Ort: Bielefeld - Kamp
Datum: 16.09.2004
Es war ein schöner Spätsommerabend im September, wie geschaffen für eine ordentliche Portion Gitarrenrock, den an diesem Abend gleich drei mehr oder weniger bekannte Acts liefern wollten. Also aufgemacht ins Kamp, wo sich gegen 20 30 Uhr schon eine stattliche Menge Jungvolk aufhielt, denn dieses Konzert wurde erwartungsgemäß eher vom Alternative-Nachwuchs besucht. Am Ende waren es ca. 300 Besucher, die den Innenraum sehr anständig füllten, auch wenn vor geraumer Zeit bei den EMIL BULLS noch etwas mehr Andrang herrschte. Aufhänger des Abends waren die Nordlichter 4LYN, welche ihr aktuelles Album „Take it as a compliment“ auf einer ausgedehnten Clubtour promoten. Vorher galt es aber noch 2 Support-Acts zu begutachten, leider noch nicht die Australier BUTTERFLY EFFECT, welche erst später in die Tour einsteigen.
So begann das Spektakel pünktlich um 21 Uhr mit einer Breitseite „Wiener Schmäh“, das Austria-Quartett JULIA gab eine erste Visitenkarte ab. Die Jungs, die in ihrer Heimat momentan als „das große Ding“ gelten, waren das erste mal auf einer richtigen Nightlinertour unterwegs und freuten sich diebisch, das deutsche Publikum zu unterhalten. Leider ist ihr Album „Songs about Decay“ in Germoney noch nicht erhältlich, so dass kaum ein Zuschauer vorab von ihnen gehört haben dürfte. Das hinderte allerdings niemanden, neugierig dem Treiben der gut aussehenden Herren beizuwohnen, die einer Mischung aus Rock, Emocore, Stoner und leichten Metalklängen frönen. Grundsätzlich eine interessante Melange, allerdings nicht so leicht ins Ohr gehend und auch nicht unbedingt super-mitreissend. Dafür unterhielten Koma (Vox), Karl (Gitarre) und Alex (Bass) mit witzigen Ansagen, die für eine hochdeutsche Klientel nicht immer leicht zu entziffern waren. Man stellte sich gegenseitig vor, frotzelte herum und versuchte das Publikum zu animieren, welches allerdings bis zum Ende etwas reserviert blieb. Musikalisch spielte man sich natürlich durch einige Stücke des bereits erwähnten Longplayers, wie etwa die Single „Perfect“ oder auch „Beautiful“, für das gerade ein Video fertig gestellt wurde. Mit „Crash Test“ präsentierte man gar einen ganz neuen Track. Solider Auftritt, in dessen Anschluss die Alpenländer zu einem gemeinsamen Bierchen einluden!
Danach waren BITUNE aus Eschwege an der Reihe, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, das sollte sich aber ändern. Die ebenfalls vier jungen Herren haben seit 1996 schon ein paar Releases auf dem Buckel, allesamt eigenproduziert. Aktuell ist gerade eine MCD erschienen, welche für läppische 5 Euro käuflich zu erwerben war und von der 3 Songs gespielt wurden. Ohne viel Federlesen starteten die Deutschen durch und überraschten die Anwesenden mit einer massiven „Wall of Sound“. Was 2 Gitarren doch für einen Unterschied ausmachen können (verglichen mit JULIA), alles kam plötzlich hart und brutal aus den Boxen. Die Kompositionen erinnerten mich an eine Mischung aus QUICKSAND und TOOL, emotionale Parts, Psychedelica, übereinander gelegte Gitarrenwände und ein Shouter, der seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Sascha Wiegand – mit Glatze und 4LYN-Käppi – wirkt zwischen den Songs charmant schüchtern, mutiert aber hinter dem Mikro zum Tier, was vom Auditorium auch ordentlich honoriert wurde. Der Rest der Truppe kam ein wenig „studi-like“ rüber, aber auch sehr fit an den Instrumenten. Insgesamt ein wirklich zufrieden stellender Gig, und ich würde mich nicht wundern, wenn da bald ein Label anbeißt!
Dann aber war es soweit und das bis hierhin etwas lethargische Publikum zeigte, dass es auch richtig ausrasten kann. Mit den Klängen von „Train“ enterte die „Rasselbande“ von 4LYN nach einem Intro die Bühne, ganz vorne hatten es sich ein paar Mädels gemütlich gemacht, von denen später noch die Rede sein wird. Dahinter entstand ein fetter Pit, bei dem sich die Gelegenheit bot, Aggressionen abzubauen. Shouter Ron aka „Braz“ machte optisch wirklich einiges her, er wirkte auf mich wie eine Mischung aus Robert Stadlober und Marilyn Manson. Ganz in schwarz gekleidet (Hemd und Hose) und mit ebenso lackierten Fingernägeln wurde schnell klar, dass es sich bei ihm um einen routinierten Frontmann handelt, der sein Publikum blitzschnell um die feingliedrigen Finger wickeln kann. Und labern kann der Meister auch, was ich von unserem Interview noch in guter Erinnerung hatte. Die Saat war also gesät, wozu auch der bullige „Deee“ am Bass rechts und der recht jugendlich wirkende „Russo“ an der Axt links beitrugen. Nicht zu vergessen „Chino“ an den Fellen, der im Verlauf des Sets immer mehr auf seine Kleidung verzichtete und somit eine weitere Alternative für die Damenwelt darstellte.
Es folgte ein Par force-Ritt durch die mittlerweile schon ein paar Jahre währende Bandgeschichte, während der man immer wieder mit Vorurteilen der Journaille zu kämpfen hatte. Mittlerweile hat man sich aber freigeschwommen und zieht einfach „sein Ding“ durch. Das neue Album verknüpft auf recht geschickte Weise amerikanische und einheimische Einflüsse zu einem treibenden und harmonischen Ganzen. Die Fans waren jedenfalls begeistert, die Leute sangen fast alle Texte mit und pogten wie die Wahnsinnigen, egal, ob es sich um aktuelle oder ältere Songs handelte, die teilweise auch als Medley dargeboten wurden. Da ließ sich auch Ron nicht lumpen und erzählte einige interessante Geschichten. Etwa von seinem ersten Kind, welches im Vorjahr geboren wurde und nun bei der Mutter in einem anderen Land wohnt (man hat sich getrennt). Seiner Tochter hat er auch das gefühlvolle „Eobane“ gewidmet, welches natürlich prompt zum Besten gegeben wurde. Was wohl in dem Zusammenhang das Groupie vorne dachte, das sich lautstark ein Kind von Meister Propper gewünscht hatte??? Und weiter ging’s: Vor dem ebenfalls relativ ruhigen „Husky“ betonte der Sänger, dass man dieses Stück lange nicht mehr gespielt habe.
Aber es blieb natürlich meistenteils nicht bei ruhigen Halbballaden. Mittlerweile hat man nach drei Alben so viele Knaller an der Hand, dass man auf Füllmaterial verzichten kann. Und dann ein absolutes Highlight: Die Wall of Death, die man sich, wie „Braz“ ausführte, von SICK OF IT ALL abgeschaut habe. Auf beiden Seiten postierten sich die Kontrahenten, ein Trommelwirbel, Ron erzählte noch was von „Braveheart“ und schon liefen die Buben aufeinander zu (die Mädels blieben dezent im Hintergrund). Ein Krankenwagen musste zum Glück nicht gerufen werden und im Gegensatz zum HATEBREED-Konzert brauchte auch niemand irgendwelche losen Knochen aufzusammeln. 4LYN waren begeistert und revanchierten sich mit einem sehr fairen Angebot: Beim Merch-Stand konnte man ihre aktuelle CD in einer speziellen Tour Edition plus Bonus-Live-CD für schlappe 9,99 Euro erwerben, das nennt man wohl Fan-Nähe. So langsam näherte sich das Spektakel dem Ende zu, aber für ein Mädel sollten noch ein paar ganz besondere Minuten folgen. Nach ständigem „Liebes-Geschrei“ holte sie „Braz“ kurzerhand auf die Bühne und Wiebke – so hieß die Kleine – durfte einen kompletten Song vor dem Drumkit sitzend erleben, sicher ein Höhepunkt in ihrem bisher kurzen Leben…
Dann war es fürs erste vorbei, aber es war klar, dass noch eine Verlängerung folgen würde. Und nach weiteren penetranten „Ausziehen-Rufen“ konterte der Angebetete mit „Wir sind doch nicht bei THE RASMUS“ und „Meinen fetten Bauch kennt man, zieht ihr euch doch aus“, dazu lüftete er kurz sein Hemdchen. Schließlich durften 3 Grazien (Wiebke plus 2) für einen Song auf die Bühne und ordentlich abtanzen. Die Girls wollten sich sogar ihrer Oberteile entledigen, aber die Hamburger schritten (leider?) ein, man wisse ja gar nicht, ob die Girlies schon volljährig seien. Mit dem Evergreen „Matilda, Matilda“ (im Original von HARRY BELAFONTE aus den 50er Jahren!) beendete man schließlich den überzeugenden Gig, der quanti- wie qualitativ nichts zu wünschen übrig ließ. Hier stand eine gereifte Formation vor uns, die ihre dynamischen Stücke spieltechnisch überzeugend rüberbrachte und noch dazu einen hungrigen Eindruck machte, nicht zu vergessen der Entertainment-Faktor! Man verabschiedete sich theatermässig mit Verbeugungen, während im Hintergrund ein kultiges Hamburg-Volkslied erklang („In Hamburg da sagt man „Tschüss“). Kurz nach Mitternacht machte ich mich auf den Heimweg, während die Fans ihre Jungs noch am Merchandising-Stand mit Wünschen und Problemen löchern durften.
SETLIST JULIA:
Droogs
Listen to the Bomb
Arc-Over
Miosis
Crash Test
Perfect
Beautiful
Optimistic
Noise
SETLIST BITUNE:
I know you
Fantastica
Still
Fuck the Tom
Stars are stereo
Call me up
Beauty fluid
All in one
SETLIST 4LYN:
Intro
Train
Drama Queen
Wong Tsong
Chikken Song
Kisses of a Strobelight
2nd Round
Deadnekk
Take it as a Compliment
Gone
Incomplete
Eobane
Husky
lyn
Medley “4Lyn” (No Champagne, Bahama Mama, Feel me, Fat Ass)
Stay Different
Pearls & Beauty
U know nothing
The good Life period
Medley “Metal” (S.T.C., No. 11, Nina, S.T.C.)
Whooo
Matilda, Matilda
Copyright Fotos: Karsten Thurau
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