Ort: Lahr - Universal D.O.G.
Datum: 17.12.2005
Nach dem letzten DDT, das auch zugleich mein erstes gewesen ist, war meine Messlatte für dieses Mal durchaus recht hoch. Große Namen tummelten sich da auf den Flyern und reizten mich zum Antesten – darüber hinaus gab es einen meiner Alltime-Faves: Altmeister Tony Wakeford gab sich mit seiner Frau und Geigerin Renee Rosen die Ehre. Aber, ich scheine vorzugreifen. Schön der Reihe nach vorgehen… Zunächst kann ich alle zweifelnden Geister (inklusive mich selbst) beruhigen: es gibt tatsächlich angekündigten Shuttlebus-Verkehr zwischen dem Lahrer Bahnhof und dem Universal D.O.G.! Letztes Mal war ich mit dem Rad unterwegs, daher musste ich ihn nicht in Anspruch nehmen, aber diesmal gönnten sich meine Begleitung und ich den Luxus, von einem netten DDT-Mitarbeiter in einem netten weißen Transporter in sportlichem Fahrstil zum erwähnten Etablissement chauffiert zu werden. Entlohnt wurde der Service mit Spendenbeträgen in den stilechten Zylinder, der zu diesem Zwecke neben dem Fahrer Platz fand.
Wir waren pünktlich auf 19 Uhr eingetroffen, damit wir nicht den Opener verpassten, der ca. eine dreiviertel Stunde später begann: SOL INVICTUS. Ja, richtig gehört, die Neo-Folk-Legende gab es zum Auftakt (!) – ein Umstand, über den ich noch immer nicht wirklich hinweg bin. Ohne viel Umschweife saßen Wakeford und Rosen unvermittelt auf der Bühne in der großen Halle und eröffneten ihr Set mit „Abattoirs of Love“, einem meiner Lieblingslieder der Engländer. Nach und nach wurden neben neueren Songs wie „The Devil’s Steed“ auch „Media“, „English Murder“, „An English Garden“ und die Hymne „Black Easter“ zum Besten gegeben. Eine in diesem Zusammenhang amüsante Anekdote dürfte sein, dass sich Wakeford gerade bei letztgenanntem Lied ausgerechnet an diesjährigen Ostern beim Intro verspielt hatte – diesmal hat er es gut hinbekommen. Das macht eben auch Götter irgendwie menschlich und damit sympathisch, dass sie sich auch noch verhaspeln. Oder sich räuspern und husten. Faszinierend an SOL INVICTUS finde ich, dass die Songs für beinahe jeden Auftritt neu arrangiert werden: manche erkenne zumindest ich nur noch an den gesungenen Texten, aber nicht mehr an den Melodien oder gar dem Rhythmus. „An English Garden“ zum Beispiel kenne ich mittlerweile in vier Versionen: der Studioversion von „In the Rain“, vom Livemitschnitt „In Europa“, von genanntem Osterkonzert in Zapfendorf diesen Jahres und vom DDT. So werden schon mal die Konzerte auf keinen Fall langweilig. Interessant ist auch die relativ spartanische Instrumentierung diesmal: kein Bassspieler oder Keyboarder oder Sängerin oder zusätzlicher Gitarrist. Das Duo machte alles alleine und muss sich daher an bereits eingespielte Rhythmen aus einer kleinen Wunderkiste (vielleicht ein i-Pod – das konnte ich aber von meiner Position aus nicht sehen) orientieren. Vielleicht hatte ich daher besonders zu Beginn des Auftritts, dass die beiden Musiker eher gegen- als miteinander spielten: hochkonzentriert intonierten sie und so etwas wie aufrichtige Spielfreude konnte ich erst gegen Ende des (natürlich) viel zu kurzen Sets wahrnehmen. Vielleicht lag das auch am spärlichen Publikum, denn mehr als drei, vier offensichtliche Fans konnte ich ehrlich gesagt nicht ausmachen. Die anderen standen ätherisch um mich herum oder brüllten mir „Entschuldigung!“ ins Ohr, wenn sie mich während einer besonders schönen Passage anrempelten. Banausen. Und ja, für mich grenzt es an Blasphemie, SOL INVICTUS als Opener antreten und ohne Zugabe von der Bühne zu lassen. So gab es leider kein „Against the modern World“, „Kneel to the Cross“, „Paths“ oder andere Klassiker.
Frustriert und etwas enttäuscht vertrieb ich mir die Umbaupause mit Wanderungen über das Areal: im Maschinenraum wurde schon fleißig zu Konservenmusik von DJ Lecter und DJ Dr.So.Nick abgezappelt, der Depeche-Mode-Floor war stets gut besucht (nicht zuletzt, weil er sich im Durchgangsbereich befand) und auch draußen gab es einiges. Der Außenbereich war mit Heizpilzen (wahrscheinlich gibt es hierfür eine korrekte Bezeichnung, aber wir fanden diese treffend) ausgestattet, so dass sich leicht bekleidete Feen, Dominas und Fürsten der Dunkelheit nichts abfroren. Sehr aufmerksam, allerdings hätte sich sonst wohl niemand so recht an den Marktständen erfreuen können – der geneigte Besucher konnte sich hier mit Korsagen, Schmuck, DDT-Merchandise, anderen nützlichen oder nur dekorativen Gegenständen, sowie Tattoos und Essen eindecken. In großen Pfannen wurden diverse Gemüse gebraten und dann liebevoll in Brottaschen gesteckt; am in der Eingangshalle gelegenen Absinth-Stand konnte man sich auch an Baguettes laben.
Als ich wieder den Dark-Dance-Floor betreten wollte, um [:SITD:] zu sehen, hatte ich schon beinahe erste klaustrophobische Anwandlungen. Natürlich strömte ein Großteil der Besucher nun vor die Bühne, oder versuchte es zumindest. Gute Stimmung verbreitete sich trotzdem, und vor mir konnte ich nur vage eine Masse an tanzenden Leibern erkennen. Der Ersatz für COMBICHRIST machte seine Sache sehr annehmbar, und ich habe mir von einem Freund sagen lassen, dass vor allem der abschließende Clubhit „Snuff Machinery“ die Fans zum Toben brachte. Ich war vorher wieder gegangen, da ich die Musik zwar gut finde, aber mit dem Sänger nicht sehr viel anfangen kann. (TG)
ASP war danach mit Sicherheit der Höhepunkt für viele Dark Dance Treffen Besucher. Wenn auch nicht sehr hübsch anzusehen, sympathisch sind die Mannen von ASP allemal, und sie verstehen es Stimmung zu verbreiten. Es machte keinen Unterschied, ob Klassiker wie „Und wir tanzten“ oder Songs vom neuen Album gespielt wurden. Hinter und neben mir wurde lauthals jedes Wort mitgesungen. Besonders die Interaktion mit dem Publikum kam super an, und man merkte deutlich, wie sehr sich die Band über die lauten Beifallsbekundungen freute. Alle vorgetragenen Titel wurden kraftvoll und beeindruckend vorgetragen. Es war voll, eng und sehr heiß im Saal, und es sollte noch heißer werden, denn noch fehlte ein Song. Doch erst einmal verabschiedeten sich ASP, was das Publikum so nicht hinnahm. Laute Zugaberufe ließen die Jungs schnell wieder auf der Bühne erscheinen und Ihren absoluten Hit „Ich will brennen“ zum Besten geben. Die Feuerwehrmänner im Fotograben ließen uns schon erahnen, was jetzt kommen würde. Tatsächlich in bester Rammstein-Manier schlugen hohe Feuerfontänen jedes Mal beim Refrain in die Höhe und „grillten“ das Publikum in den vorderen Reihen. Ein nettes Schauspiel für die euphorische Menge. Plötzlich ein brennender Mensch auf der Bühne, der gemächlich der Band das Bier servierte und freundlich ins Publikum winkte. Was für ein Spaß! Restlose Begeisterung und tosender Beifall als ASP dann, nach viel zu kurzer Zeit die Bühne verließen.
Kurze Zeit später betrat DIARY OF DREAMS, einer der Headliner des Abends, mit den charismatischen Bandmitgliedern Adrian Hates, Gaun:A, Torben Wendt und DNS die Bühne. Mit „O Brother Sleep“ starteten die Vier Ihr Set. Keine Band habe ich in diesem Jahr so oft gesehen, und es ist mir immer wieder ein Fest. Jedoch konnte man deutlich merken, dass für viele Zuschauer ihr Höhepunkt des Abends mit ASP gegangen war. Eine Stimmung, wie ich sie normalerweise von DIARY Konzerten kenne, kam nicht auf. Der Funke sprang nicht über. Obwohl man sich an diesem Abend der Veranstaltung anpasste und fast nur schnellere, tanzbare und bekannte Songs wie „Butterfly:Dance“ oder „Chemicals“ spielte. Auch das während der Tour wunderschön in der Akustikversion arrangierte „Amok“, wurde an diesem Abend in der ursprünglichen Version präsentiert. Nach einigen weiteren Songs und zuletzt „The Curse“ verabschiedeten sich DIARY OF DREAMS. Kein langer Abschied, denn das Publikum schrie nach Zugabe. So konnten die Fans der vorderen Reihen ihre Textsicherheit bei „Traumtänzer“ demonstrieren, welches von einem wunderschönen blauen Lichtspiel untermalt wurde. Ein Gänsehautgarant! Zum wirklich letzten Song des Abends und auch des Jahres 2005 (für mich) erklang „Panik?“. Das Publikum war noch nicht müde und sah begeistert dem aggressiv singenden und tanzendem Sänger Adrian zu. Umgeben von lautem Beifall verneigten sich DIARY OF DREAMS am Ende und verließen daraufhin endgültig die Bühne. (Cath)
Ich kann auch leider nicht mehr so ganz, ähem, detailliert rekonstruieren, was ich anschließend gemacht habe – außer dass ich einen Seitenblick auf die Bühnenshow von (ich glaube) TH INDUSTRY geworfen und dann kopfschüttelnd weiter bin: eine leichtbekleidete Dominatrix bewegte sich gerade mehr oder weniger rhythmisch vor den musizierenden Herren, was ich allerdings als abschreckend empfand und daher den Floor wechselte. Wir halten also schon mal fest: Abwechslung war tatsächlich immer geboten, es gab keine unangenehmen Zwischenfälle, fürs leibliche Wohl war jederzeit gesorgt, und selbst wenn man völlig übermüdet war, konnte man sich in einem Sessel auf dem Batcave-Floor der Augenpflege hingeben. (Letzteres wurde ausgiebig von einem Freund getestet.)
XOTOX lehrten mich dann, dass eine grausliche Bühnenpräsenz noch lange keine schlechte Musik bedeuten muss: Andreas Davids und seine Drumunterstützung Ulrich Riedmüller enterten die Bühne mit fluoreszierendem Warpaint und legten los. Primitiv-eingängige Rhythmen stampften sich durch den Maschinenraum und von meiner leicht erhöhten Position aus konnte ich meinen Blick kaum von den wabernden und zuckenden Menschen unter mir lösen. Ein Tänzer faszinierte mich besonders und ich weiß bis heute nicht, warum, da weder Klamotten noch Tanzstil in meinen Augen besonders waren; auch nicht sein mit Haarteilpuschel gekrönter Undercut inklusive weißer Dreads oder Nasenpiercing. Egal, wenn er das liest, darf er sich gegrüßt fühlen. Sein Anblick entschädigte nämlich durchaus für die Dame, die mit Davids und Riedmüller auf die Bühne gesprungen war und sich auf dem dortigen Boden wälzte. Von meinem Standpunkt aus konnte ich leider nicht erkennen, ob sie tatsächlich eine Zwangsjacke anhatte oder ich mir die nur einbildete. Wie schon angedeutet fand ich die Musik sehr gut, und als einen feinen Zug empfand ich es auch, dass auf die Fläche hinter der Band Sequenzen aus diversen Filmklassikern projiziert wurden: „Nosferatu“, „Ghost in the Shell“, „The Ring“ und andere Kultstreifen korrespondierten somit mit den Klangstrukturen und gingen eine interessante Symbiose ein.
Wie gesagt, mit der genauen Rekonstruktion ist’s so eine Sache. Verdrängen wollte ich z. B. noch die Fetischshow, allerdings suchten mich noch danach Bildfetzen der Darbietung heim. Wirre Visionen von Frischhaltefolien und brennenden Kochlöffeln, die an Arme gestrapst werden wirbeln durch meinen armen Geist… auch wenn der Versuch ein WGT in klein und im Süden zu veranstalten durchaus beachtenswert ist – man muss es nicht übertreiben. Derartige Shows kann man sich auch schenken. Außerdem weiß ich noch, dass es tatsächlich auch ein leckeres Büfett zur Stärkung der letzten Gäste um fünf Uhr gab. Nach ein paar Stärkungshappen machten wir uns auf den Weg zurück zum Bahnhof und nahmen den ersten Zug nach Hause. In mein Bett fiel ich um ca. sieben und war sehr froh darüber, dass der Sonntag dem Samstag folgt.
Abschließend möchte ich noch einmal auf SOL INVICTUS zurückkommen. Offensichtlich waren die Engländer die erste Neo-Folk-Band, die das DDT überhaupt beehrte – evtl. könnte man sagen, dass die Veranstalter etwas kleiner auch hätten anfangen können, denn die Resonanz des Publikums wurde den beiden Musikern nicht gerecht. Des Weiteren kann ich beim besten Willen nicht verstehen, warum SOL INVICTUS das Treffen eröffnen mussten. Natürlich ist es keine Partymusik, aber ich finde Neo Folk durchaus Gruftkompatibel, daher traue ich es den Besuchern schon zu, auch/ gerade zur fortgeschrittener Stunde ruhigerer Musik lauschen zu können. Und dann noch ohne Zugabe: nein, das geht nicht. Ich hoffe (und denke das auch wirklich), dass es mit KIRLIAN CAMERA nächstes Mal anders wird. Solche Bands dürfen nicht derart degradiert werden. (TG)
Setlist ASP
Besessen
Sing Child
Schwarzes Blut
Werben
Und wir tanzten
Tiefenrausch
Ich will brennen
Setlist DIARY OF DREAMS
O’Brother Sleep
Butterfly:Dance!
Chemicals
Giftraum
Menschfeind
the Witching Hour
Amok
Sin Skinner
Kindrom
the Curse
Traumtänzer
Panik
Copyright Fotos: Cath Niemann
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