SÄNGER UND SONGSCHREIBER JAANI PEUHU HAT SICH BISHER VOR ALLEM MIT SEINEM PROJEKT ICONCRASH EINEN NAMEN GEMACHT: ICONCRASH LIEFERTEN IM LAUFE VON ZEHN JAHREN DREI DÜSTER-ELEKTRONISCHE ALBEN AB UND WAREN AUSGIEBIG AUSSERHALB DER FINNISCHEN HEIMAT AUF TOUR. IHR LETZTES WERK „INKEROINEN“ FIEL DANN ETWAS GEFÄLLIGER AUS, WAS VIELLEICHT ERKLÄRTE, WESHALB DIE BAND ES IN DER NATIONALEN AUSWAHL FÜR DEN EUROVISION SONG CONTEST 2012 BIS IN DIE ENDAUSSCHEIDUNG SCHAFFTE. ZU DIESER ZEIT ARBEITETE PEUHU ALLERDINGS BEREITS NEBENHER MIT EINER VIELZAHL ANDERER KÜNSTLER, VON THE RASMUS BIS ZU TO/DIE/FOR, UND TAT SICH VOR ALLEM ALS PRODUZENT FÜR FINNISCHE KOLLEGEN HERVOR. NACH LANGER VORBEREITUNGSPHASE TRITT ER NUN ERSTMALS ALS SOLOKÜNSTLER IN ERSCHEINUNG, UND DAS GLEICH MIT ZWEI BEMERKENSWERTEN WERKEN. DA IST ZUM EINEN „TEAR CATCHER“, SEIN ERSTES EIGENES ALBUM, UND ZUM ANDEREN, SCHON VOR VIER WOCHEN ERSCHIENEN, DIE EP „ECHO CHAMBER“, AUF DER ER SONGS VON KATATONIA, PJ HARVEY, MANSUN, TOM MCRAE UND FLEETWOOD MAC COVERT. GEMEINSAM IST BEIDEN PROJEKTEN DER DUNKLE ELECTROSOUND, DER WIEDER HÄRTER AUSGEFALLEN IST ALS BEI DEN LETZTEN ICONCRASH-VERÖFFENTLICHUNGEN. GRUND GENUG, DEM STUDIOTÜFTLER EINMAL AUF DEN ZAHN ZU FÜHLEN. DASS SO KURZ VOR DEINEM SOLOALBUM NOCH EINE WEITERE PLATTE ERSCHEINT, WAR EINE ÜBERRASCHUNG. WIE KAM ES ZU DIESEN AUFNAHMEN? Die Songs auf dieser EP zeigen meine Wurzeln. „Little Lies“ [von Fleetwood Mac] fiel mir und meiner Live-Band ein, als wir in Deutschland auf Tour waren. Ein Gig war abgesagt worden, und so hatten wir unerwartet zwei Tage Zeit in Hamburg. Wir spielten dort in der Finnischen Seemannskirche und konnten den ganzen Tag lang an Arrangements herumfeilen. Im Kirchensaal steht ein wundervoller Flügel, auf dem wir ein paar Sachen ausprobierten. Aufgenommen habe ich „Little Lies“ dann später, als ich wieder in Finnland war. Das Cover von Katatonias „Tonight’s Music“ gab es zu dem Zeitpunkt schon, und das gab den Anstoß für die EP. Sie war zudem eine Art Therapie für mich. IN WELCHER HINSICHT? Bei meinen eigenen Songs gehe ich so tief, dass die Arbeit stets sehr schwierig und aufreibend ist. Diese Coverversionen hingegen haben einfach nur Spaß gemacht. Das war wie Urlaub – ich konnte mich ganz auf die Arrangements und auf den Sound konzentrieren. Vielleicht werde ich ein ganzes Album mit Covern machen – ich habe gerade heute einen weiteren Track eingespielt. WELCHEN DENN? Das werde ich noch nicht verraten. Weil ich noch nicht weiß, wie es so laufen wird. Ich bin ja Perfektionist – wenn ich nachher mit einer Version nicht zufrieden bin, wird der Track vielleicht nie erscheinen. DIE ORIGINALVERSIONEN DER SONGS STAMMEN JA VON SEHR UNTERSCHIEDLICHEN KÜNSTLERN. SPIEGELT DAS DEINEN PERSÖNLICHEN GESCHMACK WIDER? Ja, mir sind Genres komplett egal. Mich geht es immer nur um die Musik an sich. Was die nächsten Songs angeht, werden sicher auch wieder ein paar Überraschungen dabei sein, von richtig hartem Metal bis vielleicht auch zu finnischen Künstlern. AUF DEINEM SOLOALBUM SPANNST DU AUCH EINEN RECHT WEITEN BOGEN – DA FINDEN SICH HARTE INDUSTRIAL-ANKLÄNGE EBENSO WIE FALSETT-REFRAINS NACH ACHTZIGER-MUSTER. HATTEST DU DIESE AUSRICHTUNG IM VORFELD FESTGELEGT, ODER HAT SICH DAS ENTWICKELT? Das hat sich entwickelt. Es ist aber mit jedem Album so, dass ich vorher durchaus ein Konzept im Kopf habe. Ich möchte auf jedem Album ein bisschen anders klingen. Bei dieser Platte hatte ich mir überlegt, eine Drummachine zu benutzen, Akustikgitarren, ein paar elektronische Geräte und sonst nichts – eine Vorgabe, die ich dann während der Aufnahmen alle Naselang gebrochen habe! Aber es hat mich trotzdem dazu gebracht, andere Lösungen für Arrangements zu suchen als bei früheren Platten. WARUM BIST DU ZU DEM SCHLUSS GELANGT, DIESE SONGS NICHT MIT DEINER ALTEN BAND ICONCRASH EINZUSPIELEN? Weil „Tear Catcher“ ein wirklich sehr, sehr persönliches Album ist. Wenn man mit einer Band arbeitet, dann muss man die Gefühle aller anderen berücksichtigen, und wenn ich ganz ehrlich bin, ist das nicht unbedingt meine starke Seite. Außerdem hatte ich das Gefühl, endlich bereit zu sein, etwas unter meinem eigenen Namen zu veröffentlichen. Iconcrash haben ja eigentlich auch als mein Soloprojekt angefangen. Die Band war schon immer eine Diktatur, aber bei diesen Songs wollte ich überhaupt nicht mehr darüber diskutieren, wie sie umgesetzt werden. Wenn man nur mit Drumcomputern, Gitarren und ein bisschen Programming arbeitet, dann hat eine Band auch einfach nichts zu tun. Das wäre nicht fair gewesen. Für das nächste Iconcrash-Album habe ich wieder eine andere Vision. ICONCRASH GIBT ES ALSO NOCH? Na klar! Und es gibt auch schon Material, wieder mehr band-orientierte Sachen. Tatsächlich wird es in die Richtung gehen, die ich ursprünglich schon nach unserem Debütalbum „Nude“ angepeilt hatte. Da gab es eine Platte, die nie erschienen ist. Wir haben damals in den Dynasty Studios gearbeitet und hatten vielleicht auch zu viel Zeit … jedenfalls habe ich immer wieder neue Songs, neue Ideen ausprobiert und immer wieder alles verworfen. Diese Platte ist jetzt an der Reihe. SIND DENN DIE SONGS AUF „TEAR CATCHER“ JETZT ALLE JÜNGEREN DATUMS, ODER HAST DU AUCH ÄLTERE TITEL AUFGEGRIFFEN? Klar, das passiert auf jeder Platte. Ich schreibe Songs, versuche sie fertigzustellen, und wenn sie dann gut sind, werden sie veröffentlicht. Bei manchen dauert das aber zehn Jahre. „No Regrets“ zum Beispiel hatte ich schon für „Nude“ vorgesehen. Da hieß der Song noch „Innocence“ und sollte eigentlich als Bonustrack auf der Japan-Edition erscheinen, die es dann aber wegen Problemen der japanischen Plattenfirma nie gab. Für das zweite Album „Enochian Devices“ habe ich wieder eine Version eingespielt, aber die gefiel mir auch nicht recht. Bei „Inkeroinen“ passte der Song dann nicht ins Konzept, aber jetzt ist er endlich fertig. So etwas passiert mir dauernd. Bei mir liegen um die 200 Songs und warten auf den richtigen Augenblick. Wenn ich wollte, könnte ich dieses Jahr zehn Alben rausbringen. Material wäre genug dafür da. WIE BEGINNT FÜR DICH DIE ARBEIT AN EINEM SONG? „MAYBE GOD IS ASLEEP“ AUF DEM NEUEN ALBUM HAT JA MIT SEINEM REDUZIERTEN AKUSTIKARRANGEMENT ETWAS VON EINEM DEMO. BESINNST DU DICH BEIM SONGWRITING AUF AKUSTISCHE INSTRUMENTE? Auf alle Fälle, ja. Bei diesem Album sollten nicht die Sounds im Mittelpunkt stehen, sondern auf die Songs. Ich wollte diese Platte ganz old school aufnehmen. Erst die Melodien und die Akkorde, dann das Arrangement und die Produktion. AUF „TEAR CATCHER“ HAST DU AUCH INSTRUMENTE WIE BANJO ODER KANTELE (EIN FINNISCHES SAITENINSTRUMENT ÄHNLICH EINER ZITHER) VERWENDET. LÄSST DU DICH VON DEM LEITEN, WAS IN DEINER UMGEBUNG GERADE VERFÜGBAR IST, ODER HAST DU VORHER EINE GENAUE VORSTELLUNG VON EINEM BESTIMMTEN KLANG? Hmmm… also, wenn ich ein neues Instrument von irgendwoher bekomme, dann denke ich immer, das ist ein Zeichen. Meist fällt mir auch irgendwas ein, wozu man es verwenden kann. Für mich sind erst mal alle Instrumente in einem gleich: Sie erzeugen Klänge, natürlich alle ein bisschen verschieden. Aber ich bin da ganz offen. Genregrenzen interessieren mich nicht. Ich kann spielen, was ich will. Ist doch meine Musik! WAS WAR DENN DAS ERSTE INSTRUMENT, DAS DU GELERNT HAST? Klavier, da war ich sieben. Aber nach ein paar Monaten bin ich auf Schlagzeug umgestiegen, weil das Klavier nicht genug Lärm gemacht hat. Mein Vater ist Musiker, und bei ihm stehen immer alle möglichen Instrumente rum. Vielleicht spiele ich eines Tages Kontrabass oder … ich habe da gerade etwas … wie heißt das noch auf Englisch … ein Xylophon, genau. Das steht da in der Ecke, und ich habe noch nie was damit gemacht, aber jetzt gibt es einen Song, zu dem es bestimmt passt. Ich muss mir demnächst mal ein paar Schlägel kaufen und mir auf Youtube ansehen, wie man so etwas spielt … So läuft das bei mir. Dafür gibt es keine Gitarrensoli oder Ähnliches. Sowas betrachte ich als Zeitverschwendung. Warum macht man sowas? Ich verstehe das nicht. WAHRSCHEINLICH IST DAS EINE EGO-GESCHICHTE. Kann sein. So ein Ego habe ich jedenfalls nicht. Ich bin ziemlich scheiße auf den meisten Instrumenten. [lacht] BEI DEN TEXTEN HAST DU JA FRÜHER BEI ICONCRASH GELEGENTLICH MIT DEM AMERIKANISCHEN AUTOR UND DICHTER RORY WINSTON ZUSAMMENGEARBEITET. DIESMAL AUCH? Nein, die Texte sind alle von mir. Ich hatte nicht das Bedürfnis, jemand anderen zu beteiligen. Bei diesem Album ging es mir auch nicht darum, wahnsinnig komplizierte Texte zu schreiben, ich wollte alles sehr schlicht halten, damit sich jeder darin wiederfinden kann. Ich merke das immer bei den Mitgliedern unseres Street Teams, die für mich mittlerweile so etwas wie eine Familie sind: Wenn sie mir davon erzählen, wie ihnen Musik in kniffligen Phasen geholfen oder wie sie ihr Leben verändert hat, dann wird mir klar, dass ich nicht super künstlerisch und wahnsinnig clever sein muss. Ich möchte andere Menschen berühren und ihnen vielleicht auch helfen, wenn sie an einem dunklen Ort festsitzen. ES IST JA EIN GERN BEMÜHTES KLISCHEE, DASS MAN UNGLÜCKLICH SEIN MUSS, UM SCHREIBEN ZU KÖNNEN. GEHÖRST DU ZU DEN KÜNSTLERN, DIE VOR ALLEM DANN KREATIV WERDEN, WENN ES IHNEN NICHT GUT GEHT? Oh ja. Im Augenblick geht es mir richtig gut, und ich habe seit Monaten keinen Text mehr geschrieben. Wenn ich aber schlecht drauf bin, dann schreibe ich mir alles von der Seele. Das ist wirklich so. Hundertprozentig. Als die Songs entstanden, steckte ich in einem sehr düsteren Loch. Ich bin aber auch viel gereist, habe die Songs an vielen verschiedenen Orten aufgenommen und unterwegs an den Texten gearbeitet. Es gab auch Phasen, in denen ich mehr Hoffnung spürte, und darum geht es auf der Platte, um diese Suche nach Hoffnung, nach besseren Zeiten. Und … ich erinnere mich nicht mehr, wo genau das war, vielleicht in Mexiko, als mir auf einmal klar wurde: Die Lösung liegt nicht irgendwo da draußen, sie kann nur in mir selbst sein. Das hat meine eigene Betrachtungsweise stark verändert. GAB ES EIN BESTIMMTES EREIGNIS, DAS DIESE ERKENNTNIS AUSGELÖST HAT? Nein. Und es war wahrscheinlich auch gar nicht in Mexiko. Ich glaube, es war in Venedig. DU BIST JA SEHR VIEL UNTERWEGS. HAST DU EIN LIEBLINGSLAND? Ich fühle mich in Finnland sehr wohl. Das ist ein gutes Land. Meine Lieblingsstadt ist wahrscheinlich London. Dort fühle ich mich besonders kreativ. Es liegt vielleicht auch an der Geschichtsträchtigkeit … In Finnland haben wir keine sichtbare Geschichte, die sehr weit zurückreicht. Und dann ist es schon irre, wenn man in Italien ist, in einer Höhle unter einer Kirche, und dann erfährt, dass das Grab, vor dem man steht, sechstausend Jahre alt ist. Da bekommen die Dinge eine ganz andere Perspektive. Reisen inspiriert mich sehr. Ich liebe es, mit Musikern vor Ort zu arbeiten oder dort Videos zu drehen, wo ich gerade bin. DAS KLINGT EIN WENIG SO, ALS HÄTTEST DU EIN NETZ VON FREUNDEN AUF DER GANZEN WELT, MIT DENEN DU DICH KÜNSTLERISCH AUSTAUSCHST. Ja, das stimmt. Nächsten Monat fahre ich wieder nach England, und dann kommt eine deutsche Band nach Finnland – Souvenir Season heißen die –, und wir werden ein Duett aufnehmen und auch an ihrem nächsten Album arbeiten. Ich habe Bekannte in Russland und in den USA … und mit einer englischen Band tausche ich im Augenblick Musikdateien aus. Wenn ich bei einem Song die Gitarren einspiele, denke ich oft: Scheiße, ich kriege das einfach nicht vernünftig hin. Dann gucke ich bei Facebook, wer gerade online ist, und frage: Hey, Alter, hast du Zeit, mir eine Gitarrenspur einzuspielen? Dem schicke ich den Song, und ein paar Stunden später habe ich die Gitarrenspur. WOHER KOMMT DER ALBUMTITEL, „TEAR CATCHER“? Für mich war diese Platte wirklich ein Tear Catcher, ich habe sehr viele Tränen während der Aufnahmen vergossen. Ich glaube, echte Tränenfänger [Fläschchen zum Auffangen von Tränen] habe ich zuerst online gesehen, das aber wieder vergessen, bis ich nach Bulgarien gereist bin. In einem kleinen Dorf war ich in einem Museum – einem richtig coolen Museum übrigens, die hatten da sogar einen echten Vampir. Dort sah ich eine wunderschöne Sammlung alter Artefakte und fragte, worum es sich handelte. Und man sagte mir, es seien Tränenfänger. Das war für mich wieder ein Zeichen. Bei dem ersten Iconcrash-Album gab es auch so eine Situation. Mir fehlte noch ein Titel für einen Song, in dem es um eine lange Beziehung ging. Als ich dann für das Mastering in London war und dort bei einer Freundin wohnte, entdeckte ich in der Wohnung ein Tarotdeck, und als ich mir die Karten ansah, fiel mir auf, dass eine in der Schachtel geblieben war. Es war die Karte mit dem Titel „Die Liebenden“. Und so wurde „The Lovers“ der Titel für den Song! BIST DU EIN ABERGLÄUBISCHER MENSCH? GLAUBST DU BEISPIELSWEISE AN DAS TAROT? Absolut. Ich interessiere mich sehr für das Okkulte. Auf meinen Reisen gehe ich immer in die Kirchen vor Ort oder treffe mich mit Hexen oder Priestern oder anderen interessanten Menschen, um etwas über ihre Überzeugungen zu erfahren. WELCHE RELIGIÖSE ÜBERZEUGUNG HAST DU SELBST? Liebe. Das ist das einzige, von dem ich glaube, dass ich wirklich darauf vertrauen kann.

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