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FORMS OF HANDS 2007

Ort: Gladbeck - Maschinenhalle Zweckel

Datum: 27.04.2007

Nachdem es in den vergangenen Jahren terminlich immer zu irgendwelchen Überschneidungen gekommen war, wollten wir es dieses Jahr nun endlich in die „Hand(s)“ nehmen. Die siebte Auflage des Label Festivals „Forms of Hands“ stand vor der Tür, wiederum in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel. Kurz etwas zu titelgebendem Label und Örtlichkeit: Bei der imposanten Location handelt es sich um ein 1909 vom Königlich-Preußischen Staat erbautes Industrie Denkmal, was auch die fast schlossähnliche Ausstrahlung begründet. Das zugehörige Bergwerk ist nunmehr seit bereits 40 Jahren stillgelegt, 1988 wurde die Halle unter Denkmalsschutz gestellt und 1995 dann auch die letzte funktionale Tätigkeit eingestellt. Seitdem wird das Gelände für Kulturveranstaltungen genutzt und eben jene sollte den Liebhabern krachiger Sounds ja nun bevorstehen. Das deutsche Hands-Label ist spezialisiert auf musikalische Schwerpunkte wie Industrial, Tech Noise, Dark Ambient etc. und mittlerweile zu einem Synonym für „guten Krach“ avanciert. Ausrichtender Veranstalter ist wiederum Laborneun.

Nachdem wir von den endlosen Staus reisewilliger Kurzurlauber verschont worden waren, erreichten wir fast pünktlich gegen 20 Uhr die noch sonnenumflutete Halle. Endlose Heerscharen von Fans waren zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht zu sehen, dennoch war es schlussendlich mit vielleicht 400 Besuchern aus dem In- und Ausland ordentlich gefüllt. Am Samstag soll es generell noch ein wenig fülliger werden, wir aber hatten uns entschieden, nur den Freitag mitzunehmen, an dem für uns auch die etwas interessanteren Formationen auf dem Plan standen. Nach Entrichtung des Obulus marschierten wir auch schon die Treppen hinauf, denn die eigentliche Bühne befand sich quasi im ersten Stock. Ebenerdig wurde noch eine Chill Area angeboten, in der später bekannte DJs wie beispielsweise der Ostwestfale Philipp Münch (THE RORSCHACH GARDEN, SYNAPSCAPE) ihrem Handwerk nachgingen. Dazu gab es natürlich oben auch eine Theke, um die Gäste kulinarisch relativ preisgünstig zu verwöhnen, z.B. mit der interessanten Kombination „Vegetarische Suppe plus Wiener“. Doch wir wandten uns gleich der Bühne zu, denn von dort drangen schon die ersten Klänge des Opener zu uns.

Dabei handelte es sich um das Projekt NORM, welches von Leif Künzel (MONO NO AWARE) betrieben wird und bislang mit 2 Releases aufwarten konnte: Die „Zeithain“-LP aus dem Jahre 2003 sowie „Was Der Mensch Braucht“ (2004), beide natürlich bei Hands verlegt. Auf der Bühne wurde der Herr zeitweilig von einem Kollegen an der Klarinette unterstützt, was zusammen eine Mischung aus Dark Ambient und gelegentlichen Noise Eruptionen ergab. Eher Musik zum Träumen denn zum Schauen, wozu vielleicht das hereinfallende Sonnenlicht nicht unbedingt passte. Dennoch betrachteten einige mit neugierigen Augen das Treiben, welches wie im Folgenden auch von Projektionen zu beiden Seiten unterstützt wurde. So ruhig sollte es im weiteren Verlauf des Abends jedenfalls kaum wieder werden, ein sanfter Einstieg ins Geschehen quasi.

Danach stand schon ein erstes Highlight auf dem Programm: Die Rostocker S.K.E.T. konnten mich schon einmal im Berliner K17 live überzeugen (damals ebenfalls mit WINTERKÄLTE) und ihrem äußerst rhythmischen Electro Industrial entsprechend wurde nun mit vielfältigen Leibesübungen vor der Stage begonnen. UNIT-298-09 und sein blonder Partner UNIT-299-09 präsentierten Exponate ihrer überaus gelungenen Alben „Aktivist“ und „Baikonur“, die sozialistische Industriekultur ironisch brechen und mit trancig-brutalen Beats aufwarten, welche von dem Duo auch sehr dynamisch umgesetzt wurden. Dementsprechend wurden die Stücke auch bejubelt und es gab eine Art Zugabe, wobei im Grunde jeder „Band“ ein Zeitfenster von einer Stunde zugestanden wurde, hier zählte das Kollektiv und nicht der Einzelne!

Zur nächsten vollen Stunde ging es alsbald mit tanzbaren Rhythmen weiter, die aus dem Hause PUNCH INC. stammten, wie es uns die Projektionen auch noch einmal deutlich machten. Auf der Bühne an den Reglern Andreas im Quadrat, einmal Brinkert, einmal Glöckner (auch bekannt als MOCTAN). Der eine u.a. Veranstalter des Elektroanschlags in Altenburg, der andere Bielefelder Nachbar von eingangs bereits erwähntem P. Münch, dementsprechend auch an vorderster Front zu finden (in charmanter Begleitung von Frau Fussel). Der dargebotene Tech Industrial unterschied sich ein wenig von den direkten Vorgängern, erzielte aber dieselbe Wirkung im Auditorium: Die hübschen Cyber Girls und ihre ungleich kräftigeren männlichen Gegenparts ließen die Hufe schwingen. Mittlerweile durchzog auch ein eigenartig süßlicher Raum die Maschinenhalle, was – möglicherweise – an der Präsenz einiger niederländischer Nachbarn lag…

Mit MIMETIC folgte gegen 23 Uhr ein mir bislang gänzlich unbekanntes Projekt, welches vom französischen Künstler Jerome Soudan betrieben wird, der über eine sehr interessante Vita verfügt. Ausgebildet an einem renommierten Musikkonservatorium und mit einem „Master Degree of Musicology“ ausgestattet führte in sein Weg über Paris und Berlin nach Genf, wo er in unzähligen musikalischen Inkarnationen tätig war und ist, ein Besuch auf seiner Homepage lohnt sich diesbezüglich. Auch an Soundtracks war er beteiligt, wie beispielsweise an der ORB/ WDR Produktion „Clown Gottes – Verloren im Wahnsinn“, eine Hommage an die im Irrenhaus verstorbene Tanzlegende Waslaw Nijinsky. Unter dem Namen MIMETIC firmiert er seit 1998, aktuellste VÖ ist eine Live Scheibe mit dem Titel „The Mimetic Years – All My Lives“. Und so begann der glatzköpfige Herr relativ ruhig mit Ambient-artigen Collagen plus Geräuscheffekten, was mich zu der irrigen Annahme verführte, nun wäre eine Stunde Entspannung angesagt. Doch nach kurzer Zeit wurden die Strukturen härter/ beatiger/ tanziger, ohne jemals in Monotonie zu verfallen. Als ein Highlight entpuppte sich die THE YOUNG GODS Cover Version „T.V. Sky“, die schlussendlich zu großem Applaus führte. Meine persönliche Entdeckung des Tages!

Über den Lebenslauf der nun folgenden Formation ist nicht annähernd so viel verbürgt, die geheimnisvollen Aliens von 5F-X, vormals als 5F-55 firmierend, wollten nach 2 jähriger Bühnenabstinenz der Menschheit mal wieder einen Besuch abstatten. Ob in freundlicher oder feindlicher Absicht sollte sich noch zeigen… Ihre Bühnenshows gelten als spektakulär und sie beziehen auch gerne mal das Publikum in selbige ein. Dieses Mal verteilten vorab willfährige Dronen Zettel mit geheimnisvollen Botschaften, welche die Neugierde noch weiter anheizten. So ballte sich schließlich kurz nach Mitternacht ein Heer von Fotographen vor der mit allerlei merkwürdigem Equipment ausgestatteten Künstlerplattform. Transmitter, Phaserkanonen, extraterrestrische Artefakte – und 2 offensichtlich nicht aus dieser Welt stammende Herren, die mit einer Art Tribal Sci Fi Industrial die Erdenbewohner unter ihre Knute zwingen wollten. Der eine als Mischung aus Pope Ratzinger und Darth Vader im glitzernden Talar, der andere wie eine fleischgewordene große Socke mit Ohren (erinnerte mich ein wenig an Samson aus der Sesamstraße). Wobbel heißt der Gute wohl, zumindest gab es am Merchstand eine entsprechend benamste Figur zu erstehen. Die beiden fingerten und fummelten alsbald an ihren Geräten herum, warfen dreieckige Symbole ins Publikum und führten die neuesten Tanzschritte aus den Spiralnebeln vor. Sehr unterhaltsame Show, die bewies, dass man auch in diesem Genre mit einem ironischen Augenzwinkern seine Fans findet.

Zu guter Letzt wurde es dann noch einmal bitterkalt in Gladbeck, zumindest im übertragenen Sinne, denn das Headliner Duo WINTERKÄLTE wollte die letzten müden Knochen noch einmal ins Schwingen bringen. Das erste Mal an diesem Freitag wurden E-Drums verwendet, was der Darbietung eine sehr dynamische/ organische Note verlieh, zumal Eric de Vries sie mit vollstem Körpereinsatz bediente. Zu seiner Rechten natürlich Udo Wiessmann, Begründer des Hands Labels und damit Keimzelle allen synthetischen „Übels“, ohne den wir alle nicht da gefeiert hätten, wo wir uns bekanntermaßen gerade aufhielten. Die Post ging noch einmal so richtig ab, sämtliche Reserven wurden mobilisiert, was angesichts der extrem treibenden Performance aber auch nicht schwierig fiel. Harte, aber dennoch nachvollziehbare Tracks, immer durchzogenen von interessanten Variationen setzten einen gelungenen Schlusspunkt unter den ersten Teil des Forms of Hands Festivals 2007.

Wer wollte und konnte, besaß noch genügend Möglichkeiten, sich aus der Konserve beschallen zu lassen oder sich eben doch schon auf den zweiten musikalischen Sixpack vorzubereiten (inkl. z.B. ORPHX oder WAI PI WAI, eine Kollaboration von Jerome Soudan mit Herman Klapholz von AH CAMA-SOTZ). Wir aber machten uns von dannen mit einigen sehr interessanten neuen Erfahrungen im Gepäck und der Vorfreude auf das nächste Jahr, wenn die Maschinenmenschen wieder das Zepter übernehmen!

Copyright Fotos: Karsten Thurau

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