Ort: Bielefeld - AJZ
Datum: 16.11.2006
Besonderes Konzert, besonderer Tag. Oder wann hat man Mitte November schon mal von knapp 20 Grad Temperatur gehört? So konnte man auch am Abend noch problemlos in kleiner Bekleidung zum Auftritt der „Kult Slo Mos“ BOHREN & DER CLUB OF GORE tigern. Aus vergangenen Erfahrungen mit dem Bielefelder AJZ trafen wir erst gegen 21 Uhr ein, was im Grunde perfekt war – aber auch wieder nicht. Denn überraschenderweise war das Jugendzentrum an der Heeper Straße komplett bestuhlt und zudem diese Stühle auch fast noch komplett besetzt! Wobei das Publikum vom alternden Linksintellektuellen über junge Indies mit Schrägscheitel und Hornbrille bis hin zu Punks und NEUBAUTEN-Fans reichte. Da reihten wir uns dann mal ganz hinten an der Wand ein, von wo aus man immer noch einen guten Blick auf das Geschehen hatte.
Und das begann mit dem Support MILHAVEN aus Bochum. Jens, Hannes, Chris und Andy starten ganz unprätentiös nach einer kurzen Ansage in Rotlicht getaucht mit ihrer Performance. Ohne Gesang dafür aber mit einem sehr intensiven Sound, der an härtere SIGUR RÓS oder GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR gemahnte. Massive Gitarrenwände wechselten sich mit zarten Parts ab, in denen nur einzelne Trommelschläge oder Saitenzupfer nach Aufmerksamkeit verlangten. Das Publikum verharrte gebahnt und zugleich fasziniert, was sich in dem sehr ordentlichen Applaus niederschlug. Die Musiker spielten sich immer mehr in Trance, schienen die Welt um sie herum kaum wahrzunehmen. Dann wiederum hatte man auch mal Zeit, eine Zigarettenpause während eines Stücks einzulegen, dieser Songabschnitt schien geradezu dafür gemacht worden zu sein. Dass es sich hier nicht um Charttaugliche Musik handelt, zeigt schon, dass man mit 5 Titeln 50 Minuten Musik erzeugte. Die letzten beiden Kompositionen stammten von der brandaktuellen EP „I.M. Wagner“, welche im Anschluss als CD-R für läppische 5 Euronen vertickt wurde, der Rest des Sets wurde dem 2005er Longplayer „Bars closing down“ entnommen. Eine außerordentlich gefällige Performance einer ungewöhnlichen Formation, die auf faszinierende Art und Weise für stimmungsvolles Kopfkino sorgte. Vielleicht vor einem „stehenden“ Publikum noch besser aufgehoben, rauschartige Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen…
Gespannt wartete das zahlreiche und in dieser facettenreichen Form selten gesehene Publikum, welches von einer sehr stattlichen Anzahl bemüht intellektuell und dadurch umso arroganter wirkender Studenten, über Industrialfreaks bis hin zum normalen Spießer reichte, auf den Auftritt von BOHREN & DER CLUB OF GORE. Nicht nur die reibungslose Organisation, sondern auch die Bestuhlung des Saals, waren für Bielefelds linkeste Konzertlocation ungewöhnlich. Wer aber die düsteren Werke der Formation und das, was bei ihnen auf der Bühne passiert, kennt, versteht, warum man ihre Konzerte am besten im Sitzen genießt. Um 22:30 war es dann soweit, typischerweise war die Bühne bis auf spartanische Lichtspots abgedunkelt und somit für das Publikum nur schemenhaft zu erkennen. Das einzige, was hervorstach, war der leuchtende Totenkopf auf den Drums von Thorsten, am Bass agierte Robin und „Jobsharing“ betrieben Christof (Saxophon/ Keyboard) sowie Morten (Bass und Keyboard). Los ging es mit „Zeigefinger“, dem ersten Track ihrer aktuellen Veröffentlichung „Geisterfaust“, ein epochaler 18minütiger Track, der gleich einen schweren, aber passenden Einstieg in den Klangkosmos von BOHREN & DER CLUB OF GORE bot. Sind ihre früheren Kompositionen schon „langsam“ gewesen, haben diesen Stil sie auf „Geisterfaust“ vollendet, die Töne von „Zeigefinger“ werden förmlich aus den einzelnen Instrumenten gepresst, fast scheint es, als ob sie bewegungslos im Raum stehen, alles passiert hier in Zeitlupe. So ist auch verständlich, dass auf der Bühne kaum Bewegung der einzelnen Musiker zu vernehmen ist. Danach folgen nur noch Stücke ihren beiden Alben „Black Earth“ und „Sunset Mission“, musikalisch kann man hier fast schon von einer Tempoverschärfung sprechen, eins haben alle Tracks dennoch gemeinsam. Eine ungeheuere Intensität zeichnet sie aus, düster, melancholisch, manchmal grausam packen sie den Zuschauer, zerren ihn an Orte, an denen man geradezu Angst verspürt. Dementsprechend fallen auch die Titel der Songs aus, wie z.B. „Constant Fear“ oder „Maximum Black“. Beim Hören oder besser Erleben erscheinen einem viele Bilder vorm geistigen Auge. Gerade die Stücke mit Saxophon sorgen noch mal für eine Verstärkung dieses Effektes. Die Ansagen zwischen den Stücken vermitteln auch dem letzten, dass der Band beim Entwickeln ihrer Lieder keine Strandspaziergänge durch den Kopf gingen. Zwei Ankündigungen: „Für Leute, die sich nachts auf Friedhöfen rumtreiben“ oder „Der Song handelt davon, dass einem im Leben nichts geschenkt wird, dass muss man in Bielefeld nicht besonders erwähnen…“. Letzterer Ausspruch sorgte für Erheiterung und unterstreicht auch den Sarkasmus, den die Band vermittelt. Um beim Thema Bilder zu bleiben: „Nightwolf“ wirkte ein wenig so, als würde man sich zur späten Stunde in einer Bar aufhalten, kurz vorm Kehraus, und mit einem leeren Whiskyglas an der Theke sitzen. Der Titel des Friedhofsongs ist mir leider nicht bekannt, aber dieser Titel war durch absolute Düsterheit, stärkeren Drumeinsatz und lange, nachhallende Klänge gekennzeichnet.
Ein weiterer Ausspruch: „Wir spielen jetzt noch einen Song und dann gibt es noch eine Zugabe, weil das irgendwie ins Konzept passt“, schlussendlich wurden es dann aber zwei Zugaben. Nach rund 90 Minuten ging ein denkwürdiger Konzertabend zu Ende, welcher dem Publikum außerordentlich gut gefallen zu haben schien. Da ich soviel über Bilder gesprochen habe – ein perfekter Soundtrack für den nächtlichen Spaziergang durch ungastliche Häuserschluchten und da vorm Eingang des AJZs ein brennendes Ölfass stand, wäre dies sicher ein weiteres starkes Accessoire für einen Auftritt von BOHREN & DER CLUB OF GORE gewesen.
Setlist MILHAVEN
Look, Victory!
E. Zann
Drink a Pint of Blood a Day
Clean Room
Oh Great Pacific
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