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2. BELGIAN INDEPENDENT MUSIC FESTIVAL

Ort: Antwerpen - Hof ter Lo

Datum: 27.12.2003

Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich die erste Werbung für dieses Festival las. THE KLINIK geben ihr erstes gemeinsames Konzert seit 14 Jahren! Und dass, obwohl man sich derart stark zerstritten hatte, als Dirk Ivens (DIVE, SONAR) 1991 die Band verliess und Marc Verhaeghen die Band alleine weiter führte.
Mir war egal, ob die beiden sich versöhnt haben oder ob nur die Dollar-Zeichen in den Augen zu groß geworden waren – wenn sich so ein alter Klassiker wieder vereint, gerät es einfach zur Pflichtaufgabe dort hin zu fahren. Dementsprechend war das BIM-Festival – beschränkt auf 2000 Besucher – natürlich auch schnell ausverkauft.

Gegen 13 Uhr begann der Einlass auf dem Festival Gelände – eine ungewöhnlich frühe Uhrzeit, vor allem wenn man die lange Anreise bedenkt. Dennoch hatten sich bereits eine Menge schwarzgewandter Leute dazu durchgerungen, früh auf zu stehen und sich der Sonne trotzend zum Festival-Gelände zu begeben.

Die Halle machte einen ziemlich ungemütlichen Eindruck, es war eiskalt und schmuddelig. Der Vorraum dagegen eng und überhitzt, barg Theke und Stände mit CDs, Merchandise und Zeitschriften des Veranstalters – der belgischen Independent Zeitschrift „Dark Entries”.

Den Anfang machten 4 belgische Newcomer, deren Reihenfolge man erst am Tag des Festivals festlegte. Es begannen zunächst HEDERA HELIX, die ich unter „undefinierbares, sehr seltsames belgisches Kulturerlebnis” einordnen würde. Es war der allererste Liveauftritt dieser Band. Die elektronischen Klänge waren eine Mischung aus Future Pop, Elektro und Dark Wave – sehr interessant und hörbar, der Sänger hatte eine ähnlich markante Stimme wie der Sänger von Laibach… aber sehr verstörend war, dass die Texte alle flämisch(niederländisch?) waren und er mitten im Konzert – begleitet von der elektronischen Musik – aus der Bibel vorgelesen hat – auch auf flämisch/niederländisch… der Auftritt hatte einen gewissen Fun-Faktor, bedingt durch Lady Zoe und Schmurtevusk, die sich neben dem Sänger Dr. Oscar Valerius Kadinsky für die sehr seltsame Bühnenshow verantwortlich zeigten. Es wurde u.a. ein Reifen herum gereicht und Schmurtevusk stand mit einem „Bus” Schild auf der Bühne…. dennoch wird die Musik es wohl nicht bis in mein CD Regal schaffen.

Als nächstes war FOOCHOW (benannt nach einer chinesischen Stadt) an der Reihe. Einzuordnen am ehesten in den Dance/ Trance Bereich, fragte ich mich allen Ernstes, ob der einsame Friggler Tim Heddebauw hinter dem vielen Equipment nicht auf einem Rave besser aufgehoben wäre als auf diesem Festival. Mir war die Musik auf jeden Fall zu monoton und einfallslos.

FeaTuRe (das Ein-Mann-Projekt von Raf Hegge) danach waren auch nicht wesentlich besser. EBM-Ethno-Industrial unterlegt mit einer E-Gitarre – nichtssagend und langweilig. Den größten Teil des Gigs nutzte ich, mal die seltsamen Hamburger des Büdchens vor der Tür zu testen – Senf und Ketchup schienen mir wesentlich interessanter und reizvoller als die Klänge, die aus dem Saal an meine Ohren drangen.

Die Letzte der „Dark Demons” – der vier belgischen Newcomerbands – war FOETAL VOID. Angekündigt als Mischung zwischen Nine Inch Nails und Depeche Mode stellte ich schnell fest, dass man bestimmte Dinge nicht mischen sollte. Ketchup mit Senf ist ungewöhnlich aber irgendwie essbar, NIN und Depeche dagegen geht nicht wirklich zusammen. Der Sänger war Trent Reznor äusserlich nicht unähnlich – Outfit und Frisur erinnerten doch stark an ihn. Musikalisch erinnerten einige Stücke an lahme Sachen der „Fragile”-Periode und etwas Synthiepop war auch dabei. Das ganze war aber eine unspektakuläre Mischung, der Vergleich mit den beiden Szene-Größen hatte wohl nur die Erwartungen an die Band in unerreichbare Höhen geschraubt, die aber in keinster Weise erfüllt wurden.

Nachdem ich bereits 5 Stunden in der Halle verbracht hatte und die ersten 4 Bands derart uninteressant waren, sank ein wenig mein Optimismus, ob ich es noch die nächsten 7-8 Stunden wach und fit aushalten würde, um THE KLINIK zu sehen. 13 Stunden Festival sind ohne Sitzgelegenheiten eine echte Zumutung, zumal sich auch in der näheren Umgebung des Veranstaltungsortes Hof ter Lo nichts ausser einem Supermarkt befand.

Gottseidank holten mich STIN SCATZOR schnell aus dem kurzzeitigen Tief heraus. Der erste Lichtblick an diesem Abend. Harter, energiereicher Industrial in Begleitung einer E-Gitarre (Kris Peeters) – lustvoll gespielt, minimalistische und dennoch abwechslungsreiche Sounds und ein agiler Stefan Bens auf der Bühne schafften es, die Menge der Besucher vor die Bühne zu locken und mitzureissen. Ich hab mich direkt geärgert, dass ich nicht ein paar Tage eher am 20.12. in Hengelo war, wo die beiden im Metropool für 6 EUR Eintritt gespielt haben. Die aktuelle CD „Industrogression” hat ja auch in einigen Fachorganen recht gute Kritiken bekommen.

Anschliessend gaben THIS MORN’ OMINA ihr bestes. Bereits auf dem WGT 2003 haben sie mir echt gut gefallen, allerdings konnte ich mir damals den Namen nicht merken. So war ich also völlig überrascht, dass ich die Band kenne und sogar gut finde. Wie schon auf dem WGT hat PAL die Mannen um Mika Goedrijk als Gastmusiker begleitet. Ihre Musik kombiniert Ritual-Techno mit Ethnoeinflüssen, elektronischer Musik und Trance, atmosphärisch sehr dicht und vielschichtig. Unterstützt von einer extrem coolen Videoshow stelle man sich einfach vier Leute auf der Bühne vor: PAL an der Digidrum; einer abwechselnd an Bongotrommeln und Digidrum; einer, der die Regler betätigt sowie einer, der den Gesang dazu beisteuert. Jeder für sich alleine intensivst mit dem beschäftigt was er tut – völlig in der Musik entrückt – hat man das Gefühl, die Jungs machen die Musik nur für sich selbst. Wir sind nur Zeuge einer Session, wie die vier ihre Musik zusammen bringen und daraus eine Einheit wird. Hits wie „One Eyed Man” oder „Ninth Key” durften natürlich nicht fehlen. Jetzt war ich fest davon überzeugt, mir das richtige Festival an dem Tag ausgesucht zu haben – und das Oberhausen (Schattenreich Festival) niemals so gut sein könnte.

SNOWY RED als nächste Band machte dann den Anfang als einer der „Elektro-Legenden”, die an dem Abend auftraten. Dem einen oder anderen sind Micky Mikes Lieder „Euroshima” oder „Never Alive” evtl. noch ein Begriff. Doch der Auftritt war – um es freundlich auszudrücken – grauenvoll. Eine nervig quäkende Stimme, schrille Sounds und eine affige Poser-Show liessen innerhalb der ersten 3 Lieder den gut gefüllten Saal etwa um die Hälfte leeren. Dieser Strom von Zuschauern gen Ausgang riss auch während der weiteren Songs nicht ab. Das Lied „Euroshima” brachte er nur ziemlich verhunzt und nachdem der Gig über die Hälfte vorbei war, verkündete Micky Mike ein wenig weinerlich, dass er das vom Publikum lautstark geforderte „Never Alive” nicht spielen könne, da er es nicht „dabei habe“. Ich fand es eine ziemlich armselige Vorstellung, nur 50 % der beiden einzig guten Lieder, die er jemals gemacht hat, überhaupt mit sich zu führen. Viele im Publikum teilten – laut die Band ausbuhend – meine Meinung. Glücklicherweise war der Gig dann auch bald zu Ende.

INSEKT danach waren eine echte Überraschung. Wer die Band kennt, hatte das Gefühl, eine ganz andere Band stehe auf der Bühne. Früher eher rein elektronisch orientiert, haben sie eine gehörige Portion Härte dazugelegt. INSEKT liessen musikalisch die Abrissbirne kreisen, der harte Industrial war genau das Richtige, um die mittlerweile müden Knochen wachzurütteln. Erik van Wonterghem (ABSOLUTE BODY CONTROL, VOMITO NEGRO, SONAR) der früher selbst auch bei THE KLINIK mitgemischt hat und nebenbei auch noch MONOLITH macht, hat einfach ein gutes Händchen, was die Musik angeht, die er macht. Die kreative Mischung aus Krach und Melodie, Härte und Einfallsreichtum ging ohne den Umweg über die Ohren direkt in Bauch und Beine und animierte zum mittanzen. Kein Wunder, dass sogar The Edge (der Gitarrist von U2) INSEKT als U2’s liebste Elektronikband bezeichnet.

Als vorletzte Band spät in der Nacht waren MALE OR FEMALE, das Nebenprojekt von FRONT 242, an der Reihe. Bereits nach den ersten Klängen hab ich mich dann doch entschlossen, mir lieber den Regen draussen anzugucken und nochmal einen Blick auf die Burger zu werfen. Es war einfach nur schrill, laut, schräg, und der Kopfschmerzfaktor lag bei etwa 8 von 10 möglichen Punkten. Es wurde einem stellenweise nicht ganz leicht gemacht, so lange durch zu halten.

Kurz bevor THE KLINIK anfingen, wagte ich mich dann wieder zurück in die Halle. Obwohl die vorgerückte Stunde allen mittlerweile mächtig an den Kräften zehrte, war es immer noch brechend voll. Pünktlich 1 Uhr begann es – Dirk Ivens enterte die Bühne mit einer weissen Maske (wohl eine Hommage an die Auftritte in der Zeit 1985 – 91), Marc Verhaeghen dagegen hielt sich mit seinem Soundgefriggel im Hintergrund. Klassiker wie „Go Back“, „Sick in your mind“, „Black Leather“ und „Moving your Hands“ wurden inbrünstig vom Publikum mitgesungen, die letzten Kräfte wurden mobilisiert, um THE KLINIK frenetisch abzufeiern. So faszinierend auch das Soloprojekt DIVE ist, THE KLINIK ist einfach schon Kult und durch nichts zu ersetzen. Dieser düstere, minimalistische Elektrosound und die kranken Texte haben einen Meilenstein in der EBM-Welt gesetzt, an dem sich noch heute viele Bands orientieren.

Fazit – der fantastische Gig von THE KLINIK gehört sicherlich zu der Kategorie „Konzerte des Jahrhunderts”. Einziger Minuspunkt war nur die Länge von über 13 Stunden ohne Sitzgelegenheit in einer ungeheizten Halle – hätte man das Programm ein wenig gestrafft, z.B. die „Dark Demons” und SNOWY RED weggelassen, wäre der Abend fast perfekt gewesen.

Copyright Fotos: Bram Declercq [email protected]

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