Ort: Münster - Sputnikhalle
Datum: 12.03.2009
Bereits vor zwei Jahren ist NAGELs vermutlich zu 99 % autobiografischer Roman „Wo die wilden Maden graben“ erschienen und nach einer ersten Lesetour namens „NAGEL mit Köpfen“ mit Thees Uhlmann von TOMTE und deren Bandbiografen Hilmar Bender, ist unlängst das entsprechende Hörbuch in die Läden gekommen. Bevor am 17. April die neue MUFF POTTER Scheibe „Gute Aussicht“ erscheint, liest, erzählt, singt und kommentiert NAGEL u.a. auf der Leipziger Buchmesse und eben in Münster. Im benachbarten Rheine aufgewachsen, zog es Thorsten NAGEL Nagelschmidt irgendwann mit MUFF POTTER genau hier hin. Zwar lebt der Sänger, Gitarrist und Texter der Alternative-Punk-Band inzwischen in Berlin-Neukölln, trotzdem darf man wohl davon sprechen, dass er an diesem Donnerstagabend in der westfälischen Studenten- und Friedensmetropole ein Heimspiel hatte. Zudem war sozusagen als mentale Unterstützung der MUFF POTTER Drummer Thorsten „Brami“ Brameier unter den knapp 100 Zuschauern, die sich den Mix aus Lesung, Diashow, Kurzfilmpräsentation und Akustikkonzert nicht entgehen lassen wollten.
Uns ging es genauso und wir wurden nicht enttäuscht, nachdem kurz vor 21.00 Uhr zunächst demokratisch und ohne Gegenstimme dafür votiert wurde, die Veranstaltung als „Raucherlesung“ abzuhalten. Über gut zwei Stunden gewährte uns NAGEL einen kleinen Einblick in sein Leben und natürlich in die Erlebnisse seiner fiktiven Maden-Hauptperson, die doch erstaunlich viel Ähnlichkeit mit dem Autor selbst hat. Folgerichtig durften die Anwesenden, welche die Lektüre schon kannten, feststellen, dass Herr Nagelschmidt die Schlägerei-Episode und auch die Geschichte vom „muskulösen Jim“ (der sich als Fitnessstudio mit dem Namen „Muscle Gym“ herausstellte) sehr wahrscheinlich selbst erlebt hat. Gleiches dürfte auch für die bislang unveröffentlichte Story aus seiner Neuköllner Edel-Muckibude gelten, in der leider neben seinem CARDIGANS-T-Shirt ein MD-Player und eine FRANK-ZAPPA-Bio gemopst wurden, weshalb er sich nach einigen Gewaltfantasien Otto Schily und Wolfgang Schäuble an die dortige Rezeption wünschte, damit an diesem Ort der körperlichen Ertüchtigung wieder Recht und Ordnung herrsche. Zuvor wurde das Auditorium in die Geheimnisse der Hörbuchaufnahmen mit Farin Urlaub und Axel Prahl eingeweiht. Während der ÄRZTE-Sänger sehr zielorientiert arbeitete, dauerte beim Münsteraner Tatortkommissar alles viermal so lange, da erhebliche Raucherpausen eingelegt werden mussten (Herr Prahl scheint Kettenraucher zu sein, was ihm bei der Premiere seines letzten Tatorts in einem benachbarten Kino auch gleich ein Bußgeld einbrachte, weil er sich nicht ans Rauchverbot gehalten hatte). Um den blauen Dunst und die damit verbundene Sucht ging es dann auch im dritten Ausschnitt aus dem Buch, einer neuen Kurzgeschichte, die im neuen Magazin von Olli Koch (ex-TOMTE) abgedruckt werden wird und in einem darauf folgenden Kurzfilm mit dem Titel „Manche rauchen’s heiß“ mit NAGEL und Brami in den Hauptrollen, sowie dem obligatorischen Song „Rauchverbot“.
Übrigens stand die Lesung nicht nur unter dem Motto „Pudding an die Wand“ (kreiert von Werbetexter Hilmar Bender, der NAGEL zum „besttätowierten Autor“ gekürt hat), sondern wurde auch als „Proll- & Schlampenabend“ angepriesen, womit wir gleich bei den ersten Fotos waren. NAGEL ist viel unterwegs (weil er nach eigenem Bekunden unglaublich reich ist, kann er sich das leisten) und macht auf Reisen gern Bilder von Graffitis, Tattoos, Skurrilitäten und allerhand Obszönem, welche man in den Backstageräumen bundesdeutscher Konzertstätten findet. Es macht den Eindruck, als gäbe es gerade in der Indie-, Alternative- Punk- und Hardcoremuckerszene einen starken Hang zu Peniszeichnungen, sinnentleerten aber dennoch unterhaltsamen Edding-Schmierereien und eher ungewöhnlichen Wortspielen. Schon mal darüber nachgedacht, in welchen Bandnamen man das Wort „Anus“ unterbringen kann? Unsere Fotogalerie gibt darüber eindrucksvoll Auskunft! Daneben griff NAGEL noch einige Male zur Akustikgitarre und erfreute sein Publikum mit Interpretationen brandneuer Songs vom noch nicht erschienenen Band-Longplayer. Konkret waren das „Niemand will den Hund begraben“ und natürlich die kommende erste Singleauskopplung „Blitzkredit Bop“, außerdem ältere Stücke wie „Ich hab ihm ins Gesicht gespieen“ (das Lied zur besagten Prügelei) oder „Ich fühle mich so ungewohnt unbewohnt“ (ein Stück über Partys, zu denen man besser nicht gehen sollte). Wenn NAGEL dazwischen aus dem Musiker-Nähkästchen plauderte, erheiterte dies die Leute nicht minder wie seine Playback-Lesung zu einem Text, der im Hörbuch von Axel Prahl gelesen wird. Eigentlich war vorgesehen, dass Prahl, da er schon mal zum Tatort-Dreh an der Aa weilte, auch einen Wortbeitrag leisten sollte, doch leider wurde ausgerechnet für diesen Abend ein Nachtdreh angesetzt, weshalb die junge Indie-Gemeinde auf den Schauspieler verzichten musste. Letztlich gab es ja auch wunderbare Filme aus dem Hause NAGEL & MUFF POTTER zu bestaunen. Ganz vorn das gelungene Werbevideo für den Münsteraner Tattooshop „Tätowiersucht“!
Kein Wunder, dass auf diese Weise die gut zwei Stunden rasend schnell vergangen sind. Wenn NAGEL die auf eine Leinwand geworfenen fotografischen Fundstücke (die Tattoos hat zum größten Teil MP-Bassist Shredder zusammengetragen) kommentierte, erinnerte das zwar manchmal ein wenig an TV Total und Stefan Raab, aber zweifelsohne ist NAGEL deutlich sympathischer und wirkt um Längen authentischer als der geschäftstüchtige Ex-Metzger aus Köln. Alles in allem eine runde, abwechslungsreiche Sache von großem Unterhaltungswert!
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff
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