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KLANGWELTEN FESTIVAL 2006

Ort: Rietberg - Kolpinghaus

Datum: 28.11.2006

Wir haben mongolische Obertonsänger gesehen und die SCHUMANN CAMERATA zusammen mit BLANK & JONES, HUBERT KAH ohne Sandalen und Mieze am Trapez. Und natürlich TOKIO HOTEL! Aber dieser Abend versprach etwas ganz besonderes zu werden. Das Klangwelten Festival hielt Einzug in Ostwestfalen, genauer in der kleinen Karnevalshochburg Rietberg in der (Verzeihung) tiefsten Provinz. Veranstalter ist ein „gewisser“ Rüdiger Oppermann, der als Meister der keltischen Harfe gilt und – was noch wichtiger ist – als Mittler zwischen den musikalischen Kulturen der Welt auftritt. So holt er seit Jahren Meister ihres Fachs aus den entlegendsten Winkeln unserer Erdkugel nach Deutschland, um sie dem heimischen Publikum zu präsentieren. Zu präsentieren wohlgemerkt, nicht vorzuführen. Und das Spannende daran: Er pflegt den integrativen Gedanken und lässt diese so unterschiedlichen Künstler miteinander musizieren, was zu völlig neuen Klangerlebnissen führt und zu einer gegenseitigen Befruchtung, wie man so schön sagt. Der Ansatz dieses Konzertberichts soll es nun nicht sein, sämtliche Instrumente in epischer Breite zu erklären und mit Musiktheorie zu langweilen. All diese Informationen finden sich auf der Festivalhomepage hervorragend dargeboten, siehe hierzu den Link am Ende dieses Pamphlets. Vielmehr soll es eher eine Art Erlebnisreise werden, eines zwar musikalisch nicht unbedarften aber doch in diesen Breiten eher unwissenden Hobby-Redakteurs…

Kurz vor Konzertbeginn um 20 Uhr erreichten wir das Kolpinghaus in Rietberg, in dem bereits emsiges Treiben herrschte. Das Publikum bestand im Wesentlichen aus mittelaltem Bildungsbürgertum, wie sagte meine Kollegin so schön: „Sämtliche Gymnasiallehrer der Gegend mit Anhang.“ Während man sich mit Knabbergebäck und kalten Getränken eindeckte, nahmen wir unsere Plätze in vorderster Reihe ein, manchmal hat es schon Vorteile, zur schreibenden Zunft zu gehören. Die Bühne war bereits ausgiebigst präpariert worden, allerlei Instrumente zeugten von einem abwechslungsreichen Programm, welches uns die nächsten 2.5 Stunden erwarten sollte. Und schon ging es los mit dem armenischen Duo NAIRI, bestehend aus Arto Avetisian und Lisa Kanchukh. Der Herr agierte an „seinem“ Nationalinstrument, der Oboe Duduk, welche durch ein besonders breites Mundstück und eine damit einhergehende sehr warme Klangfolge besticht. Dazu steuerte die optisch kontrastreich in weiß gekleidete (und sehr aparte) Dame rechts auf der Bühne Geigenklänge bei. Armenien ist ein Land an der Grenze zwischen Okzident und Orient, und so besitzt auch die landestypische Musik Schnittstellencharakter. Zur zweiten Hälfte des Stücks „Eskisner/ Haykakan Meghediner“ kamen dann auch Jatinder Thakur und Rainer Oppermann himself auf die Stage. Erstgenannter stammt aus Indien, lebt aber in Wien und wird als bester Tablaspieler der westlichen Hemisphäre angesehen. Tablas sind Trommeln, welche wahlweise aus Holz oder Messing bestehen, drei davon befanden sich nun vor dem sympathisch wirkenden Jatinder, der im Schneidersitz und mit Babypulver bewaffnet für die Percussion sorgte. Herr Oppermann widmete sich der überdimensionalen keltischen Harfe im hinteren Bühnenbereich, ein kleiner, schon recht graugelockter Mensch, den man irgendwie sofort als Kulturschaffenden identifizieren konnte.

Nach diesem Entrée folgte erst einmal eine launige Begrüßung, inkl. Werbung für das 20 Jahre Klangwelten Retro Opus, 6 CDs mit 220 Seiten BOOKlet. Danach folgte eine längere Ankündigung für die EKUKA GROUP aus Uganda, mit Sicherheit der exotischste Import der diesjährigen Festivaltournee. Die 4 Herren stammen nicht aus einer der Großstädte des viel bewegten Landes sondern aus einem Dorf an der Grenze zum Sudan, wo man jeden Abend nur hoffen kann, am Morgen wieder aufzuwachen. Musik spielt im Leben dieser Menschen eine ganz andere Rolle, so werden alltägliche Weisheiten in Texte verpackt, das nachfolgende Lied handelte beispielsweise von der häuslichen Körperhygiene. Doch so ungewöhnlich ein Quartett aus Afrika für uns auch sein mag, für die Herren selbst ist Deutschland so weit entfernt wie der Mond und vieles von dem, was sie hier erleben durften, wird ihnen in ihrer Heimat niemand glauben. Ein Glück, dass dieser November zu den wärmsten aller Zeiten gehört, im Vorjahr hätten sich, Ekuka, Jimmi, Joel und Bartelomew buchstäblich den Arsch abgefroren. Vor allem in ihrer Bühnenbekleidung! Lustige Hüte mit Federn und neckischer Fell-Lendenschurz. Darunter allerdings (zum Leidwesen einiger Damen?) europäische Unterwäsche. Doch das Gefühl kitschiger Urlaubsfolklore wollte sich zum Glück nicht einstellen, dazu musizierte man viel zu engagiert und authentisch. Die Vier saßen nebeneinander auf kleinen Schemeln und präsentierten einen Song namens „Cil Paco“. Dazu muss man wissen, dass in Afrika Musik eher einen beiläufigen Charakter besitzt, niemand würde dort so interessiert lauschen wie das Auditorium an diesem Abend. Von daher gehen die Kompositionen auch eher in die Breite und dauern an die 2 Stunden! Das musste heuer natürlich verdichtet werden, insofern eine neue Erfahrung für beide Seiten der Bühne. Als Hauptinstrument fungiert die Okembe, auch Daumenpiano genannt, welche größtenteils aus alten Fahrradspeichen besteht und spiralartig verlaufende Töne erzeugt. In Bezug auf hypnotische aber limitierte Tonfolgen ein wenig an die Drehleier erinnernd und da gibt es noch einen Bezug zur „schwarzen“ Szene: Die Glöckchen an den Füßen kennt man auch vom Wave Gotik Treffen.

Nach der begeistert aufgenommenen Performance folgte nun ein großer Sprung nach Asien, genauer Java, von dort stammt nämlich das Duo AGUS WAHYU RHYTHM EXPLOSION. Der dortige traditionelle Sound wird im Normalfall immer von größeren Ensembles dargeboten, die Reduzierung auf nur 2 Musikanten ist selbst dort ungewöhnlich. Bzw. 3, denn für den ersten Titel (das traditionelle „Adem Ayen“) gesellte sich Rüdiger Oppermann mit hinzu. Alle drei setzten sich auf den Boden, vor ihnen jeweils ein Saron, das ist eine Art Metallophon mit 6 Tasten, auf welchen mit Hämmerchen musiziert wird. Die Schläge greifen dabei perfekt ineinander, so dass im Prinzip jeder nur die Hälfte der Töne anspielt. Was zu einer sehr hohen Geschwindigkeit führt aber natürlich auch einer großen Koordination untereinander bedarf. Unterstützt wurde die Musik durch Lautmalereien der beiden Asiaten, die in loser Folge Schreie und andere merkwürdige Geräusche ausstießen, welche sicherlich ihrer heimatlichen Tradition geschuldet sind (genannt „Sanggak“). Noch deutlicher wurde das beim darauf folgenden „Kemprung Tarung“, vom Festivalleiter als „Volksmusik auf Techno“ angekündigt, da die beiden Herren in den traditionellen Gewändern sehr avantgardistisch komponieren. So saßen sie nun auf einem kleinen Podest rechts oben auf der Bühne mit ihren mehrteiligen Trommelsets – den sogenannten Gendang – und präsentierten Percussionkunst vom feinsten mit wilden Schreien garniert.

Zeit für Europa! Ich hatte mich schon auf den niederländischen Akkordeonmeister Servais Haanen gefreut, der bislang nur in kleineren Nebenrollen (beispielsweise am Gong) aufgetreten war. Nun aber kam sein erster großer Auftritt, zusammen mit Oppermann an der Harfe war das Stück „Perpetuum Modale“ an der Reihe, eine Bearbeitung bzw. Ergänzung eines PENGUIN CAFÈ ORCHESTRA-Originals. Die traditionelle europäische Klangerzeugung wirkte sofort vertraut aber keineswegs banal, denn beide Protagonisten spielten ihre jeweiligen Instrumente entgegen ihrer normalen Verwendung. Kein irischer Folk auf der Harfe, keine Hans Albers-Rührseligkeit am Akkordeon. Vielmehr wirkte die ganze Sache melancholisch und sehr repetetiv, bisweilen erinnerte mich der Harfenanschlag an die Gitarrenarbeit von PINK FLOYD. Sehr gelungen.

Vor der avisierten Pause aber stand mit dem „Lango Jump Dance“ noch ein besonderer Leckerbissen auf dem Programm. 2 der Afrikaner standen links am Mikro und sorgten für Gesang bzw. Musik, während die anderen beiden Herren einen einheimischen Tanz beisteuerten, der fröhlich und unbekümmert daher kam. Die Herumhüpferei wurde beizeiten so ekstatisch, dass der jüngere der beiden seine Sandalen verlor.

Um ein wenig runterzukommen folgte danach eine kurze Pause, in der bereits eifrig das Gesehene reflektiert wurde. Gegen 21 30 ging es dann aber schon weiter, wobei man sich im 2ten Part nicht ganz an die vorher verteilte Setlist hielt, soweit wir das beurteilen konnten. So folgte zunächst ein Ensemblestück, bei dem fast alle Musiker aller Herren Länder zusammen kommunizierten. Das ergab ein fast mittelalterlich klingendes und sehr mitreißendes Lied, für mich sogar der Höhepunkt des gesamten Abends! Insgesamt wurde der 2te Teil dieses Konzertabends eher durch gemeinsames Musizieren dominiert, doch Herr Haanen bekam auch noch die Möglichkeit eines Soloauftritts. Ein Mann und ein Akkordeon und Null Langeweile. Der „Jonas-Felsen“ bot die Möglichkeit traditionelles Flair mit eher ungewöhnlichen Melodieläufen zu verbinden, mittlerweile hatten wir auch erkannt, an wen uns der Niederländer optisch erinnert: An eine Kreuzung aus Matthieu Carrière und Huub Stapel (siehe „Verfluchtes Amsterdam“).

Ein weiterer Höhepunkt manifestierte sich in dem sehr passend betitelten „Asian Percussion Dialogs“. Hier wurde praktisch ein „Gespräch“ zwischen den indischen Tablas links und den javanischen Gendang inszeniert. Die Trommeln wirbelten ineinander, gegeneinander, miteinander und erzeugten beizeiten gar einen hypnotischen Sog. Da hätte ich mir jetzt noch einen richtig guten Metal-Drummer vom Schlage eines Dave Lombardos gewünscht! Neben dem instrumentalen Austausch kommunizierte man auch verbal miteinander, wobei der eher ruhige Jatinder erst gegen Ende auf die Herausforderungen der Gegenseite reagierte. Einer der beiden Asiaten setzte dann sogar noch ein Megaphon ein, was sehr zur Unterhaltung des Publikums beitrug. Ein weitere gemeinsame Performance, bei der lediglich dem armenischen Blasinstrument etwas zu viel Lautstärke beigemessen wurde, beendete den Abend vorerst und alle Hauptdarsteller verabschiedeten sich unter enthusiastischem Beifall. Eine Zugabe schien unumgänglich.

Und da schien es fast zwangsläufig, dass mit den Afrikanern die größten Exoten noch einmal vorne Platz nahmen. Einer der Herren bedankte sich auf Englisch bei Rüdiger und seiner Frau sowie den Deutschen im Allgemeinen, die ihnen einen so wunderbaren Empfang geliefert hätten. So ein Kompliment hört man natürlich gerne und nicht nur deshalb wurde beim letzten Song noch einmal ordentlich mitgeklatscht. Der Text bestand aus einem englisch-einheimischen Kauderwelsch, klar wurde aber, dass es sich um ein charmantes Loblied auf Veranstalter und Festival handelte, welches dem gesamten Abend noch einmal eine schöne Krone aufsetzte.

Fazit: Ein ungewöhnliches Konzertereignis voller Überraschungen, Gegensätze und Gemeinsamkeiten, getragen von absoluten Könnern ihres Fachs, die zudem sehr charismatisch rüber kamen. Wir werden nun sicher nicht zu Weltmusikfans mutieren, aber dieser Blick über den musikalischen Tellerrand hat definitiv Spaß gemacht. Auf die nächsten 20 Jahre, Herr Oppermann!

Weitere Infos: Klangwelten Festival

Copyright Fotos: Karsten Thurau

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