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ROCKO SCHAMONI (LESUNG)

Ort: Bielefeld - Kamp

Datum: 15.06.2007

Knapp acht Monate nachdem sein STUDIO BRAUN-Kollege HEINZ STRUNK auf der Bühne im Kamp Platz genommen hatte, sorgte heute ROCKO SCHAMONI für ein fast ausverkauftes Haus. Lediglich in den ersten Reihen blieben ein paar Stühle frei, dabei gab es gar keinen Grund, auf Distanz zum sympathischen Wahlhamburger zu gehen, der mit „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ sein drittes Buch geschrieben hat, aus dem er den Bielefeldern einige Kapitel vorlesen wollte.

Aufgrund technischer Probleme erschien Herr SCHAMONI mit etwas Verspätung um 20.40 Uhr und erklärte, während er sich ein Glas Rotwein eingoss, dass es sich um eine Raucher- und Handy-Lesung handele. Es wurde ausdrücklich darum gebeten, die Handys anzulassen, man könne ja nie wissen, wer noch alles anriefe und solange man noch in der Öffentlichkeit rauchen dürfe, sollte man dies auch ausgiebig tun – gerade in NRW, da auf dieses Bundesland besonders harte Restriktionen zukämen, deshalb würde er – eigentlich Nichtraucher – aus Solidarität ebenfalls qualmen, was das Zeug hielte. Dann war es an der Zeit, den Protagonisten des aktuellen Romans zu Wort kommen zu lassen. Zwar wies Rocko mehrfach darauf hin, dass alle Geschichten rund um den Kunst hassenden Kunststudenten Michael Sonntag, der das Leben zu seinem persönlichen Feind erklärt hat, rein fiktiv seien, doch kam er selbst das ein oder andere Mal nicht umhin zu gestehen, dass er Ähnliches selbst erlebt oder so beschriebene Typen auch kennen gelernt habe.

Den Anfang machte an diesem Abend das erste Kapitel des Buches, das auf wunderbare Weise einen Arztbesuch beschreibt, der damit endet, dass der verkaterte Hypochonder Sonntag das Wartezimmer-Aquarium samt Fisch austrinkt. Weiter ging’s mit der herzergreifenden Geschichte um das Ende der Beziehung zur Jugendliebe Patricia, von der nur eine Tasse Kaffee übrig blieb, die als „Olympisches Feuer der Liebe“ warm gehalten wird. Rocko war richtiggehend gerührt von der Anteilnahme seines ostwestfälischen Publikums und offenbarte in diesem Zusammenhang, dass er Quizmaster und Schnauzbartträger Jörg Dräger süß findet. Nun gut, muss jeder selbst wissen, letzte Verwirrung stiftete dann ein Gedicht, das Romanfigur Sonntag geschrieben hat, dann wandte man sich wieder der knallharten Arbeit zu, in diesem Fall der Plakatkleberei, der Sonntag bei Gelegenheit nächtens nachgeht. Herr der Plakate ist Maff, seines Zeichens auch Nasen-Drogist (was seine Vorliebe für Speed umschreibt) und nach Rockos Bekunden durchaus auch nach einem realen Vorbild entstanden. Schön ist auch das Lokalkolorit, welches zum einen der leicht näselnde norddeutschen Slang des Vortragenden, zum anderen die vorkommenden Stadtteile, Straßen und Kneipen vermitteln. Und natürlich verweben sich in den geschriebenen Zeilen wieder Wahrheit und Dichtung und wir durften erfahren, dass ROCKO SCHAMONI einst BLIXA BARGELD von den EINSTÜRZENDEN NEUBAUTEN Pisse nannte, was dieser zwar nicht gern hörte, auf diese Weise aber auch für alle Zeiten einen Platz in der Literatur erhalten hat. Wie im Fluge und unter dauernder Zwerchfellanspannung waren die ersten 45 Minuten vergangen und das Auditorium wurde in eine viertelstündige Drogenpause geschickt. Auf den Toiletten sollte sauberes Spritzbesteck bereitliegen und an der Theke sei Polonium-Bowle aus dem Osten zu erwerben. So eine Polonium-Bowle besteht aus dem namensgebenden radioaktiven Element, Staatlich Fachingen, welches der Autor in einer Sprühdose dabei hatte und gern verwandte und Fruchtsaft und liegt wohl ganz schwer im Trend, wenn man mit Speed, Koks und diesem Zeug schon durch ist.

Doch schon kehrte Herr SCHAMONI zurück und unterhielt uns mit sinnentleertem Blödsinn, der ihm selbst so gut gefiel, dass er darüber nachdachte, das Lesen einzustellen und nur noch zu labern. Er überlegte es sich dann doch anders und schickte seinen Antihelden nach Hause in die Cloppenburger Provinz. Während der Beschreibung der Cloppenburger Gegebenheiten (zwar war Rocko noch nie da, hat sich die Gegend aber „erearthgoogelt“), schlich sich auch ein wenig E.T. mit in den Text, was zu minutenlangem Gelächter vor und auf der Bühne führte. Überhaupt schien der Schriftsteller sehr viel Spaß an seinen Worten zu haben und freute sich so richtig, wenn er dem veröffentlichen Buchtext neue Varianten hinzufügen konnte. Aber genau das macht ja auch eine Lesung aus, sonst könnte man den Schmöker ja auch allein zuhause im stillen Kämmerlein lesen. In jedem Fall war die Beschreibung der Familie und des Elternhauses ganz groß. „Vorbereitungscamp des Todes“ ist aber auch wirklich eine schöne Metapher für den elterlichen Haushalt. Rocko selbst findet jedoch sein Bild für den Tanzstil der 16-jährigen im Cloppenburger Octopussy am besten („ungelenk wie Weberknechte“), mir trieb die Anmachstory mit dem Sambuca und dem grünen Bein die Lachtränen in die Augen, übrigens wieder was Autobiographisches! Inzwischen war es fast 22.30 Uhr, Rocko versprach noch eine gemeinsame Gewaltpolonaise zum Lacoste-Laden in der Innenstadt, um die Krokodile aus den Shirts zu schneiden und frei zu lassen (er trug übrigens selbst ein schwarzes Modell dieser Firma) und verbeugte sich unter dem Applaus der begeisterten Bielefelder.

Glücklicherweise taten es diese den Hildesheimern gleich und forderten noch eine Zugabe (in anderen Städten gab es das wohl nicht, Rocko stellte sich amüsiert vor, wie Zuschauer um eine Zugabe riefen und klatschten, um dem Künstler dann zu verkünden, sei nur Spaß gewesen, man wolle doch nichts mehr hören. Vielleicht ergibt sich ja mal eine Gelegenheit, die Reaktion auf ein solches Verhalten zu testen.) In OWL wollten die überwiegend Mitt- bis Endzwanziger wirklich noch einen Nachschlag und so präsentierte der gutgelaunte Wortakrobat noch eine Anekdote zum Thema „Hackenschrauber“. Hinter dieser Umschreibung verbirgt sich der Beruf des Psychotherapeuten, den die Romanfigur Sonntag regelmäßig aufsucht. Das vorgetragene Erlebnis, bei dem Patient und Therapeut beide fast bei einer Sitzung eingeschlafen wären, soll aber wieder der Realität entlehnt sein.

In jedem Fall waren es zwei äußerst unterhaltsame Stunden mit dem Multitalent ROCKO SCHAMONI, der auch noch als Entertainer, Musiker, Schauspieler und Clubbetreiber firmiert und nach der Lesung natürlich noch Autogrammwünsche erfüllte. Auch ich darf jetzt handsignierte „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ mein eigen nennen, nicht zu vergessen, die Erinnerungen an diese amüsante Lesung.

Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff

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