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HELLO I`M JOHNNY CASH

Ort: Osnabrück – OsnabrückHalle

Datum: 23.02.2012

Der Terrorverlag ist mithin für seine „abenteuerlichen“ Konzertreisen bekannt, die nicht immer auf bekanntes, will sagen metallisches oder gothisches Terrain führen. Der Aufbruch zu neuen Ufern (zumindest musikalisch) sorgt ja bisweilen für ganz neue Erkenntnisse, und so war die Ankündigung einer JOHNNY CASH-Hommage in der Hasestadt natürlich ein willkommenes Fressen. Kein Geringerer als GUNTER GABRIEL, geboren 1942 in Bünde, ganz in der Nähe des TV-Headquarters, wollte seinem alten Freund Tribut zollen und das ist in diesem Falle kein medialer Hype. Die beiden waren über viele Jahre Weggefährten, kurz vor Johnnys Tode durfte Herr Caspelherr (so der bürgerliche Name) sogar ein Album mit CASH-Liedern in dessen ureigenem Studio in Tennessee aufnehmen. Nun möchte man die beiden Künstler in Sachen Relevanz wahrlich nicht in dieselbe Schublade stecken, dennoch ähneln sich ihre Lebenswege und ihr musikalischer Output. Gekennzeichnet von Ups und Downs, von Drogenproblemen, finanziellen Krisen und Wiederauferstehung, haben sich beide immer wieder neu erfunden und den Kampf des Lebens angenommen. Seit August 2010 wurde das Musical „Hello, I’m Johnny Cash“ im Berliner Renaissance-Theater aufgeführt, die Rolle der abgöttisch verehrten Muse/ Ehefrau/ Heilsbringerin JUNE CARTER mit HELEN SCHNEIDER ebenfalls interessant besetzt. Die amerikanische-stämmige Sängerin war dem pubertären Terrorverleger erstmals in der damaligen „Disco“ aufgefallen, als Rockröhre in Lack und Leder, danach verlief ihre Vita aber noch weitaus facettenreicher. So war sie die erste westliche Künstlerin, die im Ost-Berliner „Palast der Republik“ auftreten durfte, danach widmete sich unter anderem Musicals und der Vertonung von Kurt Weill-Liedern. Noch dazu sieht sie für annähernd 60 Jahre Lebensalter formidabel aus, was wir an diesem nasskalten Abend allerdings erst später erfahren sollten, denn zunächst stand die Bühne ganz im Zeichen von Herrn Cash aka Gabriel.

Die wenig charmante OsnabrückHalle hatte sich bis kurz vor Beginn um 20 Uhr doch ganz ordentlich gefüllt, der komplett bestuhlte Innenraum dürfte der eher älteren Zuhörerschaft entgegen gekommen sein. Nur vereinzelt konnte man ausgewiesene Country-Fans oder beinharte JC-Anhänger in Fankluft erleben, ansonsten viele Normalos ab 40 aufwärts, die wahrscheinlich genauso neugierig auf Inhalt und Ausführung waren wie wir selbst. Und schnell wurde deutlich, dass der Auftritt einer Dramaturgie folgte, die sich eng an CASHs Vita hielt und die wesentlichen Stationen Revue passieren ließ. Ein „gefakter“ Soundcheck zu Beginn führte zunächst mal in die Irre, doch nach einigen Ansprachen an die Begleitband und einer kurzen, bereits recht eindrucksvollen Intonation des tieftraurigen „Ain’t no grave“ sollte es dann richtig losgehen. GUNTER GABRIEL in (natürlich) schwarz, dazu 2 Herren an der Gitarre, einer am Kontrabass, ein Schlagzeuger und später sollte auch noch ein Pianist in die Tasten greifen. Im Hintergrund ein Original-CASH-Tourplakat und vereinzelte Projektionen. Die Ansagen kunterbunt gemischt, mal in Englisch, häufiger in Deutsch und immer in enger Anlehnung an CASHs ureigene Bühnen-Performance. Die ich zugegebenermaßen eher aus James Mangolds hervorragendem Biopic „Walk the Line“ kenne, denn von „echten“ Auftritten der amerikanischen Stilikone. Schnell wurde deutlich, dass es sich hier um keinen billigen „Cash-In“ (was ein Wortspiel) eines abgehalfterten deutschen Schlagersängers handeln würde, sondern um eine ehrliche, authentische, ja in Teilen auch melancholische Hommage an einen „amerikanischen Freund“. Von seiner Zeit in Good Ol‘ Germany als Funker in Landsberg am Lech über die ersten Plattenaufnahmen bis hin zu den legendären Gefängnis-Auftritten spannte sich der Bogen. Dementsprechend fanden sich in der Setlist Klassiker wie eben „I walk the line“, „Folsom Prison Blues“ oder natürlich „Man in black“, inklusive einer ausgiebigen Erklärung der Farbwahl. Johnny war ein Erlöser und Märtyrer, ein Sünder und Heiliger zugleich, der vor allem seine musikalischen Visionen bis in die letzte Konsequenz auslebte. Inklusive wilder Drogenexzesse, schrottreifer Autos und verwüsteter Hotelzimmer. Der „Cocaine Blues“ spricht hier eine deutliche Sprache. Wie sehr sich der Künstler am Puls der Zeit befand, machen auch die interessanten Cover-Versionen deutlich, es gab keinerlei Berührungsängste zu „modernen Klängen“ und das sonore Bass-Timbre des gebürtigen Ostwestfalen Gabriel kam dem Herrn aus Arkansas recht nah. Sehr interessant beispielsweise das dynamische „Rusty Cage“, im Original von SOUNDGARDEN.

Danach war es aber endlich Zeit für eine weibliche Note und die eingangs bereits gewürdigte HELEN SCHNEIDER wirbelte auch ordentlich Staub auf. Im koketten JUNE CARTER-Stil und mit einer für ihr Alter geradezu atemberaubenden Figur intonierte sie den „Jukebox Blues“, um danach einige Duett-Stücke mit ihrem musikalischen Alter Ego zu performen, etwa „If I were a carpenter“, das Ganze immer wieder unterbrochen von amüsanten Rededuellen und Liebesbekundungen. Schließlich waren die beiden Stars zunächst mal noch anderweitig gebunden, was Herrn Cash aber nicht davon abhielt, sich unsterblich zu verlieben und schlussendlich auf der Bühne ein Heiratsversprechen einzufordern… und auch zu bekommen. Abgöttische Liebe wie auch diverse Exzesse kennzeichneten die bis zu ihrem Tode währende Beziehung zweier Menschen, die nicht mehr ohne einander leben wollten bzw. konnten. Zu Ende ging aber nun nach gut einer Stunde der erste Teil des… ja war es ein Konzert, eine Performance, ein Musical? Nun zumindest waren in der Pause überall zufriedene Gesichter zu sehen, während das Catering der Halle in Anspruch genommen wurde.

Zum 2ten Teil der Darbietung begrüßte uns zunächst Frau „Schneider Carter Cash“ allein, um das spirituelle „Bridge over troubled water“ anzustimmen, danach war es an der Zeit, die Musiker vorzustellen, die sich allesamt mit gelungenen Soli präsentieren durften. Bevor man in die bewegten letzten Jahre von Herrn Cashs Diskographie einbog, sorgte das schwungvolle „Ring of Fire“ für rhythmisches Klatschen im Zuschauerraum. Danach würde es erstaunlich düster und die Frage nach der „Terror-Kompatibilität“ war endgültig obsolet. In den letzten Jahren seines Lebens entstanden die bekannten „American Recordings“ in Zusammenarbeit mit Produzentenlegende Rick Rubin, der Herrn Cash noch einmal völlig neue Facetten entlocken konnte. Der Dreier „Hurt“ (kongenial von den NINE INCH NAILS adaptiert), DEPECHE MODEs „Personal Jesus“ sowie das abermals bewegende „Ain’t no grave (quasi als Duett mit dem „Geist“ JUNE CARTER) sorgte für einen emotionalen Höhepunkt, insbesondere auch in Verbindung mit Herrn Gabriels persönlicher Läuterung. So entledigte er sich vorher seines Haarteils und wies völlig uneitel auf seine „eigenen“ 70 Jahre hin, die man seinem Körper auch ansieht – kein Jugendwahn, sondern die Spuren eines nicht immer einfachen Lebens. Respekt für diesen öffentlichen Seelenstriptease eines Herren, den so mancher heute nur noch mitleidig betrachtet, wie wir im Vorfeld feststellen konnten. Danach Ende der Vorstellung, tosender Applaus, Standing Ovations und offensichtlich zufriedene Musiker, die natürlich noch einmal in die Verlängerung gingen. Eine abermalige Reprise von „Jackson“ sowie das akustisch dargebotene bittersüße „We’ll meet again“ verabschiedete endgültig in die Osnabrücker Nacht.

Danach konnte man allenthalben in zufriedene Gesichter blicken, GUNTER GABRIEL und HELEN SCHNEIDER hatten einem Mythos Respekt gezollt, ohne dabei in Peinlichkeiten abzudriften oder einen künstlerischen Offenbarungseid zu leisten. Die eigene Identität ging eine perfekte Symbiose mit den charismatischen Vorbildern ein, die Songauswahl deckte zudem alle Schaffensphasen des „Man in black“ bestens ab (womit ich nicht gerechnet hatte). Für einen Abend war Mister Cash wieder auferstanden… doch war er eigentlich je weg?

Setlist (ohne Gewähr)
„Soundcheck“

I walk the line
The man comes around
Five feet high and rising
Swing low, sweet chariot
Folsom Prison Blues
Get rhythm
Blue Suede Shoes
Man in black
San Quentin
Cocaine Blues
Rusty Cage (SOUNDGARDEN)
Jukebox Blues (JUNE CARTER)
Times a’ wastin
If I were a carpenter
I got stripes

Bridge over troubled water
Vorstellung Musiker
?
Ring of Fire
Jackson
Hurt (NINE INCH NAILS)
Personal Jesus (DEPECHE MODE)
Ain’t no Grave

Jackson Reprise
We’ll meet again (akustisch)

Copyright Fotos: Karsten Thurau

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