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GOETHES ERBEN (VIDEODREH)

Ort: Bayreuth

Datum: 01.10.2004 - 03.10.2004

Am Set von „Schattendenken“. Oder: Der Barbier von Bayreuth

GOETHES ERBEN – „Schattendenken“. Dreharbeiten für die DVD-Fassung des aktuellen Musiktheaterstücks. Das schon seit einigen Tagen, Wochen. Dieses Wochenende waren „Opfer“ und „Beobachter“ gefragt. Also machten Mit-Opfer und Freundin Melanie und ich, die wir schon auf der Tour zu den Opfern gezählt hatten, uns auf von der Hauptstadt in Richtung Wagnerstadt.

Freitag, 1.10. 13:15 – unser IR nach Chemnitz fuhr ab, mit uns an Bord. Zweieinhalb Stunden unspektakuläre Zugfahrt, die auch später im IC nach Bayreuth nicht spannender wurde. wir tuckerten durch Entwicklungs-Bundesländer, vorbei an Käffern wie Doberlug-Kirchhain und anderen Friedhöfen mit Ortseingangsschild. Aufgrund der geographischen Lage entdeckten wir Dialekte als überaus ergiebiges Gesprächsthema – wie eigentlich immer, wenn wir in der Gegend unterwegs sind. Das einzige, was passierte: Mit schrumpfender Entfernung zum Ziel wurden wir immer ungeduldiger und alberner. „Ist es noch weit, Papa Schlumpf?“ Den Kopf aus dem fahrenden Zug zu halten, war zwar witzig und angenehm, brachte uns aber leider auch nicht schneller ans Ziel. Sind wir noch im Vogtland, oder schon in Bayern? Zu allem Überfluss hatten wir auch noch leichte Verspätung. Der größte Lacher kam irgendwann vom Zugpersonal selber. „Eine wichtige Durchsage für die Zugleiterin…“ Wir dachten schon, es nahe eine technische Katastrophe, nie, nie NIE würden wir in Bayreuth ankommen. Da fuhr es fort: „…bitte mit einer Kanne Kaffee ins Abteil acht kommen!“ Nach gefühlten Ewigkeiten und bei einsetzender Dämmerung, fuhren wir endlich nach Bayreuth ein.

Dort angekommen, machten wir uns auf die Suche nach Menschen, die so aussehen könnten, als hätten sie geradewegs auf uns gewartet, um uns abzuholen. Wir schlichen minutenlang auf dem Bahnhofsgelände umher, fanden nicht wirklich jemanden, schauten noch einmal hinten aus dem Gebäude heraus und da waren dann auch Regieassistent und Orgamensch Flaut zusammen mit Sebastian, einem Freund von Oswald, den wir schon flüchtig auf einem der letzten GOETHES ERBEN-Konzerte kennen gelernt hatten. Zudem noch uns komplett unbekannte Menschen. Sabine, Kevin und ein Hund. Auf der Fahrt zur Pension/ Herberge raus in die bayerische Pampa erfuhren wir dann, dass Kevin auch ein Opfer sein würde und dank seiner Minderjährigkeit eine erwachsene Begleitperson brauchte, welche eben jene Sabine war.

Die Pension entpuppte sich dann als Bauernhof mitten im fränkischen Outback, war aber wohl sehr nah am Set gelegen. Der abgasverwöhnten Großstadtnase fiel sofort der Stallgeruch auf. Wir bekamen die Zimmer gezeigt, Sabine und Kevin waren auf der selben Etage wie Melanie und ich untergebracht. Samstag früh sollte dann noch ein Marc kommen, von dem wir noch nicht wussten, wer es sein sollte. Wir bezogen Revier und relativ kurze Zeit später kamen dann Oswald Henke und Flaut vorbei, um uns alle einzusacken und mit uns essen zu fahren. Nach einer Weile hatten wir dann auch etwas gefunden. Oswald wollte zwischenzeitlich weg, um noch jemanden zu holen und Flaut sollte mit. Oswald kam dann mit Schauspielerin Serena wieder, welche in der DVD-Version von „Schattendenken“ die Rolle der Oberaufseherin übernehmen sollte. Flaut blieb irgendwo auf der Strecke.

Danach wurden wir wieder zurückgebracht, mit dem Angebot, später gemeinsam Pernod zu trinken. Ich wollte aber lieber mit Sebastian und seinem Freund nach Nürnberg, mir dort die Nacht um die Ohren schlagen und ein paar Freunde treffen, aber Melanie ließ sich gerne umstimmen. So warteten wir beide gegen 23 Uhr der jeweiligen Herren, die da kommen sollten. Gegen halb sechs in der Früh war ich ca. wieder auf dem Hof, nur leider hatte jemand unwissentlich die Tür zugesperrt. Jemanden wach zu klingeln war mir dann aber doch zu peinlich. Nur gut, dass aber Bauern um die Zeit schon aufstehen müssen. So wurde Licht im Hause und jemand auf mich klopfendes Etwas aufmerksam, und ich konnte noch die restlichen 2 Stunden zum schlafen nutzen.

Samstag, 2.10. 8:00 – Nach viel zu wenig Schlaf quälten wir uns müde aus den Federn und ins Bad. Vor der Kamera wollte man schließlich trotzdem halbwegs passabel aussehen, was sich durch das bekannte Haarstylingverbot als etwas schwierig gestaltete. Eher Zombies denn Menschen ähnelnd, wankten wir zum Frühstück in die Küche – man muss ja etwas im Magen haben – und an diesem Tage erklärte ich Koffeinismus zu meiner neuen Religion. Wie abgemacht, waren wir alle um 10 Uhr bereit, zum Set abgeholt zu werden. Stattdessen lernten wir die etwas chaotische Orga des Ganzen kennen. Denn wir warteten. Und warteten. Viertel vor 11 fuhren dann Flaut, ein weiteres Opfer namens Conny und Marc vor, den wir schon am Abend zuvor als den Erben-Webmaster identifiziert hatten. Man hole uns später einzeln auf Abruf ab. Ob uns das keiner gesagt habe. Nein, hatte man uns nicht. Schade eigentlich, denn das hätte mindestens noch eine dritte Stunde Schlaf ergeben. Wir zeigten Marc sein Zimmer, beschäftigten uns mit der Garfield-Ausgabe eines Hofkaters und warteten weiter, dieses Mal allerdings im Warmen.

Keine halbe Stunde später klopfte Sebastian bei uns an die Tür, er solle uns (alle!) abholen und zum Drehort fahren. Von Flauts Einzelabruf-Variante schien er nicht wirklich viel zu wissen, aber wir waren ja froh, endlich etwas zu tun zu bekommen. In der Tat war der Drehort nur 5 Minuten mit dem Auto entfernt: wir fuhren in den Nachbarort Draisenfeld, der so klein ist, dass es nicht einmal Straßennamen gibt. Unser Ziel war das Anwesen von Jochen Schoberth (ARTWORK, Etage Music). In dessen Scheune war das Set aufgebaut worden: ein zellenartiger graugetünchter Raum mit Tisch, Stuhl, Bett und einem riesigen Spiegel. Auf der anderen Seite dieses Spiegels ein weiterer kleiner Raum mit Stühlen. Außerhalb dieser Räume die Technik; Ton- und Kameraequipment stapelte sich auf begrenztem Raum. Wir lernten Michael („Haarschlächter“), Jeffrey (Kamera), Jochen (Kamera, Ton) und seinen Sohn Johannes kennen. Gudrun (Backstage-Cam) kannten zumindest Melanie und ich schon flüchtig von der „Schattendenken“-Tour der ERBEN, wo sie gefilmt hatte. Neben der Scheune, unter einem großen Unterstand, war liebevoll das Catering aufgebaut worden. Belegte Brote, Obst, Waffeln, Würstchen, Süßes, Saft, Tee, Kaffee… alles war da und harrte der Drehpausen die da kommen sollten. Ebenfalls stießen in Gestalt von Oswalds Bruder und seiner Freundin noch zwei weitere Komparsen hinzu.

Doch nun hieß es anfangen. Und die Kälte kennen lernen, die einem in die Knochen kroch, wenn man eigentlich nur im Freien oder in unbeheizten Räumlichkeiten herumsaß. Es gestaltete sich alles etwas langwieriger, als erwartet. vor jedem Take musste natürlich ein paar Mal geprobt werden, vieles sollte aus mehreren Perspektiven gefilmt werden und ohne technische Schwierigkeiten läuft ja nie etwas ab. In diesem Falle erwies sich z.B. die Schermaschine als stumpf und mehr oder weniger untauglich, ein Umstand, dem durch Ersatz aber schnell abgeholfen werden konnte. (Ich wusste noch, wie gerupft ich nach dem Konzert in Madgeburg ausgesehen hatte und hatte vorsichtshalber meine eigene Maschine zum Nachrasieren eingesteckt.) Bevor es aber an die ersten „Opferungs-Szenen“ ging, waren einige von uns schon so durchgefroren, dass es kurzerhand hieß: Wer möchte und momentan nicht gebraucht wird, fährt erst mal zurück in die Herberge. Sprich: Oswald fuhr Melanie und mich zurück, Bruder mit Freundin im Schlepptau. Zu viert saßen wir dann bei uns im Zimmer, überlegten wieder einmal, wie viel wir evtl. noch hätten länger schlafen können und schauten uns irgendeinen Comet-Verleihungs-Schrott im Fernsehen an. Nach längerer Zeit kam dann aber ein Anruf, wir könnten uns langsam wieder auf den Weg machen. Gesagt, getan. Conny hatte ihren Einsatz bereits hinter sich, als wir ankamen. Weiter ging es dann mit Proben mit Opfer Melanie. Es wurde gedreht. Pause. Dank fortgeschrittener Zeit (ein Drehschluss um 20 Uhr erschien immer utopischer) und genügend aufgenommenem Material war mein Einsatz dann auf den reinen Haarverlust und das Wegfegen beschränkt, was mir eigentlich sehr zupass kam. Nach einer weiteren Pause wurden dann noch einige Szenen mit den Beobachtern gedreht, danach aber abgebrochen und alles weitere auf den nächsten Tag verschoben.

Im großen Konvoi ging es dann mit dem gesamten Stab zum essen in irgendein anderes Nest, dessen Name an meinem Gedächtnis vorüberging. Wir belegten in einem kleinen rustikalen Gasthaus zwei große Tische, staunten über die riesigen Portionen und die Stimmung war richtig prima. Nur dass ich feststellte, dass Koffeinismus auch keine praktikable Dauerreligion zu sein schien, denn zumindest bei mir machte sich langsam der Schlafmangel bemerkbar und zu vorgerückter Stunde war ich mehr tot als lebendig. Für allgemeine humorige Verwirrung sorgte allerdings ein weiterer Gast in dieser beschaulichen Lokalität, der – offensichtlich nicht mehr ganz nüchtern – bei uns vorbeikam, sich hinhockte und uns völlig ernsthaft fragte, was wir denn bitteschön für Leute wären und wo wir herkämen. Ich verstehe ja, dass eine Horde schwarzbunt gekleideter Leute mit drei glatzköpfigen Mädchen im Hinterland eine etwas ungewöhnliche Menschengruppe darstellen mag. Doch dieser verständnislose Tonfall suchte wirklich seinesgleichen. Den halbherzigen Erklärungsversuch Oswalds, man käme aus ganz Deutschland, zum Teil auch aus Berlin, schien auf keine nennenswerte Resonanz in den Hirnzellen des Gegenübers zu treffen. Irgendwann gab er auf, es begreifen zu wollen und zog wieder seiner Wege. Gegen 23 Uhr machten wir uns dann alle mit Zwischenstop auf Jochens Grundstück auf den Heimweg und ich fiel – mit der verheißungsvollen Aussicht auf ausschlafen – selig in die Kissen.

Sonntag, 3.10. 10:00 – Regelrecht erfrischt wachte ich auf, neben mir eine schon seit Stunden putzmuntere und gut gelaunte Melanie. Frühstück konnten wir dann aufgrund der vorgerückten Stunde eher vergessen, das machte aber auch nichts. Wir vertrieben uns die Zeit ein wenig mit fernsehen. Die Warterei auf den Abholservice fiel diesmal auch angenehmer aus, da es sonniger und deutlich wärmer als am vorhergehenden Tag war. Also machten wir mit Marc, Sabine Kevin und Hund Greta einen kleinen Spaziergang durch die abgelegene Idylle ringsum, bevor es wieder zur Schoberth’schen Scheune ging.

Oswalds Bruder Ralf und seine Freundin Nicole konnten leider nicht mehr mit von der Partie sein, weshalb bei den folgenden Aufnahmen der Beobachter etwas getrickst werden musste, was aber nicht weiter tragisch war. Technisch war an diesem Tag alles etwas komplizierter, da zum einen auch Tonaufnahmen gemacht werden mussten und zum anderen der Remotehead des Kamerakrans besonderer Aufmerksamkeit bedurfte. Die Stimmung schwankte üblicherweise zwischen launiger Albernheit und nervöser Anspannung. Heikel wurde es dann bei den Szenen, als Kevin rasiert werden sollte, da das in einem Dialog stattfinden sollte. Sprich: Proben über Proben. Serena als Aufseherin war unheimlich professionell und ging richtig in ihrer Rolle auf. Das ging teilweise so weit, dass sie in den Pausen steif mit völlig gerade durchgedrücktem Rücken dasaß, es selbst bemerkte und feststellte: „Das bin gar nicht mehr ich.“ Auch an diesem Tag verzögerte sich alles deutlich. Perfektionismus fordert eben Zeit. Auch Kevin musste ein gerüttelt Maß Geduld aufbringen, denn gerade bei seiner Opferung musste immer wieder unterbrochen und aus anderen Perspektiven weitergefilmt werden. Melanie und ich mussten nur spätestens halb sieben vom Bayreuther Bahnhof wieder nach Hause fahren, weshalb wir langsam und allmählich wie auf glühenden Kohlen saßen. Andererseits wollten wir auch keinen da von der Arbeit losreißen, nur um uns wegzuschaffen. Die Lösung der Zwickmühle war letztendlich Gudrun, die diesmal erst später zum Set kam. Mit Oswalds klappriger Mühle fuhr sie uns zum Bahnhof, wo wir erstaunlicherweise am Feiertag und Abend einen offenen Schalter vorfanden, uns mal direkt stressfrei ein Ticket kaufen konnten. Erstaunlich, waren wir von Rückfahrten von irgendwelchen ERBEN-Ereignissen doch deutlich anderes gewohnt.

Nach einem kurzen Zwischenstopp zum Fotografieren der mittlerweile auch in Bahnhofsnähe expandierten Konditorei „Macht“ (ein Schelm, wer da an das Musiktheaterstück „Kondition: Macht!“ von GOETHES ERBEN denkt!) huschten wir in die Regionalbahn nach Kirchenlaibach. Dort angekommen hieß es auf den verspäteten Anschluss warten, im Zug nach Hof lernten wir die ersten seltsamen Menschen kennen, die leider mit uns in Richtung Leipzig umstiegen und dort richtig unangenehm wurden. (Wie kann man bitte direkt vor einem Nichtraucherschild sich zu viert gemütlich Zigaretten anzünden, und auch bei höflichen Hinweisen kein Stück reagieren?? Fürchterlich!) Sitzplätze waren trotz der späten Uhrzeit Mangelware, auch im ICE von Leipzig saßen wir nur im gang auf dem Boden. Man kann eben nicht alles haben. Sitzplatz UND Verspätung ging offensichtlich nicht zusammen. Viertel vor zwölf waren wir endlich wieder am Ostbahnhof angekommen und durchs nächtliche Berlin ging es dann per S-Bahn endgültig nach Hause. Ein weiteres Kapitel in der persönlichen Erbenchronik war abgeschlossen.

Copyright Fotos: Antje Wagler

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