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FLORIAN GREY

DASS ER EIN EINGESCHWORENER FINNLAND-FAN IST, IST AUF DEM DEBÜT DES SÄNGERS FLORIAN GREY DEUTLICH ZU HÖREN: „GONE“ IST GEPRÄGT VON EINER GUTEN PORTION DARK ROCK, UNTERFÜTTERT MIT EINEM STARKEN MELODIEGERÜST UND AUSSTAFFIERT MIT VIEL ATMOSPHÄRE UND GEFÜHL. UND AUCH, WENN „GONE“ SEIN ERSTES SOLOALBUM IST, EIN GANZ UNBEKANNTER IST ER NICHT; MIT SEINER FRÜHEREN BAND EVES END LIEFERTE ER 2010 MIT „FROZEN HEART PHILOSOPHY“ SCHON EINEN LONGPLAYER AB, UND ER SPIELTE LIVE MIT GRÖSSEN WIE TARJA TURUNEN, DORO PESCH, SALTATIO MORTIS ODER LACRIMAS PROFUNDERE. FÜR „GONE“ HOLTE ER SICH EBENFALLS PROMINENTE UNTERSTÜTZUNG: CHRIS HARMS VON LORD OF THE LOST ÜBERNAHM DEN MIX UND STEUERTE DIVERSE INSTRUMENTE BEI, UND IM APRIL KONNTE FLORIAN GREY SEINE SONGS IM VORPROGRAMM DER AKUSTIKTOUR VON LORD OF THE LOST LIVE VORSTELLEN. DA LIEGT DIE ERSTE FRAGE NAHE: WIE IST DEIN KONTAKT ZU LORD OF THE LOST ENTSTANDEN? Chris und ich kennen uns schon länger, noch aus der Zeit, als ich mit meiner letzten Band EVES END unterwegs war und es mit LORD OF THE LOST gerade erst losging. Wir haben uns einmal auf dem M’Era Luna getroffen und sind in Kontakt geblieben. Zusammenarbeiten wollten wir schon lange; jetzt hat es endlich geklappt. NUN KLINGT „GONE“ NICHT DIREKT WIE EIN LOTL-ALBUM, ABER ES SIND DOCH BEI EINIGEN SONGS ELECTRO- ODER INDUSTRIAL-ELEMENTE ZU ERKENNEN, DIE EIN WENIG AN DEN TYPISCHEN LORD-SOUND ERINNERN. WIE SEHR HAT CHRIS DIE PRODUKTION BEEINFLUSST? Ich habe die Platte mit einem Kumpel namens Björn Meindl zusammen geschrieben, und wir hatten selbst schon an einige elektronische Sachen gedacht. Die Songs an sich waren allerdings ziemlich unterschiedlich; einige waren ja auch schon ein paar Jahre alt. Chris hat das dann alles in einen Rahmen gebracht, die akustischen Sachen etwas elektronischer gemacht und die balladesken Songs ein wenig rockiger. Außerdem hat er noch E-Gitarren eingespielt und Cello, und gerade diese Schleifen bei „Nocturne“, die finde ich ziemlich super, da war ich ziemlich überwältigt, als ich die gehört habe. BJÖRN MEINDL HAT AUCH EINEN GROSSEN TEIL DER GITARREN GESPIELT, NICHT WAHR? Genau. Meine instrumentalen Fähigkeiten sind sehr begrenzt. Ich kann Melodien für mich schreiben, aber das wirkliche Ausarbeiten, das überlasse ich lieber Leuten wie Chris Harms oder klassischen Pianisten wie Björn, die können das besser. Mit Björn habe vor vier Jahren einige Auftritte gespielt, und wir sind in Kontakt geblieben; als es jetzt darum ging, die Melodien auszuarbeiten, ist er mir sofort in den Sinn gekommen. Eigentlich sollte „Gone“ ja zuerst nur eine EP werden, aber als sich allmählich herauskristallisierte, dass es ein ganzes Album wird, haben wir unsere kreativen Energien einfach fließen lassen und abgewartet, was kommt. DABEI IST DIE GITARRE JA AUF DER PLATTE ZU EINEM RECHT BEHERRSCHENDEN ELEMENT GEWORDEN, DAS TEILWEISE SCHON FAST EIN BISSCHEN NACH PROGRESSIVE ROCK KLINGT. Auf jeden Fall, ja. Als wir uns das im Studio angehört haben, war uns klar, das muss so „progressive“ bleiben – wir saßen beide kopfnickend am Pult und haben gedacht, das ist ziemlich geil, so ein bisschen wie der Puff-Daddy-Remix „Come With Me“. VOR EIN PAAR JAHREN HAST DU BEI AKUSTIKGIGS AUCH SONGS WIE „GANGSTA’S PARADISE“ GECOVERT, ANDERERSEITS MIT DEINER ALTEN BAND EVES END MEHR DARK ROCK GEMACHT, UND DAS JETZIGE ALBUM HAT NEBEN DEN DUNKLEN ROCK-ELEMENTEN AUCH POPPIGE ANKLÄNGE. WAS IST DENN EIGENTLICH DEINE MUSIKALISCHE HEIMAT? Ich bin vor allem ein Fan großer Melodien. Mein musikalischer Hafen ist schon der Düsterbereich, aber ich habe auch Pop-Einflüsse, weil ich meine Gesangsausbildung bei dem Produzenten Frank Bülow gemacht habe, der unter anderem für CULTURE BEAT Songs geschrieben hat, aber auch für Singer-Songwriter und viele andere Richtungen. Da durfte ich bei vielem mitmachen und auch als Studiosänger arbeiten – das war eine gute Schule. DAS MERKT MAN DEM ALBUM AUCH INSOFERN AN, DASS DU VIELE VERSCHIEDENE STIMMFARBEN EINSETZT. Ja, darauf habe ich immer große Lust. Vor allen Dingen wechsele ich gern von wirklich düsterem Rock- zu Popgesang, um dann vielleicht noch ein bisschen Klassik einzubringen. In der Musikszene gibt es ja mit Floor Jansen aktuell eine Dame, die das auch sehr gut macht… MAGST DU NIGHTWISH? Ja, sehr, ich bin der totale NIGHTWISH-Fan. Ich finde die Arrangements bombastisch und auch das Songwriting toll. Manche Sachen sind mir ein bisschen zu powermetal-lastig, aber das neue Album finde ich super, auch wenn Floor Jansen da ein wenig hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben ist. Mein Lieblingsalbum ist wohl „Imaginaerum“. WELCHE SÄNGER HABEN DICH AM MEISTEN BEEINFLUSST? Hm, ich glaube, das musst du dir wie einen Baum vorstellen, wo ich mir von dem Ast einen Apfel genommen habe und von dem und von dem … Gerade in jüngeren Jahren fand ich die Stimme von Laith Al-Deen bombastisch. Er singt zwar deutsch, und das würde ich nicht unbedingt machen, weil ich mich in der englischen Sprache viel wohler fühle, aber er ist auch ein toller Songwriter. WO DU GERADE SPRACHE ANSPRICHST: IN DEINEM BOOKLET IST EIN FINNISCHER WAHLSPRUCH – WAS STECKT DENN DAHINTER? Na ja, seit neun oder zehn Jahren bin ich öfter in Helsinki. Es fing damit an, dass ich mit finnischen Musikern auf Tour war, und daraus sind einige Freundschaften entstanden. Und bei den Finnen ist es so, wenn sie erst mal aus ihrer Introvertiertheit raus sind, dann hält so eine Freundschaft ein Leben lang. Ich bin immer bei ihnen willkommen und sie immer bei mir. Mich zieht es eher in den Norden als in die südlichen Länder. Wer weiß, vielleicht war ich ja mal im vorigen Leben Finne. „ERAKKO ON YKSINAINEN KUNNES MUUSA SUUTELEE HÄNTA“ HEISST JA SO VIEL WIE: „DER EINSIEDLER IST EINSAM, BIS IHN DIE MUSE KÜSST.“ TRIFFT DAS AUF DICH ZU? Ich glaube, jeder Songwriter hat so eine Grundeinsamkeit in sich. Bei mir ist es auch so, dass ich aus der Einsamkeit heraus am besten schreiben kann. WOBEI DIE SONGS AUF „GONE“ JA SEHR DUNKEL AUSGEFALLEN SIND: WENN ES UM LIEBE GEHT, DANN VOR ALLEM UM DIE TRAGISCHE, SCHMERZVOLLE SEITE, UND DIE GRUNDSTIMMUNG IST DURCHWEG MELANCHOLISCH. WIE KOMMT DAS? Das Album ist nicht autobiografisch – es sind vor allem Geschichten, die ich gehört oder gelesen habe, und die ich durch meinen Filter erzähle. Gerade „The Way I Die“ ist ein Song, der mir beim Schreiben viel abverlangt hat und das jetzt beim Singen immer noch tut, weil er sehr wahr und sehr nahe an der Wirklichkeit ist. Die Inspiration dafür – und für einige andere Songs auf dem Album – war Lars Amends Buch „Dieses bescheuerte Herz“. Amend trifft darin einen 15jährigen Jungen, der schwer herzkrank ist, und sie erstellen eine Liste mit Sachen, die der Junge schon immer machen wollte, bevor er stirbt; diese Dinge verwirklichen sie dann. Bei einer Lesung habe ich kurz mit Lars Amend gesprochen, und er erzählte mir, dass der Junge inzwischen 17 ist und immer noch am Leben. Zwar hat er noch immer Operationen, muss schwere Medikamente nehmen oder kann nur mit einem Korsett um den Brustkorb und einem Sauerstoffgerät auf die Straße, aber soweit ich das mitbekommen habe, geht es ihm im Rahmen der Möglichkeiten gut, und er ist in einer glücklichen Richtung unterwegs. Das war eine große Inspiration für das Album – dass man selbst bei großem Leid und im Angesicht des Todes noch ein Licht am Ende des Tunnels sehen kann. Viele Songs haben diesen Ying-und-Yang-Faktor. Ohne Gut kann es kein Böse geben, ohne Liebe kein Leid, das geht immer alles miteinander einher. IN „THE END“ STELLST DU DIR VOR, WIE DU SELBST DIE LETZTEN SEITEN DEINES LEBENSBUCHS BETRACHTEST. WELCHE DINGE WÜRDEST DU UNBEDINGT NOCH EINMAL GEMACHT HABEN WOLLEN? Ich glaube, ich würde ein Wohnmobil mieten und nach Lappland fahren, und einfach noch mal schreiben … nach einer riesengroßen Party mit meinen Freunden. Das ist es zumindest, was mir jetzt so spontan einfällt. ALS ICH DEN TITEL „LAUDANUM“ AUF DEINEM ALBUM ENTDECKTE, HABE ICH MICH GEFRAGT, OB DU AUCH GERN VIKTORIANISCHE SCHRIFTSTELLER LIEST, DENN DAS IST JA EINE SUBSTANZ, DIE HEUTZUTAGE NUR NOCH WENIG ERWÄHNUNG FINDET UND EHER INS 19. JAHRHUNDERT GEHÖRT. Ich bin durchaus ein Fan von älteren Büchern oder Gedichten, einer meiner Lieblingsdichter ist zum Beispiel William Blake. Es müssen aber immer Geschichten sein. Ich bin kein so großer Freund von Biografien. Die Inspiration zu „Laundanum“ lag allerdings in Anne Rices „Chronik der Vampire“ – die Verfilmung, „Interview mit einem Vampir“, ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. INWIEWEIT UNTERSCHEIDET SICH „GONE“ VON DEM DARK ROCK, DEN DU FRÜHER MIT EVES END GEMACHT HAST? Es ist eigener geworden. Die Songs, die wir damals bei EVES END ausgearbeitet haben, die waren doch eher pop-dark, teilweise auch glamrockig. Ich wollte aber schon immer mehr experimentieren und auch stimmlich ein bisschen weiter rausgehen. Gerade auf „Once“ bin ich da sehr stolz, das war ein Song, mit dem ich mich zu Anfang noch etwas schwer getan habe, bis ich schließlich hineingewachsen bin. – Bei EVES END war es noch ein bisschen so, dass wir nicht recht wussten, was uns im Musikbusiness erwartet … wir sind da sehr unbedarft herangegangen. Es wurde uns aber auch nicht leicht gemacht. INWIEFERN? Ach, wir wurden oft mit HIM verglichen und wir bekamen nie recht die Möglichkeit, uns zu beweisen. Die Songs, die ich heute schreibe, die sind viel ausgereifter, viel erwachsener. BEI „GONE“ ERINNERT ZUMINDEST DAS COVER NOCH EIN WENIG AN HIM, DIE STILISIERTE KOMBINATION AUS EINEM STERN UND MEHREREN KREISEN – DA IST SCHON EINE GEWISSE VERWANDTSCHAFT ZUM HEARTAGRAM … Ich denke, gerade im Düsterbereich braucht eine Band ein starkes Symbol, mit dem sich die Leute identifizieren können. Der Stern war meine allererste Idee für das Album-Artwork. Wir haben dann noch andere Dinge probiert, unter anderem ein Bild von mir, was ich aber nicht gut fand, weil ich wollte, dass die Musik für sich steht. Sie sollte mit dem Symbol, mit dem Artwork verschmelzen: Es steht für düstere, kryptische Musik, mit viel Hoffnung, mit viel Schmerz – mit allem Drum und Dran, was das Leben ausmacht.

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