Ort: Essen - Zeche Carl
Datum: 11.05.2006
Mit KATATONIA verbindet mich seit vielen Jahren eine große Leidenschaft. Angefangen von ihrem ungestümen Klassiker „Dance of December Souls“ über den Wechsel hin zu cleanen Vocals bis zum aktuellen Werk „The Great Cold Distance“: Auf Platte haben sie niemals enttäuscht. Live hatte ich bislang erst einmal das Vergnügen, und das liegt schon mehr als 10 Jahre zurück. Damals hatten wir uns extra auf nach Belgien gemacht, um die Schweden bei einem kleinen Festival zusammen mit IN THE WOODS zu erleben. Und damals wirkten sie auf der Bühne doch recht schüchtern und verloren, teilweise agierten sie gar mit dem Rücken zum Publikum. So war ich gespannt, wie sich die Live-Qualitäten in den letzten Jahren gewandelt haben, und mit dieser Erwartungshaltung machte ich mich auf ins Ruhrgebiet zur altgedienten Zeche Carl.
So gegen 19 30 erreichte ich den Laden (überraschenderweise Staulos), davor flanierten bereits erwartungsgemäß einige Metalheads. Am Ende waren es doch gut 300 Zuschauer, die der Veranstaltung einen standesgemäßen Rahmen verpassten, darunter einige Mädels, aber nur sehr wenige Normalos. Trotz der Lobpreisungen auch in der Indie-Journaille liegen die Wurzeln von KATATONIA im Metal, was sich an den teils recht heftigen Shirts ablesen ließ. Anscheinend hat die Truppe in all den Jahren ihren Credit auch bei den „extremeren“ Leuten nicht verloren, die sich jetzt zunächst mal einer Vorband gegenüber sahen. Die Italiener NOVEMBRE passen im Grunde genommen perfekt aufs Billing, frönen sie doch in etwa demselben Sound und sind zudem auf dem gleichen Label wie ihre ungleich bekannteren Kollegen beheimatet. Peaceville hatten netterweise sogar Gratis Sampler am Eingang auslegen lassen, nette Sache das. Das Quartett um den langmähnigen Shouter Carmelo Orlando gehört irgendwie zur Kategorie Bands „Gibt es schon lange, könnten nett sein, habe ich mich aber nicht ausgiebig mit beschäftigt.“ So erging es wohl den meisten im Publikum, die nicht abweisend aber doch recht abwartend auf die Taten der Südländer warteten. Die legten dann gegen ca. 20 45 los, engagiert und spielfreudig, ohne den letzten Funken zu entfachen. Die Musik kann man ohne zu Zögern als atmosphärischen Dark Metal bezeichnen, der von intelligenten Gitarren Arrangements und vor allem Carmelos eindringlicher Stimme getragen wird. Im Gegensatz zum Hauptact werden dabei noch des öfteren Growls verarbeitet, die mit am besten ankamen. Im Gedächtnis geblieben sind mir „Materia“, der Titelsong des neuen Albums, dann „Memoria Stoica“ und das ältere „The Dream of the Old Boats“. Der Applaus wurde von Song zu Song freundlicher, was die natürlich wirkenden Herren sichtlich freute. Nur eine Sache sollten sie in Zukunft abstellen: Dieses etwas ängstlich wirkende Bedanken bereits VOR dem jeweiligen Applaus wirkt doch irgendwie seltsam. Haben NOVEMBRE auch gar nicht nötig.
Nun aber begann die Wartezeit auf die Großmeister aus Skandinaviern, die zunächst die Stage mit netten Backdrops im „Cold Distance“ Stil verschönerten. Die Meute rückte sichtlich vorfreudig nach vorne, und gegen 22 Uhr wurde ihr Ausharren dann belohnt. Jonas Renkse, Anders Nyström, die „beiden“ Norrmans und Drummer Daniel Liljekvist kamen nach vorne. Optisch machten sicherlich der altgediente Gitarrero Blackheim (oder neuerdings auch BlaKKheim) und Bassist Mattias am meisten her. Der eine mit MANDO DIAO-Frisur zu NIHILIST-Shirt, der andere als langmähniger Extrem Poser par excellence. Im Gegensatz zu beispielsweise ANATHEMA, die eine ähnliche musikalische Entwicklung hinter sich haben, steht hier der Metal Gestus eindeutig weiter im Vordergrund. Vor wenigen Tagen hatten KATATONIA noch ein sehr unangenehmes Tour Erlebnis, als sie nach 13stündiger Anreise in Frankreich feststellen mussten, dass der zuständige Booker für das Metalliance Festival sie übers Ohr hauen wollte (laut Bandhomepage), insofern traten sie gar nicht erst an. Heute gab es dagegen keine Probleme, die Leute fraßen ihnen förmlich aus der Hand, wenngleich die ganz große Interaktion fehlte. Ein Showact wird aus den Schweden wohl nicht mehr, das würde auch gar nicht zu ihrem Sound passen, und so ließen sie lieber „ihre Musik sprechen“ als mit Ansagen zu glänzen. Der leicht pummelige und recht introvertiert wirkende Renkse interpretierte die Songs etwas anders als auf Konserve, sein Gesang wirkte irgendwie härter und nicht so dahingehaucht. Das tat aber der Stimmung keinen Abbruch, die meisten vertieften sich intensivst in die dargebotenen Lieder, die zu einem nicht unwesentlichen Teil natürlich von der „The Great Cold Distance“ stammten („Soil’s Song“, „In the White“, die erste Single „My Twin“…). Ansonsten bot man einen gut gewählten Querschnitt durch die vielen kleinen Songperlen, die im Laufe der Jahre entstanden sind. „Ghost of the Sun“/ „Criminals“ von der „Viva Emptiness“, „Teargas“ und „Sweet Nurse“ von der 2001er VÖ „Last Fair Deal gone down“, „For my Demons“ („Tonight’s Decision“), das wunderbare „Deadhouse“ („Discouraged Ones“ aus dem Jahre 1998)… man merkte schnell, dass hier richtige Fans anwesend sind, die sich mit dem Song Material bestens auskennen. Witzigerweise überzeugte Anders hin und wieder mit feinfühligem Cleangesang, der dem seines Kollegen in nichts nachstand, ein interessanter Kontrast zur Optik und den vielen Teufelshörnern, die er der Menge präsentierte. Irgendwann hat jedes Konzert auch ein Ende, und so verabschiedete sich das Quintett recht schnell und unspektakulär vom Auditorium, was das natürlich nicht auf sich sitzen lassen wollte.
Als Zugaben hatte man dann noch 2 Klasse-Nummern im Gepäck, „Evidence“ und vor allem das sehnsüchtig erwartete „Murder“ aus der katatonischen Frühdiscographie. Da wurde dann ganz zum Schluss noch mal richtig gegrowlt und gerifft, dass es eine wahre Freude war, und die Matten begaben sich auf Propellerflug. Mit einem kleinen aber feinen Drumsolo des präzise agierenden Schlagwerkers wurden wir in die warme Abendluft entlassen, wohlwissend einer ganz besonderen Kapelle gelauscht zu haben, die lieber innere Dämonen als exaltierte Manierismen zur Schau trägt. Schön, dass es auch so etwas noch gibt im heutigen Musikzirkus!
Copyright Fotos: Torsten Hellge
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