Ort: Bochum - Matrix
Datum: 12.10.2004
Für eine der auf dem Papier spannendsten Metal-Paarungen der diesjährigen Konzertsaison nimmt man schon gerne mal eine Stunde Autofahrt auf sich. Es ist passend zum Anlass bereits dunkel, als der Wagen auf die A43 einlenkt und wir unseren in Münster begonnenen Weg unter den Klängen von „Incipit Satan“ und des aktuellen Werks von RAGNAROK fortsetzen. Den Konzertbericht aus Georgsmarienhütte noch im Gedächtnis schweifen unsere Gedanken ab zu meterhohen Flammen aus stinkend lodernden Fackeln, zu versengten und verängstigten Fans in der ersten Reihe und zu einem Headliner, der sich angeblich weigerte, vor dem zwölften Schlage der alten Wanduhr auf die Bühne zu treten. Doch die Stimmung ist gut: Um unsere ohnehin dürftige Haarpracht ist uns schon längst nicht mehr bange und was unsere Arbeitgeber morgen zu unseren schwarzen Augenrändern sagen werden, werden wir beizeiten früh genug entdecken. Während wir noch über die denkbar einfache Anfahrt schwärmen, haben wir uns schon verfahren und erst die unerwartet präzisen Instruktionen eines nur entfernt Ortskundigen („hinterm Real, glaub ich“) führen uns ans Ziel. Auf dem riesigen Parkplatz vor der Location könnte man ein mehrwöchiges Survival-Training ansetzen, doch nach einigen Umrundungen finden wir auch unseren Chefredakteur TK, ob der gemeinen Kälte hinter verschlossener Tür in seinen Wagen verschanzt und trotz der gewiss auf Hochtouren laufenden Heizung in einen dicken Mantel gehüllt.
Rasch huschen wir in das Backsteingebäude und begeben uns durch dieses Labyrinth aus engen Gängen und schmalen Korridoren zum Konzertsaal. Davor werfen wir einen Blick auf den Devotionalienstand, jedoch nur einen kurzen. Raritäten gibt es nämlich keine und statt die CDs für den Preis von 13 Euro 49 anzubieten, hat man sich dafür entschieden, den aktuellen Output teurer als im Laden unters Volk bringen zu wollen – eine gerade für die doch so auf Ehre bedachten Nordmänner wenig noble Geste und höchstens die eine verwirrt durch die Katakomben torkelnde Gestalt, die mir gerne ihren Personalausweis zeigen möchte, zum Beweis, dass sie „wirklich Tobias“ heißt, dürfte hier zugegriffen haben. Für uns heißt es stattdessen ab in den Kessel, der sich nur eine Ecke weiter zu entzünden droht.
Unser Timing ist dabei gespenstisch: Die Vorband, deren Namen wir leider nicht auf den Eintrittskarten zu finden vermochten, war bereits wieder in den Wald zurückgekehrt, in dem die auf dem Ticket (wohl von einer längst vergangenen Veranstaltung) angekündigten, doch nicht erschienenen CARPATHIAN FOREST gleich ganz geblieben waren. 1349 stehen also auf der Bühne, mit ganzen vier Mann in einer wild die Haare schwingenden Phalanx. Der Sound ist grobkörnig, um nicht zu sagen schwammig und breiig und weil das Drumset kaum beleuchtet ist, rätseln wir erst mal, ob Frost überhaupt dabei ist. Irgendwann künden dann sich rasant bewegende Trommelstöcke hinter der Batterie aus Toms und Cymbals auf eine Person am Kit, doch ob es sich hierbei um die Tochter des Besitzes oder den Startrommler handelt, bleibt bis zum Ende ungewiss. So oder so, während auf Platte die polternden Percussions die messerscharfen Riffs zusammenhalten und trotz gewisser Monochromatik stets mit genügend Einfallsreichtum für Akzente sorgen, mutet die Rhythmusmaschine heute Abend lustlos-müde und stoisch-stumpf wie ein Duracellhäschen an. Die ersten Takte akzeptiert man das aurale Chaos noch, doch allmählich macht sich eine leichte Unmut breit: Natürlich war „Liberation“ eine Rückkehr zur Chaostheorie der frühen Jahre und ein ungeordneter Urschrei, doch hat die Band mit dem zweiten Album deutlich zu kennen gegeben, Härte und Struktur dann doch unter einen Hut bringen zu wollen. Gerade die Songs letztgenannten Werks erhalten somit nicht die Sorgfalt, die sie verdienen und es erscheint als wenig sinnvoll, wenn man erst mit einminütiger Verzögerung „Chasing Dragons“, den phänomenalen Opener von „Beyond the Apocalypse“ erkennt. Wenn die Strobos fatalistisch flackern und die Musiker wie im Wahn auf ihre Instrumente einprügeln, ist streckenweise gar nichts auszumachen, kein Riff, kein Beat, keine einzige Note – dann nähert man sich dem Industrial und weißem Rauschen. Die Meute lauscht ergriffen und immobil. Nur selten sieht man Bewegung in den Reihen und erst, als Ravn die Hand zur Faust ballt, strecken ihm ca. 300 Besucher die ihrigen entgegen. In den seltenen Momenten, da man einen Groove ausmachen oder ein Gitarrenmotiv erkennen kann, scheint auch das Potential von 1349 durch, die auf Platte weiterhin eines der Highlights der letzten Jahre bleiben. Doch dieser Auftritt wird wohl kaum in die Geschichtsbücher eingehen.
Gespanntes Warten dann auf GORGOROTH, ein Intermezzo, das wir für ein schnelles Bierchen und das Lüften der in Watte gebetteten Ohren nutzen. Erstaunlich rasch danach und nur kurz nach 22 Uhr besteigen die Norweger jedoch bereits die Bühne. Diese ist in blutiges Rotlicht getränkt und wirkt mit seinen dezenten Kerzenflämmchen eher wie eine Puffszene des örtlichen Improvisationstheaters als eine furchterregende Szenerie. Gaal, den man möglicherweise und abhängig vom endgültigen Urteil nach seinem Berufungsverfahren zum vorerst letzten Mal live in Action sehen wird, wirkt nicht ganz so furchterregend, wie man es schon oft gelesen hat, doch eine beeindruckende Wikingergestalt gibt er noch immer ab. Schon bei den ersten Klängen wird die ganze Klasse der Band klar sowie der kilometerweite Unterschied zu der gerade angetretenen jungen Garde: Die Riffs sind wunderbar sumpfig und fett, das Schlagzeug druckvoll und wuchtig, die Vocals markerschütternd. Sogar der cleane Gesang sitzt fehlerfrei und verleiht den Stücken nicht nur eine zusätzliche Dimension, sondern zudem einen beinahe hymnischen Ton. Sofort ist mehr Stimmung im Publikum, dass nun enger zusammengerückt ist, um gemeinsam zu feiern. Passend zur Stimmung liegt die Betonung verstärkt auf den pumpenden Klassikern, statt den kühlen Prügelorgien und es muss gar nicht viel auf der Bühne geschehen, damit man sich wie in einem Orkan gefangen fühlt. Das Ende des Konzerts halten wir uns vor, um unsere Knochen zu schonen, doch auf der Rückfahrt drehen wir die Lautstärke des CD-Spielers deutlich höher. Man freut sich schon auf Zuhause und die ganzen guten Scheiben, die man schon so lange nicht mehr gehört hat.
tocafi
Copyright Fotos: Hellectric
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