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DAS 80er FESTIVAL 2006 (ALPHAVILLE – HOWARD JONES – SANDRA – LIMAHL – BAD BOYS BLUE)

Ort: Dortmund - Westfalenhalle 1

Datum: 17.06.2006

Wenn es eine Zeit gibt, der man musikalisch hinterher trauern kann, dann sind dies sicherlich die 80er, vor allem, wenn man Fan elektronischer Klänge war bzw. ist. Niemals wieder hat es so innovative synthetische Sounds gegeben, wenngleich sicher auch nicht alles Gold war, was glänzte. Und so erfreuen sich sowohl entsprechende Parties als auch Künstler aus der „damaligen“ Epoche wieder höchster Beliebtheit, vielleicht nicht in den Charts aber in den Herzen der Fans. Anlass genug, ein richtiges Festival zum Thema in der Dortmunder Westfallenhalle zu veranstalten, welches so ganz nebenbei auch noch von der Fifa gesponsort wurde im Rahmen der Fanunterhaltung während der WM. Nur so konnte der fantastisch günstige Preis von 23 bzw. 28 Euro (Steh-/ Sitzplatz) erzielt werden, der trotz ordentlichen Wetters und breitem Konkurrenzangebot um die 3000 Zuschauer anlockte. Dass es sich hier größtenteils um 30 bis 50 jährige „Normalos“ handelte, die mal wieder eine Zeitreise in ihre Jugend antreten wollten, dürfte klar sein. Dazu kamen ca. 5 Grufties, ein Metaller und die Abordnung vom Terrorverlag, welche das alles dokumentieren wollte. Von vorneherein schienen ALPHAVILLE, SANDRA und HOWARD JONES die Favoriten zu sein, LIMAHL halbwegs erträglich und auf die BAD BOYS BLUE hätten wir getrost verzichten können. Leider oder auch zum Glück (da schnell vorbei) gaben diese aber den Opener ab, nachdem ein lokaler Radiomensch mit einer launig gemeinten Eröffnungsrede das überwiegend weibliche Publikum begrüßt hatte.

Wenngleich die BAD BOYS BLUE musikalisch nicht von Interesse sind, so ist doch die Bandgeschichte einigermaßen kurios. Man startete in den 80ern als Trio und konnte einige Hits aufweisen, im Laufe der Zeit änderte sich aber die Besetzung mehrmals. Schließlich kam es 2005 zum Streit zwischen den Gründungsmitgliedern Andrew Thomas und John McInerney, der dazu führte, dass nunmehr ZWEI Formationen mit dem Namen BAD BOYS BLUE existieren, die natürlich auch unterschiedliche Websites haben. An diesem Abend war die Truppe um John zu Gast in der Westfalenhalle 1, mitgebracht hatte er seinen neuen Kompagnon Carlos Ferreira (mit Rastas und sehr weitem Schritt) sowie 2 polnische Sarah Connor-Doubles als Backgroundtänzerinnen/ -sängerinnen. Um kurz nach 20 Uhr legte man los, die Performance wurde dabei auf der Bühne und von den Rängen mitgeschnitten und direkt wieder auf die Leinwand projiziert. Eine gute Idee, so hatten auch die sitzenden Gäste einen guten Blick aufs Geschehen. Das möchte ich lieber nicht besonders ausschweifend kommentieren: Übelster 80er Euro Dance mit Billig Beats und dementsprechenden Texten. Zwar wirkten die beiden Sänger nicht unsympathisch und bekamen im Laufe der Zeit auch die Zuschauer in den Griff, doch von rein qualitativer Warte aus betrachtet, Geschwurbel ohne Nährwert. Immerhin fast eine Stunde währte das Geschehen, und die Setlist bestand aus älteren Hits wie „You’re a woman“ oder „Pretty Young Girl“ sowie neueren Sachen à la „A Bridge of Heartaches“ oder „Baby come home“. Carlos schwang die Hüften, dass es nur so krachte, die Mädels wirkten komplett bewegungsunfähig, und John flachste mit den Zuschauern, von denen er später auch ein Bier gereicht bekam. Trotz vorhandener Zugabenwünsche wurde (zum Glück) darauf verzichtet, BBB spielten auch so am zweitlängsten, was wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht wissen konnten.

Als nächstes an der Reihe war LIMAHL, aka Christopher Hamill, ehemaliger Fronter von KAJAGOOGOO sowie auch als Einzelkönner unterwegs. Nach Jahren der Erfolgsenthaltsamkeit nahm er 2004 an der deutschen Comeback-Show teil, wo er den vierten Platz belegte. Dass Deutschland per se ein gutes Pflaster für den Herren ist, konnte man schon an den (weiblichen) Reaktionen in den ersten Reihen erkennen. Zunächst eröffnete der sympathische Engländer seine Darbietung mit dem neuen Titel „Tell me why“, der von Thorsten Brötzmann produziert wurde, welcher mit Acts wie den NO ANGELS oder BROSIS schon Charterfolge vorweisen kann. LIMAHL wurde auf der Stage von mehreren Tänzern unterstützt, welche im folgenden sporadisch weitere Auftritte hatten. Den KAJA-Klassiker schlechthin („Too shy“) intonierte er allerdings solo und die wunderschöne Ballade „Neverending Stoy“ aus dem Soundtrack zur „Unendlichen Geschichte“ als Duett mit einer hübschen, luftig gekleideten Dame. Überraschenderweise gab es nur wenige eigene Titel zu hören, stattdessen überzeugte der flachsende Sänger mit 2 Medleys, in denen er u.a. SOFT CELL, LIONEL RICHIE und DEPECHE MODE verwurstete. Bei deren „Just can’t get enough“ trat er in den Fotograben und ließ von dort aus das Mikro reihum wandern, damit die teils recht überraschten Fans den Chorus übernehmen konnten… Kurz vor dem Ende gab es auch noch eine kleine rein instrumentale Show der Tänzer auf die Augen, bevor der Schlusspfiff relativ früh ertönte, um mal in der Fussballer-Metaphorik zu bleiben. Nun gab es aber eine Verlängerung und LIMAHL griff hierbei abermals auf die aktuelle Single „Tell me why“ zurück. Nette Unterhaltung, aber noch nicht bahnbrechend.

Nun stand mit SANDRA (bürgerlich Sandra Ann Lauer bzw. nunmehr Sandra Cretu) ein erster Höhepunkt auf dem Programm. In meiner Jugend fand ich sie sowohl optisch als auch stimmlich sehr überzeugend, umso mehr freute ich mich auf den ersten Livegig der auf Ibiza lebenden Dame. Plötzlich wurde es im Fotograben sehr eng, man merkte, dass sich SANDRA live in den letzten Jahren rar gemacht hatte. Mit 2 Tänzern im Gepäck legte sie dann auch gleich los, dabei wurden ebenfalls 2 Dinge deutlich: Die gebürtige Saarländerin hat ein wenig zugenommen aber nichts von ihrer stimmlichen Ausstrahlung eingebüsst. So folgte Hit auf Hit, das Publikum raste größtenteils. Oft mit kleinen Hintergrundgeschichten eingeleitet enthielt die Setlist u.a. „In the Heat of the Night“, „Midnight Man“, „Loreen“ (einer gestorbenen drogenabhängigen Freundin gewidmet), „Everlasting Love“ oder das traurige „Hiroshima“. In ihren 50 Minuten konnte sie unmöglich all ihre Klassiker spielen, und so hätten sich einige sicher noch eine etwas längere Darbietung gewünscht. Zumindest sang sie als Zugabe noch ihren ersten großen Solo-Hit nach ARABESQUE-Zeiten, natürlich „Maria Magdalena“. Im Anschluss bekam sie von einem aufgeregten Fan einen Strauß roter Rosen überreicht, und auch sonst wechselten ein paar Kuscheltiere den Besitzer.

Nachdem bislang sämtliche Instrumental-Sounds vom Band gekommen waren, gab es nun eine Zäsur. Mehrere Instrumente (vornehmlich Keyboards) wurden in den Vordergrund gerückt, Zeit für den Briten John HOWARD JONES. Der befindet sich aktuell auf Headliner Tour und enterte nach ca. 15 Minuten mit einem Gitarristen und einem weiteren Tastendreher links die Bühne. Davor machte noch ein geschäftstüchtiger Manager auf Howies Merchstand aufmerksam, an dem man allerlei CDs und DVDs erwerben konnte. Denn der Southamptoner hat nach seiner 80er Hochphase niemals aufgehört, Musik zu machen, wobei er sich stilistisch mehrfach verändert hatte. Nun steht er wieder für elektronische Sounds, entsprechend bediente er als eine Art Ein-Mann-Keyboarder einen Haufen Geräte, die auch mal schwungvoll herumgewirbelt wurden. Richtig schwungvoll wurde es im Auditorium nun allerdings nicht. Waren einige Zuschauer bereits nach SANDRA befriedigt der Halle entflohen, konnten viele andere mit den unbekannten und recht vielschichtigen Tracks des Insulaners nicht viel anfangen, der zudem zu leise und oft mit dem Rücken zu den Leuten agierte. Das Gros der Feierwilligen hatte sich auf einfach zu konsumierenden 80er Sound eingestellt (ok, so war ja auch das Motto der Veranstaltung), und genau das bot ihnen Mr. Jones nur ganz selten. Zum Ende präsentierte er der deutlich kleiner gewordenen Meute dann wenigstens das herbeigesehnte „What is Love“, was viele ein wenig versöhnte. Eine Zugabe wurde allerdings nicht gefordert, so dass der Gig mit 40 Minuten ziemlich kurz ausfiel. Meiner Meinung nach war die Leistung von Howard keineswegs schlecht, es gab sozusagen nur ein Missverständnis zwischen dem Tenor des Abends (Abfeiern bis die Schwarte kracht) und seinen Ansprüchen, als Künstler im Jetzt zu leben. Auf Tour, vor zwar weniger dann aber „echten“ Fans wird es solche Missverständnisse sicher nicht geben. Es beschwerten sich im nachhinein sogar einzelne Leute bei dem Kamerateam (!), dass dies ja alles gar nicht 80ermässig sei, geholfen werden konnte ihnen natürlich nicht…

Doch dann, nach einer weiteren Umbaupause, war es endlich Zeit für das Urgestein ALPHAVILLE, die mit Abstand größten Stars des Abends. Jetzt wurde auch endlich das Drumkit benutzt, dazu waren der Keyboarder Martin Lister, der Drummer Pierson Grange und ein Gitarrist am Start. Dieselbe Besetzung wie auf Tour vor 1.5 Jahren in Paderborn. Doch Marian selbst machte einen wesentlich fitteren Eindruck: Voller Enthusiasmus zeigte er eine Gesangsleistung vom feinsten vor teilweise überraschtem Publikum. Die hatten ein paar musikalische Frührentner erwartet, die mal eben ihre paar alten Songs originalgetreu runterleiern. Von wegen, das Quartett zeigte eine phantastische Darbietung, mit wunderbaren (rockigeren) Variationen von „Big in Japan“, „Sounds like a Melody“, „Jerusalem“ oder „The Jet Set“ plus etwas unbekanntere Stücke wie „Monkey in the Moon“. Nicht alle Fetenbesucher konnten damit was anfangen, so leerte sich die Halle immer weiter. Doch es gab auch einige Die-Hard-ALPHAVILLE-Supporter, teilweise von weit her angereist, welche das tighte Zusammenspiel, die sehr ausdrucksstarken Vokalkünste (Herr Gold zelebrierte geradezu seine Kompositionen) und die tollen Background-Animationen richtig abfeierten. Die teilweise recht morbiden Symbole, wie etwas Kreuze zum Abschlusstrack „Forever young“ wirkten sicher auf ein paar der Mallorca-erprobten Anwesenden recht befremdlich, wir konnten uns ein Grinsen nicht verkneifen. Die vielleicht 500 „Überlebenden“ bereiteten dem Gig ein sehr warmes Ende und veranlassten auch ALPHAVILLE zu 2 Zugaben inklusive „Golden Feeling“.

Um 1 30 Uhr war dann auch für die Letzten das 80er Festival 2006 beendet. Mein Fazit: 2 Acts, die musikalisch im Hier und Jetzt leben, 2 Acts, welche die 80er überzeugend in die Jetztzeit transportieren und ein Opener, der schon damals irrelevant war. Für den überwiegenden Teil der 3000 Menschen dürfte SANDRA im Sinne der Party-Maxime für die meiste Furore gesorgt haben, für uns waren dennoch ALPHAVILLE mit einer großartigen Performance die Gewinner des Abends. Mit absolut zeitgemäßem Spiel und sehr gutem Sound halten sie jeden Vergleich zu „aktuellen“ Formationen stand. Hoffentlich dann bald wieder live in Deutschland – in den 2000ern!

Setlist BAD BOYS BLUE
Come Back & Stay
You’re a woman
A World without you
Lady in black
I wanna fly
Pretty Young Girl
Kiss you all over
Totally miss you
Queen of Hearts
Baby come home
A Bridge of Heartaches
You’re a woman 2006

Setlist LIMAHL
Tell me why
Too shy
Love is blind
Medley: You to me are everything/ Never can say goodbye/ The Way to your heart
Still in love
Neverending Story
Instrumental
80s Medley: Just can’t get enough/ Tainted Love

Tell me why

Copyright Fotos: Karsten Thurau

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