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ELFENFOLK FESTIVAL II

Ort: Augsburg - Kantine

Datum: 24.03.2007

Ja! Gebt mir kaltes Fleisch zu jeder Tages- und Jahreszeit! Und da ich der einzige Terrorverleger bin, der in Süddeutschland aktiv ist, dachte ich mir: auf in die Fuggerstadt. Anmerkung an den Chef: dir ist schon klar, dass „Süddeutschland“ ein geographisch weites Feld ist – besonders wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel und befreundete Konkurrenz mit fahrbarem Untersatz angewiesen ist? (War nicht böse gemeint.) Aber nun, hier werden ja weder Kosten noch Mühen gescheut, um Cold-Meat-Ablegern live huldigen zu können. Auf dem Gelände einer alten Amikaserne befindet sich das Etablissement „Kantine“ und lud zum Elfenfolk-Reigen inkl. Aftershowpart. Letzteres habe ich leider nicht mehr gepackt. Dürfte aber auch recht kurzweilig gewesen sein.
Stutzig machte meine Begleiter und mich schon mal die Tatsache, dass auf schlichten Plakaten in der Augsburger Innenstadt die Ankündigung lautete (man beachte die Reihenfolge): riesengroß FAUN, dann kleiner darunter KIRLIAN CAMERA, TONAL Y NAGUAL „and others“. Wie bitte was? Meine CMI-Ikonen schlechthin werden namentlich nicht mal erwähnt? Sollte das ein schlechtes Omen sein? Fragen über Fragen. Aber fahren wir fort. Bzw. erst mal hin. Ein vernieseltes Augsburg ist nur wenig charmant und zum Glück war der Einlass einigermaßen pünktlich. Im nachhinein lässt sich mit Sicherheit sagen, dass es verdammt voll war; der Veranstalter meint, es waren rund 500 Menschen. Ohne derartige Konzerte noch elitärer erscheinen lassen zu wollen, als sie vielleicht eh schon sind, lege ich vielleicht doch eine Kartenbegrenzung ans Herz. Oder dass ein paar Wände herausgerissen werden. Was aber schade wäre, denn der Grundriss ist eigentlich nicht unattraktiv. Die Merchandisestände und jene Offerten, die wohl FAUN-Hörer beglücken sollten, waren verstreut und leider nicht immer optimal erreichbar. Absolut kultig fand ich allerdings die Garderobe. Ich zitiere meine Unterhaltung mit dem dortigen Personal aus dem Gedächtnis: „Ich, äh, möchte meine Jacke abgeben. Eigentlich. Bin ich hier jetzt falsch?“ – „Nö, aber wenn du Pizza willst, verkaufen wir die auch!“ Nicht zu vergessen der kleine Tisch, der den mir mit am überflüssigsten Gestalten des Neofolkbetriebs – SEELENTHRON und DIES NATALIS – gewidmet war; inklusive individueller Beratung. Sehr, ah, elitär.

Nachdem man sich durch die ganzen Gestalten gewühlt und herausgefunden hatte, dass die Toiletten sogar mit Wartesesseln ausgestattet waren, konnte man sich auf den Opener TONAL Y NAGUAL freuen. Die drei Herrschaften ließen sich ihre Musikrichtung nicht wirklich eingrenzen und oszillierten tatsächlich zwischen Electronics, Folk und dem vagen Genre Experimental. Ich muss zugeben, dass mich das Ganze etwas sehr irritiert hat. Ein Pluspunkt, den ich den Gestalten vom UMB Kollektif (2 davon auch Mitglieder vom JÄGERBLUT) zugestehe, ist die Tatsache, dass sie ihre Instrumente live spielten. Akustikgitarre, Akkordeon (sic), E-Bass (geht nur mit Sonnenbrille), Schlagzeug (geht auch ohne Sonnenbrille) wurden oldschool bedient und dem Publikumbruchteil, das sich zu Klatschäußerungen hinreißen ließ, gefiel es sichtlich. War nicht wirklich meine Baustelle, aber ganz okay. Außerdem wurde einigermaßen zügig nach Einlass begonnen, was ich auch erwähnenswert finde.

Die Umbaupausen waren auch sehr passabel und so wuselten flinke Helfer überall herum. Ich überlegte noch, wer wohl als nächstes spielen würde und war eigentlich schon davon überzeugt, dass es FAUN sein dürften – aber natürlich war ich wie vom Blitz erschlagen, als die ersten unverkennbaren ORDO-Takte erklangen und zwei Fackeln auf der Bühne entzündet wurden. Mit einem überraschten Fiepen versuchte ich mich durch die unliebsame Menge zu wühlen, kam aber vielleicht nur bis in die zehnte, fünfzehnte Reihe. Dann guckten mich fies geschorene Neo-Folk-Schränke an und wollten mich partout nicht weiter vor lassen, um in der ersten Reihe huldigend zu knien. Sehr schade, denn ähnlich erging es meinem treuen Fotografen. Und so konnte ich nur von weiter Ferne die ansprechende Gestalt von Herrn Petterson erblicken. Leider nur von ihm und seinen männlichen Mitmusikern und nicht von Lady ORE herself – Informanten trugen mir zu, dass sie leider keinen Babysitter gefunden hatte. Argh! Unglaublich. Aber ehrlich gesagt trau ich mir gar nicht vorzustellen, wie das Konzert gewesen wäre, wenn beide Grazien präsent gewesen wären. Wahrscheinlich wäre ich dann hyperventilerend zwischen bösguckenden Schränken eingeklemmt gewesen… Somit war ich einfach nur ein glücklich winselndes Groupie. Der gesamte Auftritt ist in meinem Gedächtnis zu einem einzigen Gänsehautschauer verschmolzen, daher kann ich im Nachhinein mit keiner chronologischen Setlist aufwarten, sondern verweise darauf, dass „Remember Depravity and the Orgies of Rome“, sowie „In High Heels through Nights of broken Glass“ vom grandiosen „CCCP“-Album intoniert wurden. „[Apocalips]“ ist mit dem gesamten Anfang vertreten, also „[Mercury Rising] Seduced by the Kisses of Cinnabar sweet“, „Lost forever, in the Blitzkrieg of Roses“, das geniale „Do Murder and Lust do make me a Man?“ und „Who stole the Sun from its Place in my Heart?“. Dazu kam noch die Hommage an VELVET UNDERGROUND, bzw. LOU REED in Form der auf dem selben Album vertretenen Hommage „She’s in Love with a Whip – my Venus in Furs“. Ein besonders seliges Grinsen müsste ich jedoch bei den „Satyriasis“-Split Tracks „Hell is where the Heart is – the Gospel of Tomas“ gehabt haben – und mein, uh, Höhepunkt war dann auch „Three is an Orgy, Four is forever“, welches in meinen Augen der totale Hammer war. Petterson stand eigentlich nur hinter seinem alten Mikro herum und durfte zwischendurch auf HiHat und Trommel schlagen, aber als er bei letztgenanntem Song seine schwarzbehandschuhten Finger zum Zählen nach oben reckte, war das der Gipfel des Auftritts. Diese dekadente Schlichtheit und sein Charisma waren zwar von einem anderen Kaliber als das von Herrn Salvatori (SPIRITUAL FRONT), einem der wenigen, der ähnliche Begeisterungsstürme bei mir auslösen kann, aber es war ersichtlich, dass die beiden auf jeden Fall Brüder im Geiste sind. Hut ab und Daumen nach oben. Einen Knicks gibt es auch für Pettersons Kollegen, die beeindruckten. Jeder Schlag, jedes Glockenklingen, jeder Tusch wurde mit viel Hingabe und Detailverliebtheit ausgeführt und ließen mich begeistert in der vielen Orts leider mir leider etwas zu starren Fangemeinde. Erwähnenswert ist noch das Projektionskonzept auf der Leinwand hinter den Musikern. Blass waren Flimszenen mit Nonnen zu sehen, darüber wurden Schlagworte geworfen, jeweils mit Fragezeichen versehen. „Dignity?“, „Perversion?“, „Lust?“, „Sadism?“, „Submission?“, „Depravity?“ – wer hätte das gedacht?

Mir war nach dem letzten, verklungenen Takt klar, dass der Abend nicht besser werden konnte. Mein Soll war absolut erfüllt, wenn nicht sogar mehr als das. Im Anschluss spielten FAUN, die offenbar sehr viel Publikum gezogen hatten, denn nach ihnen war mindestens ein Drittel weniger schwarzes Volk unterwegs (nun, in dem Fall vielleicht eher buntes Volk). Die Veranstalter haben sich zwar ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben, verschiedene Genres mit ihren Elfenfolk-Festivals zusammenführen zu wollen, aber ehrlichgesagt fand ich FAUN eher unpassend – davon unabhängig, dass ich wirklich nichts mit der Musik anfangen kann. Dieses Urteil ist schon sehr persönlich, aber ich hab mich ja auch nicht unbedingt in der Zwischenzeit gelangweilt. Was ich aber natürlich nicht gutheißen kann, sind „Auf Wiedersehen“-Rufe der Neofolk-Fraktion. Natürlich ist das immer noch netter als Buh-Rufe, allerdings finde ich das unfair den Künstlern auf der Bühne gegenüber. Wenn es mir nicht gefällt, gehe ich einfach aus dem Saal; ist doch ein logischer Vorgang, den ich so auch praktiziert habe. Daher sei mir bitte auch die Lücke in der Berichterstattung verziehen.

Zu KIRLIAN CAMERA hatte ich mich eher ungewollt ziemlich nach vorne durchgeschoben. Na gut, was heißt „ungewollt“? Ich war natürlich gespannt, da ich ein eher gespaltenes Verhältnis zu den Italienern habe: ich kenne nicht viele Songs von ihnen – und diejenigen, die ich kenne, finde ich bis auf eine Ausnahme ganz schrecklich. Liegt wohl nicht zuletzt an meiner vorgeprägten Abneigung Sängerinnen gegenüber. Kann ich auch nichts dafür. Soweit ich mich aber erinnere und informiert habe, haben sie genau jenen ohne Damengesang, „Fields of Sunset“, aber leider auch nicht live gespielt. Schade, wirklich. Dafür aber z.B. „Eclipse“ in einer besonders, ah, polarisierenden Synthie-Pop-Version, die mich nicht halten konnte. Dabei war der Auftritt an sich schon nicht schlecht, wobei ich allerdings das Gefühl hatte, dass die überwiegend männlichen Herrschaften im Publikum vielleicht noch nie eine (leicht bekleidete) Frau gesehen haben, so wie sie beim Anblick von Frau Fossi abgingen. Optisch sehr ansprechend räkelte die Gute sich mal mehr, mal weniger lasziv ums Mikrokabel oder hängte sich mal (warum auch immer) einen Bass um, auf dem sie ein paar Akkorde schrammeln durfte. Was sie aber wirklich sympathisch machte, war die ihr ehrlich anzusehende Freude über die Begeisterung vor ihr. Im Laufe des Sets hat sich dann auch Herr Bergamini seiner Sturmmaske entledigt (ich an seiner Stelle wäre so gestorben vor Hitze in dem Laden), zuvor aber nahm er einen Schnellhefter zur Hand, stellte sich an sein Mikro und bellte in selbiges. Nach ein paar Zeilen bildete ich mir ein, dass es Deutsch sein könnte. Ob es sich hierbei aber um ein sowieso deutschsprachiges Lied handelte, oder eine für die Augsburger Fans abgewandelte Version eines anderen Songs, ist mir leider nicht bekannt, da ich wie gesagt nicht sehr bewandert bin, was die Veröffentlichungen des Quintetts mit Geigerin anbelangt.

Erschwerend hinzu kommt die Umstellung der Uhr auf Sommerzeit, ein Vorgang der mich wirklich immer wieder überfordert. (An dieser Stelle ergeht ein Aufruf: ich brauche einen Sekretär. Am besten jung, gutaussehend und genügsam, weil ich ihn nicht bezahlen kann. Lebensläufe bitte an meine Adresse, danke.) Daher ist mir auch leider irgendwie entgangen, wie lange der Spaß insgesamt gedauert hat. Ich bilde mir ein, um halb Vier war ich wieder außerhalb der Kantine gestanden zu haben, aber ob das Winter- oder Sommerzeit war… schwer zu sagen im Nachhinein… ich tippe aber auf Sommerzeit. Eine Stunde später lag ich zufrieden im Bettchen meiner Unterkunft und wippte meine plattgestandenen Füßchen zum Takt von „My Venus in Furs“ in den Schlaf. Exzellentes Ereignis, meine Herrschaften. Das nächste Elfenfolk Festival soll noch diesen Herbst, spätestens jedoch in einem Jahr wiederholt werden. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.

Copyright Fotos: Daniele Cerami

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