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DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER

Ort: Osnabrück – Haus der Jugend

Datum: 13.12.2016

Im Advent haben viele Leute ja ihre festen Rituale: Plätzchen backen, Geschenke shoppen und den Weihnachtsmarkt unsicher machen. Die Osnabrücker können seit mehr als 30 Jahren einem ganz anderen Brauch frönen, nämlich dem alljährlichen Weihnachtskonzert der ANGEFAHRENEN SCHULKINDER! Besinnlich geht es bei diesen Gelegenheiten nicht zu, schon gar nicht, wenn das Motto wie heuer „destroy, kill, fuck“ lautet! Niemand beherrscht den brachialen Anarcho-Humor so gut wie Heaven, Dr. Ignatz Ignaz und die Brüder Charlie und Jo Granada – das bewiesen die in Ehren ergrauten Herrschaften einmal mehr bei einem ausverkauften Heimspiel im Haus der Jugend.

Was kurz nach 20.00 Uhr mit Jos scheinbar besinnlichen Bestandsaufnahme der aktuellen Weltenlagen begann, entwickelte sich bereits mit dem sich anschließenden, keinesfalls kontemplativen Absingen diverser Weihnachtslieder („Fuck Christmas“ neben einem äußerst groovenden „Alle Jahre wieder“ und dem rockigen „Morgen Kinder wird’s was geben“) zu einer ziemlich ausgelassenen Sause, an der sich dem guten, alten Brauch folgend auch die WinterWunderlandWeihnachtsband (die SCHULKINDER-Allstars Marcus Praed an der Gitarre, Bassist Andreas „Helmet“ Müller und Drummer Dr. Deko „Peng Peng“ Pellmann) beteiligte. Die Ehemaligen räumten dann jedoch zunächst die Stage für Klassiker wie das ernüchternde „Nur halb so gut“ oder die traditionelle Weihnachtsgeschichte, in der auch Bischof Heise und seine Erfahrungen mit dem Internet (Sichwort: Gayporn) nicht fehlen durften. Dass die komplette Geschichte von Winnetou 1-3 ganz ohne Worte und innerhalb weniger Minuten erzählt werden kann, bewiesen wenig später der Doc und Charlie, ehe sich die Schulkinder des Osnabrücker Karnevals annahmen und nicht nur die bewährte Büttenrede von Werner „TipTop“ Weverling auf dem Zettel hatten, sondern auch adäquates Liedgut für die fünfte Jahreszeit. Etwa in Form des durchaus nachdenklichen (für Schulkinder-Verhältnisse!) Songs „Mädchen“ bis zum kommenden Gassenhauer „Osnabrücker Bützchen geht mit Zunge“, bei denen endgültig der Kontakt zum Publikum gesucht wurde und auch die geradezu beliebten Beschimpfungen an der Reihe waren. Allerdings hielten sich Heaven und Jo vergleichsweise vornehm zurück, vielleicht lag das auch daran, dass an diesem Dienstag nicht viele Debütanten im Publikum waren und die älteren Semester geschont werden sollten.

Deshalb wurde nach einer knappen Stunde Spielzeit auch erst einmal eine etwa halbstündige Pause verordnet, um Flüssigkeitsverluste auszugleichen und die Keramikabteilung aufzusuchen. Nicht ohne Grund gestand der Vierer im weiteren Verlauf des Abends noch seine Blasenschwäche… Zuvor hatten die Herren jedoch noch „Den Daumen im Po“ und einen prominenten Gast gab es auch noch zu begrüßen! Reverend Hardy Hardon, seines Zeichens Oberhaupt der Church of Elvis, gab sich die Ehre und ließ es sich nicht nehmen, das Auditorium mit seinem spirituellen Haarspray zu segnen. Im Mittelpunkt stand aber natürlich sein Gottesdienst, der mit einem ebenso großartigen wie mitreißendem Elvis-Medley begangen wurde. Da hielt es dann auch die dezent angeschickerten „Lampen-Damen“ aus der ersten Reihe nicht mehr auf ihren Stühlen und es könnte gut sein, dass die Ladies wenig später bereuten, direkt von der Stage Platz genommen zu haben. Es gab nämlich eine Live-Schalte zum Gasthaus Beinker im Venner Moor, wo Florian Silberhaufen sich Marianne und Michael eingeladen hatte, um gemeinsam zu kochen. Während die Volksmusik-Urgesteine mit der Zubereitung ihrer Leckereien beschäftigt waren, performte Peter Ewig in einer sexy Lederhose seine „Kaputt“-Polka, um dann das Mikro an das Duo abzugeben. Kaum hatte dieses sein Ständchen zu Gehör gebracht, überfiel das Mariandl ein leichtes Hungergefühl und die Dame mit der Glasbaustein-Brille griff in ihre geräumige Handtasche, um einige Lebensmittel zu Tage zu befördern. Früher wären es Bockwürstchen gewesen, anno 2016 war Heaven aka Marianne vegetarisch unterwegs und biss u.a. in Zwiebeln, hartgekochte Eier und Bananen – die wohlgemerkt allesamt nicht geschält waren und im hohen Bogen Richtung Ehemann (Jo) und Publikum gespuckt wurden. Wer nicht direkt in der Einflugschneise dieser Köstlichkeiten saß, kämpfte mit den Lachtränen und auch die Protagonisten konnten nur schwer ernst bleiben. Nach so viel Unfug mit Nahrungsmitteln ging es bei der daraufhin anberaumten Sangesrunde fast schon gesittet zu, allerdings bedarf es wohl keiner weiteren Erläuterung, dass Tracks wie „Ein kleiner Penis ist keine Entschuldigung“ (besonders beschwingt im 5/4-Takt) und „Lady Schützenfest“ ebenso wie das bereits erwähnte „Blasenschwach“ und das brandneue „Fury“ (ein musikalischer Gruß aus dem UHU-Club) nicht eben jugendfrei waren. Ob „Wir sind Cowboys“ wirklich jemals in den schwedischen Charts war, lasse ich mal dahingestellt; erstklassig war die Performance, die sich lange vor „Brokeback Mountain“ bereits des Lebens schwuler Kuhjungen angenommen hat, auf jeden Fall und konnte im Grunde nur noch von weiteren Stargästen getoppt werden. Peter Maffay und Udo Lindenberg zogen (von Udo Jürgens an den Tasten begleitet) einmal mehr alle Register und eigentlich fehlten nur noch Lilo, Tiffy, Samson und das verwichste Schnuffeltuch, um mich restlos glücklich zu machen. Stattdessen ließen es DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER und die WinterWunderlandWeihnachtsband noch einmal so richtig krachen. Begnadete Musiker sind die Männer nämlich auch noch durch die Bank! Deshalb wurden mit „Tötet Onkel Dittmeyer“ auch definitiv keine Gefangenen gemacht und zum wunderbaren „Ich kam von Luisanna“ (auch bekannt als „Pudel Rain“) war nicht nur abermals der Reverend mit von der Partie. Gemeinschaftlich erklomm die Zuschauerschaft, die sich beim gegenseitigen Zungenkuss-Austausch noch schwer getan hatte, auch die Sitzgelegenheiten, um dem Song in angemessener Weise zu huldigen. Den „Wir verlassen die Bühne und warten die Zugabe-Rufe der Fans ab“-Quatsch haben sich die Jungs gleich mal gespart und sind mit dem Klassiker „Marina“ direkt noch mal steil gegangen.

Deshalb kann das Christkind jetzt meinetwegen auch kommen, denn ich habe vom Advent nichts mehr zu erwarten. Über nahezu drei Stunden (inzwischen war es 23.30 Uhr) hatten DIE ANGEFAHRENEN SCHULKINDER wieder ein Feuerwerk abgefackelt, das quasi pausenlos unter die Gürtellinie zielte und gerade wegen seiner absurden Zotigkeit einfach nur Spaß machte. Für Klosterschülerinnen ist und war das natürlich nichts, mich haben die Schulkinder allerdings bereits vor rund einem Vierteljahrhundert mit ihrem schrägen Blödsinn gepackt und so freue ich mich wie immer schon jetzt auf die Fortsetzung im nächsten Jahr!

Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff

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