Ort: Krefeld - Kulturfabrik
Datum: 23.12.2006
10 Jahre Accession = 10 Jahre hochklassige elektronische Musik aus Deutschen Landen. Um sein eigenes kleines Schatzkästlein DIARY OF DREAMS hat der charismatische Adrian Hates eine Riege interessanter und zumeist innovativer Acts aufgebaut, welche in den vergangenen Jahren immer wieder für Aufsehen sorgen konnten. ASSEMBLAGE 23 z.B. gehören zu den ganz Großem im Future Pop Himmel. Während Tom Shear an diesem Vor-Heilig-Abend-Abend zu Hause blieb, versammelten sich 5 andere Label Formationen, um das 10-Jährige Jubiläum gebührend zu feiern. 2 mal soft/ gefühlvoll, 2 mal tanzbar/ aggressiv und ein Newcomer als Appetithäppchen zum Auftakt. Auf diese einfache Formel könnte man das Line Up reduzieren. Als Austragungsort hatte man die Krefelder Kulturfabrik gewählt, in der schon einige Electro Schlachten geschlagen wurden. Gegen 18 45 fand sich die Terrorabordnung in dem Laden ein, in dem bereits ein guter Teil der später vielleicht 700 Anwesenden auf den Opener wartete.
Der kam dann auch in Gestalt des Hamburger FADERHEADs auf die Stage, aber er ward nicht allein, denn mit Christine LaGivrée an den Keys und Drummer Alex Montana an einem der beiden aufgebauten Drumkits hatte er sich Verstärkung ins Boot geholt. Insbesondere die hübsche Dame im Military Mini zeigte sich engagiert und bewegungsfreudig. Mit etwas mehr Licht hätte man sie sogar sehen können… Der selbstbewusste Hanseat konnte mit seinem Debüt „FH 1“ im Frühjahr 2006 ordentlich Staub aufwirbeln. Dabei profitierte er sicher auch von seiner unkonventionellen Herangehensweise ans Songwriting, der Mann gehört nämlich nur sehr bedingt der schwarzen Szene an. Doch er scheint sich in dieser nunmehr pudelwohl zu fühlen, ein wenig kam bei ihm Andy LaPlegua-Feeling auf, wenngleich es noch etwas dauern wird, bis er zu den ganz Großen aufschließen wird. Hin und wieder griff der Iro-Kollege auch mal zur Gitarre, während er ansonsten eher rastlos die Fans zum Tanzen animierte. In den knapp 40 Minuten präsentierte er u.a. die beiden Club Smasher „The Protagonist“ und „O/H Scavenger“ von besagtem Longplayer, aber auch einen neuen Titel, der da wohl auf den Namen „Storm“ hört und auf dem 2007er Nachfolgewerk „FH 2“ (konsequente Namensgebung das) enthalten sein wird. Ordentlicher Beginn eines langen Abends.
Und eines ablauftechnisch sehr reibungslosen Abends, denn die Umbaupausen währten quasi nur minimal, so dass man sich kaum einem ganzen Getränk widmen konnte. Ergo stand um 20 Uhr mit dem PAINBASTARD schon ein persönlicher Höhepunkt auf dem Programm. Mastermind Alex P. aus dem schönen Leipzig hatte vor Kurzem mit seinem neuen Album „No need to worry“ einen absoluten Hard Electro-Kracher hingelegt. Aggressive und dennoch abwechslungsreiche Kompositionen warteten nun also darauf, auch live umgesetzt zu werden. Analog zu seinem Support Gig von SUICIDE COMMANDO in der Essener Zeche Carl earlier this year begleitete ihn wieder der stoische Alex X. mit Sonnenbrille am Keyboard links. Dazu gab es im Hintergrund Projektionen mit Bandlogo und allerlei Kriegsunbill. Für die Zuschauer natürlich eine nette Spielerei, für die Fotographen eher katastrophal, denn bis auf kleine Ausnahmen war es stockfinster auf der Bühne. Dennoch konnte man den wohlgeformten ostdeutschen Electrokörper bewundern, der ohne viel Federlesen sein aggressives Programm durchzog. Die Reaktionen der härteren Fraktion unter den Zuschauern ließen nicht lange auf sich warten, wenngleich viele erst langsam aus ihrer Weihnachtslethargie aufzuwachen schienen. Kracher wie „When the Rats desert the sinking Ship” besitzen aber auch so viel Power, dass man “zwangsweise” mitgehen muss. Sehr schön auch das deutschsprachige „Sternentanz“, welches mit einem fast romantischen Intro beginnt. Zu guter Letzt erwartete uns noch ein Schauspiel, welches ich bei dem festivalistischen Aufgebot fast antizipiert hatte. Herr P. wechselte ans Keyboard und zu den ersten Klängen von „Torn“ enterte… Torben von DIORAMA die Bühnenbretter, um genau wie auf CD dem Stück seine Stimme zu leihen. Die Massen reagierten begeistert auf ihren Liebling, welcher im folgenden mit seiner Stammformation noch richtig in den Vordergrund treten sollte…
Dank einer heinzelmännchengleichen Bühnencrew ging es bereits nach eine viertel Stunde weiter mit dem ersten etwas softeren Act des Abends. DIORAMA waren aus Reutlingen angereist, um ebenfalls ein längeres Geburtstagsständchen zu halten. Mittlerweile ist die Band um Mastermind Torben Wendt zum Quartett geschrumpft, da Bassist Bernhard le Sigue unlängst aus unbekannten Gründen ausgestiegen ist, das tat der Spielfreude der Herrschaften, die inzwischen auch ihr eigenes 10jähriges feiern könnten, jedoch keinen Abbruch. Und so startete man mit „Odyssey Into The Vacuum“ gleich durch. Sänger Torben betätigte sich beizeiten auch an zwei kleinen roten Trommeln und agierte gewohnt gestenreich. Das Publikum wusste dies zu schätzen und ging bereits bei „Prozac Junkies“, das ebenfalls vom 2005er Album „Amaroid“ stammte, ordentlich mit. Es folgte umgehend der erste Höhepunkt des Sets: „Advance“ dürfte so ziemlich jedem aus den Clubs bekannt sein und wurde dem Erfolgsalbum „Her Liquid Arms“ entnommen. Dumpfe Schläge von Drummer Markus Halter läuteten das druckvolle „The Girls“ ein, unterstützt wurde er in der Rhythmus-Sektion von Felix Marc an den Keys, während Sash Fiddler im neckischen Schottenrock die Gitarrenarbeit übernahm. Das folgende „Leaving Hollywood“ widmete Torben den Geburtstagskindern, schließlich war der Titel sein erstes DIORAMA-Werk, auf das auch gleich Accession Records und somit Adrian Hates als Produzent aufmerksam geworden waren. Das Stück unterschied sich deutlich von den übrigen Tracks des Abends und zeigte DIORAMAs Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit. Hier dominierten mal nicht treibende Electro-Goth-Pop-Sounds, sondern zurückhaltende, ein wenig irisch anmutende Klänge. Dazu passte, dass Markus sein Drum-Kit verließ und sich darauf beschränkte, den kleinen Trommler an der „Zweitpercussion“ zu geben. Gefühlvoll ging es auch mit „Someone Dies“ weiter, das mit allerhand Keyboard-Spielereien aufwartete. Nun war es aber wieder Zeit für etwas mehr Dampf und so zog erneut reichlich Trockennebel auf und es durfte erneut zu heftigen Electrobeats und zwingenden Gitarrenriffs getanzt werden. Darunter auch der neueste, noch unveröffentlichte Streich der Schwaben „Synthesize Me“. „Last Minute“ beendete unter begeistertem Mitklatschen des Publikums, das sich gern noch eine Zugabe angehört hätte, den knapp einstündigen Auftritt, den ich am abwechslungsreichsten von allen fünfen fand. Im Frühjahr soll übrigens ein neues Album erscheinen, auf das wir mit Sicherheit gespannt sein dürfen.
Nun war es wieder Zeit für härtere Klänge und die nicht wenigen Anhänger der Ruhrgebietler [:SITD:] blickten gespannt nach vorne, wo man zu beiden Seiten Keyboards installiert hatte. Erwartungsgemäß nahmen Tom und Francesco zu einem Sampler Medley hinter diesen Platz, nur um wenig später mit dem stimmungsvollen „Richtfest“ loszulegen. Mein Fast-Namensvetter Carsten – natürlich wieder in Wollmütze und zudem mit Namensaufdruck auf dem Shirt (damit er nicht verloren geht?) – begrüßte die Fans in altbekannter, sympathischer Weise. Die Jungs machen einfach immer wieder Spaß, egal wann und wo man ihnen begegnet. Das nun folgende Tripel „Brand of Cain“, „Lebensborn“ und „Firmament“ ließ die Stimmung natürlich keineswegs abreißen. Danach verließ der Main Shouter seine Kollegen, so dass sein Partner Tom für 2 Titel das Mikro an sich „reißen“ konnte. Insbesondere bei „Suffering in Solitude“ demonstrierte Lesczenski, dass er an seiner Stimme gearbeitet hat, das damit einhergehende, deutlich gewachsene Selbstbewusstsein war nicht zu übersehen. Dann kehrte Carsten zurück und sorgte mit meinem Lieblingstitel „Wegweiser“ für eine persönliche Gänsehaut. Aber natürlich durfte ein Track nicht fehlen, den man dann schlussendlich noch unter die Massen rührte. „Snuff Machinery“ ließ die Kufa richtiggehend erbeben, einfach ein Klassiker, den jeder schwarze Clubbesucher kennt. Ich bin gespannt auf neues Material des Trios, allzu lange kann es in dieser Hinsicht ja nicht mehr dauern.
Um 23.20 Uhr war die Stunde des Headliners DIARY OF DREAMS gekommen. Anfangs lag die Bühne noch in Stille und Dunkelheit, doch dann begann Nebel umherzuwabern und pulsschlagartig setzte als Intro „Kalt“ ein, zu dem sich langsam die Stage füllte. Zweifelsohne hätten die Herren die Wahl zur am besten angezogenen Band des Abends gewonnen. Man(n) hatte sich überwiegend in lange Mäntel gekleidet und machte einen recht erhabenen Eindruck als man mit „Leb-los“ geradezu aristokratisch begann. Wir bewegten uns mit „Psycho-logic“ in Gefilden der 2004-er Scheibe „Nigredo“ und hallige Gitarren sowie nach einem Echolot klingende Hintergrundgeräusche unterstützten die markige Stimme des charismatischen Adrian, der sein Saiteninstrument bei diesem Song zur Seite gestellt hatte, während Gaun:A mit schwarzem Iro seine Gitarre weiterhin intensiv bespielte. Gleiches galt auch für die gesamte Bühnenbreite, die der Herr immer wieder abschritt. „The Curse“ führte zu ersten Begeisterungsstürmen seitens der Zuhörerschaft. Es wurde eifrig mitgeklatscht und auch der Refrain mitgesungen, was allerdings anfangs noch etwas dünn klang, zum Ende aber deutlich besser klappte. The Cage“ von der letztjährigen „Menschfeind“ verband perfekt gefühlvolles Ambiente mit tanzbaren Melodien. „Soul Stripper“ ist schon ein paar Tage älter, aber immer noch ein herrlich düsterer Song, der energiegeladen vorgetragen wurde. Drummer Beam – mit neuer Frisur – hatte sich bereits so in Schweiß gespielt, dass er sich seines Oberteiles entledigte. Das auf deutsch gesungene/ gesprochene „(End)giftet?“ zählte zu den weiteren Höhepunkten und dürfte dem ein oder anderen eine Gänsehaut beschert haben. Schlag auf Schlag ging’s weiter und so feierte man „Mankind“ ebenso wie „Butter:Fly Dance!“, welches das Publikum erneut zum Mitsingen animiert. Im Mittelpunkt stand jedoch der markante Gesang des blonden Fronters, an dessen Lippen so manche Dame an diesem Abend gehangen haben dürfte. Ein weiterer Liebling der weiblichen Fanbase war zweifelsohne Keyboarder Torben Wendt, der an diesem Abend sozusagen interdisziplinär tätig war. Das gitarrenlastige „She“ brachte erste Wunderkerzen zum Brennen, während bei „Treibsand“ wieder deutsche Töne angeschlagen wurden. „Amok“ und „Panik“ überzeugten mit abwechslungsreichen, mal nach vorn treibenden und dann wieder ruhigen Passagen und so näherten wir uns langsam dem Ende des regulären Sets. Während Adrian seinen Zopf löste und seine güldene Mähne schüttelte, wurden erneut Wunderkerzen entzündet und lauthals erklang „Tramtänzer“ in der Krefelder Kulturfabrik und die einzelnen Bandmitglieder erhielten noch einmal Gelegenheit, ihre Instrumente vorzuführen. Adrian übergab das Zepter derweil mehr oder weniger an sein Publikum, das zumindest in Reichweite des Mikros sehr frauenlastig zu sein schien. Unter frenetischem Jubel verbeugte sich das Quartett nach etwa 75 Minuten Spielzeit und verschwand für einen kurzen Moment hinter der Bühne. Ohne Zugabe ließ man den Accession Records-Chef und seine Band natürlich nicht gehen und so erfreuten auch noch „Giftraum“ und „Kindrom“ das Auditorium. Nach einer weiteren kleinen Unterbrechung sollten laut Setlist noch „“O’ Brother Sleep“ und „Chemicals“ folgen, bevor die Schwarzkittel in die Weihnachtstage geschickt wurden. Auf diese beiden Titel wurde aber anscheinend verzichtet (wir hatten zu diesem Zeitpunkt dem langen Abend bereits Tribut gezollt und waren gen Heimat aufgebrochen).
Mit dem eigenen fantastischen Abriss der nun auch schon 17-jährigen Bandgeschichte und den vier übrigen Weihnachtsgeschenken an die Fans ist Herrn Hates eine perfekte Geburtstagsparty und eine schöne, leicht verfrühte Bescherung an alle Electro Gothics gelungen. Vielen Dank dafür!
Copyright Fotos: Karsten Thurau
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