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HUGO DISTLER (TOTENTANZ)

Ort: Gütersloh – Martin Luther Kirche

Datum: 14.11.2004

Es ist der vorletzte Sonntag im November – Volkstrauertag zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus und beider Weltkriege. Kein Zufall also, dass der Bachchor Gütersloh gerade heute zum ‚Totentanz’ in die M.-Luther-Kirche einlädt. Okay, es geht hier um Kirchenmusik, aber ‚Totentanz’, das lässt doch aufhorchen…

Doch der Totentanz als Komposition von HUGO DISTLER ist keine leichte Kost, verlangt Konzentration bei Aufführenden wie Zuhörern und so ist es gut, dass man am Anfang des Konzertes das Publikum mit einer Bachsonate für Flöte und Orgel sanft bei der Hand nimmt. Mit 2 Motetten von H. Schütz eröffnet der Chor den Abend. Nun ist der Atem ruhiger und es erklingt noch einmal die Flöte – solo, mit dem Stück ‚Mei’ des Japaners Fukushima. Hier darf Flötistin Gabriele Henn die ganze Bandbreite ihres Könnens unter Beweis stellen. Keine Melodie, nur einzelne Laute entlockt sie ihrer Querflöte, es blubbert und zischt, trillert, knurrt und rumort und ist – so die deutsche Übersetzung des Stückes- ‚unsagbar dunkel’. Dunkel genug, um mit dem ‚Totentanz’ zu beginnen.

HUGO DISTLER komponierte ihn als 26-jähriger 1934, dem Jahr als Hitler sich zum Führer und Reichskanzler ernannte. Der Chor beginnt mit dem ersten von 14 Spruchversen von Angelus Silesius. Und dann kommt er, der Tod. Leise schleicht er sich von hinten an. Man sieht ihn nicht, man hört ihn nur. Und er packt einen mit seiner Stimme im Genick. Michael Hoffmann spricht den Tod, er ist Profisprecher und man hat ihn eigens für diese Aufführung aus Berlin kommen lassen. Klein und unscheinbar in schlichtem Schwarz schreitet er durch die Kirche. Ist mal hier, ist mal da und zieht die Zuhörer ohne Gestik und Mimik nur durch seine charismatische Stimme in seinen Bann. Als der Tod gesprochen hat, erscheint er noch einmal in anderer Gestalt – als Flötenspieler, so wie er auf den Bildern des Lübecker Totentanzes (der Distler als Inspiration diente) als Knochenmann den Reigen anführt. ‚Es ist ein Schnitter, heißt der Tod’ heißt der Choral, den die Flöte nun immer aufs Neue in verschiedenen Variationen intoniert.

Es folgt der nächste Spruchvers des Chores. Die Musik ist expressiv, orientiert sich stark am Text. Plötzliche Wechsel in der Tonhöhe, der Rhythmik , des Tempos und der Lautstärke stellen hohe Ansprüche, sowohl an den Chor als auch an den Zuhörer. Sicherlich einer der Gründe, warum dieses Stück selten aufgeführt wird. Nacheinander holt der Tod nun jedermann zu sich, ob Kaiser, Edelmann, Bauer, Jungfrau, Greis oder Kind und jeder hat einen Grund, warum gerade er nicht bereit ist, mitzukommen. Doch am Ende müssen alle folgen, egal ob reich oder arm, alt oder jung, gut oder böse. Vor dem Tod sind alle gleich. Und so fühlt sich ein jeder im bunt gemischten Publikum zum Tanz aufgefordert, niemand kann sich entziehen.

Am Ende geht einem die Flöte durch Mark und Bein bis der Atem, der ihr die Töne entlockt, langsam verstummt. Eine erdrückende Stille breitet sich aus. Minutenlang verharren die Menschen in stummem Applaus. Chorleiter Sigmund Bothmann kann zufrieden sein – diese Aufführung ist beim Publikum angekommen!

Draußen schwing ich mich auf mein Fahrrad und muss erst einmal tief durchatmen. Die kalte Luft sticht in meinem Brustkorb, der mir wie zugeschnürt vorkommt. Hugo Distler nahm sich 1942 das Leben, da war er so alt wie ich.

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