Ort: Hannover - Capitol
Datum: 07.04.2006
3 etablierte Acts, ein hoffnungsvoller Newcomer, 6 Locations – Das ist die Orkus-Festival-Tour, die an diesem Abend möglichst viele Menschen ins Hannoveraner Capitol locken sollte. In Verbindung mit der anschließenden Kai Hawaii-Wave Night und dem endlich etwas besser wärmenden Wetter natürlich Anreiz genug für ein Terrortrio, zum wiederholten Male in der Location aufzuschlagen. Der Einlass war bereits auf 19 Uhr gelegt worden, eher ungewöhnlich für die niedersächsische Metropole, die erfahrungsgemäß recht langsam aus den schwarzen Puschen kommt. Und so war es gegen 19 30 Uhr auch noch nicht wirklich voll, wobei mit Lorenz Macke (SPR) und Andy Krüger (MELOTRON) schon interessante Prominenz am Start war, letzterer war gerade gestenreich in ein Gespräch mit den AND ONE-Tastenmännern involviert. Erste große Überraschung: Der Headliner hatte NULL Merchandise mit dabei, worüber die Verkäufer selber schmunzeln mussten, die natürlich immer und immer wieder darauf angesprochen wurden. Hat das neue Naghavi-Vehikel noch keinen Vorschuss für ordentliche Tour-Shirts spendiert? Darüber konnten wir nur kurz nachdenken, denn nur eine Red Bull-Prosecco-Nasenlänge später legte bereits der Opener DIVISION KENT los.
Auf CD ein Duo bestehend aus Sängerin Andrea B. und Keyboarder Sky Antinori (die sich angeblich in New York Ecke DIVISION Street/ KENT Avenue kennen gelernt haben) wurde man live noch um einen Gitarristen mit Pornosonnenbrille und hipper Frisur ergänzt. Live-Drummer und Basser hatte man allerdings zuhause gelassen, dafür befand sich eine Leinwand im Hintergrund, welche im folgenden effektiv zur Musikuntermalung genutzt wurde. Ein kluger Schachzug, wirkt der chillig-lässige Electro Club-Sound doch beizeiten ein wenig statisch, so konnte man sich auf die sehr interessanten Bilder aus dem Beamer konzentrieren (von Collagen bis alten 60er Jahre-Filmen war alles dabei). Obwohl natürlich auch Frontdame Andrea ihre Reize besaß, die sich im Verlaufe des Gigs ein wenig entblätterte und in Bewegung, Stimme und Gestus doch nicht unwesentlich an die CLIENT-Damen erinnert. Die Klasse deren Songs erreichte das Trio allerdings nicht ganz, wenngleich man mit der Zeit mehr als nur Beifallsapplaus einheimste. Sogar die Tanzfläche wurde nach den 30 Minuten einigermaßen zahlreich frequentiert, in Hannover schon eine Sympathiebekundung. Musikalisch präsentierte man natürlich einige Tracks vom Debüt „Monsterproof“, als Abschluss wählte man sinnigerweise eine Coverversion von NICHTS – „Tango 2000“ -, die ich an selber Stelle schon mal etwas besser von JOKE JAY vernommen hatte, der ja wiederum mal bei AND ONE dabei war, ein geschlossener Kreis also. Wenn man sich in Zukunft weniger schüchtern gibt und den Gesang besser in den Restsound integriert, kann noch etwas werden aus den Newcomern.
Danach herrschte kurz leichte Unklarheit darüber, ob ZERAPHINE oder FUNKER VOGT folgen würden, doch nachdem sich der schwere Vorgang wieder erhoben hatte, war klar, dass nun die Mannen um Sven Friedrich für etwas melancholische Schwere sorgen wollten. Auch vernünftig, so konnte man das einzige Schlagzeug des Abends nachher schon wieder sicher verpacken. Im Vorfeld war ich mir nicht sicher, wie gut das Berliner Quintett ins Line Up passen würden, da die Mitstreiter doch allesamt elektronisch ausgerichtet sind. Und wer zahlt schon 30 Euro für einen verhältnismäßig kurzen Gig (es wurden am Ende ein wenig enttäuschende 45 Minuten). Aber alle Befürchtungen waren wie weggewischt, als sich doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Meute (eher die weiblichen Anwesenden…) vor der Bühne breit gemacht hatte. Vor ihnen das gewohnte Bild: Links und rechts die Gitarristen Norman und Manuel, Basser Michael ein wenig versetzt rechts hinten und natürlich der „ewige Jüngling“ Sven vorne am Mikro, der mal wieder über ein schüchternes „Vielen, Vielen Dank“ kaum hinauskam. Dafür lässt man eben die Musik sprechen, mit der man auch deutlich mehr als eine Dreiviertelstunde bestens füllen könnte, man siehe die 1001 Berichte auf unserer Page. Mit „Flieh mit mir“ stieg man ins Set ein und bot danach eine bunte Mischung aller Alben mit Klassikern wie „Sterne sehen“ oder „Die Wirklichkeit“, der letzten Single „Die Macht in dir“ oder dem englischen „Be my rain“. Spannend war besonders die Präsentation 2er neuer Tracks vom noch unbetitelten Album, welches am 30.6.2006 auf dem neuen Label Phonyx Records erscheinen soll. War SonyBMG etwa so blöd, diese qualitativ herausstechende Formation ziehen zu lassen? Egal, die nächste Single „Still“ sowie „Inside my arms“ konnten beide sehr überzeugen, besonders letztgenanntes Stück überraschte mit harter und sehr modern klingender Gitarrenarbeit, zudem übernahm Manuel den kompletten Gesang der Bridge. „I’m numb“ beendete schließlich den zeraphinischen Abend, wobei Sven zunächst alleine performte und die anderen erst gegen Ende mit kraftvollem Instrumenteneinsatz hinzu stießen. Zu richtigen Zugaberufen wollte es zwar noch nicht kommen, dennoch hat man sicher neue Fans dazu gewonnen. Lediglich den etwas höhenlastigen Sound in Verbindung mit den zu lauten Keys vom Band könnte man negativ anmerken… Peanuts.
Jetzt sollte der Electrolastige Teil des Abends mit den Hamelnern FUNKER VOGT eingeläutet werden, die hier und heute ein Heimspiel hatten. Dementsprechend war das Gedränge nun schon immens, denn jeder wollte einen guten Blick auf die vierköpfige „War Machine“ haben, die sich mit einem riesigen Backdrop und ihren typischen orange-schwarzen Keys ankündigten. Fast Punkt 22 Uhr stürmten Jens Kästel, Gerrit Thomas und die beiden Live-Musiker (wohl Frank Schweigert an der Gitarre und natürlich Björn Böttcher vom Repo Management) auf die Stage, doch was war das? Während Böttcher sich wieder im Zombi-Nuklear-Makeup präsentierte, kam Kästel mit einem unscheinbaren weißen Poloshirt daher. Klamotten vergessen oder ein subtiles Statement zur schwarzen Szene? Man weiß es nicht, jedenfalls heizte man mit den beiden Glanzstücken des aktuelles Werks, „Fallen Hero“ und „Navigator“, gleich heftig ein, dass die Leiber rotierten. Aber auch älteres Material kam zum Zuge, wobei besonders „Maschine Zeit“, „Tragic Hero“ und „Date of Expiration“ für Begeisterung sorgten. Leider kam durch technische Probleme ein klein wenig Sand ins Getriebe, denn gleich 2 mal fiel die Synthetik komplett aus, und die Funker saßen auf dem Trockenen. Jens nahm es vordergründig mit Humor und überspielte die Pausen professionell mit ein paar netten Sprüchen, aber man merkte schon, dass ihn der Verlust weiterer Spielzeit bei erlaubten 50 Minuten schon auf den imaginären Zeiger ging. Das erste Lied wurde neu angestimmt, das zweite ließ man dann einfach weg. Die Zuschauer feierten die Niedersachsen dennoch heftigst ab, und es kam dann auch zur ersten Zugabe des Abends, vom muskulösen Shouter nun oben ohne dargeboten. 60 Minuten Power-Fussball!
Fehlte also nur noch die Band ohne Merchandise aber mit neuem Label im Rücken. Kurze Zweifel, ob der Auditoriumspegel durch AND ONE noch mal getoppt werden könnte, zerschlugen sich binnen Sekunden. Das Publikum fraß dem Dreier um den topp gekleideten (Anzug und rote Krawatte) Steve Naghavi sofort aus der Hand. Im Vergleich zum Bielefelder Ringlokschuppen Gig vor knapp 2 Jahren war die Stimmung geradezu auf dem Siedepunkt, auch die komplett fehlenden Bühnenaufbauten änderten nichts daran. Just 2 Keyboarder und Steve, der vergleichsweise wenig schwafelte. Fast schade, dass man sich nicht mehr richtig bewegen konnte, auch weil die eine oder andere noch unbedingt im vorderen Bereich sitzen „musste“. AND ONE boten fast all ihre Klassiker auf, zu nennen wären hier natürlich „Deutschmachine“, „Panzermensch“, „Metalhammer“ oder „Get you closer“, die alle frenetisch bejubelt wurden, ein kleiner Fanclub rechts mittig tat sich dabei besonders hervor. Ähnlich wie bei ZERAPHINE gab es auch schon einen Vorgeschmack auf die kommenden Veröffentlichungen: Die Single „Military Fashion Show“ (erscheint 19.5.) und ein weiterer englischsprachiger Track bewiesen, dass man sich anno 2006 nicht weit von seinen Wurzeln entfernt hat. Es entfernte sich aber der rechte Tastenmann Chris Ruiz hin und wieder von seinem Gerät, um Steve beim Gesang zu unterstützen. Der optisch wie die Hobbit-Variante von Oliver Korittke daher kommender Derwisch präsentierte dann auch ganz allein „seinen“ „Fernsehapparat“. Nicht zu vergessen natürlich auch wieder die kleinen Spielereien, wenn mal ein paar Klänge von DEPECHE MODEs „Photographic“ eingebaut werden oder ein wenig aus „Sweet Dreams“ zitiert wird. Das „Sternradio“ bildete den Abschluss des regulären Teils, aber nach einer kurzen Pause ging es natürlich noch mal mit einem hochkarätigen Trio aber leider ohne MELOTRON-Gastauftritt weiter: Statt Krüger dann eben „Krieger“, „The Walk“ (ein überraschendes und sehr gelungenes CURE-Cover) und der abschließende „Technoman“ holten noch mal alles aus den verschwitzten Gesinnungsgenossen heraus. Zusätzlich gab Steve bekannt, dass man auf dem diesjährigen Amphi auftreten würde, was man für ein paar Fußball-Frotzeleien über den FC und Hannover 96 nutzte. 85 Minuten intelligenter, treibender Electro, was will man an so einem Abend mehr, der dann sofort in die New Wave Night überging, so dass viele immer noch nicht den Weg nach Hause fanden.
Fazit: Alle 4 Combos überzeugten, wobei mir musikalisch besonders AND ONE und ZERAPHINE gefielen, während DIVISION KENT insbesondere optisch überzeugten. Finanziell scheint diese Festival Clubtour auch kein Reinfall zu sein, so dass man sich schon jetzt auf die herbstliche Fortsetzung (dann u.a. mit UNHEILIG und PROJECT PITCHFORK) freuen kann. Protain hält „seine“ Bands eben auf Trab…
Copyright Fotos: Jörg Rambow
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