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OSWALD HENKE (LESUNG)

Ort: Potsdam - Waldschloss

Datum: 25.11.2004

Nachdem ich am vorhergehenden Abend die eine Hälfte von GOETHES ERBEN auch schon im bizarren SM-Ambiente des Berliner Darkside-Clubs erleben durfte, stand an diesem Tage Potsdam auf dem Tourplan. „Opfer“-Kollegin Melanie war natürlich wieder mit von der Partie und so machten wir uns per Zug auf in die Nachbarstadt – gespannt, was wir dieses Mal zu Hören bekommen sollten, wechselte die Textauswahl doch angeblich von Ort zu Ort ein wenig. Das Waldschloss selbst entpuppte aber weder als Schloss, noch als außerordentlich pompöse Villa, sondern versprühte eher den sperrigen Charme eines Jugendclubs. Ich wärmte mich mit dem ersten Glühwein des Jahres auf und im Barbereich hieß es erst einmal warten.

Nach 20 Uhr gewährte man dann Zutritt in den eigentlichen Saal, welcher für 80 Personen bestuhlt war, die ersten vier Gäste erhielten noch eine Art kleinen Gutschein, dessen Bedeutung später enthüllt wurde. Es füllte sich, die Sitzplätze reichten gar nicht aus, um alle Schau- und Hörlustigen zu fassen. Dann stahl sich Oswald von hinten durch die Zuschauer auf die Bühne, welche mit einer Fotowand, Tisch, Stuhl, Kerzenleuchter, mysteriöser silberner Box und Sektgläsern dekoriert war. Letztere enthüllten den Sinn des kleinen Gutscheins: Laut Henke’schen Worten sollte es eine „All-Inclusive-Lesung“ werden, dazu gehörte ein Begrüßungssekt für die ersten vier Gäste, welchen diese sich auf der Bühne abholten.

Gelesen wurde vorerst aus dem jüngst erschienenen Buch „Spaziergang durch ein Minenfeld“, welches neben neuen und unveröffentlichten Texten auch die „Henke Trocken“-Kolumnen des Orkus-Magazins enthält, sowie die kompletten Texte beider Musiktheaterstücke „Kondition: Macht!“ und „Schattendenken“. So ließ sich Herr Henke über den Geschmack von Küssen aus, über Grenzgänger, die Faszination roter Knöpfe oder neue, computerisierte Kommunikationswelten – das alles nie ohne ein schelmisches Augenzwinkern. Zwischendrin wurde der All-Inclusive-Service fortgeführt, so erhielten die am weitesten Gereisten einen heißen Jasmintee zum symbolischen Aufwärmen und Personen unter 20 Jahren einen Lutscher. Überhaupt ging die Interaktion mit dem Publikum weit über bloße Anmoderationen hinaus und war mindestens genauso unterhaltsam wie die Textvorträge selbst.

Neben dem neuen Buchmaterial fanden aber auch bekannte ERBEN-Texte aus der vorherigen Veröffentlichung „FSK 18 – Tendenziell menschenverachtend“ ihren Weg ins Programm. So gab es ein Wiedersehen mit altbekannten Gesichtern aus damaligen GOETHES ERBEN-Konzerten, es wurde wieder zum Puppentheater geladen! Heiner, der Metzger aus „Iphigenie“, war mit seinem Hackebeilchen ebenso von der Partie wie Gott und der Teufel mit ihrer berüchtigten Diskussion über die Halbierung der 10 Gebote. Der Humor fehlte also ganz offensichtlich nicht an diesem Abend und Henkes Mimik machte aus einer Lesung ein optisches Fest. Für „Zimmer 34“ wurde in der silbernen Box gekramt und die vertrauten Neonröhren hervorgeholt, welche von Zuschauern gehalten werden mussten. Ansonsten wurde es wie gewohnt mit Diktiergerät und Mikro performt. „Die Form“ wurde dieses Mal zwar ohne Kerzen zelebriert, aber es gab Teelichter, welche Melanie und ich angezündet ins Publikum zu verteilen hatten – ein schöner Anblick, so viele kleine Flämmchen im großen Raum flackern zu sehen.
Im Gegensatz zu Berlin, wo das Publikum teilweise fast schon von den eindringlichen Vorträgen paralysiert schien, reichte der Potsdamer Schlussapplaus nach ca. 90 Minuten auch, um den Bayreuther für ein paar Zugaben wieder hervorzulocken, welche er dann rücklings auf dem Stuhl sitzend darbot. Irgendwann war aber auch dieser Teil endgültig vorbei, doch Oswald stand nach wenigen Minuten schon wieder für Signierungen und Autogrammwünsche bereit, beantwortete geduldig alle Fragen und unterhielt sich angeregt mit seinen Fans und „Opfern“. Ein fast schon intimer Abschluss eines unterhaltsamen und anregenden Abends, der für uns erst sehr spät sein Ende fand.

Copyright Fotos: Antje Wagler

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