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DAVID SCHUMANN

Ort: Osnabrück - Lagerhalle

Datum: 15.10.2009

Eigentlich wollte DAVID SCHUMANN 2005 nur seine Sprachkenntnisse aufpolieren und schrieb sich als Japanologie-Student an der Tokioter Uni ein. Dass es zu einem Crash der Kulturen kommen würde, dürfte dem 33-jährigen Altpunk klar gewesen sein, mit seiner beispiellosen Modelkarriere hat er aber wohl kaum gerechnet. Über sein Leben in der japanischen Metropole, seine Erlebnisse mit der asiatischen Weiblichkeit, japanische Musik und eben seine unverhoffte Entdeckung als Model hat DAVID SCHUMANN Tagebuch geführt. Seine „Tokyo Diaries“ sind inzwischen als Buch erschienen und erzählen im unterhaltsamen Schnodderstil, wie es dem Fashion Rebell im Land der aufgehenden Sonne ergangen ist.

Wer aus erster Hand erfahren wollte, weshalb David seinen Aufenthalt in Japan bis auf unbestimmte Zeit verlängert hat und was in den ersten zwei Jahren am anderen Ende der Welt geschehen ist, hatte heute in der Osnabrücker Lagerhalle Gelegenheit dazu. DAVID SCHUMANN war im Rahmen seiner Lesereise auch an der Hase gestrandet und hatte in das alterwürdige Gemäuer an der Rolandsmauer geladen, wo für solche Gelegenheiten gleich zwei Locations zur Verfügung stehen. Neben dem kleinen, gemütlichen Spitzboden ist da natürlich noch der große Saal, in dem locker 250 Leute sitzen können und in dem sich heuer etwa 20 Personen verloren. DAVID SCHUMANN nahm den Buchungs-Fauxpas seiner Agentur mit Humor und bemerkte, dass er vom Licht geblendet eh nur die ersten Reihen sehen könne und sich einfach vorstelle, der Saal sei bis ganz hinten voll besetzt. Nach einer kurzen Einführung in die Vorgeschichte startete der gebürtige Kölner dann seine Foto-Slide-Show mit verschiedensten Schnappschüssen aus dem Land der aufgehenden Sonne und nahm seine Zuhörer mit auf eine spannende Reise ans andere Ende der Welt.

Dabei ging David, der inzwischen als Übersetzer und Model arbeitet und abwechselnd in Tokio und Köln lebt, chronologisch vor, weshalb es mit dem Muffensausen vor der Abreise und dem langen Flug losging. Kurzweilig wusste er zu schildern, dass das Essen bei British Airways wohl genau dem Klischee der englischen Küche entspricht und dass es nicht unbedingt für das eigene Wohlbefinden förderlich ist, wenn der Sitznachbar unter extremer Flugangst leidet und einem Mantra gleich ununterbrochen „Scheißbritenscheißbritenscheißbriten“ murmelt. Ein echter Kulturschock muss das Freizeitamüsement der Japaner gewesen sein, die anscheinend nichts lieber tun als in Karaokebars zu singen und dabei ordentlich zu bechern. Das genaue Procedere, erste Erlebnisse an der Tokioter Uni und anschauliche Beschreibungen seiner Sprachschüler folgten auf dem Fuße und natürlich durfte beim Bassisten der in Japan erstaunlich angesagten Hardcore-Band INSURRECTION auch fern der Heimat die Musik nicht zu kurz kommen. Nicht nur weil’s in den Clubs nur Techno, R’n’B und Soul gab, musste eine eigene Kapelle her, deren erstes „Pay-To-Play“-Konzert ausführlich geschildert wurde. Wie so häufig kämpfte David mit einem enormen Kater und der japanischen Damenwelt, ehe es kurz vor der Pause eine ziemlich skurrile Geschichte von Schumanns Hostvater zu hören gab, der sich anscheinend ganz hervorragend als „Katzenmasturbator“ macht. Im zweiten Teil der Lesung stand dann in erster Linie die ungeplante Modelkarriere mit ihren absurden Begleiterscheinungen im Mittelpunkt. Manchmal machte David beim Lesen dabei den Eindruck, als könne er es selbst immer noch nicht glauben, dass ihm das alles wirklich am eigenen Leib widerfahren ist. Als halbverhungerter, dafür jedoch reichlich tätowierter Kurt-Cobain-Lookalike traf der Punk aber genau den Nerv der japanischen Modebranche und sogar in einem Musikvideo durfte der Deutsche mitspielen. Ausgerechnet für die japanische SCOOTER-Variante GLOBE, zu deren grottenschlechtem Techno er einen Background-Tänzer geben durfte. Davon wusste DAVID SCHUMANN ebenso launig zu berichten wie von seinem ersten Fotoshooting, verpatzten Castings, seinem letzten großen Modeljob vor der Abreise nach Deutschland und einem Ausflug in den „Lovehotel-District“, in dem seine Pechsträhne mit japanischen Frauen ein plötzliches Ende fand. Zwar wollte seine Kommilitonin Tomoko („eine Schlampe vor dem Herrn“) ihn nach dem One Night Stand nicht noch mal daten, weil sie einen Freund hatte, aber immerhin gab’s nach einer langen Durststrecke mal wieder Sex für unseren Gastgeber. Dieser verabschiedete sich dann auch schon bald mit dem letzten Eintrag seines Tagebuchs, das übrigens zunächst in Kolumnenform im OX-Magazin erschienen ist, bevor es als Buch veröffentlicht wurde. So endete unser 90-minütiger Ausflug nach Fernost mit einer nachdenklichen Rückblende auf die hinter ihm liegenden zwei Jahre.

Schade, dass nicht mehr Leute den Weg in die Lagerhalle gefunden haben, denn die „Tokyo Diaries“ sind wirklich spannend und ungemein unterhaltsam. DAVID SCHUMANN hat wunderbare Episoden ausgesucht, um seinen Zuhörern einen kleinen Einblick in seinen kruden Auslandsaufenthalt zu geben; auch wenn dies mit einem gänzlich jungfräulichen Exemplar seines Buches geschehen musste, weil die „präparierte Lesereisen-Ausgabe“ am vorherigen Abend irgendwo in der Heimatstadt Köln liegen geblieben war. Ging vermutlich daheim nicht ganz so gesittet ab, wie bei den braven Osnabrückern.

Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff

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