Ort: Bilbao
Datum: 13.07.2007
Open-Air-Konzert zum 10jährigen Jubiläums des Guggenheim-Museums
Nach dreijähriger Funkstille ist sie wieder da. Noch kraftvoller, als man es von ihr sowieso schon gewohnt ist. Am 13. Juli fand zum Anlass des zehnten Jahrestages des Guggenheim-Museums Bilbao (im spanischen Baskenland) ein Konzert der dritten Art statt. Die Kulisse hätte kaum passender sein können, um BJÖRKs einmaliges Spektakel einzurahmen. Man stelle sich als Background ein gigantisches (raum-)schiffartiges, wellenartig geschwungenes Titaniumgebäude vor. Futuristisch, fantasievoll, metallisch glänzend. Die Skulptur einer Riesenspinne davor, die an die Monster des Surrealisten H. R. Giger (“Alien”) erinnerte. Dieses fantasievolle Szenario war ganz und gar im Sinne der isländischen Musikexotin.
Wer ihre Musik kennt, wird eine Mischung aus Musikstilen von Synthiepop bis Dancefloor erwarten, begleitet von ihrer unglaublich starken wie elfenhaften Mädchenstimme. Die Worte mal gehaucht, mal aus tiefster Seele herausgebrüllt. Jedes Lied ist wie auf einem anderen Planeten angesiedelt, scheint es. BJÖRK lebt wie auf einem Mond und bring mit jedem Song neue Sounds und Melodien hervor, kreiert dabei eine ganz neue, emotionale Realität. BJÖRK ist alles, nur kein Mainstream. Für diejenigen, die sie nicht kennen, folgen ein paar Takte zu ihrer kuriosen Biographie, die von gegensätzlichen Musikrichtungen geprägt wurde. Das Spektrum reicht von Klassik bis hin zu Punk.
Björk Guðmundsdóttirs musikalische Karriere begann im Alter von elf Jahren, als sie Klavier spielen lernte. Bald darauf bekam sie einen Plattenvertrag angeboten und nahm 1977 mit der Hilfe ihres Stiefvaters ihr erstes Album mit isländischen Kinderliedern und Coverversionen der BEATLES auf. Als 16jährige mischte sie als Mitglied einer Mädchen-Punkband im Dunstkreis der Berliner Punkszene mit und unterstützte dabei die Band EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN. Später sang sie in einer Fusionjazz-Gruppe und gründete letztendlich die Band KUKL, was auf Isländisch soviel heißt wie „Hexerei“. Einige Mitglieder von KUKL gründeten eine neue Formation, die erst „PUKL“ hieß und schließlich als „SUGARCUBES“ bekannt wurde. Schon damals begann BJÖRK ihren unverkennbaren Gesangsstil zu entwickeln. Björk zog Anfang der Neunziger nach London und arbeitete mit Nellee Hooper an einer Solokarriere. „Human Behaviour“ wurde ihr erster internationaler Erfolg. Es folgte ihr Soloalbum „Debut“. Anschließend schrieb sie an ihrem nächsten Album „Post“ – wieder dabei waren N. Hooper, Tricky, Graham Massey von 808 State und Howie B. 1996 wurde das Remix-Album „Telegram“ veröffentlicht. 1997 stellte Björk Ihr Album „Homogenic“ fertig, für das sie mit Mark Bell von LFO, Eumir Deodato und Howie B zusammenarbeitete.
Im Mai 2000 erschien der Film „Dancer in the Dark“ des dänischen Regisseurs Lars von Trier in den Kinos, in dem BJÖRK die Hauptrolle als erblindenden Selma Jezkova, die am Ende wegen Mordes hingerichtet wird, spielte. Ihre Darstellung wurde in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert. Der Song „I’ve Seen It All“ aus dem Soundtrack, der komplett von ihr stammt, wurde für den Oscar nominiert. 2001 erschien das Nachfolgealbum zu „Homogenic“, „Vespertine“, das viele Facetten aus Beats und Rhythmen, dazu Inuit-Chöre aus Grönland, Klänge der Experimentalgruppen Matmos und Oval und auch eines Kammerorchesters enthält. „Family Tree“, eine Art Greatest Hits-Box, erschien 2003. Ein Jahr darauf erschien das Album „Medúlla“, bei dem die menschliche Stimme ganz im Vordergrund stand. Als Vokalisten lud sie unter anderem Beatbox-Künstler Rahzel, Mike Patton und Robert Wyatt ein. Selbst Außergewöhnliches wie Inuit-Kehlkopfgesang wurde in die Songs integriert. 2005 erschien mit „The Music from ‚Drawing Restraint 9′“ ein Soundtrack, den Björk für den gleichnamigen Film ihres Lebensgefährten Matthew Barney komponiert hatte. Björk arbeitet seit vielen Jahren mit einem verlässlichen Team an Musikern. Ehemalige Punks, wie sie stolz betont. Wahrscheinlich ein wichtiger Faktor, um die absolute kreative Freiheit als Musikerin zu erreichen, die sie tatsächlich genießt: Full artistic control über ihr gesamtes Schaffen. Ein seltenes Privileg.
So, und nun ist ihr letztes Album mit dem Namen „Volta“ erschienen, mit dem sie derzeit auf Welttournee kräftig aufmischt. BJÖRK überrascht wieder einmal mit neuen Sounds und gar einem neuartigen elektronischen Musikinstrument namens ReacTable. Es besteht aus einer Art rundem Tisch mit beleuchteter Oberfläche, auf dem verschiedenartige Würfel als Soundgeneratoren herumgeschoben werden und durch Frequenzen abgefahrene elektronische Töne erzeugen. Die elektronischen Vibrationen unterstreichen in Songs wie „Declare Independence“ kraftvoll die nonkonformistischen Parolen. Im Vergleich zu „Medúlla“ sind BJÖRKs neue Songs insgesamt instrumentaler und härter geprägt, wie bei „Innocence“. Der Song greift auf Elemente aus dem Synthiepop zurück und klingt eher martialisch. Die Beats gehen direkt in den Bauch. Björk bleibt zur Freude ihrer Fangemeinde experimentierfreudig. Man kann sie kaum in eine musikalische Schublade stecken. „Volta“ ist erneut ein kompletter Bruch mit ihrem bisherigen Schaffen.
Das Open-Air-Konzert im Bilbao war mit 10.000 treuen BJÖRK-Fans gut besucht, von der Atmosphäre her zu urteilen trotzdem intim und sehr entspannt. Die Show begann mit Feuerwerk und Laserstrahlen. Es war der Auftakt zum Song „Earth Intruders“. Eine Reise ins indonesische Tsunami-Gebiet inspirierte sie zu diesem Song. Man kann ethnische Rhythmen aus Indonesien und Afrika herausfiltern. BJÖRK hat bei diesem selbst produziertem Album auf die Mitarbeit renommierter Musiker aus verschiedenen Kulturen gesetzt, darunter die Afrikaner Toumani Diabate und Konono (Gewinner des BBC World Music Award 2006), Min Xiao-Fen mit ihrer chinesischen Pfeife, Drummer Chris Corsano (Sonic Youth) und Brian Chippendale (Lightning Bolt), Timbaland (Jay Z, Missy Elliot), Mark Bell (LFO) oder Anthony Hegarty. Und da ist natürlich noch die isländische Frauen-Metal-Band, die BJÖRK in ihren erlesenen Kreis aufgenommen hat. All dies ergibt eine bunte Mischung von ungewöhnlichen Sounds, die BJÖRK suchte: Wild, heidnisch und tanzbar. Wem die neuen technoartigen Rhythmen doch zuviel waren, der konnte bei alten fantasievollen Songs wie „Jóga“ oder „Hyper-Ballad“ aufbegehren und mitsingen.
Die Show und die avantgardistische mise-en-scène samt Feuerwerk und Lasershow waren beieindruckend, wobei Spezialeffekte ohne zu übertreiben gezielt eingesetzt wurden. Darunter wurde das elektronische Reactable-Instrument auf Großleinwände auf der Bühne als weiteren Spezialeffekt live übertragen. Doch für genug Aktion sorgte die quirlige BJÖRK ohnehin selbst, indem sie unermüdlich barfuss auf der Bühne herumtanzte und dem Publikum einheizte. Ihre Stimme drang bis zum wolkenverhangenen Himmel Bilbaos durch. Die Isländerin hypnotisierte das Publikum, steigerte sich bis hin zu einer Explosion von Farbe, Rhythmus und Tanz. Sie verabschiedete sich mit dem bejubelten „Oceania“ aus Medúlla und „Declare Independence“, einem Song, der dem Unabhängigkeitskampf der Faröer-Inseln gewidmet ist.
Übrigens ist der Titel „Volta“ nicht zufällig gewählt. Ursprünglich hatte die BJÖRK Begriffe wie „Voodoo“ und „Voltage“ im Sinn, doch sie schienen ihr zu sehr an den Haaren herbeigezogen. „Volta“ hat dagegen diverse Bedeutungen, die die Songschreiberin ganz passend für ihre Musik fand: Alessandro Volta hieß der Erfinder der elektrischen Batterie. Volta heißt auch ein Fluss in Westafrika. Und da gibt es noch „Lavolta“, ein französischer Paartanz aus der Renaissance, der nach BJÖRKS Meinung nicht leicht zu erlernen ist.
Copyright Fotos: Ingrid Karres Azurmendi
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