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CURSIVE – CONSTANTINES – TIGER LOU

Ort: Münster - Gleis 22

Datum: 02.03.2004

Das junge Talent kommt nach Münster und wer ist man schon, dem Rufe nicht zu folgen? Ich jedenfalls verdrücke in aller Eile noch ein paar Scheiben spärlich belegten Toasts und erreiche das Gleis gerade rechtzeitig, um noch die drei letzten Songs des Sets von TIGER LOU mitzubekommen: Wie Bono als Buddhist steht Rasmus Kellerman auf der Bühne, dürr und mit hängenden Schultern, doch die Musik und diese empfindsame, doch niemals weinerliche Stimme dringen in die entferntesten Winkel des wieder einmal prall gefüllten Saals. Feiner Singer-Songwriter Pop ist das, mal alleine zur Akustischen vorgetragen, mal in Begleitung eines Mädchens, das so klein ist, dass es hinter dem Mikrophon und den dicht gedrängten Köpfen der Zuschauer beinahe vollkommen verschwindet und in den sich gegenseitig umspielenden Linien des eng umschlungenen Harmoniegesangs klingen die besten Momente aus einer jahrhundertealten Folktradition an. Zu schüchtern fürs Radio, zu wenig rührselig für die Eroberung von Frauenherzen und zu hässlich für die Posterwand wird Kellerman aber wohl eher kaum in Kürze die Titelseiten der Musikgazetten dieser Welt schmücken.
Ich stehe während des größten Teils des Abend an die Tür angelehnt, gleich am Merchandisingstand und es fällt auf, was dort für ein reger Betrieb herrscht. Neben den altbekannten T-shirts, winzigen, zum Freundschaftspreis dargebotenen Buttons und CDs gibt es dort auch eine wunderschöne, wie ein Buch anmutende, Ausgabe des „Persona Non Grata“ Magazins, in welches ein Tape des Saddle-Creek Labels eingearbeitet ist zu kaufen und die zahlreichen Fans kommen nicht nur für die Gimmicks und verschiedenste, exklusive Artikel, sondern auch immer wieder mal für einen ausgiebigen Plausch mit Verkäufern, Bandmitgliedern oder Freunden aus dem Umfeld der Musiker. Es fällt an diesem Abend wieder einmal auf, wie viele unterschiedliche Leute sich an diesem Ort zusammenfinden und es riecht nicht nur nach Bier und Kippen, sondern zudem äußerst intensiv und betörend nach Cool Water (dem blauen, selbstverständlich). Der Umgangston ist stets freundlich und familiär: Überall fallen sich Leute in die Arme, als seien Jahrzehnte seit dem letzten Treffen vergangen und ein zerbrechlich und artig aussehendes Mädchen entschuldigt sich aus dem Grunde, dass sie nun kurz „pissen“ müsse.

Nach einer erfreulich kurzen Umbauphase erscheinen dann die CONSTANTINES auf der Bühne, frisch aus den USA eingeflogen und so locker gekleidet wie eine Skaterklique. Die vom einstmals die Welt regierenden SUB POP Label gerührte Werbetrommel hatte im Vorfeld genauso neugierig gemacht, wie die vereinzelten, auf Compilations oder im Netz erschienenen Auszüge aus dem Album, doch die Souveränität, mit welcher diese Band den Meriten auf der Bühne gerecht wurde, war dann doch beeindruckend. Heftig zuckend und in alle Richtungen tauchend beginnt der Auftritt und in den ersten beiden Songs gebären sich die Jungs als freundliche Irre, während die Stücke zwischen dem Wahn von JOY DIVISION und der Wut von WIRE chargieren, immer wieder nach vorne getrieben von einem elastischen Funk-Bass. Danach wird das Fenster aufgemacht und die Sonne hineingelassen, die Strukturen werden offener, die Atmosphäre entspannter und die Devise heißt nun weniger Agro, denn Alternativ. Dabei dürfen die Lieder dann schon mal ungeniert die Liebe besingen und die Gitarren ganz weich im Delay verhallen, während auf der Bühne ein sympathisches Chaos aus Mitmachanimationen und Insiderwitzen organisiert wird, in denen kollektiv in die Höhe gerissenen Arme, ein unerwarteter Wechsel am Mikro und eine Polizeisirene zum Einsatz kommen und alles in ein augenzwinkerndes Mitgrölfinale mündet. Überzeugender Auftritt, auch wenn das (gekonnte) Chargieren zwischen Hell und Dunkel den Hörer leicht verwirrt zurücklässt. Die CONSTANTINES zeigen sich dann gleich im Anschluss als volksnahe Musikliebhaber, denn nicht nur mischen sie sich unter die Besucher, um dort mit Interessierten über die noch andauernde Tournee oder das Verhältnis zwischen den USA und Europa zu diskutieren, darüber hinaus hören sie sich den als Höhepunkt des Abends angekündigten, zentralen Auftritt von CURSIVE komplett und aufmerksam an.

Am Verkaufsstand war bereits zu vernehmen gewesen, dass die Band gerade in Berlin einen größeren Club gänzlich ausverkauft habe und die Freundschaft zu Connor Oberst hat der Band sicherlich keinen Schaden zugefügt, was den Bekanntheitsgrad anbelangt. Dass es plötzlich im hinteren Bereich des Ladens mehr Platz gibt, liegt demnach nicht daran, dass sich das Publikum aufgrund mangelnden Interesses aus dem Staub macht, sondern daran, dass es sich eng auf eng direkt vor der Bühne massiert. Trotz des generellen Interesses waren die Meinungen zum letzten Album „The Ugly Organ“ eher gespalten gewesen, was aber wohl eher am Schubladendenken und der fehlenden Kreativität im Lager der schreibenden Zunft, denn am Werk selbst lag. Unspektakulär und beinahe geistesabwesend schlurft die Band auf die Bühne, doch was dann folgt, ist alles andere als genügsam oder unscheinbar. Tim Kasher, visuelles Zentrum und Sänger der Band, hat ständig diesen Jack-Nicholson Blick aus „The Shining“ in den Augen und würde man nicht genau wissen, dass es sich dabei um Wein handelt, würde man die Flüssigkeit in dem Glas, welches Kasher regelmäßig dem Publikum zum Gruße entegegenstemmt, für reinen Whiskey halten. Über diese Stimme und ihre Ähnlichkeit zu der Robert Smiths ist bereits viel geschrieben wurde, doch live fällt noch einmal auf, das sie erstaunlicherweise um so genauer den Ton trifft, je exaltierter sie angesetzt wird und dass das Timbre näher an einer schizophrenen Paranoia, als an der Hysterie liegt. Die Songs sind beinahe ebenso exzentrisch, brachial rockend zuweilen, doch mit vielen sperrigen, ja beinahe progressiven Passagen in den Arrangements und wenn es einer Band gelingt, zu diesen Klängen ein Publikum beinahe ausnahmslos zum Tanzen zu bringen, muss etwas Besonders an ihr sein. Nach einem atemlosen Set gibt es natürlich zum ersten Mal heute eine Zugabe, die mit wilde groovenden Punk beginnt und einem dahingerotzten „The Worst is over“ endet. Danach rufen noch Viele nach mehr und der Vorhang bleibt aufgespannt, doch könnte man sich ein passenderes Ende für diesen Abend denken? Ich verschwinde in der Kühle der Nacht, doch die Bilder bleiben: Drei junge Talente mit drei völlig verschiedenen Ansätzen und der großen Welt vor Ihnen – Wann wird man sie wieder zusammen in einem Raum sehen?

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