Ort: Münster - Sputnikhalle
Datum: 10.12.2008
OLLI SCHULZ singt nicht nur, nein, er liest bisweilen auch aus seinen Memoiren, schließlich hat der Exil-Hamburger und Wahl-Berliner jede Menge zu erzählen, wie jeder Konzertbesucher aus eigener Erfahrung weiß. Nachdem Olli Anfang des Jahres bereits in den bundesdeutschen Metropolen aus dem Nähkästchen namens „Rock ’N’ Roll verzeiht Dir nichts“ geplaudert hatte, zog es Herrn Schulz jetzt nach Westfalen, wo eine rappelvolle Sputnikhalle auf OLLI SCHULZ, Rasmus Engler und die musikalische Unterstützung in Form von HOME OF THE LAME wartete. Wer früh genug gekommen war, ergatterte auch noch einen Platz auf einer der Festzeltbänke, die vor der Bühne aufgestellt waren. Der Rest musste stehen oder setzte sich direkt vor der Stage einfach auf den Boden.
Um 20.45 Uhr ging es dann mit dem „Bibo“-Video los, das auf der linken Seite auf einer großen Leinwand zu sehen war. Hauptdarsteller war natürlich OLLI SCHULZ himself, jedoch gab es neben den Jungs von HOME OF THE LAME und anderen Mitwirkenden noch einen ganz besonderen Stargast, den die Münsteraner Indies sicher auch gern am Hawerkamp gesehen hätten: Die Rede ist von BELA B. von den ÄRZTEn, der den Spaß mitgemacht hat, den Bibo zu machen. Was es mit dem Bibo genau auf sich hat, konnten die Anwesenden später am Abend am eigenen Leib erfahren, doch zunächst einmal erschien der hochgewachsene Musiker und neuerdings auch Schriftsteller auf der Stage, wo er den Ablauf des Abends erklärte, bevor Rasmus Engler, der als knallharter Lektor fungierte, mitsamt Vanille-Duftkerze dazu stieß. Auf dem Programm stand eine Episode aus Ollis Stagehand- und Security-Zeit, die ihn 1996 nach Güstrow in Meck-Pomm führte, wo der erklärte Punk-Fan ein Wochenende lang Schlager- bzw. Eurodance-Fans in Schach halten sollte. Bevor er jedoch so richtig in die Geschichte einstieg, gab es ein Sound-Intermezzo von HOME OF THE LAME, die ihren Song „The Radio“ vom aktuellen Album „Sing What You Know“ zum Besten gaben. Dadurch hatte Olli noch mal Gelegenheit sich zu sammeln, bevor er in der ihm eigenen, atemberaubend schnellen Hamburger Lesart mit dem Vortrag begann, für den er backstage extra seine Zunge noch fix mit einem Whiskey gelockert hatte. Es folgte eine äußerst unterhaltsame Skizzierung der „übergewichtigen Fans mit einem Hang zum Stinken“, die dabei sein wollten, wenn CAPTAIN JACK, SCOOTER, FUN FACTORY, NANA, MR. PRESIDENT und vor allem die BACKSTREET BOYS zum Playback über die Stage hüpften. Kein Spaß für die Securities, die zudem in Güstrow auch noch die Aufgabe hatten, den Teenies ihre Pocketkameras abzunehmen, da die BACKSTREET BOYS nicht auftreten wollten, sofern das gemeine Volk sie hätte knipsen können. Dank Ollis energischen Anweisungen ging die Enteignungsaktion jedoch blitzschnell vonstatten und sollte später noch für ein besonderes Highlight gut sein. Zuvor rückten jedoch HOTL noch mal in den Fokus und spielten einen weiteren Song, lauschten ansonsten aber auch sichtlich amüsiert Ollis Ausführungen, die langsam auf den Höhepunkt der Ereignisse zusteuerten. Nach der ausführlichen Beschreibung der Gemütslage eines Securitymitarbeiters bei einem solchen Konzert („so müssen sich die Alliierten gefühlt haben als sie in der Normandie gelandet sind“), folgte die detaillierte Schilderung der wirklich gelungenen Rache der Grabenkämpfer, die mit zig konfiszierten Kameras ihre Schwänze abgelichtet hatten und auf diese Weise vermutlich eine Schockwelle unter den weiblichen Teenies rund um Güstrow auslösten, als diese ihre Fotos später vom Entwickeln abholten. Auf jeden Fall eine sehr erfrischende Vorstellung, die auch in der Sputnikhalle für viel Heiterkeit sorgte. Weniger amused war Olli allerdings vom Barmann, der unentwegt irgendwelche Gläser und Flaschen hin- und herräumte. Diese permanente Geräuschkulisse und die damit verbundene Unruhe ging ihm ganz gehörig auf die Nerven, was er auch deutlich kundtat, bevor es um 22.00 Uhr und nach einem weiteren sehr gelungenen Track von Felix Gebhard (Gitarre & Gesang), Marcus Schneider (Gitarre & Keys), Alexander Böll (Bass) und Christian Hake (Drums) in eine kurze Pause ging.
Eine viertel Stunde später entschuldigte sich Olli dann auch schon für sein divenhaftes Verhalten, gab aber zu bedenken, dass er eben kein professioneller Schriftsteller sei und bei seinen Lesungen schon ganz schön unter Strom stünde. Außerdem hat er ja auch recht, dass es bei einer solchen Veranstaltung nur angemessen ist, wenn Ruhe herrscht und im zweiten Teil durften ja auch alle Anwesenden auf, vor und neben der Bühne ordentlich Krach machen, schließlich sollte jetzt gerockt werden! Zu diesem Zweck waren in der Pause bereits die Bänke mit vereinten Kräften weggeräumt worden und Rasmus hatte den Arbeitsplatz auf der Bühne gegen den Job am Merch-Stand getauscht, während OLLI SCHULZ und HOME OF THE LAME mit „Ewig leben“ einen starten Einstieg ablieferten. Zweifellos hat Olli mit der Verpflichtung von HOTL ein glückliches Händchen bewiesen, steht ihm sein HUND MARIE momentan ja nicht zur Verfügung, da Dennis Becker und Max Schröder (zwei von drei MARIE-Members) schon mit TOMTE alle Hände voll zu tun haben. Nicht weniger überzeugend präsentierte sich der erste Track der neuen Platte „Das kann unmöglich ich sein“, bei dem es der Herr Künstler beim Titel aber wirklich wissen wollte: „Die Guten, die bluten, weil die Schlechten, sie knechten und der Rest stirbt langsam“! Wie immer bei OLLI SCHULZ-Gigs, wusste der Schwätzer vor dem Herrn wieder jede Menge zu seinen Liedern zu erzählen, die einmal mehr eine wunderbare Melange aus brutaler Realität und schrägen Fantasien waren und musikalisch mitreißend umgesetzt wurden. Entsprechend gut war auch die Stimmung im Publikum, das natürlich auch auf altes Material wartete. Da kam „Song ohne Grund“ gerade richtig, wobei Olli zunächst mit einer PETER MAFFAY-Parodie glänzte. Merke: PETER MAFFAY, dessen Platten täglich auf Tour gehört werden, was eine Grundvoraussetzung dafür war, dass HOTL überhaupt mitgekommen sind, ist BÖHSE ONKELZ für Schlagerfans! Im Anschluss folgte natürlich das berühmt-berüchtigte Deutsch-Rock-Medley, das in Münster sogar noch auf TOMTE, KETTCAR, POLARKREIS 18 und die KILLERS ausgeweitet wurde. Daneben durfte die Story, dass BUSHIDO ob Ollis fetter Reime nicht mehr auftreten will, selbstverständlich ebenso wenig fehlen wie TOKIO HOTEL, HERBERT GRÖNEMEYER, JULI und SILBERMOND. Olli war mal wieder in Höchstform und ließ es sehr geil krachen, nicht ohne den Herren an seiner Seite zu danken und mit Lob zu überschütten. Ganz untypisch war der Umstand, dass er sich zwischendrin auch mal von seiner Gitarre trennte, etwa beim Song „Geheimdienst“; einer sehr druckvollen Nummer über eine tragische Liebesgeschichte, die vom kommenden Sommerhit des Jahres 2009 abgelöst wurde. Erstmals soll nämlich jemand, der mindestens einen Realschulabschluss hat, für den Mallorca-Smasher mit entsprechender Choreografie sorgen und wer könnte diesen Job besser machen als OLLI SCHULZ? Die Münsteraner Indies machten auf jeden Fall äußerst bereitwillig den „Bibo“, das „Ufo“ und den „Grobi“, schließlich hatten sie sich zu Beginn des Abends schon vermittels Video schlau machen können und wenn selbst BELA B. heiß auf den Scheiß ist, kann sich ein Normalsterblicher dem Ganzen schon mal gar nicht entziehen. Gleiches galt auch für „Und dann schlägt dein Herz“, das meiner Meinung nach immer viel zu schnell vorbei und 2005 auf „Das beige Album“ erschienen ist. Mit „Du bist so lange einsam, bis du lernst allein zu sein“ verabschiedete sich Olli mit einem weiteren neuen Stück, das es in sich hat von den Westfalen, die aber unbedingt noch einen Nachschlag wollten.
Den bekamen sie selbstredend auch, diesmal mit Erinnerungen an Ollis ersten Auftritt in Münster, der vor fünf Jahren im Gleis 22 stattfand und dem emotionalen „Weil die Zeit sich so beeilt“, das für einen kleinen besinnlichen Moment in dem alten Industriegemäuer sorgte. „Bettmensch“ – Ollis Hymne an sich selbst – machte heiter weiter, bevor es mit „Saunaaufguss in Langwitz“ böse wurde. Mir schien, Herr Schulz ist kein Freund des Saunierens, schon gar nicht, wenn auch noch Seniorentag ist. Nur gut, dass er dieses schlimme Erlebnis musikalisch aufgearbeitet hat, so hatten wir alle was davon und vermutlich sogar deutlich mehr Spaß daran als der Protagonist selbst. Der holte sich für sein großes Finale die Jungs von HOME OF THE LAME auf die Bühne zurück, erzählte noch schnell das Ende seines Buches, das „Horeworld“ heißen soll und seinen Namen von der unterirdischen Stadt unter der Hamburger Trabrennbahn hat, in der geschundene Pferde sich eine ganz eigene Welt mit Geldautomaten und Crepe-Ständen erschaffen haben, in der Olli ein Jahr als Geisel gelebt hat, nachdem er auf dem Gelände der Trabbahn in einen Brunnen gefallen war. Ein großer autobiografischer Tatsachenroman halt. Zu guter Letzt wurde dann noch mal was feines für Ohr und Bein abgeliefert, wobei es sich Olli nicht verkneifen konnte, sich schnell noch über Münsters „faschistoiden Fahrradfahrer“ aufzuregen, bevor er um 23.20 Uhr das Bühnenprogramm unter großem Jubel beendete, jedoch versprach in einigen Minuten zum Merchandising zu kommen, um dort noch Obst und Autogramme zu verteilen.
Für mich wurde es nach einem Konzertmarathon mit vier Konzerten innerhalb von sechs Tagen allerdings Zeit nach Hause zu kommen. Hinter mir lag ein weiterer absolut vergnüglicher Abend mit OLLI SCHULZ, der mich neugierig auf das komplette neue Album und alle 400 Seiten seines Buches gemacht hat. Beide Veröffentlichungen sind für 2009 geplant und lassen hoffentlich nicht allzu lange auf sich warten.
Setlist OLLI SCHULZ
Ewig leben
Die Guten, die bluten, weil die Schlechten, sie knechten und der Rest stirbt langsam
Isabell
Wie sie
All You Can Eat
Song ohne Grund
Geheimdienst
Bibo
Dann schlägt dein Herz
Du bist so lange einsam, bis du lernst allein zu sein
Weil die Zeit sich so beeilt
Bettmensch
Saunaaufguss in Langwitz
Herzlos
Wenn die Sonne wieder scheint
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff
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