Ort: Hamburg – Trabrennbahn Bahrenfeld
Datum: 26.08.2012
Normalerweise würde ich mich über die Einladung zu einem zehnten Geburtstag nicht wirklich freuen, Kindergeburtstage sich einfach nicht meins. Auch zehnjährige Firmenjubiläen sind nicht zwingend ein Grund für Hurra-Rufe; wenn jedoch eine der sympathischsten Plattenfirmen der Republik ihren Ehrentag feiert, bin ich selbstverständlich gern am Start. Sechs Bands aus dem GHvC-Stall waren an diesem nicht gerade sommerlichen Sonntag auf der Trabrennbahn in Hamburg-Bahrenfeld mit von der Partie – genauso wie etwa 8.000 Fans, die sich über jede Menge großartige Musik bei immerhin weitestgehend trockener Witterung freuen konnten.
Den Anfang machte um 15.00 Uhr BERND BEGEMANN, der allerdings ohne seine Kapelle DIE BEFREIUNG angereist war und die Aufgabe hatte, durchs Programm zu führen. Selbiges tat der Herr im braunen Anzug in der ihm eigenen leicht konfusen Art und sehr zur Unterhaltung des Auditoriums. Zwischen Bandansagen und CD-Verlosungen war bisweilen noch Zeit für ein Lied, weshalb es z.B. „Die Slums von Eppendorf“, oder auch „Ich habe nichts erreicht außer dir“ zu hören gab. Die erste Ankündigung des Tages galt einer Kapelle aus Großbritannien, die wenig später bekannte, den Regen von ihrer kleinen Insel in der Nordsee mitgebracht zu haben…
YOUNG REBEL SET
Dafür, dass die Truppe aus Stockton-on-Tees beim Grand Hotel van Cleef untergekommen ist, zeichnet der Label-Mitbegründer Thees Uhlmann verantwortlich, da er die Folk-Rocker im Internet entdeckte und nach Deutschland holte. Die Engländer legten mit ihrem Paradestück „Lion’s Mouth“ vom 2011er Debüt „Curse Our Love“ gleich sehr überzeugend los und konnten dieses Niveau während der gesamten einstündigen Spielzeit locker halten. Der Sound ging umgehend in Ohr und Bein, egal, ob so beschwingt wie beim treibenden Opener oder etwas getragener beim souligen „Fall Hard“. Durch die Reibeisenstimme von Sänger und Gitarrist Matty Chipchase bekamen die folkigen Songs ein rockiges Timbre, das besonders ausgeprägt bei „Crimimal“ daherkam. „Precious Days“ gab ordentlich Gas und auch „If I Was“ zeigte sich nach einem verhaltenen Start temporeich, bevor mit „Measure of A Man“ noch einmal lupenreiner Folk-Rock angesagt war, für den es verdienten Beifall gab. Damit wollte sich das YOUNG REBEL SET dann eigentlich verabschieden, doch ein Blick auf die Uhr zeigte, dass noch ein wenig Zeit für ein weiteres Lied war, weshalb noch das aufgeräumte „Rosie“ zu Gehör gebracht wurde.
KILIANS
Den weiten Weg aus Dinslaken hatten die KILIANS auf sich genommen, um der Indie-Gemeinde ihre brandneue Platte „Lines You Should Not Cross“, die zwei Tage zuvor erschienen war, ans Herz zu legen. In den letzten drei Jahren war es ziemlich ruhig um die fünf Herrschaften, die sich überwiegend um ihr Studium gekümmert hatten, einzig Sänger Simon den Hartog war während der bandfreien Zeit auch solo in Sachen Musik unterwegs, doch sehr zur Freude ihrer Fans haben sich die Jungs, die 2005 längst noch nicht volljährig waren, als sie ihre Combo aus der Taufe hoben, wieder zusammen gefunden und rockten auf der Trabrennbahn, als seien sie nie weg gewesen. Natürlich gab es auch Kostproben vom dritten Silberling, der selbstverständlich auch bei GHvC veröffentlicht wurde. Etwa die tanzbare Vorab-Single „Not Today“, die Appetit auf mehr machte. Gleiches galt auch für das rhythmusbetonte „Coconut“, das allen Liebenden gewidmet war oder das zunächst etwas getragenere „Felony“, bei dem die Dancefloor-Tauglichkeit jedoch nicht zu kurz kommen sollte. Daneben durften natürlich auch die alten Gassenhauer nicht fehlen, von denen stellvertretend das knackige „My Hometown“ vom 2009er „They Are Calling Your Name“, das druckvolle „Legally Fly“ vom gleichen Longplayer oder auch das emotionale „Used To Pretend“, mit dem sich die KILIANS nach einer Stunde verabschiedeten, genannt seien. Verlernt haben die Jungspunde, die übrigens auch vom Kollegen Uhlmann entdeckt und gefördert wurden, während ihrer Bühnenabstinenz definitiv nichts, auch wenn man sich gelegentlich fragen musste, was Simon denn da gerade für einen Mumpitz erzählte.
TOMTE
Ein ganz besonderes Ereignis war der Kurz-Gig vom TOMTE in der Ursprungsbesetzung mit Timo Bodenstein an den Drums und Christian Stemmann am Stahlsaiter. Gemeinsam mit Thees Uhlmann an Gitarre und Gesang stand man zum ersten Mal seit zehn Jahren in dieser Zusammenstellung wieder auf einer Bühne und natürlich ging es ganz weit in der TOMTE-Diskografie zurück. Den Anfang machte das schrammelige „Wilhelm, das war nichts“ vom 2000er „Eine sonnige Nacht“, dem „Korn & Sprite“ folgte. Auch diese Nummer wurde seinerzeit auf der zweiten Langrille der Nordlichter veröffentlicht und wurde in Hamburg gemeinsam mit der Geschichte serviert, wie Thees und Stemmi zusammen zum BUT-ALIVE-Konzert nach Berlin trampen wollten, aber leider auf der falschen Seite der Autobahn standen. „Du weißt, was ich meine“ war 1998 die erste Full Length und beinhaltete auch „Pflügen“, das zwar inzwischen ganz schön alt, aber immer noch sehr schön ist. Blieb noch „Die Insecuritate hat meinen zuversichtlichen Bruder erschossen“ („Hinter all diesen Fenstern“ – 2003), das ebenfalls nichts an Charme verloren hat und den nostalgischen Ausflug beendete. Für Herrn Uhlmann war’s nur ein kleiner Abgang von der Stage, denn als nächstes stand er mit seinem Soloprojekt auf der Running Order. Ach ja: bei BUT ALIVE hat übrigens seinerzeit Marcus Wiebusch heftigen Punk gemacht…
Setlist TOMTE
Wilhelm, das war nichts
Korn & Sprite
Pflügen
Die Insecuritate hat meinen zuversichtlichen Bruder erschossen
THEES UHLMANN & BAND
Eigentlich sollte die Solo-Platte von THEES UHLMANN nur das kleine, aber feine Ergebnis der schlechten Laune sein, die der blonde GHvC-Geschäftsführer mit dem Musiker und Produzenten Tobias Kuhn verband. Der selbstbetitelte Output schoss dann jedoch bis auf Position 4 der Charts und ganz ehrlich meine Herren: Wenn ihr mit schlechter Laune so gute Musik hinbekommt, solltet ihr stets mit einem richtigen Hals ins Studio gehen! Mit dem Repertoire einer einzigen LP waren Überraschungen in der Setlist unwahrscheinlich, aber manchmal sind es ja auch nicht die Lieder, die überraschen, sondern die Künstler, die sie performen. So gestaltete sich der um 19.00 Uhr beginnende Auftritt zunächst wie üblich: Julia Hügel besetzte das Tasteninstrument und Thees bewaffnete sich mit einer Mundharmonika, um mit „Römer am Ende Roms“ zu starten. Ob des feierlichen Anlasses hatte der Herr sich sogar in einen feinen Anzug geworfen und die Haare nach hinten frisiert, was ihm allerdings das Aussehen eines windigen Gebrauchtwagenverkäufers verlieh. Der Rest der Band war im handelsüblichen Indie-Outfit gekleidet und schon bald konnten lieb gewonnene Stücke wie das knackige „Vom Delta bis zur Quelle“ oder auch der wunderbare Refrain von „Sommer in der Stadt“ vom Hamburger „Gefangenenchor“ problemlos mitgesungen werden. Tobias Kuhn war die Heimatdorf-Liebeserklärung „Lat: 53.7 Lon: 9.11667 (Hier komm ich her, hier bin ich geboren)“ gewidmet und auch wenn wir uns mitten in der Großstadt befanden, sang Uhlmann mit der Nummer sicher vielen Anwesenden aus der Seele. Natürlich wurde auch „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ (Platz 8 beim Bundesvision Song Contest 2011) nach allen Regeln der Kunst abgefeiert, was auch für „Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)“ und „17 Worte“ galt. Richtig steil gingen die Zuschauer allerdings bei „& Jay-Z singt uns ein Lied“, was nicht nur daran lag, dass der Track einfach der Hammer ist, sondern insbesondere daran, dass sich ein prominenter Gast auf der Stage einfand: CASPER hatte bereits bei der Konserve den Rap-Part übernommen und war heuer persönlich zum Gratulieren gekommen. Einfach großartig! Bei der Gelegenheit setzten Uhlmann & Konsorten mit Benjamin Griffey (wie der Rapper mit den intelligenten Texten mit bürgerlichem Namen heißt) auch gleich dessen Song „XOXO“ in die Tat um, was zu einem weiteren Höhepunkt der Show gereichte. Mit viel Gefühl und jeder Menge Emotionen sollte der Auftritt mit „Die Toten auf dem Rücksitz“ enden, doch die vehementen Zugabe-Rufe verlangten einen Nachschlag, der dank der erneuten Performance von „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ auch gewährt wurde. Meinetwegen hätte auch die komplette Setlist noch mal gespielt werden können – langweilig wäre das nicht geworden.
Setlist THEES UHLMANN & BAND
Römer am Ende Roms
Das Mädchen von Kasse 2
Vom Delta bis zur Quelle
Lat: 53.7 Lon: 9.11667 (Hier komm ich her, hier bin ich geboren)
Sommer in der Stadt
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
Die Nacht war kurz (ich stehe früh auf)
17 Worte
& Jay-Z singt uns ein Lied (feat. CASPER)
XOXO (CASPER-Cover)
Die Toten auf dem Rücksitz
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf
HANSEN BAND
Die HANSEN BAND hatte ihre Geburtsstunde 2005 und war eigentlich eine fiktive Kapelle um den Schauspieler Jürgen Vogel, der in dem Film „Keine Lieder über die Liebe“ Fronter eben dieser Formation war. Für dieses Projekt konnten auch Thees Uhlmann, Marcus Wiebusch (KETTCAR), Felix Gebhardt und Max Schröder gewonnen werden. Letzterer lernte übrigens während der Dreharbeiten Heike Makatsch kennen, die seinerzeit die weibliche Hauptrolle in den Streifen spielte und seither seine Herzdame (neben den beiden gemeinsamen Töchtern) ist. Keine Frage, dass insbesondere Jürgen Vogel vom Auditorium mit Spannung erwartet wurde und tatsächlich hat der Mann seine Sache wirklich gut gemacht. Zwar sollte nach drei Songs schon Schluss sein, weil sich die HANSEN BAND nicht mehr als diese Lieder wieder drauf geschafft hatte, doch nach dem sehr geilen „Kamera“ gab’s dann doch noch eine Zugabe, für die sich die vierköpfige Mannschaft im TOMTE-Fundus bediente und „Die Schönheit der Chance“ zum Besten gab. 2007 war die HANSEN BAND ja (neben den Konzerten für den Film) tatsächlich auch auf Tour und Herr Vogel hat die Zeit mit der Band in hervorragender Erinnerung, weshalb es ihm auch nicht schwer fiel, zuzusagen, in zehn Jahren beim nächsten runden Geburtstag wieder zu singen. Und dass alle Beteiligten (am Bass Reimer Bustorff, den Mann am Drumkit konnte ich aus dem Graben heraus leider noch nicht mal sehen) richtig Spaß hatten, war nicht zu übersehen.
Setlist HANSEN BAND
Baby Melancholie
Frankreich
Kamera
Schönheit der Chance (TOMTE-Cover)
KETTCAR
Dass es überhaupt Anlass zu dieser riesigen Geburtstagsparty gab, war dem Umstand zu verdanken, dass KETTCAR für ihren Erstling „Du und wie viel von deinen Freunden“ kein Label gefunden hatten. Also gründeten Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff und Thees Uhlmann GRAND HOTEL VAN CLEEF. Und weil die Haspa es am nötigen Weitblick fehlen ließ, übernahm Mutter Wiebusch die Finanzierung. Eine kluge Investition, die sich auch für die Fans bezahlt gemacht hat. Im Februar dieses Jahres ist der vierte KETTCAR-Longplayer erschienen und wie auch die beiden Vorgänger „Sylt“ (2008) und „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ (2005) war jeweils Platz 5 der Albumcharts drin. Mit „Schrilles buntes Hamburg“ eröffneten die Vorzeige-Indie-Rocker ihr Set mit einem brandaktuellen Track, ehe „Deich“ sieben Jahre zurück blickte. Doch auch diese Nummer ist absolut zeitlos und ein Gute-Laune-Garant, was nicht weniger für das flotte „Kein Außen mehr“ gilt. Das emotionale „Balkon gegenüber“ hat bereits zehn Jahre auf dem Buckel und darf live einfach nicht fehlen, was auch für „Balu“ gilt, wenngleich der „Mädchensong“ nicht mehr unbedingt am Ende des Gigs gespielt wird. Früher verabschiedeten die Brüder Lars und Marcus Wiebusch mit dem Schmachter ihre Fans in den Abend, zwischenzeitlich mussten sie jedoch feststellen, dass die Macho-Männer dann häufig schon mal zum Auto gingen und im Saal die Frauen übrig blieben. Jetzt können die Herren in der Zeit Bier holen und ihre besseren Hälften genießen dann Song, der genau wie die gefühlvolle KETTCAR-Hymne „48 Stunden wieder einmal intensiv mitgesungen und kräftig beklatscht wurde. Vorher hatte „Rettung“ bereits davon berichtet, wie es ist, die kotzende Freundin nach Hause zu schleppen und ging es „Im Club“ rhythmusbetont zu. „R.I.P.“ war mit Happpy-Birthday-Gesängen des Auditoriums verbunden und „Ich danke der Academy“ wurde gleichzeitig zum Rundum-Dank an alle, die es betraf, genutzt, um dann mit „Am Tisch“ noch einmal leise Töne anzuschlagen, für die Erik Langer seinen Sechssaiter gegen eine Quetschkommode tauschte. Damit endete um 22.00 Uhr das reguläre Set, aber auch KETTCAR hatten noch ein Ass im Ärmel und deshalb spielten sie „Graceland“ nicht selbst, sondern überließen diesen Part den Elektropunks von FRITTENBUDE, denen man über das Label Audiolith freundschaftlich verbunden ist. Die Wahl-Berliner machten ordentlich Alarm und überzeugten mit ihrer Version des feinen Tracks uneingeschränkt. Auch der zweite KETTCAR-Song überhaupt, „Ausgetrunken“ war kein Langeweiler, doch mit „Landungsbrücken raus“ sollte noch ein weiteres Highlight folgen. Die Bühne erstrahlte zu diesem Zweck in blauem Licht und während die Band den Hamburg-Gassenhauer intonierte, regnete im Bühnenhintergrund auf der gesamten Breite ein gewaltiger Funkenregen herab. Viel mehr ging nicht und da ich zwar nicht direkt an den Landungsbrücken vorbei musste, aber noch 250 km Rückfahrt vor mir hatte, nahm ich den Titel beinahe wörtlich und beendete ich an dieser Stelle die Geburtstagsparty, während die Crowd noch mindestens ein Lied auf die Ohren bekam.
Setlist KETTCAR (bis 22.20 Uhr)
Schrilles buntes Hamburg
Deiche
Kein Außen mehr
Balkon gegenüber
Rettung
Der apokalyptische Reiter und das besorgte Pferd
Balu
Money Left To Burn
Im Club
48 Stunden
R.I.P.
Ich danke der Academy
Am Tisch
Raveland (feat. FRITTENBUDE)
Ausgetrunken
Landungsbrücken raus
Von einem gemächlichen Geburtstagskaffee hatte dieser Sonntag wahrlich nichts. Stattdessen gab’s einen bunten GHvC-Mix, der Spaß machte und kurzweilige Unterhaltung bot. Zukünftig können wir neben den Nullen gern auch die Fünfer feiern! Wer sich derweil fragt, warum auf den Fotos nie irgendwelche Musiker aus der „zweiten Reihe“ zu sehen sind, dem sei erklärt, dass die Bühne extrem hoch und der Fotograben dazu im Vergleich zu schmal war. Das Objektiv konnte in dem sich dadurch ergebenden steilen Winkel schlicht und ergreifend nur das erfassen, was sich am Bühnenrand abspielte.
Copyright Fotos: Ulrike Meyer Potthoff
Hinterlassen Sie einen Kommentar.
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.