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BRIGHTER DEATH NOW – DEUTSCH NEPAL – RAISON D´ÊTRE – BOCKSHOLM

Ort: Zürich - Werk 21

Datum: 06.01.2006

Der Terrorverlag scheut weder Kosten noch Mühen, wenn es darum geht, verhinderten oder unwissenden Musikinteressierten die Freuden rarer Ereignisse näher zu bringen. „We hate you! We destroy you!“ lautete die liebevolle Aufforderung, sich an Dreikönig nach Zürich zu bewegen, um dort einen Cold Meat Industry-Abend der Extraklasse mitzuerleben. In Zusammenarbeit mit Totenlicht (www.totenlicht.ch) und dem Knochenhaus (www.knochenhaus.ch) hat sich CMI-Mastermind Roger Karmanik entschlossen, ein paar seiner mitschwedischen Schäfchen einzusammeln und sie ins neutrale Ausland zu verfrachten, damit sie dort ihr „Kamikaze Kabaret“ aufführen konnten – eigentlich handelt es sich bei dem Titel um den der aktuellen BRIGHTER DEATH NOW Veröffentlichung, aber war wohl Motto des ganzen Auftritts der drei Chaoten. Man sollte das Kleingedruckte, bzw. die Rückseite von Flyern (die übrigens sehr stylish waren) lesen, dann hätte man sich wohl auf einige Überraschungen besser vorbereiten können…

Andreas Jufer, seines Zeichens Oberhaupt der Totenlichter, hat mit seinen Veranstaltungen schon öfter Herzrasen bei mir verursacht (siehe Auftritte von OSTARA, ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO, SPIRITUAL FRONT usw.), allerdings war ich leider bis dato stets verhindert diese zu besuchen, seit ich im Süden Süddeutschlands Quartier bezogen habe. Diesmal musste es aber sein, luden doch Bands meines beinahe schon Lieblingslabels zum Konzert ein. Es sollte also meine Prämiere in der Schweiz werden, die kulturell auch um den Besuch der sehr beeindruckenden Füssli-Ausstellung bereichert wurde. Kurz nach 21 Uhr traf ich am Dynamo ein – direkt am Fluss Limmat in der Wasserwerkstrasse gelegen, also keine zehn Minuten vom Hauptbahnhof entfernt: überaus günstig für alle von außerhalb Anreisenden und ein großer Pluspunkt! Türöffnung war unwesentlich später, und ich denke auch, dass sich die Sorgen des Organisators, es würden kaum Leute kommen, schnell zerstreuten. Es war zu keinem Zeitpunkt berstend und/ oder klaustrophobisch voll, allerdings war das Werk 21, also quasi der Dynamo-Keller, stets gut gefüllt.

Den Eintrittspreis von 20 Euro VVK, bzw. 23 Euro AK fand ich in Ordnung, und wer wollte, konnte sich mit Merchandise der auftretenden Bands, anderen CMI-Artikeln, sowie Totenlicht-Waren eindecken und in diesem Zusammenhang auch Small Talk mit diversen Musikern halten. Was mir noch aufgefallen ist, wäre wohl der relativ ausgeprägte Cannabiskonsum, den ich aus Deutschland einfach nicht gewohnt bin. Daher wundert es mich, dass ich auf meinem Heimweg von keiner Grenzkontrolle angehalten wurde – ich hätte ihr keinen Vorwurf machen können, da ich schon bei Gegenwind und zehn Meter Entfernung erbärmlich stank. Egal, zurück nach Zürich: die Atmosphäre war vom, ähem, Rauch abgesehen sehr angenehm, zur Einstimmung lief im Konzertsaal z. B. COPH NIA. Jener Saal war recht übersichtlich, ich tippe auf zehn bis fünfzehn Meter Länge und etwa halb so breit; die Bühne war unwesentlich erhoben und bis auf das einzusetzende Equipment ungeschmückt, wenn man vom weißen Laken im Hintergrund, der Projektionsfläche für den Beamer absieht.

Auf zum ersten Projekt, das wenig später als 22 Uhr die Bühne enterte: BOCKSHOLM heißt die Kollaboration von Peter Andersson (RAISON D’ÊTRE) und Peter Andersson, aka [so werde ich ihn auch im Folgenden nennen] Lina Baby Doll (DEUTSCH NEPAL). Die beiden Schweden heißen nicht nur gleich, sondern sind auch im selben Kaff, eben Bocksholm, geboren. Ihr gemeinsames Projekt ist jedoch nicht als Hommage an ihre Jugend zu sehen, sondern als Abrechnung: dort ansässige auslaugende Fabriken und erhöhter Alkoholkonsum der Einheimischen hinterließen verarbeitungswürdige Spuren. Andersson nahm hinter Tisch und Laptop Platz, nippte von seinem Dosenbier und übernahm wohl seinen Teil des Duos. Lina hatte seine Utensilien weiter vorn aufgebaut: Mikro, Regler, MD-Player und Tapes. Auf das Laken wurden zum Thema des Projekts passende und interessante Bilder geworfen, Filmszenen, die u. a. Fabrikarbeit(er) und Metallessen darstellten. Über RAISON D’ÊTRE-typische Soundteppiche legte Lina passende Rhythmen und das auch nachvollziehbar: er kurbelte z. B. an einer Spieluhr herum, nahm das über sein Mikro auf, verzerrte es schließlich und ließ es auf Schleife laufen. Oder atmete schwer ins Mikro. Oder knallte harte Objekte auf irgendwelche technische Gerätschaften – ein Vorgehen, das wahrscheinlich die Lebensdauer besagter Teile massiv verkürzte, aber dadurch entlockte er eben BOCKSHOLM-kompatible Geräusche. Etwa nach einer kurzweiligen Dreiviertelstunde befand ich, dass BOCKSHOLM gut, aber nicht weltbewegend sind. Solide toben sich zwei Könner aus, und dabei kann man eigentlich kaum etwas falsch machen.

Anschließend betrat Andersson wieder die Bretter, und die Projektion führte das vorherige Thema quasi fort: nun bereicherten Bilder von heruntergekommenen Fabrikruinen den Auftritt. Ich tippe auf einen selbstgedrehten Film, denn die Aufnahmen waren zwar gut, aber sie wurden irgendwie zu schnell abgespielt. Allerdings kenne ich mich mit Filmtechnik nicht aus, daher kann ich leider nicht sagen, was man machen muss, damit es so aussieht, dass es mir gefällt. Andersson selbst agierte eigentlich wie zuvor, d. h. er saß hinter seinem Laptop und trank Bier. Sehr lange machte er tatsächlich nichts anderes, außer ab und zu unter seinen Tisch zu leuchten und irgendwelche Anschlüsse zu kontrollieren. Nebel waberte aus der Maschine über die Bühne durch den Raum und stellte somit das einzige Stageacting dar. Was erwarte ich beim Liveauftritt eines Ambientprojekts? Gute Frage, allerdings mehr vom Musiker, als sich kurz vor Ende zu erheben und mit einem Geigenbogen über ein Stück Blech zu krächzen und das dann vielleicht, vielleicht auch nicht, digital zu bearbeiten. Wie schon angedeutet: ob Andersson nun live Songs am Computer zusammengestöpselt hat, oder einfach nur ein Playknöpfchen gedrückt hatte, um ein vorbereitetes Set ablaufen zu lassen – ich habe keine Ahnung. Denn die Musik war gut, RAISON D’ÊTRE haben mir schon vorher gut gefallen, wenn es auch (wieder) nicht weltbewegend ist. Schön ruhig und getragen. Fakt ist, dass ich mir die CDs auch einfach zu Hause anhören kann, wenn ich live handwerklich nichts „geboten“ bekomme – in diesem Fall hätte ich es nicht verstanden, Eintritt zu zahlen. So ein Erlebnis wirft natürlich die Frage auf: wie soll sonst ein RAISON D’ÊTRE-Konzert aussehen? Ich bin für eine große Liegewiese (wahlweise auch Sofas…) mit Bildprojektionen an die Decke, meinetwegen noch irgendwelche Kräuter verbrennen: so kann man entspannen, sich von der Musik tragen lassen und muss sich nicht einen Menschen am Laptop ansehen. Ich kann mir vorstellen, dass ich nicht die Einzige war, die sich bis zu diesem Zeitpunkt mehr vom Abend versprochen hat und daher auch die Konsequenz gezogen hat, einfach nach der Hälfte zu gehen. Allerdings ist jenen einiges entgangen.

Es kam ja noch Lina mit seinem Projekt DEUTSCH NEPAL, der mir rein musikalisch schon vorher gut taugte. So wie Andersson eigentlich stets mit Bier anzutreffen war, hatte Lina immer eine Kippe im Mundwinkel hängen. Außerdem wirkte er auf mich so, als wäre er eigentlich der Einzige der drei Schweden, der tatsächlich handwerklich etwas an dem Abend geleistet hatte – aber zu diesen bereichernden Details später mehr. Lina hatte wieder seinen Tisch mit Reglern und Knöpfchen zur Verfügung, betätigte die zu Beginn des Sets ausgiebig und positionierte sich dann hinter das Mikro, in das er zur Abwechslung Worte und Texte sang. Und auch die Lakenleinwand blieb nicht ungenutzt: ausgestrahlt wurde irgendein 70er Jahre Sexfilmchen mit schwedischen Untertiteln – was das Ganze schon wieder kultig machte. Wenn ich mich auf meine rudimentären Schwedischkenntnisse verlassen kann, ging es wohl um irgendwelche sexuellen Phantasien, die ein Regisseur gern illustrieren wollte. Also tummelten sich verschiedene masturbierende Frauen und diverse kopulierende Pärchen auf dem Laken. Hinter mir unterhielten sich zwei, der Dialog ging ungefähr so: „Was soll der Film?“ – „Keine Ahnung, vielleicht weil er sich diesmal nicht selbst auszieht.“ Tatsächlich lebte Lina seine exhibitionistische Ader nicht aus, auch nicht als die Stromversorgung zweimal während des Sets ausfiel. Dazu animierende Zwischenrufe wie „drink more beer!“ und „get naked!“ nahm er zwar amüsiert zur Kenntnis, allerdings ging er nicht auf den Wunsch des Publikums ein. Gelassen drehte und drückte er nochmals sein Soundgerüst zurecht und intonierte dann weiter seine Songs. Der Auftritt des sympathischen Schweden hat mir sehr gut gefallen und mich darin bestätigt, sein Schaffen weiter zu verfolgen.

Aber wenden wir uns nun dem unbestreitbaren Höhepunkt der Nacht zu: BRIGHTER DEATH NOW. Nach einer Umbaupause (die den Namen zur Abwechslung auch verdient hat) war das weiße Laken von einem schwarzen BDN-Banner verdeckt und am vorderen Rand der Bühne war die Aufforderung „DESTROY“ in einzelnen Lettern aufgehangen. Um den folgenden Teil des Auftritts einigermaßen nachvollziehen zu können, sollte man sich evtl. darüber im Klaren sein, dass das Projekt um CMI-Inhaber Karmanik definitiv keine Musik für Kindergeburtstage macht. Entweder man findet die befremdlichen Geräusche einfach nur krank und überflüssig, oder (wie ich) ziemlich genial. Wenn man mit letzterer Einstellung und einem erweiterten Kunstverständnis an die Performance der Schweden heran geht, dann hätte man sich auf ein durchaus gelungenes und sehenswertes Erlebnis einstellen können. Lina unterstützte Karmanik live, indem er auf einem E-Bass herumschrubbelte und diese Klänge gleich per Treten einiger Pedale und Tasten am Boden zu seinen Füßen manipulierte, bevor sie aus den Boxen dröhnten. Sein Kollege schnappte sich das Mikro und legte los: bedrohlich und düster waberte die Musik von BDN durch den Keller und sie war der rote Faden, der sich auch noch durch das Kommende zog. Karmanik röchelte z. B. „I want to throw up“ in sein Mikro und illustrierte dieses Vorhaben dadurch, dass er sich die Hand (vermutlich) bis zum Zäpfchen in den Rachen schob – was nachvollziehbarerweise das Publikum vor seiner Nase teilte wie der sprichwörtliche Mose das Rote Meer. Oder er schlang das Mikrokabel um die Hälse von diversen Fans, zog zu und sang weiter. Oder sprang von der Bühne und unterschritt zweifellos die Individualdistanz von nicht nur einem, um Stirn an Stirn mit diesem weiter zu singen. Verstehen wir uns nicht falsch: all das ist für mich noch im Rahmen eines erweiterten Kunstbegriffs zulässig, Bestandteil der Performance. Niemand wurde verletzt oder zu etwas gezwungen; wer nicht wollte, konnte ein paar Schritt zurück und ich behaupte, dass Karmanik das akzeptiert hat und sich statt dessen mit denen weiter beschäftigt hat, die sich ihm geradezu hörig und entrückt (ich formuliere das Erlebte etwas jugendfreier) entgegen warfen – und davon gab es auch einige.

Allerdings versiegte meine Begeisterung jäh, als Andersson unvermittelt wieder die Bühne betrat und sich mit den Worten „surprise!“ erneut der Scheinwerfer übergab: nicht mehr in schwarzen Jeans und RAISON D’ETRE-Shirt bekleidet. Über seine Unterhosen hatte er eine geringelte und zusätzlich noch eine pinkfarbene Netzstrumpfhose gezogen, seine Füße steckten in phänomenalen Lammfellschühchen und darüber hatte er ein hüftlanges Blümchenkleid an. Karmanik und Lina nahmen das Ganze erstaunlich nüchtern hin, und schon diese Reaktion hätte mich (wie die Flyerankündigung) auf das Kommende vorbereiten können. Nach kurzem Lagesondieren auf der Bühne, machten die drei einfach weiter. Andersson wackelte mit seinem Hinterteil und kam einem exhibitionistischen, sowie masochistischen Drang nach, deren Auslöser ich allerdings nicht zu definieren vermag. Zwei Fragen drängen sich mir auf: 1. Wie viel (wohl verhältnismäßig billigen schweizer) Alkohol hatten die Schweden schon intus? 2. Brauchten sie überhaupt Alkohol, um sich so zu verhalten, wie sie es getan haben? Lina war kurz von der Bühne verschwunden, um sich dann weiter dem Bassbearbeiten zu widmen, diesmal jedoch barfuss und in einem knielangen, braunen Fellhöschen mit baumelndem Hundeschwanz. War das das angekündigte buchstäbliche „Kamikaze Kabaret“?

Ab dem Betreten der Bühne durch Andersson ist für mich der Abend gekippt – ich verlange nicht von Dark-Ambient-Elektro-Künstlern, dass sie zum Lachen in den Keller gehen oder permanent mit einem imaginären Strick um den Hals durch die Gegend laufen sollen. Jedoch erwarte ich als Fan etwas anderes von einem Liveauftritt als ein orgiastisches Besäufnis. Das eigentlich Ärgerliche am BDN-Auftritt für mich war schon angesprochener roter Faden: die Musik war eben durchgehend tadellos und hätte ich die Augen geschlossen, wäre ich rundum zufrieden gewesen. Aber ich gehe eben auf Konzerte, um die Musiker dazu zu sehen (wenn sie nicht gerade biertrinkend am Laptop sitzen) und mit Gleichgesinnten ihre Kunst zu genießen. Die drei Schweden nehmen weder Leben noch Tod zu ernst, haben sie irgendwann mal verlauten lassen, was ich auch legitim finde. Genau so ihre Selbstironie – denn sie ist der einzige Grund, weshalb ich zumindest BDN und DEUTSCH NEPAL noch als Künstler akzeptiere. Ich gönne Künstlern ihren Spaß und dass sie einen (in ihren Augen) gelungenen Abend haben, allerdings kann ich mir jetzt z. B. nicht mehr ernsthaft RAISON D’ETRE anhören: vor seinen Auftritten war ich fasziniert von der düster-schwermütigen Stimmung, aber wenn Andersson sich öffentlich derart verhält, hat er jeglichen Respekt verspielt, den ich gegenüber aufgrund seiner guten Musik glaubte zu haben.

Ich weiß leider (oder Gott sei dank?) nicht, wie die Schweden ihren Auftritt beendet haben, da ich irgendwann beim besten Willen keine Nerven mehr für das Kasperletheater vor mir hatte. Ca. zehn Minuten vor Ende bin ich an die frische Luft geflüchtet. Warum die musikalische Untermalung der Aftershowparty neben VON THRONSTAHL, IN SLAUGHTER NATIVES u. a. allerdings teilweise auch noch aus BDN bestand, ist mir nicht ganz klar. Ich meine, so gut sie musikalisch sind, aber nach Liveauftritten habe zumindest ich erst mal genug von jeweiligen Bands – ungeachtet ihrer Performance. Offiziell sollte die Party wohl bis vier Uhr morgens gehen, allerdings habe ich mich definitiv später auf den Rückweg zum Hauptbahnhof gemacht. Rückblickend bereue ich den Abend beileibe nicht, im Gegenteil. Allerdings verstehe ich jetzt wohl besser Herrn Jufers skeptischen Gesichtsausdruck, als ich vor dem Konzert zu ihm sagte, wahrscheinlich würde mich der Blitz treffen, wenn ich diesem Datum ignorant in einer Kneipe säße und diesem einmaligen Event in Zürich fernbliebe. „Wenn du meinst …“ entgegnete er nur kryptisch und vielleicht hätte auch das mir ein Omen sein sollen.

Copyright Fotos: Daniele Cerami

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