Konzert Filter

ELECTRONIC PLEASURES FESTIVAL 2004

Ort: Berlin - K17

Datum: 12.11.2004

Großes bahnte sich an in den hauptstädtischen Gefilden, die ja nun nicht zwangsläufig den Ruf haben, Electro-Land zu sein. Das ELECTRONIC PLEASURES Festival, welches schon vor einem halben Jahr mit ähnlichem Lineup stattfand und dieses Mal drei deutsche Städte bespielen würde, sollte in Berlin seinen Auftakt finden. Sechs Bands unterschiedlichster Couleur, mir jeweils mehr oder minder bekannt, versprachen einen abwechslungsreichen und vor allem langen Abend. So enterte ich nach kleineren organisatorischen Problemchen kurz nach 18 Uhr wieder einmal die Räumlichkeiten des K17 und fand letzte Feinarbeiten am Soundcheck von CYBOZZ vor. Die Berliner Electro-Industrial-Band, welche in der Vergangenheit schon namhafte Acts wie KIEW oder SOLITARY EXPERIMENT supporten durfte, versprach allein optisch schon ein Schmankerl zu werden, gehört zum Programm doch standardmäßig eine ausgefeilte Performance.

Gegen 19:30 Uhr betraten CYBOZZ dann auch die Bühne: Frontmann Andreas war ganz Robocop-like in Silber gekleidet – Hose, Helm, Gesichtsmaske, Stiefel, Oberkörperpanzer. Diverse Schoner und ein schwarzer Umhang komplettierten die spacige Kostümierung und boten einen eindrucksvollen Gegensatz zum recht knappen Outfit von Tänzerin Ves. Zu relativ hartem Electro, der teilweise an alte :WUMPSCUT:-Sachen erinnerte, mit Samples und verzerrten Vocals garniert, lieferten sich die beiden ein packendes Duell kämpferischer und emotionaler Natur. Sei es ein Fight mit Leuchtsticks oder eine Art Exorzismus zu „Keine Absolution“ – die Choreografie war durchaus ansehnlich und so sollte der halbstündige Auftritt einen der bleibenden Eindrücke dieses Festivals darstellen. Schade, dass zu diesem Zeitpunkt nur sehr wenig Gäste anwesend waren – was an der frühen Stunde gelegen haben wird – und mehr als ein Höflichkeitsapplaus somit nicht drin war.

Nach einer kurzen Umbaupause ging es dann mit den drei Jungs von HUMAN DECAY weiter. Nachdem es anfangs Technikprobleme mit dem Mikrofon gab, stiegen die drei Thüringer in die Vollen und gaben ausgereifte Electronummern zum Besten. Dabei wurde mit Tracks vom neuen und sehr gefälligen Album „Disbelieve“ nicht gegeizt, besonders das eingängige „Workerboy“ wusste mich zu überzeugen; die hypnotische Zeile „Sweet dreams are gone“ mit der angezerrten Gesangslinie wirkte noch lange nach. Grundsätzlich ließ sich feststellen, dass HUMAN DECAY live doch um einiges härter ausfielen als im Studio. In Sachen Liveperformance aber geriet die Darbietung doch etwas statisch und optisch eher unprätentiös, so dass ich auch nicht allzu traurig war, als nach einer Weile der nächste Wechsel stattfinden sollte.

DISTORTED REALITY warteten durch Sängerin Martha M. Arce wieder mit einem Blickfang auf: die schöne Amerikanerin mit der kraftvollen Stimme wirkte wie eine Cybergeisha und lenkte so die Aufmerksamkeit auf sich. Das Duo, bestehend aus Martha und dem Bielefelder Christian Kobusch wurde live von Paul Keller an den Drums und Sören Scholz an der Gitarre ergänzt, so dass ein richtig groovendes Bandfeeling aufkam. Neben bekanntem Material vom Album „The Fine Line Beween Love And Hate“ spielte die Multikultiformation auch 3 Tracks vom künftigen Longplayer „Daydreams and Nightmares“, welcher ab Februar 2005 in den Läden stehen soll. Diese fügten sich nahtlos ins homogene Set ein und nährten die Erwartungen auf ein neues großartiges Album.

Die nächsten Interpreten im elektromusikalischen Reigen sollten DUST OF BASEMENT darstellen. Das über der Bühne befindliche Leuchtschild mit dem Bandnamen wurde endlich illuminiert, rote Keyboards und kunstpflanzliche Dekoelemente schmückten die Bühne. Man könnte DOB fast schon zu den alten Recken im Synthiepopbereich zählen, existiert das Projekt um Sven Wolff doch schon seit 12 Jahren. Für diese Tour hatte man aber offensichtlich auch sein Päckchen an Problemen abbekommen, denn Sänger Peer Lebrecht war an der Grippe erkrankt und fiel daher aus. So musste kurzfristig umdisponiert werden und anstatt neues Material vom aktuellen Silberling „Awaking The Oceans“ zu präsentieren, griffen Sven und Birgitta, von einem Gitarristen unterstützt, auf alte Hits zurück. Das mittlerweile zahlreich versammelte Publikum nahm diese Kursänderung allerdings ohne großes Murren auf, im Gegenteil wurden die Klassiker wie „Inside“ oder „Genocide“ mit deutlicher Begeisterung aufgenommen, was Sven und Birgitta (mit kleinem Schwangerschaftsbäuchlein) sichtlich freute. Nach einem mehr als nur soliden „Notprogramm“ wünschte man den Zuschauern noch viel Spaß mit den verbleibenden Bands und verabschiedete sich für diesen Abend.

„Primitiv“ – „Schräg“ – „Brutal“. Das war augenscheinlich das Motto des folgenden Acts, denn genau diese Schlagwörter wurden als Banner an drei Synthies befestigt und eine lebensgroße Schaufensterpuppe aufgestellt. Das Berliner Quartett FLYING 55 geizte anfangs auch nicht mit optischen KRAFTWERK-Reminiszenzen, auch wenn bei dem äußerst tanzbaren Electro das statische Posing nicht lange vorhielt. Im Gegenteil: Sänger Hoffa stapfte mit finsteren, irren Blicken bewaffnet über die Bühne und wollte wohl möglichst martialisch wirken. Der Anblick seiner Segelohren verlieh den Versuchen dabei allerdings eine gewisse Niedlichkeit. Musikalisch ging es abwechslungsreich zur Sache, im Stile von DAF und anderen Elektronik-Heroen. Bei manchen Songs steuerte Co-Vokalist Mike B. im sexy Netzhemd sein Quäntchen bei, ansonsten war Hoffa allein für die stimmliche und entertainerische Arbeit verantwortlich. Diese schien – bis auf eine ruhige, grandiose Ballade – doch recht anstrengend, so fiel nach und nach das formelle Anzugsoutfit, bis er im schlichten Shirt dastand. Beim letzten Song packte man dann aber doch einmal die Brutalitätskeule aus, allerdings in textlicher Hinsicht, denn da wetterte man mit Zeilen wie „Wer Kinder vergewaltigt, der wird zerhackt“ ganz energisch und erbittert gegen Missbrauch und Vergewaltigung. Für mich stellten FLYING 55 den zweiten großen Höhepunkt des Abends dar. Und offensichtlich stand ich mit meiner Meinung nicht allein, denn zum ersten Mal wurden von Seiten der Zuhörerschaft Zugaberufe verlautbar, welche leider nicht erfüllt werden (konnten?).

Ausgerechnet der Headliner des Festivals – SOUND TESSELATED – hatte nach diesem recht furiosen Auftritt zuerst einen schweren Stand. Nicht nur, dass ein nicht unbedeutender Teil des Publikums es in der Pause vorgezogen hatte, die Räumlichkeiten zu verlassen, der Rest bewahrte anfangs auch seine Grundskepsis. Das lag allerdings wahrscheinlich nicht unbedingt an der musikalischen Qualität der Hauptstädter sondern einfach am Stilbruch, an den man sich erst gewöhnen musste. Auf FLYING 55 folgend eher zahmen 80er Edelpop Marke ERASURE vorgesetzt zu bekommen, war, als würde man ein scharfes Chili mit einem Sahnetoffee beschließen. Nach einer gewissen Zeit hatten sich die Ohren aber umgewöhnt und so konnte man den smarten Kompositionen durchaus so einiges abgewinnen. Auf der Bühne musste es tatsächlich warmgeworden sein, denn auch Ricardo hinter dem Mikro ließ es sich nicht nehmen, sein Hemd zumindest aufzuknöpfen – was einige Witzbolde mit „Anziehen! Anziehen!“-Rufen quittierten. Sehr gefühlvoll, ohne großartige Reibungspunkte bot die Band Musik, die man schlicht mit dem Begriff „schön“ umschreiben könnte. Nach und nach fand das Publikum genau daran Gefallen, es bildete sich ein tanzendes Grüppchen und schlussendlich konnte Ricardo sogar darauf vertrauen, dass Refrains auf Wunsch mitgesungen wurden. Eine erstaunliche Wendung, die eigentlich nur für die Entertainerqualitäten und Bühnenerfahrung der Gruppe spricht. So waren entgegen aller anfänglichen Erwartungen SOUND TESSELATED ein würdiger Abschluss des Festivals und auch hier muss ich wieder feststellen: Schade, dass wieder nur so wenig Gäste anwesend waren.

Offiziell war nun alles vorbei, die Gäste verließen die Lokalität und nur noch sehr wenige bekamen dadurch mit, dass es noch einen Überraschungsgast geben sollte: PATENBRIGADE: WOLFF waren anwesend und (so eine eher unauffällige Ansage) „werden noch einen kleinen Auftritt absolvieren, den ihr euch noch anhören könnt, wenn ihr mögt“. Es mochten nicht mehr viele, aber eine fehlende Bühnenbeleuchtung und die Umdekorierung der Bühne in eine Art Baustellenkulisse mit Leiter, Pylonen, gelben Rundumleuchten und Absperrband ließen beim Nicht-Eingeweihten auch nicht unbedingt den Eindruck entstehen, dass da ein weiteres Konzert stattfinden sollte. Erst, als ein Banner mit dem Bandlogo hing, wusste man, dass man sich nicht verhört hatte. Auf eine Minileinwand wurde ein Bild von einem Baukran aus einer wahnwitzigen Perspektive projiziert und mit Overalls, Helmen, Schutzbrillen und Staubmasken be- bzw. verkleidet traten Brigadeführer Lance Murdock und Brigadier Sven Wolff hinter die roten DOB-Synthies. „Electro-Ambient für Turmdrehkranführer“, so kategorisiert das Projekt seine Musik und besser könnte man das Konzept auch nicht beschreiben. Thematisch hat man sich dem Baugewerbe und seinen Helden verschrieben, was durch Samples deutlich gemacht wird. Ansonsten ging es instrumental zu, mal ruhig und flächig, mal eher knarziger Minimalelectro, welcher Vergleiche zu MOUSE ON MARS zuließ. PATENBRIGADE: WOLFF waren ein gelungener Gimmick, auch optisch stringent konzipiert und mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht konnte ich mich gegen halb zwei Uhr nachts dann endgültig von meinem bis dato längsten Konzertabend verabschieden.

Setlist THE DUST OF BASEMENT
Outside
Inside
Song Of
Sorrow
Genocide
Behind My Eyes
Summer
Big Hush

Copyright Fotos: Antje Wagler

Es ist noch kein Kommentar vorhanden.

Hinterlassen Sie einen Kommentar.

Mehr zu CYBOZZ auf terrorverlag.com

Mehr zu DISTORTED REALITY auf terrorverlag.com

Mehr zu DUST OF BASEMENT auf terrorverlag.com

Mehr zu FLYING 55 auf terrorverlag.com

Mehr zu HUMAN DECAY auf terrorverlag.com

Mehr zu PATENBRIGADE: WOLFF auf terrorverlag.com

Mehr zu SOUND TESSELATED auf terrorverlag.com