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DEPECHE MODE – THE BRAVERY

Ort: Tallinn - Saku Arena

Datum: 16.03.2006

Es gehört sicherlich eine ordentliche Portion Enthusiasmus dazu, für ein DEPECHE MODE Konzert eigens den beschwerlichen Weg nach Estland anzutreten. Oder ist das schon Fanatismus? Egal, man lebt nur einmal, und so machten wir uns denn an diesem Donnerstag in aller Herrgottsfrühe auf in Richtung Osten. Zunächst ging es über die „Warschauer Allee“ bis in die Bundeshauptstadt, wo wir dann den Vierradantrieb gegen einen Billigflieger eintauschten. Pünktlich gegen 11 Uhr Ortszeit erreichten wir das verschneite Tallinn (ehemals Reval), welches in letzter Zeit von extremen Kälteeinbrüchen in ein matschiges graues Etwas verwandelt worden war. Mit uns an Bord waren einige Gestalten, die sich bei genauem Hinsehen als potentielle Besucher der abendlichen Veranstaltung entpuppten, wir sollten ihnen später wieder begegnen. Nach allerlei organisatorischen Dingen (Hotel, Devisen, Nahrungsaufnahme) brach bereits der Nachmittag hinein, Zeit für einen kleinen Besuch in der historischen Altstadt, wo mittelalterliche Läden aber auch moderne Restaurants für Anziehungskraft unter den Touristen sorgen. Zumindest im Sommer, jetzt waren doch eher die Einheimischen in dicken Pelzmänteln unterwegs auf den teils vereisten Pfaden. Natürlich führte uns der Weg auch in die DEPECHE MODE-Bar, ein wirklich kurioser Laden, der bereits die Nachbarschaft mit den entsprechenden Klängen per Lautsprecher versorgt. Einmal die kleine Treppe nach unten bestiegen erwartet den Fan ein Interieur zum Zunge schnalzen. Neben etlichen Tourpostern und privaten Bildern inkl. Originalunterschriften stehen überall Monitore, auf denen Videos der „altehrwürdigen“ Briten laufen, sogar Teppich und Wände sind in passendem Artwork gehalten. Das Ganze ist übrigens von der Band offiziell abgesegnet worden, sonst dürfte man den Namen gar nicht verwenden. Natürlich kann man in einer Bar auch etwas trinken, und da die Umrechnungskurse in dem baltischen Staat äußerst günstig ausfallen, fiel es nicht schwer, sich das ein oder andere Glas kommen zu lassen. Wir blieben natürlich artig in Erwartung des Abends, aber der gute Martin Gore soll (laut Augenzeugenberichten!!!) am Abend vorher heftigst versackt sein. Neben uns waren nämlich auch 2 Vertreter des örtlichen DM-Fanclubs anwesend, die uns alsbald mit allerlei Anekdoten unterhielten. Noch besser waren die eigens für den Gig angefertigten 69 roten Tour-Shirts, die aber auch nach zähen Verhandlungen nicht herausgegeben wurden. Dafür legte man stolz einige selbstgedrehte Filme ein: Ankunft der Heroen am Flugplatz bei der Tour 2001, inkl. Verfolgung der Limousine und eine Pressekonferenz aus demselben Jahr, zu der Herr Gahan erst nach einiger Verspätung auftauchte. Wir aber entschieden uns für eine kleine Mütze Schlaf, bevor es dann mit dem Taxi in die etwas außerhalb gelegene Saku Arena (bzw. Hall) ging. Kurze Warnung: Man versuche immer, russischen Taxifahrern aus dem Weg zu gehen, denn ihre Uhren laufen oft anders, und sie sind einem körperlich überlegen, was Diskussionen überflüssig macht…

Gegen 18 Uhr standen wir dann also vor der größten Halle, die Estland zu bieten hat, und in der ansonsten u.a. dem Basketball gefrönt wird. Obwohl der Publikumseinlass schon begonnen hatte, kamen die Besucher noch eher tröpfchenweise an, mit ca. 8000 Besuchern an diesem (natürlich ausverkauften) Abend besaß das Konzert für DeMo-Verhältnisse ja schon fast Club-Charakter. Wir informierten uns am Presseeingang über die herrschenden Modalitäten, nichts sollte heute dem Zufall überlassen werden. Mit speziellen Bändchen („Damit könnt Ihr euch in der Halle überall bewegen“) ausgestattet betraten wir dann die Konzertstätte, welche übrigens nach einer Bierbrauerei benannt wurde. Im Inneren des hochmodernen Ladens befanden sich die üblichen Fress- und Trinkstände mit für deutsche Verhältnisse extrem günstigen Preisen (0,8 Liter Cola = 1,50 Euro!), selbst das Merchandise wurde heuer deutlich günstiger angeboten als beispielsweise in Düsseldorf. Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Kosten für einen normalverdienenden Esten wiederum schon fast astronomisch ausfielen, ist also alles eine Frage der Sichtweise. Der Innenraum, in dem es keine Wellenbrecher gab, füllte sich sehr langsam, und man hätte noch eine ganze Weile lang ohne Probleme bis kurz vor die Bühne kommen können, die genauso bestückt war, wie man es von der aktuellen Tour kannte. Während unser Fotograph sich zum vereinbarten Treffpunkt aufmachte, um Bilder vom Support Act zu schießen, machte ich es mir auf der Tribüne links vorne gemütlich, mit einem fantastischen Blick verglichen mit dem Katastrophenplatz in der LTU-Arena (damals seitlich ganz vorne auf Linie mit dem Bühnenende). Um mich herum eine wilde Mischung aus Russen, Esten, Skandinaviern und einigen Westeuropäern, die wie wir die Gunst der Stunde nutzen wollten. Nicht unerwähnt bleiben sollten die einheimischen Mädels, welche mit SEHR freizügigen Outfits und ihrer natürlichen Schönheit zwar nicht so ganz zum Event passten, aber dennoch für einen Augenschmaus sondergleichen sorgten. Den wollten nun auch THE BRAVERY aus New York bieten, die mit etwas Verspätung kurz vor 20 Uhr mit ihrer Darbietung loslegten.

Das Quintett führte so ziemlich dieselbe Show auf wie in Deutschland, mit einigen Songs ihres selbstbetitelten Debütalbums und einem Sound zwischen U2, NEW ORDER und einem Schuss THE DARKNESS. Leider waren die Resonanzen an diesem Abend doch eher schwach, auf den bis dato nicht mal halb besetzten Tribünen konnte sich beispielsweise niemand zu einer Beifallsbekundung hinreißen lassen. Auch waren die Musiker sichtlich erstaunt, dass sich nur ein einziger Fotograph im Graben aufhielt… und das war der vom Terrorverlag! Finde ich ehrlich gesagt schon etwas peinlich von den Kollegen, die Vorband dermaßen links liegen zu lassen, denn ihr Sound ist durchaus eine Erwähnung wert. Zwar klang Shouter/ Teilzeitgitarrist Sam Endicott stimmlich nicht ganz optimal, dafür aber fiel die Performance energiegeladen aus, wenngleich es den meisten wohl egal war, wer da oben musizierte. Nach einer guten halben Stunde konnten dann die Umbauarbeiten für DEN Headliner beginnen, begleitet von derselben „Ibiza-Stampfmusik“ wie in Düsseldorf, dafür sind also nicht die jeweiligen Auftrittsstätten verantwortlich. Mittlerweile macht auch endlich die Saku Arena einen standesgemäß gefüllten Eindruck, die Show konnte beginnen…

Pünktlich 20.30 enterten nacheinander Peter Gordeno, Andy Fletcher, Christian Eigner, Dave Gahan und Martin Gore die Stage, und unter dem Jubel der Fans begannen die Fünf ihr Set mit „A Pain That I`m Used To“. Schon seit der Singles-Tour ’98 gehört Tallinn fest ins Tourprogramm der Truppe. Und von Müdigkeit ist bei den Herren nichts zu spüren, sind sie doch schon eine Weile in Europa unterwegs. So führt ein sehr gut aufgelegter Dave weiter durchs Programm. Was heißt führt, er rockt die Halle. Spätestens ab „A Question Of Time“ taut auch der letzte auf. Da sich die Show vom Ablauf her nicht wesentlich von den vorangegangenen Gigs unterscheidet (siehe auch unsere Berichte aus Hamburg und Düsseldorf) hatte ich die Zeit, mir das Geschehen auf der Bühne von unterschiedlichen Standorten aus anzuschauen. Da die Halle, wie eingangs schon erwähnt, im Gegensatz zu den anderen Venues relativ klein war, konnte man von fast überall die Stage einsehen. Deshalb verzichtete man auch auf die größeren Leinwände links und rechts von der Bühne. Auch der Sound war klar, und an der Lichtshow gibt es sowieso nichts zu meckern. Mittlerweile auf der Tribüne angekommen hatte ich einen richtig guten Überblick über das ganze Treiben dort unten. Nach den erfolgreichen Singles „Policy Of Truth“, „Precious“, „Walking In My Shoes“ performt Mr. Gahan die demnächst erscheinende Veröffentlichung aus dem Album „Playing The Angel“ „Suffer Well“. Gerade dieser Titel liegt ihm am Herzen, ist dieser doch aus seiner Feder und die erste Auskopplung seit ’81, die nicht von Martin L. Gore stammt. Und noch etwas neues gibt es auf dieser Tour: Ein Duett mit Martin und Dave. Es ist einfach schön zu sehen und zu hören, wie sie „Macro“ zum besten geben. Aber jetzt macht der Frontmann die Bühne frei für den etwas schüchteren, was aber die Klamotten betrifft durchgeknallten Hauptsongschreiber. Dieser hat sich mittlerweile eine etwas andere Klampfe umgehängt. Diese silberne sternförmige Gitarre habe ich schon mal bei einer anderen Combo gesehen. Klar doch, der Benny von den ABBAs hatte doch auch so ein Teil. Und schon erklingen die ersten Takte von „Home“ – die Fans singen frenetisch mit. Während des Songs entledigt er sich dann endlich seiner etwas ungewöhnlichen Kopfbedeckung und wirft sie in die linke Ecke der Bühne, wo er seit Anfang der Show stand. Zum Ende des Songs läuft er den Catwalk entlang und noch nie zuvor hab ich den Blondschopf so lachen sehen, ob ihm der vergangene Abend wieder in den Sinn kam? Auf dem Weg zurück zu seinem Platz kickte er dann, immer noch lachend, seine Mütze in Richtung der Techniker. Mittlerweile wieder vollzählig geht’s druckvoll weiter, denn Drummer Eigner kennt keine Gnade. Bei den nächsten Tracks wird ihm wieder alles abverlangt: „The Sinner In Me“, „I Feel You“, „Behind The Wheel“, „World In My Eyes“, „Personal Jesus“ und „Enjoy The Silence“ sind live alles andere als Schmusesongs. Leider endet hier schon das reguläre Set, und DEPECHE MODE verabschieden sich höflich von den Fans. Im Gegensatz zu den deutschen Gigs sind diese nun völlig aus dem Häuschen und fordern lautstark und mit Nachdruck die Zugaben. Ist man bei uns schon zu verwöhnt oder man denkt sich, die kommen schon wieder auf die Bühne, solange wir hier sind und nicht weggehen? Vielleicht liegt es aber auch an der Mentalität der Nordosteuropäer, dass sie ganz langsam in Schwung kommen, dann aber richtig abfeiern. Lange brauchen sie nicht zu warten, denn Mr. Martin L. Gore und Peter Gordeno erscheinen alsbald wieder auf der Bühne. Dass nicht die ersten Töne von Gordenos Piano kommen, sondern Martin den Titel anstimmt, ist ein sicheres Zeichen, dass die beiden jetzt „Shake The Disease“ aufführen. Dieser eröffnet den Zugabenblock, der nur aus Songs der ersten Hälfte der 80er Jahre besteht. Mit „Just Can`t Get Enough“ und „Everything Counts“ wird die Halle noch mal zum Kochen gebracht und natürlich wird lautstark mitgesungen. Und wieder verabschieden sich die Fünf und werden ebenso frenetisch auf die Stage zurückgeholt. Mit „Never Let Me down Again“ geht es noch mal in die Vollen, ehe man sich mit dem wirklich letzten Track „Goodnight Lovers“ voneinander verabschiedet. Es ist immer wieder beeindruckend zu sehen, wie das Duo Gore/ Gahan diesen Song performt. Von den ganzen Streitigkeiten der letzten Jahre ist nichts mehr zu spüren. Zum Abschied küsst Dave dann Martin wie immer am Ende des Titels brüderlich auf die Wange. Jeder konnte es auf der Leinwand mitverfolgen. Gerade letzterer Song und das grandiose „Macro“ zeigen, wie gut der Frontman bei Stimme ist. Dass auch er, genau wie Martin, gefühlvoll die Stücke vortragen kann, erlebte ich schon bei seinen Soloshows.

Wenn man mehrere DM Shows dieser Tour miterlebt hat, sieht man, wie routiniert DEPECHE MODE auf der Bühne agieren und einiges sich fast immer wiederholt. So erklimmt Dave gegen Ende des Sets das Podest von Andy Fletcher und stellt diesen dann dem Publikum vor. Er steht halt ansonsten teilweise regungslos hinter seinen Synthi Pult und winkt ab und an mal. Mit dieser Geste wird er eben auch in die Show mit einbezogen. Was aber trotz dieser Routine erstaunt, ist die Tatsache, dass die Jungs immer noch die gleiche Spielleidenschaft an den Tag legen wie zu Beginn der Tour!!! Und diese währt mit den ganzen Festivals und Open Airs noch lang. Was hier in Tallinn auffällt, ist, wie gesittet es dort auf einem Konzert zugeht. Z.B. ist es absolut verboten in der Halle zu rauchen. Und es hält sich wirklich jeder (!!!) daran. Denn diejenigen, die wirklich Rauchen „mussten“, hielten sich draußen in der Kälte auf extra angelegten Balkonen auf. Das könnte man auch ruhig hier in Deutschland einführen. Weniger nachahmenswert ist das Verhalten der Security, welche teilweise äußerst penetrant für Ordnung sorgte und jeden, der nicht in Sekundenbruchteilen auf seinem angestammten Sitz Platz nahm, zur Ordnung rief. Dafür kassierten sie dann nachher auch Tritte einer jungen Konzertbesucherin. Das wunderschöne Event konnten sie damit natürlich trotzdem zu keiner Sekunde trüben.

Setlist DEPECHE MODE
Intro
A Pain That I’m Used To
John The Revelator
A Question Of Time
Policy Of Truth
Precious
Walking In My Shoes
Suffer Well
Macro
Home
I Want It All
The Sinner In Me
I Feel You
Behind The Wheel
World In My Eyes
Personal Jesus
Enjoy The Silence

Shake The Disease (Piano Version)
Just Can’t Get Enough
Everything Counts

Never Let Me Down Again
Goodnight Lovers

Copyright Fotos: Jörg Rambow

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