Ort: Osnabrück – Haus der Jugend
Datum: 07.12.2010
Wenn auf dem Osnabrücker Weihnachtsmarkt die Glühweinbehälter explodieren und das Haus der Jugend aus allen Nähten platzt, dann ist es in der Hasestadt nicht mehr weit bis zur Ankunft des Christkindes. Oder der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER. In schöner Tradition kommen Heaven, Dr. Ignatz Ignaz, Charlie und Jo Granada jedes Jahr wieder zusammen, schmeißen sich in ihre „Ratsgymnasium“-Sakkos und sorgen für einen respektablen Angriff auf die Lachmuskeln ihres treuen Publikums. So wie in manche Fußballdauerkarte von Generation zu Generation weitergegeben wird, könnten bald wohl auch die Tickets für die legendäre SCHULKINDER-Weihnachtsshow familienintern ihrer Bestimmung zugeführt werden, denn erstens schienen auch in diesem Jahr fast ausschließlich Wiederholungstäter im Saal zu sitzen und zweitens ist im 28. SCHULKINDER-Jahr mindestens die zweite, wenn nicht gar die dritte Generation begierig darauf, was die Anarcho-Komiker wohl wieder aus ihrem Sack zaubern.
Wobei das mit dem „Sack“ doppelt zu verstehen ist. Dem Nikolaus-Gedanken, den die Adventszeit zweifelsohne mit sich bringt, sollte man bei diesem Quartett allerdinsg eher weniger Bedeutung beimessen. Wie sagte es Jo Granada: „Wir machen viel für unten rum.“ Sprich: Auch in ihrer 20. Weihnachtsshow blieben sich die SCHULKINDER „vollgesogen bis oben hin“ (so das diesjährige Motto) treu und brannten ein brachiales Feuerwerk der guten Laune ab, das sehr zur Freude des überwiegend männlichen Auditoriums meistens unterhalb der Gürtellinie zielte. Die Herrschaften, die mit ihrem Skandalsong „I Want To Make Love To Steffi Graf“ bekannt wurden und wohl immer noch die DM 60.000,00 Strafe abzahlen, setzten auf Bewährtes und entsprechend startete Jo mit einem nicht wirklich besinnlichen, dafür umso erheiternden Gedicht, ehe es mit Kirchenmusik der besonderen Art in die Vollen ging. „Halleluja Halligalli Nonstop“ sorgte für erste Schunkelattacken im Haus der Jugend und präsentierte neben speziellen weihnachtlichen Weisen auch Stimmungsmusik mit christlichem Bezug wie sie nur von den SCHULKINDERn zum Besten gegeben werden kann. Der Lohn waren erste Beifallsstürme, die umgehend mit umfassenden Publikumsbeschimpfungen beantwortet wurden. Wer womöglich versehentlich oder gar unwissend in diese Veranstaltung geraten war, dürfte sich zu diesem Zeitpunkt gewundert haben, was die Zuschauer geritten haben mochte, sich so bereitwillig anschnauzen zu lassen. Aber ebenso wie die Osnabrücker ihre sonst sehr ausgeprägte Scheu und Zurückhaltung bei Konzerten angesichts der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER vergessen, wollen sie auch direkte Ansprache von Jo Granada, der die Leute nur anzuschauen braucht, um ihre sexuelle Orientierung und entsprechende Vorlieben zu erkennen. Und es wäre kein richtiges Weihnachtskonzert, wenn die betreffenden Personen nicht auch direkt mit einem „Du weißt auch Bescheid, oder?“ angeraunzt würden. Okay, wahrscheinlich sind die meisten im Saal doch froh, wenn Jo den Nachbarn ins Visier nimmt und aus Angst vor Würstchen-Sprühregen bleibt auch immer noch die erste Reihe weitestgehend leer, aber schön ist es doch jedes Jahr aufs Neue… Deshalb machte es auch gar nichts, dass für das (ungeübte) Programm auf im Wesentlichen auf bekanntes Material zurückgegriffen wurde. Der „Silber für Deutschland“-Bericht von den Paralympics („Boxen der geistig Behinderten“, „Gewichtheben der Autisten“) sorgte mit ein paar unbedeutenden Hängern von Jo für Lachtränen und auch „Das verwichste Schnuffeltuch“ bestach mit Samson, Tiffi und Lilo einmal mehr durch Wort und Bild. Vermutlich konnte die Hälfte der Anwesenden die Texte mitsprechen, aber „Dinner For One“ wird ja schließlich auch jedes Jahr wieder gezeigt. Neben allerhand schmutzigen Liedern gab es jedoch auch nachdenklich stimmende Musik zu hören, denn in der evangelischen Gemeinde hat sich eine Gruppe junger Menschen zusammengetan, die mit ihrem Song „Sieh Herr meine Hände“ aufzurütteln vermochte. Insbesondere die charmante Heidrun (Charlie Granada) gewann ob ihres umwerfenden Aussehens umgehend neue Fans, doch auch die Kollegen Matthias, Stefan und Sebastian überzeugten mit großer Musikalität und gesellschaftskritischen Lyrics. So vergingen die ersten 45 Minuten wie im Fluge und weil der Veranstalter auch ein paar Euros verdienen wollte, wurde das Volk zunächst mit dem groovigen „Acapulco-Girl“ in eine halbstündige Getränkepause geschickt.
Die endete mit dem grandiosen „Wir sind Cowboys“, das angeblich – wenn man Heaven glauben darf – in Schweden auf Platz 89 der Charts war. Nun ja, die Knäckebrote hatten ja auch die REDNEX und „Cotton Eye Joe“. Den Text werden sie eher nicht verstanden haben, vielleicht sollten die SCHULKINDER mal über eine Übersetzung nachdenken; wer weiß, wie hoch die Nummer über die schwulen Viehtreiber dann klettert! Hochkultur gab’s im Anschluss mit den drei Negern, ehe im Vorgriff auf den nahenden Karneval der Büttenredner der Roten Hähne Bad Iburg schon mal seine bissigen Anmerkungen zu Wetterfrosch Kachelmann und dessen Sex-Praktiken vom Stapel ließ. In der „Lieder- und Lyrikecke“ wurde es schließlich doch noch vorweihnachtlich stimmungsvoll – zumindest wenn man SCHULKINDER-Maßstäbe anlegt. Es gab das „Pipapo“-Pinkellied, ebenso wie den Song über Herren- bzw. Heaven-Gnubbel, das „Winterwonderland“-Lied oder auch „Mein Penis heißt Black Beauty“ zu hören und „Das Schnuffeltuch II“! „Das verwichste Schnuffeltuch“ hat eine Fortsetzung bekommen – nur so viel: Die Umgangsformen in der Sesamstraße haben sich keinen Deut verändert… Doch dann gab es noch einmal Besuch von lieb gewonnenen alten Bekannten. Zunächst einmal gab sich das Beiderwellen-Böggemann-Busch-Terzett mit „Kopp wie’n Knie“ die Ehre, um schließlich das Feld für Peter Maffay und Udo Lindenberg zu räumen. Hier wurde selbstverständlich insbesondere bei der Textzeile „Piss mich an“ lauthals mitgesungen und auch beim gefühlten 1000. Mal ist es immer noch grandios, wie Charlie Granada den Peter gibt und Jo als Udo assistiert. Damit schloss dann unter frenetischem Beifall nach gut zwei Stunden das reguläre Set, doch hatte Heaven ja immerhin 98 Zugaben angekündigt, von denen die erste auf den Namen „Jazz für Jesus“ hörte und sehr anschaulich verdeutlichte, weshalb die SCHULKINDER schon vor Jahren entschieden haben, dass Jazz keine gute Fickmusik ist. Derweil sollte es musikalisch bleiben: Zunächst mit dem fantastischen „Pudel Rain“, in dem Heavens Kindheit ein Stück weit aufgearbeitet wurde und die alljährliche Stuhlnummer mit den Zuschauern nicht fehlen durfte, die auch anno 2010 kaum erwarten konnten, ihre Sitzgelegenheiten zu erklimmen, bevor es „Marina“ noch einmal mitsamt Melodica-Einsatz von Heaven krachen ließ. Zum finalen Mitsingen- und klatschen kam es dann bei „Daumen im Po“, ehe „Ein Penis stand am Meer“ und das „Gliedstinkerlied“ ruhigere Klänge anschlugen, die sich auf gewollt niedrigem Niveau bewegten und den Abend um 22.50 Uhr ausklingen ließen.
So ein SCHULKINDER-Weihnachtskonzert ist vielleicht nicht unbedingt die Veranstaltung, zu der man seine seriösen Geschäftspartner nach einem erfolgreichen Abschluss einlädt. Aber mit Sicherheit ein Garant für einen ausgeprägten Zwerchfell-Muskelkater. Die vier Protagonisten zeigten sich zudem in bester Spiellaune und hatten aus ihrem Repertoire einen wahrlich unterhaltsamen Querschnitt ausgesucht. Man muss es halt nur mögen und ich freue mich schon jetzt auf Weihnachten 2011.
Copyright Fotos: Ulrike Meyer Potthoff
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