Ort: Köln - Palladium
Datum: 23.11.2019
1994 gegründet, zählen HOT WATER MUSIC spätestens seit ihren wegweisenden Longplayern „Forever And Counting“ (1997) und „No Division“ (1999) zu den wichtigsten Stimmen der weltweiten Punk-/Hardcore-Szene und haben die Musikwelt weit über ihre Genregrenzen hinaus mit ihren ikonischen Texten beeinflusst.
Ihren 25. Band-Geburtstag im Jahr 2019 haben Chuck Ragan (Gesang & Gitarre), Chris Wollard (Gitarre & Gesang), Jason Black (Bass) und George Rebelo (Drums) daher zum Anlass genommen, eine Reihe besonderer Veröffentlichungen und Konzerte zu planen. Zwei Termine führten die Band aus Gainesville/Florida auch an den Rhein. Bereits am 20. November spielten die Jungs ein intimes Clubkonzert im Gebäude 9, drei Tage später kehrten sie nach Köln zurück, um auch noch im ebenfalls ausverkauften Palladium und somit vor rund 4.000 Zuschauern die größte Headliner-Show ihrer Karriere zu spielen. Bereits im Vorfeld hatten HOT WATER MUSIC bekannt gegeben, dass bei dieser Gelegenheit das 2002er Album „Caution“ in voller Länge zu Gehör gebracht werden sollte. Die Konzertbesucher hatten also schon etwas sehr Konkretes, worauf sie sich freuen konnten, denn diese Platte wird bei Fans, Kritikern und der Band selbst als Meilenstein empfunden.
Bis es soweit war, brachten jedoch zunächst mal drei andere Kapellen das Auditorium in Fahrt!
Frühes Erscheinen war Pflicht, wenn man bei SPANISH LOVE SONGS aus Los Angeles mit von der Partie sein wollte. Dylan Slocum (Gesang & Gitarre), Kyle McAulay (Gitarre), Trevor Dietrich (Bass), Ruben Duarte (Drums) und Meredith Van Woert (Keys) enterten nämlich bereits um 17.30 Uhr die Stage, allerdings nicht, um Schmusemusik á la Julio Iglesias unters Volk zu bringen. Stattdessen haben die Kalifornier seit 2014 energiegeladenen Indie-Punk auf dem Zettel, den sie sehr überzeugend rüberbrachten und der mit verdientem Applaus belohnt wurde. Sechs der acht Songs stammten vom 2018er Longplayer „Schmaltz“ und machten wie auch die beiden anderen Stücke eindeutig Lust auf mehr. Die Stimmung war bestens und so kam das Ende nach einer halben Stunde Spielzeit und dem knackigen „Beer & Nyquil (Hold It Together)“ von der besagten zweiten Langrille aus dem Hause SPANISH LOVE SONGS etwas abrupt.
Setlist SPANISH LOVE SONGS
- Losers
- Bellyache
- Sequels, Remakes, & Adaptations
- The Boy Considers His Haircut
- El Niño Considers His Failures
- (No) Reason to Believe
- Otis/Carl
- Beer & Nyquil (Hold It Together)
Aber bereits 20 Minuten später ging es ja schon mit RED CITY RADIO weiter. Dallas Tidwell (Schlagzeug), Garrett Dale (Gesang & Gitarre), Ryan Donovan (Gitarre) und Derik Envy (Bass) sind in Oklahoma City zuhause und die Gründung der Melodic-Punk-Combo datiert auf das Jahr 2007. Dallas und Garrett zählen zu den Bandgründern, Ryan ist 2014 dazugestoßen, Derik erst in diesem Jahr. Das Markanteste an Mr. Dale ist zweifellos sein raues Organ, das deutlich an die Stimme von Chuck Ragan erinnert; ansonsten wusste der Vierer auch mit seiner abwechslungsreichen, gitarrendominierten Mucke zu überzeugen. Im Übrigen sind die Herren echte Rampensäue, die den direkten Kontakt zum Auditorium suchten und der Crowd auch schon mal ein „Ich liebe euch“ auf Deutsch zuriefen. Die Anwesenden waren vom Geschehen auf der Bühne durchaus angetan und so wurde beispielsweise bei „Two For Flinching“ vom 2011er „The Dangers of Standing Still“ auch mitgesungen. Nummern wie „In The Meantime“ vom selbstbetitelten Album aus 2015 gingen in Bein und Ohr und boten sogar noch Raum für ruhige Momente. Insgesamt lieben es RED CITY RADIO sehr temperamentvoll, wie nach dem gefühlvollen Start von „In The Shadows“ (von der letztjährigen EP „Skytigers“) einmal mehr sehr deutlich wurde. Ein gelungener Mix, der auch in der Domstadt bestens ankam und die 40 Minuten Spielzeit wie im Flug vergehen ließ.
Setlist RED CITY RADIO
- Whatcha Got?
- Two Notes Shy of An Octave
- Two Out of Three Ain’t Rad
- Electricity
- Rebels
- Two For Flinching
- Love A Liar
- In the Meantime…
- Show Me On The Doll Where The Music Touched You
- In The Shadows
Eine halbe Stunde später war es an der Zeit, MUFF POTTER zu begrüßen. Die Punk- und Alternative-Band aus Rheine bzw. Münster wurde vor inzwischen auch schon 26 Jahren gegründet, Ende 2009 jedoch auf Eis gelegt und in diesem Jahr reaktiviert. Von der Ur-Besetzung ist nur noch Thorsten „Nagel“ Nagelschmidt mit von der Partie, im zur Seite standen im Palladium Felix Gebhard (bekannt von HOME OF THE LAME) am Sechssaiter, Dominic „Shredder“ Laurenz am Bass und Thorsten „Brami“ Brameier hinter der Schießbude. Brami, der vor einiger Zeit als Kandidat bei „Wer wird Millionär“ mit Günther Jauch über die richtige Fensterputztechnik fachsimpelte, ist aber bereits seit 1994 Teil der Band und auch Shredder zupft schon seit 2000 den MUFF-POTTER-Bass. Ganz offenkundig wurden die Jungs von ihren Fans vermisst und so wurden alsbald die ersten Crowdsurfer gesichtet, die passenderweise zu „Unkaputtbar“ (2000 auf „Bordsteinkantengeschichten“ erschienen) von den Secus aus der Menge gezogen wurden. Nagel erinnerte sich an das erste gemeinsame Konzert mit HOT WATER MUSIC in Hamburg, das im Jahr 2000 gewesen sein musste und daran, dass auch seine Band im Grunde schon silbernes Jubiläum hatte. Als Reaktion gab es ein kleines Ständchen der Zuschauerschaft, ehe man gemeinsam in Erinnerungen an das inzwischen abgerissene Underground in Ehrenfeld, in dem die beiden Gruppen ebenfalls gemeinsam aufgetreten sind, schwelgte. Dazu passte dann auch der Song „Wenn dann das hier“ vom 2005er „Von Wegen“ hervorragend. Außerdem ließ es sich Nagel nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass alle MUFF-POTTER-Songs (auch die Liebeslieder!) gegen Nazis sind und schon sorgte Bramis treibendes Schlagzeug dafür, dass „Auf der Bordsteinkante (nachts um halb eins)“ straight nach vorn drängte. Weiter ging es mit „Wir sitzen so vorm Molotow“ („Heute wird gewonnen, bitte“ aus 2003) und bunten Lichtgewittern. Apropos Molotow: auch dieser Club fiel der Abrissbirne zum Opfer und hat vorübergehend ein neues Domizil nahe des Nobistors auf der Reeperbahn gefunden. Ein Highlight der Show war ganz klar das mitreißende „Fotoautomat“ vom „Steady Fremdkörper“ aus 2007. Und natürlich der Auftritt von Chuck Ragan bei seinem eigenen Stück „The Boat“, das zusammen hochenergetisch vorgetragen wurde. Nachdenklich und mit viel Drive übernahm „Die Guten“, ehe „allesnurgeklaut“ kräftig mitgeklatscht wurde, bevor die Instrumente in den Hintergrund traten, während Nagel noch den Hinweis gab, dass es keine Circle Pits ohne Frauen geben darf und es wieder ab durch die Mitte ging. Blieb noch „Den Haag“, das mit leisen Momenten nach einer Stunde für einen wehmütigen Abschluss des Gigs sorgte. „Zugabe“-Rufe wurden laut, doch da der Rockpalast das gesamte Konzert live streamte, mussten sich alle Beteiligten an den strengen Zeitplan halten.
Setlist MUFF POTTER
- Ich und so
- Unkaputtbar
- Bis zum Mond
- Wunschkonzert
- Wenn dann das hier
- Auf der Bordsteinkante (nachts um halb eins)
- Wir sitzen so vorm Molotow
- Fotoautomat
- Von wegen (aus Gründen)
- The Boat (Chuck-Ragan-Cover)
- Die Guten
- Allesnurgeklaut
- Den Haag
Die Anwesenheit der Fernsehkameras hatte möglicherweise aber auch den Vorteil, dass bei ausnahmslos jedem Slot mit viel Licht gespielt wurde. Erst recht beim Headliner HOT WATER MUSIC, der um 21 Uhr dran war. Während Chuck Ragan & Co. ihre Plätze einnahmen, wurde auch das große HOT-WATER-MUSIC-Backdrop hochgezogen und der Spaß konnte beginnen. Die ersten 45 Minuten gehörten ganz dem Album „Caution“, das in derselben Reihenfolge gespielt wurde, wie es auch auf Platte gepresst wurde. Das Auditorium war sofort Feuer und Flamme und die Stimmung hätte kaum besser sein können! Als Special Guest kam dann auch noch Ingo Donot auf die Bühne und man stellte fest, dass auch die DONOTS aus Ibbenbüren jüngst ihr 25-jähriges hatten. Memories an eine gemeinsame Tour durch Großbritannien und Irland wurde wach und auch ein weiteres „Happy Birthday“ durfte nicht fehlen, bevor die Musiker gemeinsam und mit viel Schmackes „Not For Anyone“ vortrugen. Ganz klar: HOT WATER MUSIC waren ebenso wie ihre Fans in Feierlaune, das wurde spätestens bei den lautstarken „Hohoho“-Gesängen zu „Wayfarer“ deutlich. Nahtlos ging es mit dem kraftvollen „The End“ weiter – hier war einmal Chris für die Vocals zuständig und dann verabschiedeten sich HWM für einen Moment ins Off.
Nach einem kurzen Moment kam Chuck zurück – im Anschlag eine Akustikgitarre, denn „Old Rules“ (2001 – „A Flight And A Chrash“) wurde von ihm im Alleingang und mit kleinem Besteck, aber jeder Menge Emotionen performt. Enthusiastische Akklamationen waren ihm sicher, was auch für den nächsten Track „State of Grace“ („Exister“ – 2012) galt. Hier gesellte sich Chris Cresswell vonTHE FLATLINERS zu den Kollegen von HWM und zu den knackigen Klängen von „Drag My Body“ fand sich auch der Rest der Mannschaft wieder an seinen Arbeitsplätzen ein. Chris Cresswell nicht Chris Wollard? Ja, Mr. Wollard hat sich aufgrund von psychischen Problemen aus dem Tourleben zurückgezogen und ein glücklicher Zufall stellte den Kontakt zu Mr. Cresswell her. Gemeinsam gaben die Jungs abermals ordentlich Gas und ließen es amtlich krachen. „Mainline“ sorgte in diesem Zusammenhang für wahre Drum-Gewitter und das blitzschnelle „Vultures“ vom letzten Longplayer „Light It Up“ aus 2017 inspirierte erneut zu gemeinsamen Gesängen. Zum zweiten Mal war die Zeit für einen Break gekommen und HOT WATER MUSIC ließen sich ein wenig bitten, ehe die Fan-Intonationen sie auf die Stage zurück locken konnten. „Rooftops“ wurde gemeinsam abgefeiert und nach einem rumpeligen Start sorgten straighte Krachlatten bei „It’s Hard To Know“ für gute Laune. Dass die Hymne „Turnstile“ (1997 auf „Fuel For The Hate Game“ veröffentlicht) tatsächlich nach 90 Minuten der letzte Song gewesen sein sollte, führte zu ein wenig Unmut im Auditorium, aber Mr. Ragan hatte sich zuvor noch mal artig fürs Kommen und bei den Supportbands bedankt und auch das Aufflackern des Saallichts ließ keinen Zweifel daran, dass dieser gelungene Punk- und Hardcore-Abend um 22.30 Uhr zu Ende ging.
Setlist HOT WATER MUSIC
- Remedy
- Trusty Chords
- I Was On A Mountain
- One Step To Slip
- It’s All Related
- The Sense
- Not For Anyone
- Sweet Disasters
- Alright For Now
- We’ll Say Anything We Want
- Wayfarer
- The End
- Old Rules
- State of Grace
- Drag My Body
- God Deciding
- A Flight And A Crash
- Rebellion Story
- Choked And Separated
- No Division
- Mainline
- Vultures
- Rooftops
- It’s Hard to Know
- Turnstile
Alle vier Kapellen haben einen wirklich guten Job gemacht und ihre Mucke mit viel Spielfreude und Herzblut rausgehauen. Das Durchschnittsalter im Palladium war erwartungsgemäß ein bisschen höher und ich werde vermutlich nicht die Einzige gewesen sein, die zwischenzeitlich in Erinnerungen schwelgte und sich fragte, wo eigentlich die letzten 25 Jahre geblieben sind. Chuck Ragans Stimme flasht mich auf jeden Fall immer noch genauso wie vor rund zwei Dekaden, als ich das Vergnügen hatte, HOT WATER MUSIC zum ersten Mal zu erleben. Die Amis haben versprochen, weiter fleißig zu sein und MUFF POTTER und SPANISH LOVE SONGS kann man sogar hierzulande in den nächsten Tagen noch live erleben. Vielleicht gibt es von MUFF POTTER demnächst ja auch noch neues Studiomaterial? Und auch RED CITY RADIO sollte man nicht nur als Mitglied der Flanellkarohemd-Fraktion im Visier behalten!
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff
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