEN. Das höre ich immer wieder von den Leuten, und es ist vollkommen falsch. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Blixa Bargeld in einem Interview gesagt hat, dass DEPECHE MODE Samples von ihnen benutzt hätten, aber das ist vollkommen lächerlich. Weder sie, noch ich haben das jemals getan. Was wirklich geschehen ist, war, dass ich einen Song namens „Collapsing new people“ aufgenommen habe, und den Namen, den habe ich an die EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN angelehnt. Ich war damals in Berlin im Hansa-Studio, um ein Album aufzunehmen und einen Tag vorher haben wir eine Show mit den NEUBAUTEN gemacht (spreche ich das richtig aus?). Sie waren mein Support und ich wusste, dass sie die Bühne zerstören würden. So habe ich zu ihnen gesagt, ich gehe als erster raus, denn sonst kann ich ja nicht mehr auftreten, mit einem großen Loch auf der Bühne. So haben wir zuerst gespielt, das war gegen Mitternacht in einem Laden namens „Loft“. Ich bin hochgesprungen, mit meinen ausgestreckten Händen über dem Kopf und da geschah es, dass meine Finger in eine Ventilationsschachtabdeckung gerieten und ich gefangen war. Als ich sie aus dem Gitter raus zog, riss ich das Teil aus der Decke und es krachte samt der ganzen Deckenverkleidung geradewegs auf die Bühne. Ein totales Durcheinander! Dann verließen wir die Bühne und die NEUBAUTEN kamen. Sie bohrten Löcher in die Wände und versuchten alles abzufackeln! Wir haben den Club geradewegs zerstört, aber die Promoterin des Ladens – sie hieß Monika – kam nachher backstage zu uns mit einer Flasche Champagner und sagte: „Tolle Show!“. Und weil die Zuschauer so aussahen, als ob sie viel Zeit dafür investiert hätten, „schlecht“ auszusehen, mit Zeugs in den Haaren und die Gesichter auf hässlich geschminkt, obwohl es ja meistenteils Teenager waren, da bin ich auf den Songtitel „Collapsing new people“ gekommen. Dabei hatte ich natürlich die NEUBAUTEN mit „Collapsing new buildings“ im Kopf. So ist das Stück entstanden. Entschuldige die lange Geschichte… MACH RUHIG WEITER, DAS IST SEHR INTERESSANT… Ich habe so viele Geschichten auf Lager, meine Band hat sie schon längst schon mit Nummern versehen… Jedenfalls hat dieser Song eine gewisse Verbindung zu den NEUBAUTEN und ich lud sie ins Studio ein, nachdem ich das Stück komplett fertig geschrieben habe. Während der Aufnahme haben sie dann im Hintergrund Krach gemacht. Das war dann auf meiner Scheibe und das hatte alles nichts mit DEPECHE MODE zu tun. DM haben nie irgendwelche NEUBAUTEN-Samples benutzt, warum auch? Das war doch gar nicht nötig. Einfach nur lächerlich… Ich meine, warum sollte man so etwas samplen? Blixa hat auf Metal geschlagen, wenn man so was bräuchte, schlägt man halt selbst drauf. DEPECHE MODE haben das mit der Hilfe von Gareth Jones gemacht, das war eins der ausgereiftesten Samples zu der Zeit. Ich liebe Blixa, er ist ein toller Kerl, aber manchmal nimmt er es mit der Wahrheit nicht so genau… Vielleicht hat es ja auch jemand anders verbreitet. JETZT WISSEN WIR ES JEDENFALLS GANZ GENAU. Jeder kann auf Metal schlagen, nimm einen Mülleimer, hau dagegen und lass ein Mikrophon das Ganze aufnehmen, das war’s. DU WARST JA DAS ERSTE SIGNING AUF MUTE RECORDS. DAS MUSS SO 22 JAHRE HER SEIN?! Jetzt fühle ich mich alt… ich mag es nicht, die Jahre zu zählen. 1979 habe ich die erste Single veröffentlicht, also wird es wohl 1978 gewesen sein, als ich begonnen habe. Ich traf damals Daniel Miller, der seine eigene Single veröffentlichte – „The Normal“ -, jemand stellte mich ihm vor und ich sagte, ich möchte eine Single herausbringen. Und er erwiderte, warum ich das nicht selber machen würde? Es war ja die Post Punk-Zeit und jeder hat sein eigenes Ding durchgezogen. Ich meinte nur, ich will mit dem ganzen Business-Blullshit nichts zu tun haben, mich ums Geld kümmern und so. Ich möchte ein Künstler sein, also kannst du das für mich tun? Er dachte darüber nach und rief mich am nächsten Tag an und sagte: „O.K.“, das wurde dann „Back to Nature“. In diesem Moment wurde er sein eigener „Plattenfirma Boss“ und ich ein Musiker… Ein Künstler war ich ja schon vorher. ALSO HAST DU PRAKTISCH DANIEL MILLER ZUM LABELCHEF GEMACHT? Nein, er hatte ja schon eine Single, seine eigene, veröffentlicht. Und er wusste, wie so etwas läuft und hat dann schließlich zugestimmt, das auch für mich zu tun. Danach hat er nie wieder eine eigene Platte gemacht, weil er der „Geschäftsmann“ wurde. EIGENTLICH SCHADE… Nun gut, er war schon bei vielen Dingen involviert. Bei meinen ersten Scheiben hat er mir bei der Produktion geholfen. Dann hat er DEPECHE MODE getroffen und sie produziert. Wir schulden ihm viel, er ist ein Klasse Typ. UND NACH SO VIELEN JAHREN BIST DU IMMER NOCH BEI MUTE. Ja, da erschien ein Best Of-Album, aber ich hatte nie einen Vertrag, es war immer auf freundschaftlicher Basis. Aber heutzutage geht das nicht mehr. Ich will ein neues Album machen und ich werde Daniel das Material als erstem anbieten, dann bringt er es heraus oder eben möglicherweise doch ein anderer. Jedenfalls wird diesmal ein Vertrag nötig sein, denn die Dinge haben sich in unserer „modernen“ Welt mittlerweile geändert. IMMERHIN HAT ER JA ALLES VERÖFFENTLICHT, WAS DU BISHER AUFGENOMMEN HAST. EGAL OB ES ELEKTRO, FOLK ODER GITARRENSACHEN WAREN. Glücklicherweise ist er in der Hinsicht sehr offen. Aber ich habe ihn wohl an seine Grenzen getrieben. Ich habe ja mit Elektro angefangen und bin dann zu Folk gewechselt. Und Nick Cave hat ja auch Folk gemacht. Ich glaube, Daniel hätte es sich nie träumen lassen, dass er mal 2 Folk-Künstler auf seinem Label haben würde. Aber nun bin ich wieder an elektronischer Musik interessiert, der Kreis schließt sich. Eine Weile hat mich das gelangweilt, weil es nur noch Dance Musik war, so ähnlich wie das, was wir vorhin gehört haben: „Bum Bum Bum“… Es ist natürlich o.k. zu tanzen, aber zu hause kann man sich das nicht anhören. Ich interessiere mich mehr für Lyrik und Songstrukturen. Ein Beispiel dafür ist „Ricky’s Hand“, ursprünglich ein elektronischer Track, aber ich habe Folk-Versionen, Country-Versionen, alles Mögliche daraus gemacht. Für mich ist jede Musikrichtung relevant, ich höre mir alles an: Jazz, Blues, Folk, Elektro… Ein guter Song wird in jedem Genre funktionieren. DU HAST VIER VORNEHMLICH ELEKTRONISCHE ALBEN GEMACHT, DEINE VIER ERSTEN. DENNOCH UNTERSCHEIDEN SICH AUCH DIE UNTEREINANDER STARK. DU HAST MIT ALISON MOYET GEARBEITET, ALS SIE NOCH NICHT BEKANNT WAR, MIT WEM NOCH ALLES? ICH MEINE, DEPECHE MODE NATÜRLICH, KLAR. DIE WAREN JA DEIN SUPPORT ACT… Zu diesem Zeitpunkt waren DEPECHE MODE nur Jungs, die einen Gig brauchten. Das hat sehr viel Spaß gemacht damals. Mein weiß in diesem Business nie genau, wer es schaffen wird und wer nicht. Ich habe größten Respekt für DEPECHE MODE, ich war mit ihnen letztes Jahr auf Tour und es war sehr nett von ihnen, mich als Support einzuladen. Es sind tolle Menschen und wir hatten viel Spaß. Ich sehe sie sowieso alle paar Jahre wieder auf einer Mute-Party, oder wo auch immer. Dann betrinken wir uns. Wir haben nach all den Jahren so viel gemeinsam, das ist schon klasse… DENKST DU, DASS DIE 80ER EINE BESONDERS KREATIVE ZEIT WAREN? ES GAB SO VIELE KÜNSTLER, DIE JAHR FÜR JAHR HERVORRAGENDE ALBEN VERÖFFENTLICHTEN. UND HEUTE WIRD VERÖFFENTLICHT, WAS DAS ZEUG HÄLT, ABER 80 BIS 90 PROZENT DAVON IST MÜLL UND DIE LEUTE KAUFEN ES NICHT. DAZU NOCH DIESE GANZE INTERNET/ MP3-GESCHICHTE. DENKST DU NICHT, DASS ES IN DEN 80ERN VIEL BESSER WAR, ALS DIE LEUTE NEUGIERIG AUF MUSIK WAREN UND BEGIERIG DARAUF WARTETEN, CDS ZU KAUFEN? Ich hatte Glück, damals dabei zu sein. Meine Generation war die Punk Generation, ich war bekannt mit Glen Matlock von den SEX PISTOLS. Also bin ich mit einer Punk Attitüde in die Musikszene geraten und da ich nur 3 Akkorde auf einer Gitarre spielen konnte, wollte ich es nicht machen. Denn so hätte ich wie jede andere Punk Band geklungen. Darum habe ich einen Synthesizer genommen, das war alles sehr aufregend, denn jeder Song war ein Experiment. Heute sind all diese synthetischen Sounds Standard, klassisch halt. Es ist schon eine gute Sache, dass die Musikindustrie sich entwickelt hat, aber heute gehört sie nun zum Establishment, also genau das, wogegen wir seinerzeit opponiert haben. Schau dir mal die Musikgeschichte an: In den 50ern ELVIS PRESLEY, in den 60ern DYLAN, HENDRIX, die STONES, die BEATLES… Die waren alle gegen das Establishment und haben versucht Grenzen aufzubrechen. Mitte der 70er Jahre kam der Punk, da ging es weiter. Und ab 1986, so um den Dreh, da wurde es dann immer „hässlicher“, langsam kam dann das Big Business. Und in den 90ern kenne ich nicht mal eine Band, die wirklich gegen das Establishment war… NIRVANA VIELLEICHT? War das um die Zeit? O.k. aber das war eigentlich nur ein Wiederaufleben des Punk. So gerne ich NIRVANA mag, aber sobald ein Musiker zur Downing Street Nr. 10 geht und Tony Blair die Hand schüttelt, ist das das Ende vom Rock ´n´ Roll. Für mich war Rock ´n´ Roll Revolution, nicht in punkto Politik, sondern auf einer persönlichen Ebene: Junge Leute, welche die Gesellschaft verändern wollen. Heute unterstützt doch Musik nur noch das Establishment. FINDEST DU NICHT AUCH, DASS ES HEUTE ZU EINFACH IST, MUSIK ZU MACHEN, WO DAS EQUIPMENT FÜR JEDEN BEZAHLBAR IST, DER EINIGERMASSEN VERDIENT? ODER MAN EINFACH ZU SO EINER SUPERSTAR-GESCHICHTE INS FERNSEHEN GEHT, IHR IN ENGLAND HABT DAS JA AUCH. HEUTE MUSS MAN DOCH NUR GUT AUSSEHEN, UM EIN KÜNSTLER ZU SEIN… Da bin ich mir nicht so sicher. Ich kann die Tatsache nicht kritisieren, dass es einfach ist, Musik zu machen. Schließlich habe ich ja auch einen Synthesizer genutzt, um mich musikalisch auszudrücken. Wäre ich ein Jahrzehnt eher geboren, hätte ich das nicht machen können, denn Gitarre spielen, konnte ich ja nicht. Nun gut, es ist heutzutage schon einfacher geworden und sehr viele Menschen machen Musik, daraus resultiert ein großer Wettbewerb. Und das Schlimme daran ist, dass nur die Starken überleben und es da draußen viele sensible Künstler gibt, die tolle Songs schreiben, aber nicht „tough“ genug sind, einen Deal einzufahren. Ich höre keinen neuen DYLAN, keinen neuen HENDRIX. Mit all der neuen Technologie im Hintergrund brauchen wir doch charismatische Personen wie eben DYLAN, welche die vorhandene Technologie dazu „missbrauchen“ einen Schritt weiter zu kommen. Die Leute existieren bestimmt, aber die Plattenfirmen geben ihnen keinen Vertrag mehr. VIELLEICHT GIBT ES KEINE NACHFRAGE FÜR SOLCHE LEUTE? Ich glaube nicht, dass Plattenfirmen wissen, welche Nachfrage besteht. Bei mir war es doch genauso. Als ich letztes Jahr wieder auf Tour gehen wollte, waren einige Leute sehr zynisch hinsichtlich meines Erfolges und dann kamen die Tour und die Reaktionen der Zuschauer, 18/ 19-Jährige rasteten völlig aus, die Best of-CD verkauft sich ausgezeichnet. Da haben dann einige gedacht: „Oh, das haben wir falsch eingeschätzt“. Plattenfirmen verstehen den Markt oft nicht richtig. WAS FÜR MUSIK WÜRDEST DU DENN MACHEN, WENN DU 2 JAHRZEHNTE SPÄTER GEBOREN WÄREST, DU JETZT ALSO UM DIE 20 WÄRST? Mmmh… Keine Ahnung, das kann ich nicht beurteilen… WELCHE MUSIK MAG DENN DEINE TOCHTER? Also ich glaube, sie hört verschiedene Richtungen. Sie ist nicht so auf ein Genre fixiert. Ich habe meinem Sohn eine E-Gitarre zum 13ten Geburtstag geschenkt und er hat sehr schnell gelernt, sie zu spielen. Er spielt und hört Sachen wie RAGE AGAINST THE MACHINE, was sehr cool ist. Aber er mag auch LED ZEPPELIN. Ich glaube, wir haben mittlerweile so einen musikalischen Reichtum, dass wir uns aus jeder Epoche etwas herauspicken können. Ich mag Blues, das hat vielleicht auch die Art und Weise beeinflusst, wie ich Computer programmiert habe. Aber ich höre auch BILLY HOLIDAY… UND WAS HAT DICH LETZTENDLICH DAZU BEWOGEN NACH 18 JAHREN WIEDER UNTER DEM NAMEN FAD GADGET AUF TOUR ZU GEHEN? Nun, ich habe Musik fürs Theater komponiert – ein Freund von mir ist Regisseur – und ich habe mich ich immer mit der Technologie beschäftigt, war immer up to date. Und dann habe ich ein Album produziert für eine österreichische Gitarren-Band namens TEMPLE X, sie sind nun meine Backing Band auf dieser Tour. Je mehr ich mich aufs Mixen konzentrierte und je elektronischer ich deren Scheibe machte, desto mehr realisierte ich, dass mich elektronische Musik wieder interessiert. Sie haben letztes Jahr ein Konzert gespielt, wo sie mich einluden, 3 Songs auf der Bühne zu performen. Erst wollte ich es nicht machen, aber schließlich habe ich es richtig genossen (nach ein paar Bierchen…). Als ich aus Österreich zurückkam, die „Xplosion“-Scheibe im Kasten war, war mein erster Gedanke, dass ich mir einen Promoter suchen wollte und kaum, bin ich angekommen, rief mich ein Promoter an und wollte mich fürs Elektrofest buchen. Welch ein Zufall! Das sollte zu Ostern in London stattfinden und ich dachte mir, o.k., das wird ein langweiliges Event mit all den Zuschauern mittleren Alters… Doch dann waren da diese 18/ 19jährigen, die richtig abgingen. Die waren noch nicht mal geboren, als meine alten Sachen veröffentlicht wurden! Ich konnte es kaum glauben, was dort passierte. Das gab mir die Energie, weiterzumachen. DAS JAHR 2001 WAR JA AUCH EIN BESONDERES JAHR, WAS DAS 80ER REVIVAL ANGING. DA GAB ES EIN NEUES NEW ORDER-ALBUM, EIN NEUES VON HUMAN LEAGUE UND IN DEUTSCHLAND WAR DA DIE ROXY MUSIC-TOUR. DANN GAB ES DA DIE JÜNGEREN ACTS, DIE DEN 80ER SOUND KOPIERTEN: FISHERSPOONER, LADYTRON, ZOOT WOMAN… UND DANN KAMST DU ZURÜCK AUF DIE BILDFLÄCHE. EIN PERFEKTES TIMING. WAR ES WIRKLICH NUR EIN REINER ZUFALL? Es ist sicher schwer das zu glauben, aber so war es. Nach diesem Oster-Festival kamen Leute auf mich zu und fragten, wie es wäre, Teil des 80er Revivals zu sein, aber das war reiner Zufall und vielleicht tatsächlich auch ein gutes Timing… Ich könnte die neuen Sachen von NEW ORDER und HUMAN LEAGUE überhaupt nicht, ich fühlte mich ja nicht mal in den 80ern selbst als Teil irgendeiner Szene, ich habe diese Leute auch nie getroffen! Und als ich damit begann, Synthesizer zu nutzen, gab es ja außer mir vielleicht nur noch KRAFTWERK. Ich war von einer Band namens SUICIDE aus New York beeinflusst. Ich habe die Synthies ja nur benutzt, um nicht wie eine typische Punkband zu klingen, hatte also keine Verbindung zu diesen Leuten. Und heute erst recht nicht… Ich existierte halt ganz einfach in den 80ern, wie viele Leute. In einem Artikel einer englischen Zeitschrift namens „Sleaze Nation“ gab es einen Artikel, wo der Terminus „Synthcore“ geprägt wurde. Das scheint das nächste Ding zu werden und sie fühlen sich von mir beeinflusst. Vielleicht gibt es dann ja wieder ein Revival, wer weiß. Ich kümmere mich um all diese Dinge nicht, ich mache meine Musik und wenn Leute sie mögen, ist das schön, wenn nicht, kann ich auch einen anderen Job ausüben… DAS WÄRE AUCH MEINE NÄCHSTE FRAGE GEWESEN, DEIN LETZTES ALBUM IST 1992 ERSCHIENEN, WAS HAST DU ALSO IN DEN LETZTEN 10 JAHREN GEMACHT? VON IRGENDETWAS MUSST DU JA GELEBT HABEN. Das „normale“ Leben hat von mir Besitz ergriffen. Ich habe mit einer Band namens PYROS getourt, das waren Iren und ausgesprochene Alkoholiker. Eigentlich bin ich der nüchterne Typ, aber ich habe mich angepasst und das endete damit, dass ich morgens als erstes Alkohol zu mir genommen habe. Bei der letzten Show in London, in einem Laden namens „The Orange“, habe ich alles verwüstet, mir den Bauch aufgeritzt, mein Bein verletzt. Davor hatte ich mal einen Streit in einem Pub, der darin gipfelte, dass ich verhaftet und zur Polizei gebracht wurde. Ich wurde der schweren Körperverletzung angeklagt und wäre beinahe für 6 Jahre im Knast gelandet, das alles war also recht ernst. Davor ließ sich meiner Frau von mir scheiden. Das „richtige“ Leben wurde also wichtiger als die Musik. Ich habe aber diese Zeit überstanden und meine jetzige Freundin kennen gelernt, Iris, die nun auch meine Managerin ist. Ich habe mein Leben wieder auf die Reihe gekriegt und danach diese Theatermusik-Geschichte begonnen. Musik zu machen ist sehr stressig, jeden Abend performen usw. Für mich war es sehr schön auch mal mit „normalen“ Leuten rumzuhängen, die keine Ahnung von meiner Musiker-Karriere hatten. Die möchten mich als Mensch, nicht als Musiker, es war eine Art „Quasi-Rücktritt“ vom Business. Und dann kamen die Angebote, von denen ich ja vorhin schon erzählt habe, und ich hätte die ablehnen können. Aber ich hatte Lust und nun fühlt es sich gut an! WARUM DANN ABER NUR SO EINE KURZE TOUR, NUR 2 GIGS IN DEUTSCHLAND, BERLIN UND BIELEFELD? Wir hatten ursprünglich mehr Gigs gebucht, aber ich musste mir ja neue Leute zum Zusammenarbeiten suchen und der Agent war nicht besonders gut. Er verschwand geradewegs, während die Tour gebucht wurde. Und als wir die Konzertstätten anriefen, wurde uns gesagt, dass der Promoter die Absprachen nicht eingehalten habe. So haben wir uns letztlich dazu entschlossen, nur eine kleine Tour zu machen, 7 Gigs. Aber wir werden definitiv im Sommer einige Festivals spielen. WIE SIEHT ES MIT DEN PLÄNEN FÜR EIN NEUES ALBUM AUS? Ja, nach dieser kurzen Tour werde ich mich hinsetzen und neues Material für ein neues Album schreiben. WIRD DAS UNTER DEM NAMEN FAD GADGET ODER FRANK TOVEY LAUFEN? FAD GADGET, ganz einfach aus pragmatischen Gründen, weil mehr Leute den Namen kennen. Außerdem mag ich den Namen FAD GADGET, das hört sich wie ein Supermarkt-Produkt an, wertlos und entbehrlich! Das Material wird elektronisch sein, mit den Mitteln, die mir jetzt zur Verfügung stehen, Computer usw., aber auch Gitarren, Drums… Alles, was ich bisher gemacht habe, wird darin seinen Ausdruck finden. VIELEN DANK FÜR DIESES INTERVIEW

Ich verabschiede mich per Handschlag von Frank, in dem Glauben, ihn irgendwann mal wieder zu treffen. Er plante ja sein nächstes Album und war voller Tatendrang. Einen Tag darauf, am 26. Januar 2002 fand das nächste Konzert in Antwerpen statt und am 30.03 noch ein Auftritt in Stockholm. Das geplante Album blieb aus. Am 3. April 2002 verstarb Frank Tovey völlig unerwartet in seinem Londoner Haus. Die Todesursache war ein Herzinfarkt. Angesichts seines noch immer jugendlichen Aussehens ist dieses kaum zu begreifen. FAD GADGET kam nie über einen Kultstatus hinaus. Er beeinflusste aber Bands und andere Künstler in nachhaltiger Weise. Ich hätte noch stundenlang seinen Storys über seine Zeit mit DEPECHE MODE und den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN lauschen können. Das wäre genug Stoff gewesen, um ein Buch zu veröffentlichen. Gerade seine Zeit in Berlin ist aus heutiger Sicht unheimlich spannend gewesen. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein geiles Konzert, ein informatives Interview und meine signierte CD. Ich schätze mich glücklich, FRANK TOVEY kennen gelernt zu haben. R.I.P. Copyright Fotos: Sylvette Handl www.no-darkroom-pictures.de

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