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HEINZ STRUNK (LESUNG)

Ort: Gütersloh - Weberei

Datum: 22.09.2007

Ein wunderschöner, sonniger Altweibersommertag lag hinter mir und auch der Samstag Abend versprach hervorragend zu werden. Hatte ich mich doch wie etwa 200 andere auch in die Hände von HEINZ STRUNK begeben, der in der fast komplett ausverkauften Weberei aus seinem Werk „Fleisch ist mein Gemüse“ lesen wollte. In diesem Erinnerungsbuch aus dem Schattenreich der Tanzmusik ohne Drogen, ohne Sex und stattdessen mit den größten Hits der 70er, 80er und 90er Jahre hat HEINZ STRUNK alias Jürgen Dose alias Mathias Halfpape seine Erlebnisse mit der Tanzband „Tiffanys“ auf den Schützenfesten, Landjugendbällen und Hochzeiten zwischen Elbe und Lüneburger Heide festgehalten. Nachdem mir bereits beim Lesen dieser Anekdoten einer traurigen Jugend voller pubertärer Sexualnöte, mit schaurigen Provinzgestalten und dem hartnäckigen Traum von einer Musikerkarriere, die Lachtränen gekommen waren, übertrug ich die Verantwortung für die kommenden knapp zwei Stunden in die Hände des Schöpfers dieser höchst authentischen Zeilen, wie mir ein ehemaliger Tanzbandmusiker mit ganz ähnlichen Erfahrungen im Vorfeld versichert hatte.

Pünktlich um 20.00 Uhr erschien Heinzer dann auch auf der Bühne, wo ihn bereits sein Saxofon erwartete und nahm Platz, um sogleich die Bedeutungsschwere des Abends anhand verschiedener Anglizismen und Begriffe aus Hochfinanz, Wirtschaft und Werbung klar zu machen. Hier ging es nicht um ein paar unbedeutende Sätze aus einem unbedeutenden Taschenbuch, sondern um entscheidende Jahre eines Menschenlebens, weshalb auch das richtige Outfit von immenser Wichtigkeit war. Entsprechend tauschte STRUNK sein graues Jackett gegen ein Original-Pink-Panther-Outfit aus der Tiffanys-Zeit und ließ die Stage fortan in glitzerndem Pink erstrahlen. Nach einigen erklärenden Worten, wie der Ablauf des Abends geplant sei und dass es sich um eine Andreas-Türck-Benefiz-Veranstaltung handelte, wurden wir mitgenommen in die heimische Zwergensiedlung in Hamburg-Harburg, wo Heinz sich an einem heißen Augusttag mit dem Schneiden der Rasenkanten abmühte, während im Nachbar-Reihenhaus, die psychisch kranke Rosemarie CHRIS ROBERTS hörte. Überhaupt schien die Zwergenhaus-Siedlung allerlei besorgniserregende Gestalten hervorgebracht zu haben, denn auch Top-Terroristen hatten hier auf Zeit eine Heimstatt gefunden, wie man nach dem 11. September feststellen musste. Um die musikalischen Eindrücke jener Zeit besser rüberbringen zu können, sang Herr Halfpape gern auch mal den ein oder anderen Titel an, so wie „Sommernacht in Rom“ von G.G. ANDERSON, einer der ersten Songs, die er dann gemeinsam mit Tiffanys (nur Tiffanys, kein Artikel!) beim ersten Auftritt anlässlich der Moorwerder Schützenfestes spielen sollte. Detailgetreu und mit viel Sprachwitz wurden die neuen Bandkollegen skizziert und erklärt, wie ein solches Schützenfest abläuft. Aus eigenen Beobachtungen kann ich sagen, dass dies wohl überall nach den gleichen Schemata passiert, nur die Person des Schützenkönigs variiert. „Schützenliesel“ und Volksmusikweisen (das „Carolin-Reiber-Medley“) scheinen zwingend wie der Alkohol zum Gelingen einer solchen Veranstaltung dazu zu gehören. Genauso wie der Eihunger, der sich regelmäßig nach einem siebenstündigen Auftritt im Schützenzelt und dem darauffolgenden Equipmentabbau- und schleppen einstellte. Eihunger ist, wenn jede Pore des Körpers nach Eiern schreit. Während bei Heinz dieser Hungergefühl bereits nach drei Exemplaren gestillt war, schaffte Bandkollege Jens gern auch mal acht Spiegeleier, was zu bedenklichen Cholesterinwerten geführt haben könne. Ob HEINZ STRUNK in der nun folgenden 15-minütigen Pause auch schnell ein paar Hühnerprodukte vertilgte, liegt im Verborgenen, zweifellos hatte er die Gütersloher in der ersten dreiviertel Stunde aber schon bestens unterhalten, so dass sich alle auch zum angekündigten Abschnitt B wieder einfanden und lernten, dass sogar der ausgemachte Frauenschwarm jener Tage, Patrick Swayze, bei Tiffanys keine Frau abbekommen hatte. Tanzbands haben nämlich in keiner Weise den gleichen Glamourstatus wie Rockbands und werden von der holden Weiblichkeit gern links liegen gelassen, was bei den Herren Musikern zu schwerwiegenden Problemen führt, die ihre Zusammenfassung im „1×1 des Wichsens“ fanden. Offensichtlich hatte Heinzer sein Dasein seinerzeit ganz der Musik gewidmet, wie auch die Episode aus der Musikschule Da Capo manifestierte. Dort lehrte er die Sprösslinge besser verdienender Eltern die Handhabung allerlei Blasinstrumente. Besonders der Ansatz und die Beherrschung sämtlicher Tonarten waren von elementarer Bedeutung, Spaß hat der Unterricht wohl weder dem Lehrer noch seinen Schülern gemacht. Die Beschreibung der Vorgänge erheiterte das Auditorium jedoch in gleichem Maße wie die Darstellung eines Landjugendfestes im Landgasthaus Peters in Klein Eilsdorf, bei dem 1.100 Leute waren, obwohl eigentlich nur ca. 350 Personen in den Saal passten. Sehr schön war es, sich genauso wie STRUNK vorzustellen, wie Wolfgang Niedecken, Antje Vollmer, Heinrich Böll und Bandleader Gurki in einer Diskussionsrunde über den Nato-Doppelbeschluss sitzen. Ausgelöst hatte diese Phantasien natürlich „Verdamp lang her“ von BAP, dem der unvermeintliche MARIUS MÜLLER-WESTERNHAGEN und als Krönung noch „Sieben Tage“ der holländischen Protestrockband BOTS folgten. Wie sagte Heinz so schön: „Die heiligen BOTS und die revoltierende Jugend Klein Eilstorf standen wie ein Mann zusammen. Gegen die Städter, den EU-Agrarterror, die Diktatur der ökologischen Landwirtschaft, höhere Dieselpreise und schlecht verarbeitete Gummistiefel.“. Doch der Höhepunkt sollte noch kommen! Er hieß Knut, sah aus wie der einzige Dorfschwule kurz vor dem Coming Out und wurde von der verbliebenden Dorfjugend um 2.30 Uhr genötigt, den „Hamburger“ auf dem Akkordeon zu spielen. Dabei muss es sich um ein nahezu religiöses Ereignis gehandelt haben, das sich mehr als 20 Minuten hinzog, die Anwesenden in Verzückung und Trance verfallen ließ und sich jedes Mal (man war insgesamt 18 mal vor Ort) in gleicher Weise wiederholte. Zu guter Letzt durften wir dann noch Heinzers Begegnung mit der Jungschützenkönig Susanne beiwohnen, die er sogar zum Essen ausführte, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt war, da Susanne erstens Genusstrinkerin und nicht wie Heinz Wirkungstrinker war und zweitens ein derart tristes Lebens führte, dass Heinz sogar seine eigene Tristesse vorzog. Also blieb ihm weiterhin nur die trostlose Welt der Starrer, die in dem Gedicht „Stupor“ überzeugend zusammengefasst wurde. Zum Halbplayback durften wir den Text in einer Art Sprechgesang ebenfalls kennen lernen. Wie nicht anders zu erwarten, handelte er vom ausgiebigen Wichsen und kann auf den Seiten 180 und 181 des Buches „Fleisch ist mein Gemüse“ nachgelesen werden. Blieb nur noch, ein Resümee aus zwölf Jahren Tanzmusik zu ziehen: Die Tanzmusik ist die Dritte Welt der Musik – zumindest, wenn man HEINZ STRUNK glauben darf. Wenn die musikalischen Tiffanys-Darbietungen vielleicht nicht erstklassig waren, so verstand es der Herr in dem ausgesucht hübschen pinkfarbenen Sakko aber hervorragend, aus dieser Zeit zu berichten und sein Publikum zu unterhalten.

Als Zugabe wurde der Rotzkanne noch das Wort erteilt und es erklang ein Medley alter Tiffany-Songs, angefangen mit „Time Is Tide“, dem nachweislich ersten Stück, welches Heinzer mit der Truppe gespielt hat. Belohnt wurde der inzwischen graumelierte Herr mit den immer noch sichtbaren Narben seiner Acne Congobata, die ihn auch noch in den Zwanzigern fest im Griff hatte, mit erneutem langem Applaus, dann verabschiedete sich der Hamburger endgültig von seiner restlos begeisterten Zuhörerschaft. Wer wollte, konnte sich vor Ort noch mit dem Buch bzw. Hörbuch versorgen und ich denke, ich muss meine Ausgabe auch mal wieder aus dem Schrank holen und die Kapitel, für welche die Zeit leider nicht gereicht hat, mit einem erneuten breiten Dauergrinsen durchforsten..

Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff

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