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RAIN DIARY (TOMMI SUOMALA/ JONI BITTER)

ES IST DIE ERSTE DEUTSCHLANDTOURNEE FÜR DIE DARK WAVER AUS DEM FINNISCHEN TAMPERE: GEMEINSAM MIT DEM DÜSTEREN ELEKTRO-BASTLER JAANI PEUHU (FRÜHER ICONCRASH) HABEN SIE SCHON EINE REIHE VON GIGS ABSOLVIERT, ALS SIE FÜR EIN KONZERT IN DER FINNISCHEN SEEMANNSKIRCHE IN HAMBURG AUFSCHLAGEN. IHR ERSTES ALBUM „THE LIGHTS ARE VIOLENT HERE“ ERSCHIEN IM FRÜHJAHR UND HATTE MIT „LOST“ UND „SHAME“ AUCH GLEICH ZWEI SINGLES MIT ÜBERZEUGENDEN VIDEOS ZU BIETEN, DIE ZUSAMMEN MIT DER BERICHTERSTATTUNG IN DEN EINSCHLÄGIGEN MAGAZINEN SCHON EINMAL FÜR EINEN GEWISSEN BEKANNTHEITSGRAD GESORGT HABEN. FÜR EINE RICHTIGE ROCKSHOW IST DIE SEEMANNSKIRCHE NICHT GEMACHT, DAHER PRÄSENTIEREN RAIN DIARY IHRE ATMOSPHÄRISCHEN SONGS HEUTE AKUSTISCH UND NUR BEI KERZENLICHT, EIN UMSTAND, DEN SÄNGER TOMMI SUOMALA WIE FOLGT KOMMENTIERT: „THESE TIMES ARE DARK – AT LEAST WE HAVE CANDLES.“ NACH DEM GIG NEHMEN SICH TOMMI UND BASSIST JONI BITTER ZEIT FÜR EIN INTERVIEW IM SEMINARRAUM DER KIRCHE, DER SO SCHÖN HOLZVERTÄFELT IST, DASS ER PASSENDERWEISE GLATT ALS FINNISCHE SAUNA DURCHGEHEN KÖNNTE. JONI PRÄSENTIERT ALS ERSTES STOLZ EINE AUSWAHL DEUTSCHER BIERE VON KLEINEN BRAUEREIEN, DIE ER ALS SOUVENIR MIT NACH HAUSE NEHMEN WILL – WORAUFHIN SICH GLEICH EIN GESPRÄCH ÜBER DAS HEKTISCHE TOURLEBEN ENTSPINNT. Joni: An der Tour fand ich bisher nur eins wirklich schade – wir haben tolle Städte gesehen, hatten aber kaum Gelegenheit, lokale Biere zu probieren. Dazu war der Tourplan dann doch zu straff. DEMNACH WART IHR IN DEN LETZTEN TAGEN RICHTIG VIEL ON THE ROAD? Joni: Keine Ahnung, wie viele Kilometer wir zurückgelegt haben. Tausende. Zehntausende. [lacht] Tommi: Die anderen mehr als ich, sie sind mit dem Bus über Schweden und Dänemark gefahren, während ich mit dem Zug aus Berlin kam und mich in Hamburg mit ihnen getroffen habe. SÄNGER TOMMI LEBT SCHLIESSLICH SEIT EINEM JAHR NACH DEUTSCHLAND. STELLT SICH DIE FRAGE: WIE HALTET IHR ÜBER DIE GROSSE ENTFERNUNG HINWEG KONTAKT? Tommi: Die Technik macht vieles möglich. PROBT IHR PER SKYPE? Tommi [lacht]: Nicht direkt. Aber wir haben tatsächlich schon mal drüber gesprochen, ob ich mir die Proben nicht irgendwie streamen kann. Joni: Aber das ist kein großes Problem. Wir sind als Band jetzt schon seit fast acht Jahren zusammen, und wir haben schon so viel miteinander gespielt, dass diese regelmäßigen Proben nicht mehr so völlig unverzichtbar sind. Natürlich schadet es nicht, wenn man viel probt, das ist klar. Aber jetzt im Augenblick sind wir ohnehin damit beschäftigt, neue Songs für das zweite Album zu schreiben, und das geht auch so – wir schicken Tommi unsere Demos, und er schickt sie uns mit seinen Ideen versehen zurück. Tommi: Und wenn etwas Wichtiges ansteht, Konzerte und so, dann fliege ich natürlich nach Finnland und wir proben dort. GERADE IHR BEIDE KENNT EUCH WAHRSCHEINLICH BESONDERS GUT – IHR HABT DIE BAND DAMALS GEGRÜNDET, ODER? Tommi: Ja, zusammen mit Teemu [Rantanen, dem Gitarristen]. Joni: Teemu kenne ich sogar noch länger, schon seit fünfzehn Jahren. Und als wir beide Tommi zum ersten Mal singen hörten, haben wir uns gleich in seine Stimme „verliebt“. Teemu und ich hatten schon länger einen Sänger gesucht, der Gefühle besonders gut rüberbringen kann, weil das in unserer Musik das zentrale Anliegen ist. Tommi: Bei unserem ersten Treffen sind wir zusammen in eine Bar, und du [er wendet sich an Joni] hast mir einen Whisky empfohlen … ich weiß nicht mehr, was für einen. Jedenfalls wollten wir uns dann eigentlich am nächsten Tag treffen, aber daraus wurde dann nichts, weil ich viel zu verkatert war. Joni: Ja … das waren wilde, hedonistische Zeiten! [lacht] IHR DREI HABT EUCH ANSCHLIESSEND MIT KEYBOARDERIN TYTTI KALLONIEMI UND SCHLAGZEUGER TOPI KAPULAINEN ZUSAMMENGETAN (DER 2001 VON TEEMU ALAJOKI ERSETZT WURDE) UND MIT DER ARBEIT AM ERSTEN ALBUM BEGONNEN. WIE LANGE HABT IHR AN „THE LIGHTS ARE VIOLENT HERE“ GEARBEITET? Tommi: Der älteste Song auf der Platte ist wohl „In Silence“, einer unserer ältesten Songs überhaupt. Mit den Aufnahmen ging es 2009 so richtig los – wir haben insgesamt vier Jahre an der Platte gefeilt. DIE PRODUKTION ÜBERNAHM JAANI PEUHU, BEKANNT ALS MASTERMIND HINTER ICONCRASH, DER ABER AUCH SCHON ALBEN VON BANDS WIE SWALLOW THE SUN ODER TO/DIE/FOR BETREUT HAT. WELCHEN EINFLUSS HATTE ER AUF EUREN SOUND? Joni: Er spielte eine sehr große Rolle. Als er unsere Demos hörte, fand er sie an sich zwar gut, meinte aber, dass der Sound ganz entscheidend entwickelt werden könnte. Damals waren wir mehr akustisch orientiert, und Jaani hat uns mit Maschinen und Computern vertraut gemacht. Synthesizer hatten wir vorher natürlich auch schon eingesetzt, aber nicht so. Tommi: Ich glaube, er hat uns geholfen, das eigentliche Wesen der Band herauszuarbeiten. Als wir mit den Aufnahmen begannen, hatten wir unheimlich viele Veränderungen im Line-up hinter uns, und jedes Mal hatten wir uns neu organisieren, neu aufstellen, neu finden müssen. Wir waren ziemlich vom Weg abgekommen, als wir mit Jaani ins Studio gingen. Joni: Vorher noch hatte ich mit ihm in Helsinki verschiedene Arrangements für unsere Demos ausgearbeitet, bin mit denen im Gepäck nach Tampere gefahren, und wir haben geprobt. Und irgendwann im Studio kam dieser magische Moment, wo plötzlich alles passte. BEI EINIGEN DER TRACKS SPIELEN COMPUTERGENERIERTE SOUNDS EINE GROSSE ROLLE, ZUM BEISPIEL BEI „NO HARBOUR FOR HOPE“. VON WEM STAMMT DAS PROGRAMMING? Joni: Einen großen Teil übernahm Pekka Vanajas, das „stille Mitglied“ unserer Band – er gehört fest zum Songwriting-Team und ist ganz eng mit uns befreundet, aber er mag Tourneen und Konzerte nicht besonders. Pekka hat viel programmiert, Jaani und ich aber auch. „No Harbour For Hope“ entstand mit Pekka im Finnvox-Studio in Helsinki, aber wir kamen dabei schnell an einen Punkt, an dem es nicht mehr weiter ging, und ließen den Song eine Weile liegen. Später setzten wir uns dann mit Jaani noch einmal dran, der die Post-Produktion übernahm. AUF „THE LIGHTS ARE VIOLENT HERE“ REICHT DIE BANDBREITE VON SEHR INTROVERTIERTEN TITELN BIS ZU REINEN POPSONGS WIE „SHAME“ – IST DAS AUF DIE UNTERSCHIEDLICHEN VORLIEBEN DER BANDMITGLIEDER ZURÜCKZUFÜHREN? Tommi: Wir haben schon alle einen ziemlich unterschiedlichen Geschmack, aber doch auch einige Gemeinsamkeiten. Meine persönliche Lieblingsband aller Zeiten sind Nick Cave & The Bad Seeds. Aber was „Shame“ angeht – das ist ein sehr ironischer Song. Dass der so poppig ausgefallen ist, war Absicht, gerade als Kontrast zum Text. Joni: „Shame“ ist nicht mein Lieblingstrack auf diesem Album – ich finde ihn toll, sicher, aber ich mag andere Songs lieber. Aber dennoch, er spielt eine ganz wichtige Rolle, weil man krasse Gegensätze braucht. Damit die Schönheit und die stillen Elemente richtig zur Wirkung kommen, braucht man einen Gegenpol. AN WEN IST DER SONG GERICHTET? Tommi: Es geht ganz allgemein um das Künstliche, Plastikartige mancher Menschen, und das Künstliche an Pornographie zum Beispiel; gerade deswegen musste der Song etwas mehr nach Plastik klingen. Aber wir sprechen niemanden direkt damit an. GUT GEFALLEN HAT MIR AN „THE LIGHTS ARE VIOLENT HERE“, DASS ES MIT EINEM „IN“-SONG ERÖFFNET UND MIT EINEM „OUT“-SONG GESCHLOSSEN WIRD – EIN RICHTIGES ALBUM MIT PERFEKT KONZIPIERTEM SPANNUNGSBOGEN UND NICHT NUR EINE SONGSAMMLUNG … Joni: Diesen roten Faden zu finden, der sich durch das Album zieht, war leicht. Für mich muss ein Album ein Ganzes sein, das war mir immer sehr wichtig. Das streben wir auch mit dem zweiten Album an. Hier hatte ich jedenfalls das Gefühl, dass ein klares Intro nötig ist, um die richtige Atmosphäre aufzubauen und dann mit einem soundtrackartigen Outro zu schließen. GIBT ES EIN BEHERRSCHENDES THEMA AUF DER PLATTE? Tommi: „The lights“ – das Licht. Na ja, die Höhen und Tiefen menschlichen Daseins. Dass Glück manchmal so überwältigend sein kann, das es alle Energie aufsaugt und einen sehr verletzlich macht. Glück ist nicht immer nur positiv. ICH HATTE DAS GEFÜHL, DASS ES AUF DER PLATTE EINE UNTERSCHWELLIGE SPANNUNG GIBT, EINE ART AGGRESSION VIELLEICHT SOGAR, UND DAS AUCH IN DEN POPPIGEREN SONGS ETWAS GEFÄHRLICHES LAUERT. WAS IST DAS FÜR EINE ART VON GEWALT, AUF DIE IHR IM TITEL BEZUG NEHMT? Tommi: Ich glaube, es geht dabei eher darum, wie man mit bestimmten Gefühlen umgeht. Es geht jedenfalls nicht um körperliche Gewalt … Joni: Mehr um passiv-aggressives Verhalten. Tommi: Wenn zum Beispiel eine Beziehung zu Ende geht, dann fühlt man gegenüber dem ehemaligen Partner vielleicht keine Aggressivität, aber man ist erschüttert und spürt eine Anspannung, die schon etwas Gewaltiges hat. Dabei geht es uns nicht um die Verarbeitung solcher Emotionen, sondern eher darum, sie aufzuzeigen und anzuschauen. IHR UNTERFÜTTERT EURE MUSIK AUCH STARK VISUELL – VIDEOS SPIELEN FÜR EUCH OFFENBAR EINE GROSSE ROLLE, UND [GITARRIST] TEEMU HAT SELBST ALS REGIEASSISTENT BEI EUREN VIDEOPRODUKTIONEN MITGEARBEITET. WER BESTIMMT DIE VISUELLE RICHTUNG DER BAND? Joni: Wir tragen alle dazu bei. Tommi: Teemu stellt allerdings auch die Videoshow zusammen, die wir normalerweise bei unseren Konzerten im Hintergrund zeigen. Joni: Schade, dass das heute nicht ging, aber zu einer Akustikshow in einer Kirche hätte es nicht gepasst. Tommi: Ideen bringen wir alle ein. Die Clips drehte dann teilweise ein Freund von uns, Jani Saajanaho … Joni: … und auch Juha Lankinen, der zum Beispiel „Shame“ umgesetzt hat. Wir sind froh, dass wir auf diese Visionäre zählen können, die unsere visuellen Vorstellungen teilen. Da hat man dann später nicht das Gefühl, oh, klar, das ist unsere Musik, aber irgendwie nicht unser Video, sondern man merkt, wenn man den Clip sieht, dass er genauso ausdrucksstark ist wie die Musik. Tommi: Wir lieben Musikvideos, weil sie eine andere Geschichte erzählen und eine andere Seite des Songs herausstellen. Mein Traum wäre es, wenn wir zu jedem Song auf der Platte ein Video machen können, und das nicht, um mehr Klicks auf Youtube zu bekommen – die Musik und das Visuelle gehören zusammen. Wie zum Beispiel bei Nine Inch Nails, bei deren Konzerten spielt die visuelle Umsetzung eine große Rolle. Oder bei Massive Attack, die für „Heligoland“ zu allen Songs von verschiedenen Regisseuren Videos drehen ließen. Das finde ich sehr cool. IHR HABT SEHR UNTERSCHIEDLICHE CLIPS ABGELIEFERT. „LOST“ ZUM BEISPIEL IST EIN KLASSISCHES MUSIKVIDEO, „SERA“ HINGEGEN SEHR SPERRIG. Tommi: Das ist mehr ein experimenteller Kurzfilm mit unserer Musik. Deswegen haben wir den Song auch nicht mit aufs Album genommen. Joni: Ja, er braucht das Video. „Sera“ ist nicht so sehr ein Musikvideo, es ist mehr Videomusik. Dabei entstand zuerst der Song – als Juha Lankinen ihn hörte, ist er total drauf abgefahren und wollte unbedingt etwas dazu machen. WIRD ES AUF DEM ZWEITEN ALBUM VOM SOUND HER EINEN RICHTUNGSWECHSEL BEI EUCH GEBEN? Joni: Es wird noch extremer ausfallen. Die Gegensätze werden noch stärker sein: das Licht wird noch heller, die Dunkelheit noch dunkler. Wir haben schon mit Jaani über die Arbeit gesprochen und sind uns einig, dass dieses Mal jeder unnötige Quatsch gestrichen werden soll, damit wir die wahre Natur der Songs klarer herausarbeiten. ES GIBT JA DEN ALTEN ROCK-MYTHOS VOM SCHWIERIGEN ZWEITEN ALBUM – MERKT IHR DAVON SCHON ETWAS? Joni: Es war so schwer, die erste Platte zu machen, da wird diese jetzt garantiert ein Kinderspiel! Wir können es kaum erwarten, wieder ins Studio zu gehen – es sind schon so viele Ideen da… RAIN DIARY entspannt

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