Ort: Hannover - Gilde Parkbühne
Datum: 04.08.2006
Das Grand Hotel van Cleef machte an diesem Wochenende einen kleinen Betriebsausflug durch Deutschland und die erste Station sollte die Gilde Parkbühne in Hannover sein. Nach Wochen mit strahlendem Sonnenschein waren ausgerechnet jetzt die Wettervorhersagen eher durchwachsen, so dass wohl alle Beteiligten vor, auf und hinter der Bühne immer wieder einen Blick in Richtung Himmel schickten. Die letzten Prognosen stimmten uns jedoch recht zuversichtlich, so begaben wir uns frohen Mutes auf die A2 und machten uns am Freitag Nachmittag auf den Weg in die Landeshauptstadt, wo neben fünf GHvC-Eigengewächsen auch die kanadischen THE WEAKERTHANS die Gitarren auspacken wollten.
Die erste Band HOME OF THE LAME fiel für uns leider fast gänzlich dem Umstand zum Opfer, dass auch Terrorverleger einer geregelten Arbeit nachgehen müssen. Aber nach einer Vollbremsung mit qualmenden Reifen und fiesem Gummigestank auf der Autobahn waren wir froh, überhaupt unbeschadet die Konzertstätte erreicht zu haben. Da störte der einsetzende Nieselregen auch nicht weiter und die drei Stücke, die das Hamburger Quartett (Mastermind Felix Gebhard übrigens mit Hannoveraner Wurzeln) noch für uns aufgehoben hatte, verhießen einen gelungenen Festivalauftakt.
Auch der Wettergott schien ein Einsehen zu haben, immerhin hatte Thees Uhlmann auch vor dem Auftritt der Aachener PALE noch mit Hilfe des Publikums ein Gebet in die dunklen Wolken geschickt, und so hörte es auf zu regnen und vier Herren in weißen T-Shirts enterten die Bühne. Stephan Kochs, Drummer und 1993 Mitbegründer der Kapelle, mochte sich diesem modischen Trend offensichtlich nicht unterwerfen und bearbeitete die Felle in gedecktem Dunkelblau und Grün. Die Jungs waren fleißig, von daher erscheint am 01.09. ihre erste Platte „Brother.Sister.Bores!“ beim GHvC-Label. Entsprechend wurde auch viel neues Material vorgetragen. Den Anfang machte da „You Wanna Be So Good“ und weiter ging’s mit „Keep On. Bad Bird“. Sänger Holger Kochs (ja, er und der Drummer sind Brüder und gemeinsam mit Gitarrist Christian Dang bildet das Trio die PALE-Keimzelle) sprang und tanzte wie ein Derwisch über die Bühne, aber nicht nur auf der Bühne wurde ausgelassen getanzt. Auch vor selbiger hatte sich ein besonders eifriger und ausdrucksstarker Tänzer eingefunden, der permanent Gefahr lief, seine Hose zu verlieren, aber offensichtlich großen Spaß an der Musik hatte. Ebenso wurde an SCORPIONS-Sänger Klaus Meine gedacht und PALE widmeten dem Hannoveraner gleich mal einen Song. Diejenigen, die betrunken in der Disco stehen und sooo gern knutschen würden, haben jetzt auch ihr eigenes Stück: „Take Me Out, Bouncers!“ heißt es und war die erste ruhige Nummer, die das Klavier von Jonas Gervink in den Mittelpunkt rückte. „I Am A Ghost“ fand aber alsbald zurück zum treibenden Gitarrensound des Quintetts. „Hello Lucky Thing“ vom bisher erfolgreichsten Album „How to survive Chance“ bestritten beide Sangeskünstler, nachdem Holger noch darauf hingewiesen hat, dass man sich im Anschluss an das Konzert von ihm die Haare schneiden lassen könne. Zwar wurde es dafür bei mir tatsächlich Zeit, ich zog es jedoch vor, mein frisurtechnisches Schicksal weiterhin in die bewährten Hände meiner Friseurin Dilia zu legen. Übrigens nicht die einzige Aktion am Rande: Es gab noch ein Torwandschießen und ein Fotostudio – alles zugunsten von Amnesty International. Doch erst einmal sollten PALE ihren Auftritt beenden und das taten sie nach 45 Minuten mit einer Zugabe, die Holger und Jonas sehr gefühlvoll performten. Auch wenn die Wetterbeschwörungen zu Beginn nicht gereicht hatten – irgendwann setzte doch wieder leichter Regen ein, vermochten PALE diesen kleinen Wermutstropfen bestens auszugleichen. Es war schön anzusehen, mit welcher Spielfreude der Fünfer auf der Bühne agierte und musikalisch war die Darbietung in jedem Fall einwandfrei!
Als nächstes sollten OLLI SCHULZ UND DER HUND MARIE für beste Unterhaltung sorgen. Vorher erwartete uns noch eine launige Ansage vom Gastgeber Thees Uhlmann, der wohl darunter leidet, dass er ständig verwechselt wird (so passiert beim Rock im Park, wo man ihn anscheinend für Peter von den Sporties hielt) und dann betrat ein begnadeter Entertainer die Bühne. Diese Mixtur aus wirklich schönen Songs und unglaublich herrlich schwachsinnigem Gelaber ist wirklich herzerfrischend. Wir wissen jetzt, dass Thees Ollis Wohnung in St. Pauli übernommen und monatelang sämtliche Strafbefehle entgegengenommen hat und auch dass „Elefanten“ im Grunde das Ergebnis einer Blitz-Illu-Reportage ist. Außerdem erklärt „Das letzte Königskind“, warum der Herr Schulz so durchgeknallt ist. Im Ernst: Der Mann hat seine Augen und Ohren halt überall und weiß Gesehenes und Gehörtes wunderbar in Musik umzusetzen. „Die Ankunft der Marsianer“, „Dann schlägt Dein Herz“, „Spooky Girlfriend“ und „Unten mit dem King“ sind beste Beispiele für ein gelungenes Zusammenspiel von Text und Musik. Ihm zur Seite natürlich „Der Hund Marie“ aka Max Schröder an den Saiten. Aber Rampensau Olli steht ganz eindeutig im Mittelpunkt mit seinen kruden Geschichten und Spielchen. So wurde der neue Bassist Greg der WEAKERTHANS auch gleich mal mit ins Geschehen eingebunden und zum „Human of The Week““ ernannt. Vorausgegangen war ein amüsantes Singspiel mit Olli. Schlauerweise hatte Greg sich Unterstützung in Person des WEAKERTHANS-Sängers John mitgebracht. Damit nicht genug, gab es noch ein Deutschrock-Medley, der Wahnsinn gipfelte jedoch in Ollis Bekenntnis, ein großer Heavy-Fan zu sein. So konnte das Publikum ihm dann auch einen Herzenswunsch erfüllen und angetan mit einer orange-farbenen Maske gab die norddeutsche Antwort auf SLIPKNOT eine Metal-Einlage, bei der das gesamte Auditorium zuerst kniete (wer der Aufforderung niederzuknien nicht sofort nachkam, wurde persönlich angepfiffen) und auf ein Zeichen des Meisters (Jump!) aufsprang. Nicht vergessen wollen wir natürlich die BRUCE SPRINGSTEEN-Geschichte, denn auch diesen Künstler verehrt der Hamburger sehr. Vor allem das Video zu „Dancing In The Dark“, das gleich mal an die Gilde Parkbühne verlegt wurde. Zu diesem Zweck erbot sich die blonde Katharina aus dem Publikum, mit ihm ein Tänzchen zu wagen, ganz wie es Bruce in besagtem Video tut… Sehr schön! Nur TRACY CHAPMAN scheint nicht so sein Ding zu sein, macht aber nix, OLLI SCHULZ UND DER HUND MARIE (wie auch die übrigen Musiker) haben ihr Ding auf jeden Fall ganz hervorragend gemacht. Mal ganz abgesehen davon, dass es der Truppe gelungen ist, den Wettergott endgültig zu besänftigen. Wie meinte Herr S.: „Muss wohl auch ein Metal-Fans sein…“ Und die TRACY CHAPMAN-Geschichte lasst Ihr euch beim nächsten Gig von Olli selbst erzählen.
Nach den drei labeleigenen Bands freute sich Thees offensichtlich sehr, die WEAKERTHANS aus Winnipeg/ Kanada anzukündigen. Schon auf dem Hurricane hatte er voller Vorfreude berichtet, bald wieder mit den Kanadiern gemeinsame Sache zu machen (es gab schon vor einigen Jahren eine Live-Zusammenarbeit) und jetzt sollte es endlich wieder so weit sein. Nach dem aufgedrehten OLLI SCHULZ erwartete uns jetzt ganz einfach gute Indie-Gitarrenmucke mit nicht zu unterschätzenden Texten. Die Herrschaften sind bekannt für ihre eher linken politischen Statements, die sie mit ihren Liedern zum Ausdruck bringen. Den Anfang machte der Sänger und Begründer der WEAKERTHANS John K. Samson ganz allein mit einem ruhigen Stück, doch es folgten zwei Songs, in denen die Gitarren deutlich an Tempo zulegten. Insgesamt war es eine bunte Mischung aus getragenen und flotten Tracks. Auch einige neue Sachen („Civil“, „Sun In An Empty Room“, „Nightwindows“)wurden gespielt, denn auch die Kanadier sind nicht untätig gewesen und so wird uns bald ein neues Album ins Haus stehen. Das vorgestellte Material machte live schon einen sehr guten Eindruck und kam wie auch die übrigen Titel gut beim Publikum an, das jedoch während der ersten Bands des Festivals ein wenig reserviert blieb. Aufforderungen zum Klatschen wurden aber auch bei den WEAKERTHANS angenommen. Überhaupt ist der Indie Post Punk mit Folkeinflüssen eher was zum Zuhören und still genießen. Wäre schön gewesen, wenn wir dazu noch ein wenig mehr Sonnenschein gehabt hätten, dann wäre die Musik perfekt gewesen, um ihr auf dem Rasen liegend zu lauschen. Aber auch so war es ein Genuss.
Als mit KETTCAR die vorletzte Band antrat, hatten sich die Reihen vor der Stage noch mal um einiges gefüllt. Geschätzte 2.500 Zuschauer dürften es wohl gewesen sein, die das Grün vor der Gilde Parkbühne bevölkert haben. Nebel waberte über die Bühne, ein Intro erklang und dann ging die Post ab. „Deiche“ von der letztjährigen „Von Spatzen und Tauben, Dächern und Händen“ brachte die Menge dann auch erstmalig so richtig zum Tanzen und Mitsingen. Dies sollte sich bei Knallern wie „Balkon gegenüber“, Landungsbrücken raus“, „Money Left To Burn“, „Im Taxi weinen“, Ausgetrunken“ oder „Ich danke der Academy“ nicht ändern. Es wurde mitgeklatscht und -gesungen (was von Sänger Marcus Wiebusch ausdrücklich gefordert und gewünscht wurde) und bei „48 Stunden“ wurde der erste Crowdsurfer gesichtet. Nicht nur das, auch Thees kam bei diesem Song auf die Bühne und sang gemeinsam mit KETTCAR. Das Grand Hotel van Cleef-Label gibt es im vielleicht ja auch nur, weil 2002 niemand das KETTCAR Debüt „Du und wieviel von Deinen Freunden“ veröffentlichen wollte. Also haben Marcus Wiebusch, Reimer Bustorff (ebenfalls KETTCAR) und Thees Uhlmann die Sache selbst in die Hand genommen. Der Labelname bezieht sich übrigens auf den Schauspieler Lee van Cleef (warum, weiß allerdings keiner mehr so genau) und begründet sich in dem Wunsch von TOMTE-Schlagzeuger Timo Bodenstein, das Ganze möge doch etwas mit Gastronomie zu tun haben. Aber zurück zum GHvC-Festival! Die KETTCAR-Fahrer wurden weiter abgefeiert, hatten noch einen ganz neuen Song namens „Alles vorstellen“ im Gepäck und verabschiedeten sich mit dem ruhigen „Nacht“ von ihren Fans. Zwar war es zu diesem Zeitpunkt tatsächlich inzwischen fast dunkel geworden, aber ohne Zugabe wollten die Hannoveraner (so viele sollen es allerdings gar nicht gewesen sein, waren wohl viele Zugereiste dabei, die jetzt aber dank Marcus und Wikipedia alle wissen, dass Hannover das weltgrößte Schützenfest und eine „Lütje Lage“ (Bier + Korn) hat) die Hamburger nicht gehen lassen. Also kamen Marcus und sein Bruder Lars an den Tasten noch einmal zurück und stellten das Publikum vor die Wahl, entweder als Zugabe ein SLAYER-Cover oder „Balu“ zu spielen. Zwar gab es einzelne Stimmen, die lieber das SLAYER-Cover gehört hätten, aber „Balu“ fand wohl noch etwas mehr Zuspruch und Applaus.
Ein letztes Mal umbauen (wurde jeweils in angenehm kurzer Zeit bewerkstelligt) und das Finale mit TOMTE konnte beginnen. OLLI SCHULZ hatte die Ehre, den Graf von Monte Groovie“ anzukündigen und dann stand Herr Uhlmann auch schon in seiner braunen Lederjacke und natürlich mit seiner Band auf der Bühne. Mitgebracht hatte er die „Geigen bei Wonderful World“ und startete damit langsam in die letzte Runde. „So soll es sein“ nahm dann mehr Fahrt auf und bei „Schreit den Namen meiner Mutter“ gab es kein Halten mehr. Nur verstand das Publikum irgendwie die kleinen Geschichten zwischen den Songs nicht so richtig, jedenfalls schien Thees mit den Reaktionen nicht immer ganz zufrieden gewesen zu sein. Wahrscheinlich wollten die Leute einfach nur TOMTE hören. Hier jagten aber auch die Highlights der letzten beiden Alben („Buchstaben über der Stadt“ aus 2006 und „Hinter all diesen Fenstern“ aus 2003) einander nur so. Mit „Wilhelm, das war nichts“ war auch ein etwas älterer Titel vertreten. Natürlich durften „Du bist den ganzen Weg gerannt“, „Warum ich hier stehe“, „Endlich einmal“ und „Was den Himmel erhellt“ nicht fehlen. Zwischendrin outete der Frontmann sich noch als großer POGUES-Fans, was mit einem kleinen Anspieler gewürdigt wurde und schon war es an der Zeit „Ich sang die ganze Zeit von dir“ zu intonieren. Dieses Lied hat für Thees wohl eine ganz besondere Bedeutung. Er bezeichnete es als „seinen Song“ und nannte in diesem Zusammenhang seinen Wahlspruch: „Alles ist besser als Mittelmaß“. Mittelmaß wird man ihm wohl kaum vorwerfen können. Leider war damit das reguläre Set schon beendet, aber ohne zwei Zugaben konnte dieses Festival unmöglich enden. So kam die Band (übrigens teilen sich TOMTE und OLLI SCHULZ Max Schröder) noch einmal zurück und spielte „Das war ich“, bis dann der endgültige Showdown ausgerufen wurde und die komplette GHvC-Führungsriege Uhlmann, Wiebusch und Bustorff „Die Schönheit der Chance“ anstimmte.
Ein gelungenes Indie-Gitarren-Festival, das zumindest an der Gilde Parkbühne sein Ende fand. Für alle, die noch nicht des Feierns müde waren, gab es noch eine After-Show-Party im nahen Capitol inklusive Shuttle-Bus und Überraschungsband (möglicherweise THE KILIANS, die sich vor dem Gelände mit eigenem Londoner Doppeldeckerbus herumtrieben). Für uns standen allerdings noch gute 100 Kilometer Rückfahrt auf dem Programm, so dass wir den geordneten Rückzug antraten.
Copyright Fotos: Karsten Thurau
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