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BUNDESVISION SONG CONTEST 2006

Ort: Wetzlar - Mittelhessenarena

Datum: 09.02.2006

Stefan Raab scheint die Formel gefunden zu haben, Scheiße in Gold zu verwandeln. Egal was der bauernschlaue Ex-Metzger auch initiiert, immer sind ihm hohe Einschaltquoten und fettes Merchandising sicher. Neben seinen semikomischen „Sport Events“ installierte er 2005 zum ersten Mal den sogenannten Bundesvision Song Contest als „Gegenveranstaltung“ zum schnarchigen Euro Grand Prix. Das Konzept ist so simpel wie genial: Jedes Bundesland ist mit einem Künstler vertreten und tritt per Telefon Voting gegen den Rest der Republik an. So kann man regionale Identität mit spannendem Wettkampf verbinden, zudem hat auch die Plattenindustrie was davon. Seit einigen Jahren ist deutsche Musik ja wieder in, manchmal sogar qualitativ gut, und ich rede nicht von Max Mutzke. Interessant zu sehen, wie die Phonoindustrie auf den Zug aufgesprungen ist und schon im 2ten Jahr massiv Werbung mit dem Contest macht. Da werden Newsletter ohne Ende verschickt und sogar Sticker mit dem dazugehörigen Logo auf CDs gepappt. Raab als Qualitätssiegel, na danke.

Da sich JULI im Vorjahr durchsetzen konnte, wurde die Veranstaltung nun in Hessen angesetzt, genauer der Mittelhessenarena in Wetzlar. Fahrtechnisch noch zu vertreten war unsere einhellige Meinung, und da ich schon immer mal hinter die Kulissen so einer Sendung schauen wollte, wurden flugs Karten geordert. Doch halt – „flugs“ war nicht, denn schon der Vorverkauf gestaltete sich immens schwierig. Zunächst dauerte es ewig lange, bis die Karten erhältlich waren, dann gab es sie nur auf der Hallenseite, zuguterletzt haute einen der Preis aus den Latschen. 60 Euro plus Gebühren, dafür kann ich mir ein komplettes Gruft Festival über mehrere Tage reinziehen. Aber egal, Augen zu und durch, einmal muss man sich im Leben ja auch mal was gönnen. Doch sogar der eigentliche Bestellvorgang zeigte nicht den gewünschten Erfolg, denn man sollte zur endgültigen Bestätigung noch seine Telefonnummer hinterlassen. Habe ich ja noch nie erlebt, das imaginäre Kopfschütteln nahm immer mehr zu. Die Nervosität auch, denn ab Donnerstag gab es nur noch Stehplatzkarten, nichts für Leute in unserem Alter. Der eigentliche Rückruf ließ dann aber bis Mitte nächster Woche auf sich warten, aber immerhin kam er…

Dann war der ominöse Donnerstag gekommen, und natürlich fiel ausgerechnet an diesem 9ten Februar wieder Schnee. So machten wir uns denn bereits gegen 16 Uhr auf in den Süden, dem Wetter und Berufsverkehr trotzend. Eine grausame Fahrt nahm ihren Lauf: Stau auf der A2 – Ausweichempfehlung A33, A44 – erste heftige Schneefälle – A45 (Sauerlandlinie) – 10 km Stau, die Fahrbahn immer glatter, die Stimmung immer nervöser. So kam es, dass wir für eine Strecke von eigentlich 240 km über 4 Stunden benötigten, aber zu unserem eigenen Erstaunen noch kurz vor Sendebeginn an der Mittelhessenarena eintrafen. Vom Parkplatz zur Halle ge“wetzt“ wurde uns zunächst mal ohne Pardon die Kamera abgenommen und zu einer Riesenmenge an konfiszierten Parfumfläschchen gestellt. Dann die nächste negative Überraschung: Da Sekunden vorher mit der Live-Übertragung begonnen worden war, durften wir (und einige andere Nachzügler) zunächst nicht an unseren Platz. So mussten wir uns dann bis zum Trailer in den Pro7-Nachrichten (dem Privatfernsehen sei dank!) gedulden, bis wir hektisch von bulligen Securities hineingeführt wurden. Zeit zum Durchatmen, Zeit zur Orientierung…

Die Halle, in der sonst der Handballverein HSG Wetzlar seine Heimspiele austrägt, wirkte doch verdammt klein, und vor allem blieben einige Plätze den ganzen Abend über leer, ob es am Wetter lag? Wir waren sozusagen hinten links untergebracht, knapp über dem SEEED-Fanblock und jenseits der Kamera-Arme. Also keine Chance auf Grimassenschneiden für Oma und Opa, keine Gratiswerbung für den Terrorverlag (Shirt!) vermaledeit… An allen 4 Ecken der Location waren Grossbildleinwände angebracht, so dass man einen guten Blick auf die Dinge hatte, die nun langsam ins Rollen kamen. Stefan Raab und seine thüringische Co-Moderatorin Janin Reinhardt befanden sich auf einer Plattform am anderen Ende der Halle, überraschenderweise reduzierte er seine Rolle aufs kurze Stichwortgeben, kaum Witzeleien, das Ganze wirkte eher ein wenig unsicher und steif. Derweil stapften Mitarbeiter des Produktionsteams durch die Reihen und versuchten den meist jungen Zuschauern Deutschland-Aufkleber aufzupappen. Du bist Deutschland? NO WAY. Ach ja, Elton war auch da und durfte backstage mit den Künstlern ein paar Witze reißen. Dann ging es mit der ersten von 16 Musikeinlagen los, allesamt von kurzen, eher nichts sagenden Trailern über Bundesland und Bandleute eingeläutet. Den Anfang machten ausgerechnet die Vertreter meiner „Heimat“, AK4711.

Die Mädelstruppe (beheimatet auf dem Grönemeyer-Label) startete immerhin mit ihrem besten Song, der Satire „Kein schönerer Land“. Doch der Auftritt ging irgendwie ein wenig daneben. Nicht nur, dass es sich hier nahezu um Vollplayback handelte*, auch die Ausstrahlung der Pop Rockerinnen hielt sich doch arg in Grenzen, noch dazu hatten sie so ziemlich den kleinsten Fanclub aller Konkurrenten. Danach dann der jüngste Teilnehmer im Feld: MARLON für Niedersachen, den wir noch vor kurzer Zeit als Support von CHRISTINA STÜRMER „ertragen“ mussten. Immerhin schien der überaus schlecht frisierte Jüngling wirklich live zu singen, das gab doch schon mal einen Pluspunkt. Schon wurde wieder die Bühne geräumt, was immer dann geschah, wenn der Spot auf die Zwischenansagen von Raab und Kollegin gelegt wurde. Dabei musizierten die Acts mal nach links und mal nach rechts auf der kreisrunden Bühne. Es dauerte nicht lange, und die musikalisch wohl außergewöhnlichste Formation war an der Reihe: Die Mittelalter Metaller IN EXTREMO gingen für Thüringen ins Rennen und hatten immerhin eine abgespeckte Version ihres Tour Backdrops (ein Schiff) und etwas Feuerzauber mitgebracht. Leider hätten Micha und Co. viel mehr aus ihrem Auftritt machen können, wenn nicht sogar müssen. Abgesehen davon, dass „Liam“ nicht gerade ein Highlight ihres Schaffens darstellt (der Refrain ist schon ein wenig langweilig zu nennen), musizierte man meiner Meinnung nach auch noch im Vollplayback*. Haben das Rampensäue ihres Schlages nötig? Jeder, die sie schon mal live gesehen hat, weiß, was sie für eine Stimmung entfachen können. Die Leute schienen dennoch recht angetan zu sein, was sich am gesteigerten Applaus ablesen ließ.

Zwischendurch wurde natürlich auch mal Werbung gemacht, und wer schon immer mal wissen wollte, was sich dabei in der Halle abspielt, dem sei gesagt, dass zur allgemeinen Belustigung alte „Raab in Gefahr“-Klassiker abgespielt wurden. Die Mc Donalds-Geschichte sorgte dabei für die meisten Lacher im Saal. Später bemühte sich dann immer wieder ein immens „wichtiger“ Aufnahmeleiter, für Ordnung in den Pausen zu sorgen. Die genaue Länge der Unterbrechung wurde angegeben und damit gedroht, dass danach niemand mehr hineingelassen würde, was zum Leidwesen einiger Trödler auch eingehalten wurde. Doch weiter im Teilnehmerfeld, gehen wir die Sache mal leicht unchronologisch an. Da war die bezaubernde TONI KATER mit ihrer Begleitmannschaft für Sachsen-Anhalt, die ihre neue Single „Liebe ist“ präsentierte. Der Song ist übrigens in leicht abgewandelter Form auf ihren BEIDEN Alben enthalten. Sehr stimmungsvoll, wenn es sich mir auch nicht gleich erschloss, warum alle in weißen Fechtanzügen auf der Bühne standen. Meine Sitznachbarin kam dagegen eher ins Grübeln, als ich den Text lauthals mitgrölte… REMINDER traten mit ihrem Pop Emo Rock fürs kleine Saarland an und wären dort vielleicht besser auch geblieben. So etwa Schülerband-Niveau, aber immerhin nette Frisuren. DIE RAKETEN wirkten extrem gelangweilt und steuerten folgerichtig auch das langweiligste Stück des Abends bei. Die MASSIVEn TÖNE hatten ungeachtet ihres wenig terrorkompatiblen Genres einen gut choreographierten Auftritt, und die Swing-Sequenz am Ende konnte durchaus unterhalten. DIANE (Ex-LEMONBABIES) war niedlich wie immer, wenngleich „Hast du kurz Zeit?“ nicht gerade mein Lieblingssong der Rothaar-Diva ist. 200 SACHEN wollten ultracool rüberkommen, aber schon ihre überall herumfliegenden Aufkleber wirkten auf mich eher abstoßend. Die SONYBMG-Band kommt im Paul Breitner-Gedächtnislook daher (Copyright auf diesen Ausdruck: plattentests.de) und verbindet Groove, NDW und seichten Punk zu einem leidlich spannenden Cocktail. Dagegen kamen die Brugger-Brüder TIPTOP wirklich locker aus der Hose, wenngleich ihr gleichnamiger Song latent nervig klingt. Dafür aber tolle Bühnenshow und kultiges Outfit. Erwartungsgemäß grausam ein gewisser OLESOUL (Ole van Beust?) aus Hamburg, mit einem radebrechenden Soul-Love-Song. „Hamburg & Cologne“? Wie schlecht ist das denn? Richtig gut dagegen Jan Plewka mit seiner neuen Truppe TEMPEAU für Schleswig-Holstein. Nach SELIG und ZINOBA ein weiteres viel versprechendes Projekt des Ausnahmekünstlers, der hier vom Schauspieler Marek Harloff unterstützt wird. Komplett live und ein wenig räudig eingespielt überraschten hier vor allem die Bilder von kopulierenden Hasen als Beiprogramm…

So, es fehlen noch PYRANIA aus Mecklenburg-Vorpommern, eine Art Hardcore TIC TAC TOE Variante mit Girlie-Straßen-Charme und dann das strategisch günstig platzierte Schlusstrio: REVOLVERHELD (Bremen), NADJA BENAISSA (Hessen) und SEEED (Berlin) ganz am Ende. Schon etwas auffällig, diese 3 Vorabfavoriten als letztes musizieren zu lassen. Jedenfalls konnten die „hübschen Rocker“ aus Norddeutschland mit ihrer wirklich gelungenen Single „Freunde bleiben“ ebenso zum Favoritenkreis gezählt werden wie der Ex NO ANGEL Nadja mit einer gefühlvollen, sehr gut gesungenen Nummer. Natürlich nicht mein „cup of tea“, was aber für SEEED in noch gesteigertem Maße galt. Vorab gab es ja eine gewisse Diskussion im Netz, wie live die Multikulti-Truppe denn nun agieren würde, mein Eindruck: Die Sache kann nicht endgültig geklärt werden…* Allerdings war bereits jetzt abzusehen, dass ihr „Ding“ zu den Favoriten auf den Gesamtsieg zählen würde. Und nach einer weiteren Werbepause erklärte das Moderatoren-Duo dann mehr schlecht als recht das Procedere der Abstimmung. Eigenartig vor allem die Handy-Geschichte: Müsste man nicht als Ursprungsland seine Heimstatt auswählen anstelle des augenblicklichen Aufenthaltsortes? Was macht dann die Mallorca-Fraktion? Für NRW abstimmen? Na ja, so richtig ernst nimmt die Geschichte ja eh keiner, zur Überbrückung durfte jedenfalls Vorjahressieger JULI unter tosendem Beifall mal wieder eine „Geile Zeit“ verkünden.

Und dann gab es die vom Euro Grand Prix so beliebten Schaltungen in die einzelnen Bundesländer zur Urteilsverkündung. Überall waren kleine Contest Parties organisiert worden, die unter der Schirmherrschaft von landesansässigen Lokalradios standen. Mehr oder weniger bekannte Radiomenschen durften dann auch mehr oder weniger launige Kommentare ablassen. Neben verdrogt wirkenden Gutmenschen und aufgedrehten bauchfreien Girlies zur Deko durfte natürlich in Niedersachsen Ministerpräsident Christian Wulff nicht fehlen, der sich anscheinend für keinen PR-Gag zu schade ist. Wir werden ihn mal zum nächsten Terrorfestival einladen… 2 oder 3 mal gab es auffällig geschmacklos-witzige Sprüche auf die Ohren, Zitate: „Hier ist eine Stimmung wie vor Dänemarks Botschaft, hier brennt der Baum“ oder an Sonja Kraus (im Studio Bayern) gerichtet „Heute habe das erste Mal eine Hose an, wenn ich dich sehe…“. Punktemässig passierte das Erwartete. Musikalisch Hochwertiges wie TEMPEAU oder TONI KATER bekam kein Bein auf den Boden. Mit Ausnahme von NRW (nur 5 Punkte für AK4711) und Sachsen (DIE RAKETEN erhielten immerhin 10) vergaben alle Teilnehmerländer für ihren jeweiligen Beitrag die Höchstwertung von 12. Hessen bekam entweder 5 oder 6 Zähler und ganz oben waren immer Berlin, Bremen und Thüringen zu finden. REVOLVERHELD, SEEED und IN EXTREMO machten also die Sache unter sich aus, wobei sich gegen Ende die Hauptstädter dann doch absetzen konnten. Grund genug für uns, dasselbige zu tun, denn noch mal mussten wir uns das Gehüpfe nicht antun…

Wer jetzt gedacht hatte, die Rückfahrt würde lockerer verlaufen, sah sich alsbald getäuscht. Schneewehen auf der A45 und marodierende Lasterfahrer mit hochbrennbaren Stoffen sorgten für ein weiteres, endloses Abenteuer. Wenn man’s genau nimmt, waren die Begleitumstände eigentlich spannender als die eigentliche Kultursendung, aber nichts anderes hatten wir erwartet. Wir waren dabei, es war teuer, und den meisten Repräsentanten der Zielgruppe 15-49 hat es sicher gefallen. Im nächsten Jahr dann mit BLUTENGEL für Berlin, WUMPSCUT (Bayern), MELOTRON (Mecklenburg-Vorpommern) und natürlich FEINDFLUG als Aushängeschild Sachsens… Medusa und DJ Günther moderieren!

Endergebnis Bundesvision Song Contest 2006
1. SEED – 151
2- REVOLVERHELD – 136
3. IN EXTREMO – 134
4. NADJA BENAISSA – 104
5. OLESOUL – 70
6. MARLON – 59
7. TIPTOP – 53
8. PYRANIA – 50
9. MASSIVE TÖNE – 47
10. DIANE – 35
11. TEMPEAU – 26
12. 200 SACHEN – 18
13. REMINDER – 17
14. TONI KATER – 12
15. DIE RAKETEN – 10
16. AK4711 – 6

* Nach Begutachtung der Fernsehaufnahmen des Abends müssen die Playback-Aussagen ein wenig relativiert werden, denn der Sound vor Ort war offensichtlich ein anderer als an den Bildschirmen! Während in der Halle beispielsweise bei AK4711 und IN EXTREMO kein Live-Feeling aufkam, konnte man die Stimmen im TV deutlich vernehmen. Was allerdings keinen Pluspunkt darstellt, denn die Abmischung hatte ihren Namen nicht verdient!

Copyright Fotos: ProSieben

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