Ort: Osnabrück - Kleine Freiheit
Datum: 19.10.2006
Donnerstag Abend, für Mitte Oktober immer noch milde Temperaturen und was erwartete mich kurz vor 21.00 Uhr in der Kleinen Freiheit? Weihnachtsmusik! Ungelogen! Und das zur Record-Release-Party der Indie-Lokalmatadoren PENDIKEL, die ihre neue Scheibe „Don’t Cry, Mondgesicht“ vorstellen wollten und sich bei der Gelegenheit der Unterstützung der drei Jungs von ULME versichert hatten, die beim selben Label „bluNoise“ beheimatet sind. Doch erst einmal musste ich in die ehemalige Bahnkantine am Güterbahnhof überhaupt reinkommen. Nicht, dass die Schlange vor der Konzertstätte so lang gewesen wäre, aber um in die Kleine Freiheit zu gelangen, muss man erst einmal in einen Omnibus steigen, dort beim „Fahrer“ seinen Eintritt berappen und kann dann hinten wieder aussteigen, um anschließend das eigentliche Gebäude betreten zu können. Noch war nicht wirklich viel los, also rieselte noch ein wenig „I’m Dreaming of A White Christmas“ aus den Boxen und etwas Koks auf der Leinwand oberhalb der Theke, wo „Studio 54“ als Stummfilm gezeigt wurde.
Zunehmend versammelten sich mehr und mehr Indies und alternative Schuppenschüttler vor der Bühne und nachdem wir zum zweiten Mal gehört hatten, dass CHRIS REA zu Weihnachten nach Hause fährt, kam Drummer Jan-Eric Heesch auf die Bühne und prügelte erst einmal minutenlang auf die Felle ein. Dann gesellte sich auch Bassist Tim Lietke, Ex-SISSIES-Member, dazu und begann stoisch die Saiten zu zupfen, bis Gitarrist und Sänger Arne Heesch (jap, sind Brüder!) stimmgewaltig loslegte. Der Opener „Aorta“ ist ein Stück der „Green Growing Soul“-Scheibe, auf deren Release-Party die Band untereinander eine wilde Prügelei auf der Bühne anzettelte und damit eine sechsjährige ULME-Funkstille einläutete. Ähnliches blieb heute aus, vielleicht lag das am ausgleichenden Wesen des Bassisten, der den dritten Heesch-Bruder Gunnar ersetzt hat. Auf jeden Fall hat Tim während des Osnabrück-Gigs nichts aus der Fassung gebracht. Da wurde vereinzelt verneinend der Kopf geschüttelt, ansonsten stets cool gepost und für einen groovenden Sound gesorgt. ULME haben seit dem Sommer vier neue Songs am Start und mit „Undergrounded Beauties“ wurde der erste Track der „The Glowing“-EP zu Gehör gebracht und konnte gleich voll überzeugen. Die Heesch-Brüder haben auch in sechs Jahren ULME-Abstinenz nichts verlernt und machten gemeinsam mit Basser Tim eine Hammer-Show. Feinster Doom- und Noise-Rock, der bei „Underground Beauties“ und dem Titelsong des neuen Silberlings stärker als in der Vergangenheit ins Indie-Fach strebt. Ohne Zweifel hatten die rund 200 Gäste ihren Spaß. Hier und da wurde auch getanzt und mitgesungen, die Stimmung hätte kaum besser sein können. Die Musik auch nicht. Das Trio hatte eine bunte Mischung aus dem ULME-Schatzkästchen ausgewählt und gefiel mit brachialen Gitarren, wilden Stakkati und Arnes Mörderstimme. Dabei kommen die Nordlichter nicht einfach nur ruppig daher, sondern bauen gern auch ganz langsam eine unglaubliche Spannung auf, die sich in einem heftigen Rock ’n’ Roll-Gewitter entlädt. Da war es keine Frage, dass die Jungs nicht ohne eine Zugabe entlassen wurden. „Azrael“ stammt ebenfalls von der aktuellen EP und ist ein wunderbar düsteres Stück mit elektrisierenden Gitarren und Drums, die den ganzen Raum erfassten. Nach 75 schweißtreibenden Minuten mussten ULME zum Leidwesen vieler Fans die Stage jedoch endgültig räumen und als Kontrastprogramm erklang ein drittes Mal CHRIS REA neben weiteren Christmas-Songs, aber nun, Dominosteine gibt es ja auch bereits seit September und die werden auch schon gern gegessen.
Das Warten auf die nächste Band ist ja manchmal ein wenig wie die Vorfreude an Weihnachten, wobei diesmal die Vorfreude nicht das Schönste war! Auch PENDIKEL überzeugten auf ganzer Linie, leider hatten sie etwas Probleme mit der Technik, da Laptop und E-Piano nicht so recht wollten. PENDIKEL sind eigentlich inzwischen zum Duo Carsten Sandkämper (Gesang und Gitarre) und Oliver Klemm (Gitarre) geschrumpft; die beiden werden live jedoch von Falk Schlukat (der auch Mitbetreiber der Kleinen Freiheit ist) am Bass und dem barfuss spielenden Lutz Möllmann am Schlagzeug begleitet. Das gibt dem Sound ein fettes Live-Flair, noch mal um Längen besser als auf CD! Nachdem Carsten die Anwesenden mit den Worten „Das Seminar ist eröffnet, holt bitte auch die anderen rein“ begrüßt hatte, konnte es gegen 23.15 Uhr mit dem Hauptact losgehen. Es war noch ein wenig voller geworden, vielleicht wirkte es aber auch nur so, weil sich im Gegensatz zum vorherigen Auftritt von ULME keiner direkt an den Bühnenrand traute. Berührungsängste vor der Osnabrücker Indie-Legende? Zum Warmwerden spielten PENDIKEL dann mit „Stehen“ erst einmal ein älteres Stück, bevor den überwiegenden Trainingsjacken- und Ringelpulli-Trägern vier neue Songs präsentiert wurden. Man gab sich ungestüm spielfreudig und Sänger Carsten bewies, dass er ebenfalls schreien kann, auch wenn zwei ganz unterschiedliche Shouts sind, die ULME-Fronter Arne und PENDIKEL-Mastermind Carsten da zelebrieren. Kaum hatte er zu „La Chanon Parfaite“ von der „Don’t Cry, Mondgesicht“ am E-Piano die „Udo-Jürgens-Gedächtnis-Haltung“ eingenommen, nahm das Unheil seinen Lauf. Das Instrument weigerte sich mitzuspielen und so bezog Herr Sandkämper wieder seinen Platz an der Gitarre. Bei den „Oldies“ „Kaffee machen“ und „Dermaßen voll“ vom 1998er Album „Phantasievoll (aber unpraktisch)“ gab’s so richtig was auf die Ohren, denn auch PENDIKEL verstehen was vom Noise-Rock und da lachte dann auch des Headbangers Herz, der sich zwischenzeitlich mal schnell ein Bier gegönnt hatte, weil er eher mit verkopftem Indie-Schrammel-Kram gerechnet hatte. Aber weit gefehlt! Auch wenn das Programm nicht wie gewünscht gespielt werden konnte, gaben sich PENDIKEL keine Blöße und rockten die Kleine Freiheit auch ohne PC-Schnickschnack gewaltig. Offensichtlich gab es neben dem neuen „Fall B“ auch einen „Plan B“, der kurzerhand in Kraft gesetzt wurde. Zwar hieß es nach einer Stunde, man müsse jetzt Schluss machen, da man nicht mehr Stücke geübt habe, aber so einfach kam das Quartett natürlich nicht davon. Schließlich war die Bühne doch auch auf das Allerliebste mit orangefarbenen Lampions geschmückt, das musste doch genutzt werden. Allen Widrigkeiten zum Trotze gab es auch noch zwei Zugaben. Zuerst ein Stück, das eigentlich auch am E-Piano gespielt werden sollte, das haben sich die PENDIKEL-Fans dann einfach mal vorgestellt und so funktionierte die Ballade auch ohne Klaviergeklimper. Fast schien es, als verabschiedete sich der Vierer jetzt tatsächlich. Falk und Lutz begaben sich in den Backstage-Bereich, während die beiden Gitarreros ihre Instrumente auf Dauer-Jaulton einstellten und verschwanden, doch sie besannen sich noch mal und so beschloss „Gewinner“ den Abend endgültig unter heftigem Heimat-Applaus.
Meine Befürchtungen, das auf den ersten Blick spröde neue Album käme live womöglich nicht so gut rüber wie die älteren, rockigeren Sachen, erwiesen sich als absolut unbegründet. Auch die neue Scheibe macht live jede Menge Spaß und so wurde vor Ort wurde noch kräftig weitergefeiert. Da die Zeiger meiner Uhr bereits auf 0.30 Uhr vorgerückt waren und mich eine kurze Nacht erwartete, machte ich mich jedoch rundum zufrieden auf den Nachhauseweg.
Setlist ULME
Aorta
Underfed
Undergrounded Beauties
Under The Tree
The Glowing
Secluded
Beloved Curse
Remind Me
Harvest Man
The White Highways
Azrael
Setlist PENDIKEL
Stehen
Zitatmaschine
Falsche Freunde
Nach dem Piepton
Dead City
La Chanson Parfaite
Rausgehn
Kaffee machen
Fall B
Dermaßen voll
Jason und die Argonauten
Lauter
Gewinner
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff
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