Ort: Bielefeld - Falkendom
Datum: 28.10.2006
Wenn Jörg und Heinz zum Kernkrach Festival rufen, dann ist es selbstverständlich, dass auch der Terrorverlag darüber berichtet. Zumal der dritte „Elektrosmog im Selbstversuch“ dieses Mal direkt vor der Haustür stattfand. Und der Falkendom war gegen 19.30 mit ca. 150 Elektroverrückten schon sehr gut gefüllt. Zum Warm Up gab’s von Hiltrud Hecke und Heinz Sütterlin das Kernkrach Begrüßungslied. War ja schon der Tophit der beiden im letzten Jahr. Auch Jörg begrüßte die Anwesenden und (Werbung muss sein) ein kleiner Hinweis auf die just veröffentlichte NACHT’RAUM Scheibe durfte nicht fehlen.
Im Gegensatz zu den vorherigen Festivals in Warendorf begann man mit den Bielefeldern RASPUTEEN doch recht pünktlich. Auch eine positive Neuerung. Die Stage war im Nu geentert und hinter den Synthies postierten sich zwei Typen. Einer verkleidet als Hausfrau mit Lockenwicklern und der andere mit einem Afro nebst dunkler Sonnenbrille. Der Frontmann selbst erschien mit einer Weste gefertigt aus verschiedenen Plastikeinkaufstüten und einer Papiertüte über den Kopf. Schon die ersten Klänge ihres Sets versetzten einen zeitlich um fast ein Vierteljahrhundert zurück Was dort auf der Bühne performt wurde, erinnert doch stark an eine Mischung aus DER PLAN und frühe DAF. Also klassischer Minimalelektro garniert mit einem Schuss Industrial. Die Texte sind recht skurril und handeln von Schaufensterpuppen, Leberwurstbroten und anderen sozialen Katastrophen. Dazu gab’s frisch gezapftes Kölsch für die Musiker von einer weiteren Person, die ebenfalls mit einer Papiertüte sowie einem Bademantel bekleidet links auf der Bühne seine kleine Bar aufgebaut hatte. Wendyhefte, Leberwurstbrote und Persico-Apfelsaft für das Publikum verteilte eine Reiterin. Deshalb wohl die Pferdemagazine. Zwei weitere Bandmember übernahmen bei einigen Songs den Percussionpart auf mitgebrachten Einkaufswagen. Natürlich hatten auch sie eine Papiertüte über den Kopf gezogen und für die anwesenden Damen im Publikum gab es bei den Twins dann den unbekleideten Oberkörper zu bewundern. Sehr skurril und lustig das ganze Treiben auf der Bühne. Neben den oben schon angeführten beiden 80er Jahre Bands würde ich noch eine weitere Combo mit anführen, die sich fast noch geschickter verkleidete als die mittlerweile sechs Burschen auf der Bühne. Die Rede ist von THE RESIDENTS, die bis heute ihre Identität erfolgreich verbergen. Ganz so wird es bei RASPUTEEN wohl nicht sein. Einige Mitglieder betreiben weitaus erfolgreichere Elektroprojekte. Ja, welche Bands aus Bielefeld können das wohl sein? SEABOUND sind es schon mal nicht.
Der Opener war schon mal sehr vielversprechend. Als kleine Zwischeneinlage gab es den ALDI PUNK. Der postierte sich hinter einem weißen Tuch und trällerte zwei alte Klassiker A Capella. Aber schaut euch das lustige Treiben am besten in der Fotogalerie an. So einen Riesen …piep… zeigt er in der Öffentlichkeit. Wo waren da die Sittenwächter ? 😉 Als zweiter Act betrat dann ROB DROID aus Frankreich die Bühne. Auch er hatte eine Kopfbedeckung nötig. Witzigerweise steckte sein Schädel in einem Monitor. Der Gute war zwar ganz alleine, aber sein treibender Party-Electro und seine unglaublich charmante Bühnenperformance trieb die Stimmung weiter in die Höhe. Wenn man schon auf dieser Welt gestrandet ist, dann muss man auch das beste daraus machen. Und es kam verdammt gut an. Zwischendurch gab es dann mal wieder eine Auflockerung mit Heinz und den Damen Jane Fonhier sowie Jane Fonda. Sie animierten die Zuschauer mit ihren Aerobiceinlagen. Die Hälfte des Festivals war ja nun bereits geschafft und so eine sportliche Betätigung kann ja nie schaden. Leider war man jetzt schon wieder nicht mehr im angepeilten Zeitplan.
Die Kernkrach Konzertveranstalter warten jedes Jahr mit einer Überraschung auf. In diesem Jahr waren das… CHARLES LINDBERGH N.E.V. Dass es sich bei deren Auftritt tatsächlich um eine Überraschung handelte, dafür steht die Zahl 22. Denn 22 Jahre ist es her, dass sich die Formation dereinst trennte und ihr zweijähriges musikalisches Intermezzo beendete. Erstmals 2003 durften die Freunde minimalistischer elektronischer Klänge wieder was von den Hamburgern LINDBERGH hören. Kernkrach veröffentlichte vier alte Songs. Beim Betreten der Bühne waren im Publikum sowohl skeptische aber auch sehr offene und interessierte Blicke zu sehen. Der Auftritt erinnerte ein wenig an die Anfänge von WELLE: ERDBALL, schließlich wurden die beiden Sänger Haiko und Carol bei einigen Songs von einer Dame (Suntje) im weißen Kleid unterstützt und diese wirkte auch als An-moderatorin/ Abmoderatorin der Songs mit. Als sehr gelungen und vom Publikum als sehr gut angenommen zu bezeichnen sind die Songs “Weihnachtsmann“ und eine Coverversion von WITTs “In die falsche Welt geboren“ zu nennen. Schön war es zudem mit “Ritter Sport“, “Titania“, “Auf in den Kampf“ und “Jetzt“ vier “Perlen“ der Vergangenheit live zu hören. Und wie am Anfang, so auch am Ende ihres 45 minütigen Auftritts waren die Reaktion im Publikum bunt gemischt. Es überwog jedoch eine tanzende, zufriedene Besucherschar. Das lag wohl auch an dem sehr guten Sound und dem hervorragenden Soundbett. Vielleicht hat den drei Musikern ihr musikalisches Live-Revival ja so viel Spaß gemacht, dass man sie mal wieder sehen kann, den meisten der anwesenden Besucher würde das vermutlich sehr viel Freude bereiten.
Zum Finale versammelte Jörg dann einige VIPs mit Arminia Shirts auf der Bühne und die schossen signierte Bälle ins Publikum. Wie auch schon beim letzjährigen Kernkrach waren die HUMAN PUPPETS aus Griechenland dann die Headliner des Abends. Es war schon fast Mitternacht, als die beiden immer noch damit beschäftigt waren, ihre anlogen Synthies aufzubauen. Von Hektik keine Spur. Und es kommt wie es kommen muss. Auch in diesem Jahr ist der Technik-Gott kein Südländer. Die beiden haben auch beim diesjährigen Festival Probleme mit ihrer Technik. Als sie dann aber in Schwung kamen, hatte man vergessen den Beamer anzuschalten. Den beiden auf der Bühne war deutlich anzusehen, wie nervig das sein kann. Trotzdem boten sie analoge Kost vom Feinsten und hatten die noch verbliebenen Zuschauer sofort im Griff. Verständlich, dass in der ersten Reihe Freunde und Verwandte am lautesten mitjubelten.
Während drinnen die HUMAN PUPPETS aus ihren Instrumenten alles herausholten, machte ich mich bei strömenden Regen auf dem Weg nach Hause. Das Kernkrach Team hat mal wieder ein vorzügliches Line Up auf die Beine gestellt, wobei mich die Lokalmatadoren am meisten überrascht haben. Ich bin auf jeden Fall nächstes Jahr wieder dabei.
Copyright Fotos: Jörg Rambow
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