Ort: Bielefeld - Lokschuppen
Datum: 03.10.2023
Gestern noch haben wir von den ÄRZTEn berichtet, die den Bielefelder Lokschuppen gleich an zwei Tagen unsicher gemacht haben, schon melden wir uns vom nächsten Konzertereignis im denkmalgeschützten ehemaligen Bahngemäuer. Unter Denkmalschutz stehen Sven Regener und seine Mannen von ELEMENT OF CRIME zwar nicht, aber die Kapelle gibt es inzwischen auch bereits seit 38 Jahren und auch die zahlreich erschienenen Fans haben die Band vermutlich überwiegend nicht erst mit dem 15. Studioalbum „Morgens um vier“, das im April dieses Jahres erschienen ist und bis auf #2 der Albumcharts klettern konnte, kennengelernt. Zu den Gründungsmitgliedern von ELEMENT OF CRIME zählt neben Sven Regener (Gesang, Gitarre & Trompete) noch Jakob Ilja (Gitarre), bereits ein Jahr später stieß Richard Pappik hinter der Schießbude hinzu, Der langjährige Bassist David Young hatte die Combo im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen verlassen und starb leider wenig später. An seiner Stelle zupft jetzt Markus Runzheimer den Stahlsaiter. Außerdem standen auf der Bühne noch Ekki Busch (Akkordeon) und Rainer „Theo“ Theobald (Saxofon & Klarinette), die beide inzwischen auch schon einige Jahre als EoC-Live- und Studioverstärkung auf dem Buckel haben.
Bevor die Sechserformation die Stage betrat, trat allerdings Herr Regener, der den meisten auch als Schriftsteller bekannt sein dürfte (u.a. „Herr Lehmann“) allein ins Rampenlicht, um persönlich den Support der aktuellen Tour vorzustellen. Es handelte sich dabei um STEINER UND MADLAINA, die zu zweit Songs ihrer drei bisherigen Alben vortrugen. Der Fokus lag dabei auf dem jüngsten Streich der Züricherinnen: „Risiko“ heißt die Platte, die ebenfalls im April das Licht der Plattenläden erblickt hat. Der Opener „Mama Liebe“ und die nachfolgenden „Engel am Hauptbahnhof“ und „Ich blibe und Du gansch“ (in Schweizerdeutsch!) sowie das finale „Paradies“ stammten von eben diesem Silberling und geboten wurde ein Sound zwischen Folk und Popmusik, den Nora Steiner (Gitarre & Gesang) und Madlaina Pollina (Gitarre, Piano & Gesang) gern gemeinsam vortrugen und der bei den Ostwestfalen gut ankam. Während Madlaina zwischen Tasten und Saiten wechselte, griff Nora mal zur akustischen Langaxt, um dann wieder die elektronische Variante zum Einsatz zu bringen. So geschehen beispielsweise bei „Denk was du willst“ vom 2021er „Wünsch mir Glück“. Mein persönliches Highlight war „Das schöne Leben“, das 2018 auf dem Langspieldebüt „Cheers“ veröffentlicht wurde. Angekündigt wurde die Nummer als Feier- und Trinklied und tatsächlich ging das Stück unmittelbar ins Bein und auch das Auditorium schenkte (wenn mich mein Gefühl nicht getäuscht hat) an dieser Stelle am meisten Beifall. Normalerweise sind STEINER & MADLAINA zu fünft unterwegs, dann sind noch Leonardo Guadarrama (Schlagzeug), Nico Sörensen (Bass) und Max Kämmerling (E-Gitarre) mit von der Partie, was den Songs noch zusätzlichen Schmiss verpassen dürfte. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, bekommt im November Gelegenheit dazu, denn dann ist der Fünfer auf Headliner-Tour. Nach Bielefeld kommt das Quintett zwar nicht, aber es stehen zahlreiche Städte auf der Reiseroute, da sollte für den interessierten (Neu-)Fan ein passender Termin dabei sei.
Setlist STEINER & MADLAINA
- Mama Liebe
- Engel am Hauptbahnhof
- Ich blibe und Du gahsch
- Denk was du willst
- Das schöne Leben
- Paradies
Der Umbau ging den routinierten Bühnentechnikern schnell von der Hand, sodass nur 15 Minuten später bereits die Hauptprotagonisten des Abends um 20.45 Uhr ihre Arbeitsplätze für die kommenden zwei Stunden einnehmen konnten. Was dann folgte, war ein grandioser Abriss von EoC-Songs der letzten 37 Jahre. Für den coolen Einstieg sorgte dank „Unscharf mit Katze“ ein Track vom neuen Longplayer und auch das nachfolgende, melancholische „Am ersten Sonntag“ nach dem Weltuntergang“ vom 2018er „Schafe, Monster und Mäuse“ war neueren Datums. „Immer noch Liebe in mir“ kündigte Sven derweil als ein Lied der optimistischen Verzweiflung an und tatsächlich traf diese Umschreibung das Wesen der Polka im ELEMENT-OF-CRIME-Gewand sehr gut. In Sachen Textgewalt macht dem gebürtigen Bremer, den es in den Achtzigern wie so viele nach Berlin zog (wobei man als Band den Wohnort an der Spree allerdings lange nicht so recht zugeben wollte, aber dazu später mehr), sowieso niemand was vor, und Gewalt war auch ausgerechnet beim Titel „Ohne Liebe geht es auch“ ein handgreifliches Thema am Bühnenrand. Hier waren wohl zwei Herren aneinandergeraten und sowohl zwei Securities als auch der Gastgeber des Abends sorgten dafür, dass sich die Wogen schnell glätteten. So konnten allen den gitarrengetriebenen Groove der Nummer genießen und schon ging es mit dem hymnischen „Jetzt musst du springen“ ins Jahr 1999. Zu diesem Zeitpunkt kam „Psycho“ raus, dabei sollte die Veröffentlichung eigentlich wie das zum Vortrag gebrachte Stück heißen, doch das fand die Plattenfirma dann irgendwie unpassend. Ob „Psycho“ unter diesem Gesichtspunkt die bessere Wahl war, lassen wir mal dahingestellt. An der Songauswahl gab es jedenfalls nichts zu meckern! „Nur der Anfang“ gefiel mit einem Sound irgendwo zwischen Chanson und Mariachi und mit „Was mein ist, ist auch dein“ haben die Herren Musiker fast so etwas wie die Blaupause ihres eigenen Sounds geschaffen. Hin und wieder gab es in der Bandgeschichte auch Auftragsarbeiten. Ganz besonders gern wurde wohl für Leander Haußmann gearbeitet. Schließlich haben der Regisseur und Sven Regener auch zusammen an der Verfilmung von „Herr Lehmann“ gewerkelt. Zuvor war Haußmann von 1995 bis 2000 Intendant am Schauspielhaus Bochum, wo im letzten Jahr seiner Intendanz eine Inszenierung von „Peter Pan“ gegeben wurde, bei der ELEMENT OF CRIME den Song „Immer nur geliebt“ beigesteuert hatten. Hier und heute holten sich die ‚alten Säcke‘ an dieser Stelle junge Mädels auf die Bühne. Wer jetzt an irgendetwas Verwerfliches denkt, sei beruhigt. STEINER & MADLAINA sorgten sozusagen für den Mädchen-Chor und die anschließenden Umarmungen mit Sven sahen sehr freiwillig und willkommen aus. Weiter ging’s ins Jahr 1988 zur LP „Freedom, Love & Happiness“: „Nightmare“ sorgte mit dezent jazzigen Versatzstücken für eine wohlig-bedrohliche Atmosphäre und erinnerte an die Zeit, als EoC noch englischsprachig texteten. Wie war das mit Berlin und dem irgendwie unguten Gefühl sagen zu müssen, dort zu leben? Immerhin bis 1999 dauert es, bis der Name der Stadt mal in einem Lied vorkam – hat uns Sven Regener wissen lassen, bevor die besagte Nummer, „Jung und schön“ ebenso treibend wie rockig zu Gehör gebracht wurde. „Weißes Papier“ vom gleichnamigen 1993er Album schloss sich gefühlvoll an und stellte das Saxofon in den Fokus, bevor „Deborah Müller“ (von „Immer da wo du bist bin ich nie“ aus 2009) beschwingt übernahm. Kollege Regener, der den Abend über munter zwischen Gitarren und Trompete wechselte, blies hier mal wieder ins Blechinstrument und erfreute das Auditorium mit seinen Freestyle-Dancemoves. Mit „Ein Hotdog unten am Hafen“ folgte ein weiteres Stück aus dem Leander-Haußmann-Kosmos (konkret: „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“ – ein Film aus dem Jahr 2008, für die Filmmusik wurden EoC 2009 für den Deutschen Filmpreis nominiert). Der Song wurde mit Begeisterung aufgenommen und plötzlich waren annähernd 90 Minuten wie im Flug vergangen und der Sechser verabschiedete sich ins Off.
Lange sollte es nicht dauern, da kehrte auch schon der 62-jährige Fronter zurück und performte „Moonlight“ vom 1986er Debüt „Basically Sad“ zunächst allein. Was als schöne Ballade begann, hatte auch seine exzessiven Schrammelmomente: ein Mix, der sich hören lassen konnte! Zu meinen absoluten Lieblingsliedern zählt ja „Am Ende denk ich immer nur an dich“ und ich entschuldige mich an dieser Stelle noch einmal aufrichtig bei den umstehenden Besuchern, aber ich musste einfach lauthals mitsingen! Erneut gingen ELEMENT OF CRIME von der Stage, kehrten jedoch abermals ins Rampenlicht zurück und legten mit dem wunderschönen „Vier Stunden vor Elbe 1“ (1991 auf „Damals hinterm Mond“ erschienen) einen echten Gänsehaut-Song vor, für den Drummer Richard Pappik seinen Platz an den Fellen verließ zur Mundharmonika griff. Am Tag der deutschen Einheit durfte natürlich auf gar keinen Fall der Track fehlen, der wie kein anderer für Versöhnung steht – so erklärte es Sven Regener den Anwesenden. Nun ging es aber nicht um die Annäherung zwischen Ost und West, sondern um Bremen und Niedersachen und natürlich „Delmenhorst“ („Mittelpunkt der Welt“ – 2005 erstmals Gold Top Ten für ELEMENT OF CRIME!). Ein Geständnis musste der Mann an Mikro, Gitarre und Trompete zudem auch noch machen: hinter Huchting und dem Graben kommt gar kein Getränkemarkt, Getränke Hoffmann gibt es in ganz Delmenhorst nicht. Macht nix, die künstlerische Freiheit ist bei dem tollen Stück abgenickt und zustimmendes Kopfnicken sah man auch bei „Geh doch hin“, das ein tolles Zwiegespräch zwischen Saxofon und Trompete lieferte. Blieb nur noch „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“, das für einen sentimentalen Abschluss sorgte. Aber mit Gefühlen – insbesondere, wenn ihnen eine gewisse Schwermut inne ist, kennen sich ELEMENT OF CRIME ja hervorragend aus. In diesem Sinne gab es im Lokschuppen über zwei Stunden ein wahres Feuerwerk der Emotionen und man darf nur hoffen, dass die Jungs, die sich so langsam dem Rentenalter nähern, noch lange nicht daran denken, sich in den Ruhestand zu verabschieden.
Setlist ELEMENT OF CRIME
- Unscharf mit Katze
- Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang
- Immer noch Liebe in mir
- Dann kommst du wieder
- Ohne Liebe geht es auch
- Jetzt musst du springen
- Nur der Anfang
- Was mein ist, ist auch dein
- Immer nur geliebt (mit STEINER & MADLAINA)
- Nightmare
- Kaltes Herz
- Jung und schön
- Weißes Papier
- Deborah Winter
- Ein Hotdog unten am Hafen
- Liebe ist nur ein Wort
- Alles in Ordnung
- Morgens um vier
- Moonlight
- Am Ende denk ich immer nur an dich
- Vier Stunden vor Elbe 1
- Delmenhorst
- Geh doch hin
- Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin
Copyright Fotos: Noel Richter
Anmerkung zu den Fotos: Die Aufnahmen stammen nicht vom Bielefelder Konzert!
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