Ort: Hildesheim – Flughafen Drispenstedt
Datum: 14.08.2011
Alljährlich pilgern im August unzählige Schwarzkittel nach Hildesheim, wo seit der Jahrtausendwende allerlei gotische Klänge locken. Auf zwei Bühnen gibt es sowohl unter freiem Himmel als auch indoor ein vielfältiges Musikangebot, zu dem sich im Laufe der Zeit zusätzlich ein Mittelaltermarkt und Modenschauen gesellt haben. Komplettiert wird das Programm durch Lesungen und natürlich die DJ-Partys im Hangar. Für mich beschränkte sich das elfte M’era Luna allerdings auf die musikalischen Darbietungen des Sonntags; da war es gut, dass unser Fotograf schon tags zuvor seine Knipse ausgepackt hatte.
PAKT
Während am Samstag noch die Sonne über dem M’era Luna schien, regnete es am Sonntag Bindfäden, als pünktlich um 11.00 Uhr PAKT den zweiten Festivaltag eröffneten. Passend zum schwarzen Großereignis war am Freitag die erste Single „Freiheit“ des Duos Chris Ruiz und Gio van Oli (Ex-AND ONE, siehe auch die unschönen Begleiterscheinungen in Form der Statements von Herrn Naghavi) erschienen, das sich auf der Bühne allerlei weiblicher Unterstützung versichert hatte. Gerade mal drei Tracks standen beim 15-minütigen Auftritt der Berliner auf dem Programm, dann verschwanden die Herrschaften mitsamt Anhang auch schon wieder im Off. Man durfte den Mix aus EBM, NDW und Electro-Pop, der deutliche AND-ONE-Anleihen aufwies, wohl als eine Art Weckruf für die schwarze Gemeinde verstehen, die so langsam auch tatsächlich aus ihren Löchern gekrochen kam.
FORMALIN
Ebenfalls aus der Hauptstadt waren FORMALIN angereist. E-Drums und Laptop unterstanden dem blonden Gabor, während am Mikro Fronter Tominous das (verzerrte) Sagen hatte. „Berlin City Industrial“ nennen die Hungerhaken ihre Mucke – entsprechend viel Krawall machte dann auch der als Ballade angekündigte letzte Song, der ebenso wie seine Vorgänger vom letztjährigen Debüt „Bodyminding“ mit schnellen, harten Klängen dafür sorgte, dass die Hypotoniker im Publikum sich um ihren niedrigen Blutdruck keine Sorgen mehr machen mussten.
THE BEAUTY OF GEMINA
Schnell wieder rüber zur Hauptbühne, wo bereits seit wenigen Minuten die Schweizer THE BEAUTY OF GEMINA vor erwartungsgemäß überschaubaren Zuschauerreihen dem Regen trotzten. Nach der Auflösung seiner Vorgänger-Band NUUK hatte der platinblonde Sänger Michael Sele TBOG 2006 aus der Taufe gehoben und inzwischen drei Platten veröffentlicht. Der eidgenössische Düsterrock präsentierte sich wie bei „The Lonesome Death of A Goth DJ“ tanzbar und natürlich auch nicht frei von Melancholie. Das miese Wetter nahm der Bandvorstand mit Galgenhumor und machte aus seinem Song „Shadow Dancer“ kurzerhand „Rain Dancer“, dem mit „This Time“ eingängiger Dark Rock folgte. Das gitarrendominierte „Suicide Landscape“ (ein Nummer 1-Hit in den World Gothic Charts) erntete derweil viel Applaus, bevor der Vierer es mit dem flotten „Dark Rain“ krachen ließ und „Rumours“ eine letzte Einladung zum Tanzen aussprach.
Setlist THE BEAUTY OF GEMINA
?
The Lonesome Death of A Goth DJ
Shadow Dancer
This Time
Suicide Landscape
Dark Rain
Rumours
MIRRORS
Der Hangar war an diesem Sonntag fast ausschließlich einer härteren Gangart vorbehalten. Einzige Ausnahme waren vier Jungspunde aus Brighton, die adrett in Schlips und Kragen hinter ihrem Elektro-Equipment agierten, das sie auf zwei geräumigen Tischen in Position gebracht hatten. Der Synthie-Sound, der 2009 von James New und Ally Young gegründeten Kapelle, weist deutliche Parallelen zu Bands wie OMD und KRAFTWERK auf; das Quartett nennt seine Musik selbst „Electronic Soul“ und nennt neben den genannten Gruppen auch Einflüsse von DEPECHE MODE und BLANCMAGE. Entsprechend gab’s gepflegte Elektronik auf die Ohren, wobei insbesondere der Gesang an die Synthie- und New-Wave-Pioniere von OMD denken ließ. Im Gepäck hatten die Briten Stücke ihres im März erschienenen Erstlings „Lights And Offerings“, von dem es beispielsweise das temporeiche „Searching In The Wilderness“ zu hören gab. „Hide And Seek“ ging unmittelbar ins Bein und auch „Into The Heart“ blieb tanzbar, wenngleich ein melancholischer Unterton nicht zu überhören war. Beim finalen „Ways To An End“, das sich gutgelaunt ins Hirn fraß, warf sich James „Noo“ New schließlich mit vollem Körpereinsatz auf sein Tasteninstrument – offensichtlich können auch unterkühlt wirkende Herren im Maßanzug in bester Rockstar-Manier ausrasten.
COMA DIVINE
COMA DIVINE ist ein Soloprojekt der L’ÂME IMMORTELLE-Sängerin Sonja Kraushofer, die für diese Kapelle sowohl Mitglieder von L’ÂME IMMORTELLE als auch ihres weiteren Standbeins PERSEPHONE um sich versammelt hat. Optisch wirkte das Ganze ein bisschen wie eine Darbietung einer leicht zerlumpten Piratentruppe, die von einer üppigen rothaarigen Matrone angeführt wurde. Zu diesem Thema passte auch das „Sea-Sheperd“-Backdrop, das an diesem Tag immer mal wieder im Hintergrund zu sehen war und auf die militante Umweltschutz-Organisation aufmerksam machte, welche sich den Schutz der Meere auf ihre Fahnen geschrieben hat. Außerdem ergoss sich auch noch jede Menge Wasser auf der Bühne, da die Deckenkonstruktion wohl in Anbetracht der Regenmassen kapituliert hatte, weshalb es ein Loch in der Plane gab, aus dem sich das kühle Nass wasserfallartig auf die Stage ergoss. Nun sind Wasser und Elektrizität nicht gerade Freunde, daher musste ein Herr an der Langaxt seine Technik erst einmal in Sicherheit bringen, während fleißige Helfer gegen die Fluten kämpften. Ansonsten war das Interessanteste der Anblick des Cellos, das Martin Höfert spielte, denn hier bestand der Unterbau aus einem metallischen Gerippe. Musikalisch konnten COMA DIVINE zumindest meinen Geschmack so gar nicht treffen. Dicke Frauen, die irgendwo zwischen Gothic, Metal und Klassik vor sich hin knödeln, sind einfach nicht mein Ding. Damit nicht genug, kam der Sound insgesamt auch nicht so richtig aus dem Quark. COMA DIVINE wollten wohl rocken, aber das ist ihnen irgendwie nicht wirklich gelungen.
A LIFE DIVIDED
Wie tatsächlich gerockt wird, konnte man sich gleich im Anschluss im Trockenen ansehen und -hören. A LIFE DIVIDED gibt es bereits seit 2003, doch insbesondere ihr Sänger Jürgen Plangger ist erst seit 2006 einem breiteren Publikum bekannt, weil er zu diesem Zeitpunkt als Gitarrist bei EISBRECHER angeheuert hat. Der EISBRECHER-Mitbegründer Noel Pix hat auch das aktuelle Album „Passenger“ der Münchner produziert, von dem die Truppe sieben Songs präsentierte. Der Opener „Change“ ließ es gleich amtlich krachen – immerhin spielten A LIFE DIVIDED auch vor ziemlich vollem Haus. Ihnen dürfte das schlechte Wetter in die Hände gespielt haben, aber es waren auch jede Menge Leute da, welche die Kapelle schon kannten und auch gut mitgegangen sind. Entsprechend wurde auch „Words“ mehr als wohlwollend beklatscht und die donnernden Gitarrenriffs von „Doesn’t Count“ abgefeiert. „Anyone“ schloss sich nicht minder druckvoll an, ehe „Sounds Like A Melody“ dem ALPHAVILLE-Klassiker ein neues (Rock-)Gewand verpasste, für das es verdientermaßen jede Menge Applaus gab. Mit „Hey You“ schloss sich eine weitere Breitseite an, zu der Jürgen einen Ausflug in den Graben unternahm, bevor es zum stadiontauglichen Schmachtrocker „Heart On Fire“ Lebkuchenherzen fürs Auditorium gab.
Setlist A LIFE DIVIDED
Change
Words
Doesn’t Count
Anyone
Sounds Like A Melody
Hey You
Heart On Fire
COPPELIUS
Ein Haufen Typen in der Gewandung des ausgehenden 18. Jahrhunderts mit klassischen Instrumenten wie Cello, Klarinette, Kontrabass und Pauke? Allerlei Zierrat auf der Bühne? Das können nur COPPELIUS aus Berlin sein! So stand es auch auf großen Lettern auf dem Backdrop, das mich ebenso wie der erneut stärker werdende Regen auf der Main Stage erwartete. „Habgier“ stand gerade auf dem Zettel. Will sagen: Metal mit klassischen Equipment, wobei insbesondere die eingesetzten Klarinetten dem Ganzen einen gewissen jiddischen Touch gaben. „Coppelius hilft!“ war das Versprechen, das die Herren als nächstes gaben, ehe sie sich als „Diener 5er Herren“ outeten. Mit einem blitzschnellen Start legte „I Get Used To It“ los und die stilvollen Zeitreisenden rockten was das Zeug hielt. Es ist tatsächlich nicht zu negieren, dass COPPELIUS sich insbesondere IRON MAIDEN verschrieben haben. Einen vergleichsweise ruhigen Abschied vom „Kammer-Core des 19. Jahrhunderts“ (COPPELIUS über COPPELIUS) gab’s mit „Ade mein Lieb“!, für das Max Coppella und Comte Caspar am Bühnenrand Platz nahmen und ihren wahnwitzigen Streifzug durch lange vergangene Zeiten in gewohnt authentischer und abgedrehter Weise beendeten.
TEUFEL
Der nächste Akteur im Hangar war gleich zweimal dran. Später am Tag mit seiner Formation TANZWUT und jetzt in seiner Eigenschaft als TEUFEL. Eine entsprechende Fratze erwartete die große Zuschauerschaft bereits auf einem farbigen Backdrop, bevor rotes Licht über die Stage waberte und Spoken Words die nun folgenden 35 Minuten eröffneten. Mit Masken angetan kamen der TANZWUT- und CORVUS-CORAX-Vorstand sowie seine Mannen auf die Bühne und es gab erst einmal einen gehörigen Schluck „Absinth“. So heißt auch die erste Solo-Langrille des Mannes mit den haarigen Hörnern, der sich Mittelalter-Industrial-Rock mit Dudelsäcken, harten Gitarren, Maschinensounds und treibenden Beats sowie ausnahmslos deutschen Texten ins Stammbuch geschrieben hat. Während der Chef seine Maske schnell lüpfte, blieben die Mitstreiter weiter unerkannt, man darf also rätseln und unken, ob auch hier die Mitglieder von TANZWUT oder CORVUS CORAX einbezogen sind. Auf jeden Fall geht es bei TEUFELs allein elektronischer zu, wie beispielsweise der druckvolle „Todesengel“ unter Beweis stellte. Die traurige Geschichte „Der dürre König“ zeigte, dass auch Balladen beim TEUFEL viel Wumms haben, bevor „Die Moritat von Mackie Messer“ die böse Variation des Brecht/Weill-Evergreens zu Gehör brachte. Auch hier durfte natürlich der Dudelsack nicht fehlen, während die Menge sich im Arme schwenken übte und „Kalt ist mein Herz“ ebenso wie das krachende „Den speise ich“ wieder amtlich Gas gab. „Der Fährmann“ stocherte keinesfalls vergeblich im Nebel und mit einem Hinweis auf den noch ausstehenden TANZWUT-Gig und das kommende TW-Album „Weiße Nächte“, das am 16. September in die Plattenläden kommt (übrigens genau ein Jahr nach „Absinth“), verabschiedete sich TEUFEL fürs Erste von seinen Fans.
Setlist TEUFEL
Tritt ein (Intro)
Absinth
Der Todesengel
Der dürre König
Die Moritat von Mackie Messer
Kalt ist mein Herz
Den speise ich
Der Fährmann
MONO INC.
Tatsächlich! Es hatte aufgehört zu regnen! Nun soll es aber auch ein MONO-INC.-Phänomen sein, dass sich die Himmelsschleusen schleunigst schließen, wenn die Hamburger zu rocken beginnen. Selbiges verriet Sänger Martin Engler, während er allein auf einem Barhocker saß und sich anschickte, das IGGY-POP-Cover „The Passenger“ zu intonieren. Bevor es damit so richtig losgehen konnte, wurde das zahlreich erschienene Publikum allerdings noch informiert, dass die 105. Folge MONO-INC.-TV gedreht werden sollte und man auf entsprechenden Einsatz seitens des Auditoriums zählte. Das war schon fast zu eifrig bei der Sache und startete bereits mit lautstarken Beifallsbekundungen, obwohl Kamerafrau und Drummerin Katha Mia noch gar nicht auf der Stage war. Doch dann war’s so weit und das Ergebnis kann wie immer auf der Band-HP begutachtet werden. Auch ohne visuelles Beweismaterial wäre die Nummer, zu der schließlich auch der Rest der Band wieder an Board kam, sicherlich abgefeiert worden, denn MONO INC. sind nicht nur stets ein Garant für eine fette Show, sondern konnten ihre Anhängerschaft in den letzten Jahren stetig vergrößern. Daran dürfte die Tour mit UNHEILIG nicht ganz unschuldig gewesen sein und so schaffte es die aktuelle Langrille „Viva Hades“ immerhin auf Platz 50 der deutschen Charts. In der Aufmachung des Album-Covers tauchte die Kapelle dann auch auf der Bühne auf, nachdem Katha Mia ihr Schlagzeug-Solo beendet hatte und es gab mit „Voices of Doom“ und „Symphony of Pain“ zwei weitere Lieder auf die Mütze, zu denen nicht nur die Zuschauer mitsingen konnten, sondern auch Katha Mia nicht mit ihren „Ahs und Ohs“ sparte. Ab Oktober sind MONO INC. wieder auf Tour und freuen sich darauf, viele neue MONO-INC.-TV-Episoden zu drehen.
TYSKE LUDDER
TYSKE LUDDER live zu Gesicht zu bekommen, hat schon gewissen Seltenheitswert, deshalb habe ich mich auch überpünktlich von MONO INC. verabschiedet (wer später kommt, kann auch früher gehen) und mich wieder auf zum Hangar gemacht. Dort war das Trio allerdings schon im vollen Gange und haute den Anwesenden knallharten Electro um die Ohren. Gewürzt wurde der akustische Beitrag mit allerhand Videos, die auf einer großen Leinwand im Hintergrund liefen und ergänzt wurden um die Interaktion der Bandmitglieder Claus Albers (Gesang), Olaf A. Reimers (Keys) und Ralf Homann (Percussion & Shouting). So wurde beispielsweise bei „Tempelberg“ von der im April veröffentlichen fünften Platte „Diaspora“ eine Israel-Fahne geschwenkt. Der Davidstern fand sich außerdem neben dem „TL“-Emblem im Bühnenbild wieder – ziert er doch auch das aktuelle Albumcover. Mit ihrem Auftritt, den Videos und Songtexten dürfte die „deutsche Hure“ beim M’era Luna mit Sicherheit polarisiert haben. Nicht nur die zwingenden Industrialklänge von „Bastard“ dürften nicht jedermanns Sache gewesen sein, auch die dazugehörigen Bilder und Lyrics waren nicht ohne, aber für derlei Provokationen stehen TYSKE LUDDER ja schließlich auch schon seit mehr als 20 Jahren. Entsprechend hauten sie auch „Wallfahrt“ und „Canossa“ raus, ehe es mit „Singing Yeah Yeah Yippie Yippie Yeah (Ich hab ne Tante in Marokko)“ ganz andere Klänge auf die Ohren gab. Dieses nur kurz angerissene Lied war natürlich nicht wirklich ernst gemeint und mit „Shokkz“ und „Panzer“ ging es dann auch gewohnt straight und martialisch weiter. Ganz zum Schluss zeigten sich der Dreier ein bisschen versöhnlicher, aber da war auch schon eine aufblasbare TYSKE-LUDDER-Bombe auf das Auditorium niedergegangen – mal ganz abgesehen von dem Industrial-Inferno, das die Herrschaften angerichtet hatten.
END OF GREEN
Für einen kleinen Sprung vor die Hauptbühne reichte die Zeit noch, auch wenn die Begleitumstände nicht so prickelnd waren: Es hatte wieder begonnen zu regnen! Irgendwie passte das deprimierende Wetter aber auch zum END-OF-GREEN-Düsterrock nordischer Prägung. Ihrem Namen nach haben die Stuttgarter die Hoffnung eh aufgegeben und bezeichnen ihren Stil als „Depressed Subcore“. Bereits seit 1992 ist der gitarrendominierte Fünfer scheiße drauf und weiß dies auch musikalisch gekonnt umzusetzen. In diesem Genre sind die Jungs um Sänger und Gitarrist Michael Huber absolute Vollprofis und so blieben sie auch melancholisch als doch tatsächlich am Ende noch die Sonne rauskam.
TYING TIFFANY
Der Lorenz hatte möglicherweise sogar die lichtscheuen Schwarzkittel aus dem Hangar gelockt. Zumindest war’s bei TYING TIFFANY recht übersichtlich. Mir war die Dame italienischer Abstammung bislang nicht bekannt, obwohl sie wohl schon seit einigen Jahren in Sachen Musik und Schauspiel unterwegs ist. Beim M’era wurde sie von einer dreiköpfigen Band begleitet, welche die brachialen Sounds für ihren verzerrten Schreigesang lieferte. Durchaus schräges Zeug, das aber nicht uninteressant war und mitunter basslastig den Magen grummeln ließ. Zum wummernden High-Speed-Electro wälzte sich das Fräulein auch schon mal am Boden – mir reichte der kleine Einblick in ihr Schaffen nach 20 Minuten dann doch und ich widmete mich altbekanntem Mittelalterrock.
TANZWUT
Für diesen Part waren in gewohnt verlässlicher Form TANZWUT aus der Stadt an der Spree zuständig. Bereits seit 1997 sorgen TANZWUT dafür, dass mit Dudelsäcken nicht nur schottische Weisen in Verbindung gebracht werden. Ursprünglich mal aus der Formation CORVUS CORAX entstanden, bekommen bei den Tanzwütigen Mittelalterklänge ein krachendes Elektro-Outfit, mit dem das Septett bereits beim eröffnenden „Toccata“ die Menge im Griff hatte. „Ihr wolltet Spaß“ ist ein gern gehörter Mitklatsch-Evergreen, dem sich mit dem „Meer“ gleich der nächste TW-Klassiker anschloss, dem zwecks Abwendung eines drohenden Unwetters die „Merseburger Zaubersprüche“ folgten. Insgesamt vier Dudelsäcke waren hier in Aktion und tatsächlich blieb es für den Rest des Tages trocken, auch wenn es bei „Wächter“ merklich auffrischte. Natürlich durfte DIE TANZWUT-Hymne nicht fehlen: „Bitte, bitte“ ist zwar im Original von den ÄRZTEn, aber zweifellos für alle Zeiten mit den agilen Mittelalter-Rockern verknüpft. Die forderten mit „Vulkan“ zum allgemeinen Durchdrehen auf, bevor mit „Teufel im Paradies“ ein weiterer Höhepunkt auf der Setlist stand. Wie gut, dass „Der Arzt“ zur Stelle war und blitzschnell eingreifen konnte. „Nein, nein“ hieß es wenig später und auch „Der Schattenreiter“ galoppierte noch einmal vorbei. Einzig das „Trumscheit“ fehlte mir im Repertoire, aber das Leben ist nun mal weder Ponyhof noch Wunschkonzert.
Setlist TANZWUT
Toccata
Ihr wolltet Spaß
Meer
Merseburger Zaubersprüche
Lügner
Wächter
Bitte, bitte (ÄRZTE-Cover)
Vulkan
Teufel im Paradies
Der Arzt
Nein, nein
Schattenreiter
GOTHMINISTER
Aus dem fernen Norwegen waren die Gothic Metaller GOTHMINISTER nach Hildesheim gekommen und hatten nicht nur ihr jüngstes Baby „Anima Inferna“, das im März dieses Jahres das Licht der Plattenläden erblickt hat, im Gepäck, sondern auch jede Menge Pyro. So züngelten zu voluminösen Metal-Riffs und breiten Bass-Sequenzen immer wieder Flammen auf der Bühne oder sprühten Funken zum rhythmischen Sprech- und facettenreichen Melodiegesang des GOTHMINISTERs, der gemeinsam mit seiner Instrumentalfraktion auf absolutem High-Energy-Level unterwegs war, von mir nach einer kurzen Stippvisite allerdings schon wieder verlassen wurde, weil sich open air eine Electro-Legende ankündigte.
PROJECT PITCHFORK
Just am Freitag vorm M’era Luna haben PROJECT PITCHFORK ihren neuesten Silberling „Quantum Mechanics“ rausgebracht und auch der Titeltrack dieser Scheibe war bei der 60-minütigen Lehrstunde in Sachen Synthie-Rock/ Dark-Wave mit von der Partie. Peter Spilles und Dirk Scheuber, die das PROJECT PITCHFORK 1989 gegründet haben und live noch durch Jürgen Jansen, Achim Färber und Carsten Klatte verstärkt wurden, zählen zu den umtriebigsten und erfolgreichsten Vertretern der deutschen Electro-Szene und dürften mit ihrer Musik inzwischen bereits zwei Generationen geprägt haben. Deshalb hatten sich auch jede Menge Zuschauer vor der Mainstage eingefunden, auf der farbige Leuchtdiodenflächen für die visuelle Untermalung der Musik sorgen sollten. Auch die Musiker hatten in guter alter PP-Tradition ein wenig „Kriegsbemalung“ aufgelegt und boten so etwas fürs Auge, aber natürlich stand ganz klar die Mucke im Mittelpunkt. Wobei: Bei „Timekiller“ lohnte es sich schon, etwas genauer hinzusehen – war das nicht Steve Naghavi von AND ONE, der da plötzlich auf der Bühne auftauchte und mitsang? Er war es, verschwand aber nach dieser wunderbaren Nummer gleich wieder und überließ den Hamburgern beim sich anschließenden „Souls“ das Feld. Die spielten sich einmal quer durch ihre Discographie, was im Falle von „Steelrose“ oder auch „Existence“ durchaus temporeich geschah. Es durfte also getanzt werden und zusätzlich heizte Scheuber die Meute noch an, die nur gelegentlich eine kleine Verschnaufpause erhielt. Einziger Wermutstropfen: Der Wind trug den Sound manchmal hörbar weg, sodass im hinteren Bereich und an den Flügeln die Akustik eher suboptimal war.
TIAMAT
Und noch einmal ein kurzer Zwischenstop im Hangar, der inzwischen so gut gefüllt war, dass nur noch Leute hereinkamen, wenn andere hinausgingen. Grund für den Besucheransturm waren TIAMAT aus Schweden, die auf der bisweilen fast dunklen Bühne eine ihrer „schwarzen Messen“ feierten. Als ich dazu stieß, krachten zu rotem Licht gerade massive Gitarrenwände in Slow Motion auf die Schwarzkittel nieder, denn „Cain“ stand auf dem Zettel. Langsam zog das Tempo an und es gab „Whatever That Hurts“ auf die Mütze. Die seit über 20 Jahren agierenden TIAMAT haben dem Gothic Metal ohne Zweifel ihren Stempel aufgedrückt, der hier in aller Ausführlichkeit und Schönheit zelebriert wurde. Da beim folgenden „Divided“ die Stage tatsächlich beinahe komplett im Dunkeln lag, konnte ich von meinem Standort leider nicht erkennen, ob der Bandchef und bekennende Satanist Johan Edlund sich weibliche Live-Unterstützung geholt hatte oder der Gesang zum Klaviergeklimper aus der Konserve kam. Auf jeden Fall, schalteten TIAMAT mit „Vote For Love“ einen Gang höher, wohingegen ich mich für VNV NATION entschied.
VNV NATION
Ronan Harris (Vocals) und Mark Jackson (Schlagzeug) stehen mit ihrer Trademark VNV NATION inzwischen auch schon mehr als zwei Dekaden für Future Pop erster Güte, der insbesondere live keine Wünsche offen lässt. Ronan mag vielleicht nicht der begnadetste Sänger unter der Sonne sein, aber er bringt das nötige Herzblut mit und weiß einfach, wie er mit seinen Fans umzugehen hat – mal ganz davon abgesehen, dass die Musik schlicht mitreißend ist. Deshalb konnte das Duo, das sich zusätzlich zwei Herren für die Synthies auf die Bühne geholt hatte und auch ein wenig mit Licht- und Videotechnik spielte, mit „Chrome“ auch gleich einmal aus den Vollen schöpfen. Die feierwütige Meute war bester Laune, ging sogleich mit und sparte auch nicht am Beifall, bevor es mit „Tomorrow Never Comes“ extrem tanzbar voran ging. An diesem Zustand änderte sich während der gesamten 60 Minuten selbstredend nichts mehr. Die Party war im vollen Gange und ein Hit folgte auf den nächsten. Mit „Shine (Your Light On Me)“ erlaubten die Briten eine kleine Verschnaufpause, bevor Mr. Harris mit „Standing“ „Zeit für gute Laune“ verordnete. Keine Frage, das M’era Luna fraß dem wendigen Kugelblitz aus der Hand und freute sich, dass es mit „Control“ einen ersten Ausblick auf die neue Platte gab, die im September unter dem Namen „Automatic“ erscheinen soll. Beim gefühlvollen „Illusion“ war kollektives Arme schwenken angezeigt, ehe es mit „Beloved“ wieder ans Tanzen ging. Mit „Perpetual“ folgte schließlich der krachende Abschluss und die Gewissheit, dass man keinesfalls die Tour im September verpassen sollte.
Setlist VNV NATION
Chrome
Tomorrow Never Comes
Farthest Star
Shine (Your Light On Me)
Standing
Further
Control
Illusion
Beloved
Perpetual
MY DYING BRIDE
Ein letztes Mal (und der Vollständigkeit halber) wollte ich einen Blick auf das Geschehen im Hangar werfen, wo MY DYING BRIDE gerade zu „Bring Me Victory“ Dampf abließen. Auch die Orgelklänge und knarrenden Langäxte von „Like Gods of The Sun“ wurde von der Gothic-Metal-Gemeinde mit viel Begeisterung aufgenommen, während ich die jaulende Krachlatten (von dieser Bezeichnung möchte sich der Terrorverlag Chef etwas augenzwinkernd emanzipieren – der Terrorverlag-Chef) und umherwabernden Nebelbänke links liegen ließ und mich auf den Weg zum Hauptact machte.
HURTS
Das größte Backdrop des Sonntags gehörte HURTS aus Manchester. 2009 von Theo Hutchcraft und Adam Anderson gegründet, konnten die stylischen Synthie-Popper ruckzuck den deutschen Markt für sich behaupten: Daheim in Great Britain warten Bambi, Echo und MTV Movie Awards auf die Herrschaften und wer kann nicht „Stay“ mitsummen, nachdem Til Schweiger den Track als Abspann für seinen Film „Kokowääh“ ausgewählt hat? Während zu einem Intro die Stage in blauem Licht erstrahlte, tauchten zwei Damen auf, die in ihren schwarzen Kapuzenumhängen genau passend fürs M’era Luna gekleidet waren und sich anschickten, zwei schwarze Flaggen zu schwenken, während langsam aber sicher „Silver Lining“ zu Gehör gebracht wurde. Bei „Wonderful Life“ hatten die sich räkelnden Tänzerinnen inzwischen schon nur noch das kleine Schwarze an; mehr modische Veränderungen sollten dann allerdings nicht mehr folgen. Dafür gab es den leicht unterkühlten Eighties-Sound aus der HURTS-Hitschmiede, die mit „Happiness“ (so auch der Name des 2010er Top-Ten-Albums) ein paar Kohlen auflegte und auf den Videowalls nicht mit visuellen Reizen geizte. Bei „Blood“ mit Streicher-Finale wurde es wieder deutlich getragener und auch „Evelyn“ sparte nicht am Pathos. Bei HURTS wird halt nicht gekleckert, Hutchcraft & Anderson lassen es gleich richtig krachen! Man kann sich bei HURTS auch kaum vorstellen, dass das Duo, das zuvor bei DAGGERS und BUREAU aktiv war, mal kleine Clubkonzerte gespielt hat. Da käme die Dramatik á la „Sunday“ oder „Verona“ (ein Himmel voller Geigen) wohl auch gar nicht zur Geltung und auch das rhythmusbetonte „Unspoken“ brauchte einfach emotionsgeladene Melodramatik. Mit „Mother Nature“ stand weiterer Bombast-Sound auf dem Programm, bevor „Devotion“ wieder in die Vollen ging. Für mich war es zu diesem Zeitpunkt angezeigt, die Segel zu streichen, denn der Rückweg wollte noch zurückgelegt werden und ehe die allgemeine Aufbruchstimmung um 22.00 Uhr den Flughafen Drispenstedt in Beschlag genommen hätte, wollte ich schon auf der A7 sein.
Setlist HURTS (bis 21.35 Uhr)
Intro
Silver Lining
Wonderful Life
Happiness
Blood Tears And Gold
Evelyn
Sunday
Verona
Unspoken
Mother Nature
Devotion
So ging das M’era Luna 2011 nach einem wenn auch regenreichen, aber doch sehr abwechslungsreichen Sonntag zu ende. Für alle Spielarten der schwarzen Szene hatten die Macher einmal mehr jede Menge Künstler und mehr als 20.000 Besucher nach Hildesheim gelockt. Nur mit dem Sehen und Gesehen werden hat es in diesem Jahr nicht so geklappt. Das extravagante Outfit präsentiert sich bei strahlendem Sonnenschein einfach besser, aber da ich in diesem Jahr noch auf keinem Open Air war, wo es nicht zumindest einmal wie aus Kübeln gegossen hat, musste es auch in Drispenstedt regnen. Hoffen wir auf besseres Wetter für das kommende Jahr und eine spannende Bandauswahl – am 11. und 12. August 2012 ist es wieder soweit!
Copyright Fotos: Uli Klenk
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