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DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER

Ort: Osnabrück – Haus der Jugend

Datum: 10.12.2014

Weshalb kommt eine Truppe Schweriner Männer gern in der Vorweihnachtszeit nach Osnabrück? Liegt es am historischen Weihnachtsmarkt? Wenn überhaupt, dann wohl nur sehr am Rande, denn tatsächlich reisen die Wiederholungstäter aus dem Nordosten der Republik wegen der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER in die Stadt des Westfälischen Friedens. Und so ist es wohl auch einfach, wenn man Heaven, Dr. Ignatz Ignaz und die „Brüder“ Charlie und Jo Granada live erlebt: entweder kann man über den Brachialhumor des Vierers nur den Kopf schütteln oder man landet immer wieder in den traditionellen Weihnachtskonzerten!

In jedem Fall ziehen die Shows auch nach Jahren immer noch und so waren am zweiten Konzertabend im HdJ auch nur einzelne freie Stühle zu vermelden; sogar die erste Reihe war gut besetzt – es scheint ganz so, als hätten die direkte Zuschaueransprache von Jo und die Würstchen-Sprühregen von Heaven ihren Schrecken verloren. Wenngleich man beim genauen Hinhören schon merkte, dass die Sitzgelegenheiten vielfach sehr bewusst ausgewählt wurden: „Nicht am Gang, sonst quatscht Jo uns an!“ – „Nicht so weit vorn, wer weiß, was auf der Stagee heute noch passiert…“. Tatsächlich weiß man das bei den SCHULKINDERN nie so genau, aber natürlich gibt es genügend Standards, ohne die das Christkind gar nicht zu kommen bräuchte. Etwa das „besinnliche“ Gedicht am Anfang, mit dem Jo Granada den Abend einläutete und eine Vielzahl von Weihnachtsliedern, die mitsamt der WinterWunderlandWeihnachtsband (die SCHULKINDER-Allstars Marcus Praed an der Gitarre, Bassist Andreas „Helmet“ Müller und Drummer Dr. Deko „Peng Peng“ Pellmann) sehr überzeugend performt wurden. „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ hatte an dieser Stelle dann auch deutlich mehr Speed als das Original und in seinem weißen Zottelmantel sorgte die stimmgewaltige Graulocke Heaven nicht nur bei „All die Jahre wieder“ für einen bedingungslosen Groove. Jawoll, die Herrschaften können rocken, verstehen ihr Handwerk und sind sich offensichtlich auch für keinen Scheiß zu schade und servierten deshalb auch jene zotigen Klassiker, die insbesondere von der nachwachsenden jungen Generation eingefordert wurden. Wenn etwa mit „Jacques Parisienne“ ein Lied über einen Hodensack zum Besten gegeben wurde, grölten insbesondere diejenigen, die noch nicht ganz so lange Haare am selbigen haben – oder diejenigen mit dem meisten Alkohol im Blut (was im Übrigen durchaus die gleiche Schnittmenge sein konnte). Ein Evergreen wurde indes vorsichtig modernisiert: Die Talentshow, die früher bei der Eiweiß- und Fettverwertung in Icker angesiedelt war, kommt jetzt von Radio Bremen 8 und wird von zwei Holländern moderiert, die nicht nur einen blinden Glockenspieler (eine von Charlies Paraderollen), sondern auch den Ballermann-erfahrenen DJ H (natürlich mit entsprechendem Unter-der-Gürtellinie-Liedgut) und das Tanztheater Bad Rothenfelde mitgebracht hatten. Wer hätte gedacht, dass man Winnetou I-III auch in rund einer Minute ohne jeden Text als Zwei-Personen-Stück inszenieren kann? Bei Charlie und Dr. Ignatz Ignaz gar kein Problem. Ganz anderes sah es da mit dem Publikum aus, das sich nach Jos Meinung nicht genug engagierte und deshalb von Heaven (im aparten Sportdress) auf Linie gebracht wurde, während sich der Kollege in wüsten Beschimpfungen des Auditoriums erging – der Part, der von der Zuschauerschaft in jedem Jahr in gleichem Maße herbeigesehnt wie gefürchtet wird.

Wem das zu heftig war, konnte in der darauffolgenden kurzen Pause entweder flüchten oder auf den Schreck einfach etwas trinken. Letzterem hatten die Anwesenden allem Anschein nach den Vorzug gegeben und so konnte man sich wenig später auch schon mitsamt Unterstützung der Allstars wieder kontemplativer Musik hingeben. Äh, nun ja, die Verdauung des Weihnachtsbratens kann ja durchaus eine beschauliche Angelegenheit sein, wenn das Ganze allerdings vom stillen Örtchen in den Schnee verlegt wird, bekommt es wiederum eine ganz neue Qualität – die der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER eben. Die haben bereits vor Jahren mit ihrem Sesamstraßen-Sketch ein echtes Evergreen geschaffen und natürlich war „Das verwichste Schnuffeltuch“ abermals ein Highlight der Show. Alsbald zog der Auftritt der drei Neger frenetische Zugaberufe nach sich, während das bis auf dezente Piano-Begleitung a cappella vorgetragene Stück über den „Herrengnubbel“ insbesondere das starke Geschlecht ansprach. Werner „Tip Top“ Weverling steht nicht erst sein der letzten Session bei den SCHULKINDERn in der Bütt und auch wenn seine Gags nicht mehr taufrisch sind, machte es eindeutig wieder Spaß, mitzuerleben, wie er an seiner musikalischen Unterstützung verzweifelte, die regelmäßig ihren Tusch-Einsatz verpatzte. Was aber wären DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER ohne ihre alten Freunde PETER MAFFEY und UDO LINDENBERG, die einmal mehr für ein grandioses Finale sorgten?

Und was wäre ein SCHULKINDER-Konzert ohne Zugaben, von denen immerhin 46 versprochen wurden? Okay, am Ende waren es nur drei und die Fans mussten auf „Tötet Onkel Dittmeyer“ verzichten, aber es gab das wie immer großartige „Pudel Rain“, bei dem es die Anwesenden nicht mehr auf ihren Stühlen hielt (selbige wurden stattdessen gleich einmal bestiegen und gemeinsam geschunkelt) und spätestens mit „Marina“ hatte sich der Saal in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. Da brauchte es dann schon etwas ganz romantisches wie „Gestern“, um die Leute wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. In diesem Sinne wurden die alten und neuen SCHULKINDER-Sympathisanten nach gut 2 ½ Stunden wieder entlassen – natürlich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht und der Vorfreude auf das kommende Jahr, bei dem das 35.SCHULKINDER-Wiegenfest gefeiert werden soll. Ich zähle zwar erst 33 Kerzen auf der Geburtstagstorte, aber da wollen wir mal nicht kleinlich sein. Hauptsache, die Party findet weiterhin in diesem ganz speziellen Rahmen statt und ich kann auch 2015 noch mit dabei sein. Schließlich hat Jo mir noch drei Wochen Lebenszeit prophezeit. Ja, ich gehörte wie die Jungs aus Meck-Pomm ganz klar zu den Wiederholungstätern und eigentlich müssten auch bald mal Ehrennadeln für treue Konzertbesucher eingeführt werden, gibt’s doch beim Roten Kreuz schon für ein paar Mal Blut spenden. Dafür erhielt jeder Gast aber eine sehr dekorative Postkarte der ANGEFAHRENEN SCHULKINDERN, die vor vielen Jahren übrigens schon mal zwei wirklich schöne Editionen namens „Leg’ ihn drauf“ und „Zieh’ ihn lang“ hatten – damals, als man noch jung und knackig war… Frohes Fest!

Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff

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