Ort: Turku - Ruissalo (Finnland)
Datum: 04.07.2008 - 06.07.2008
In Sachen Festivals ist Finnland ja hauptsächlich für das Tuska in Helsinki bekannt, doch gibt es eine Vielzahl anderer Festivitäten, die sicher genauso viel Charme haben. Zahlenmäßig gehört das Ruisrock, das wunderschön in der Natur auf einer kleinen Insel direkt vor der Stadt Turku gelegen ist, wohl zu den größten Festivals des Landes und strengt sich auch mächtig an, um neben einer Riege internationaler Bands auch noch das ein oder andere Extra auf dem Festivalgelände zu bieten. So fand man einen Karaokestand, Guitar Hero Pro-Stand, mehrere Chillout Areas mit Liegekissen und sogar einen Bungeejumping- Kran vor. Dazu gab es die für Finnland üblichen abgetrennten Barbereiche, vor denen man in Spitzenzeiten mit bis zu einer Dreiviertelstunde Wartezeit in der Schlange rechnen durfte (Ausweiskontrolle). Wegen des nicht gerade kleinen Presseandranges hatten sich die Promoter leider nicht dazu durchringen können, einen Fotopass (mit dem man auch das nur für Presseleute zugängige Bootshuttle von der Stadt aus hätte nutzen können) lockerzumachen, da wurde man aus beim Fotografieren aus der Menge doch auf eine große Geduldsprobe gestellt. Aber das sollte einem natürlich nicht das Wochenende vermiesen.
FREITAG
Terrormäßig war heute sicher der interessanteste Tag und so sollte es ein wahres Hetzen von einer Bühne zur nächsten werden. Das Wetter zeigte sich von der besten Seite und bescherte den Festivalbesuchern für Finnland ungewöhnlich warme 30°C. Normalerweise hätte man sich drüber freuen können, doch da die Festivalbusse nicht mal bis auf die Insel hinauffuhren und man damit noch eine Dreiviertelstunde zu Fuß zurücklegen musste, wäre einem jedes Grad kälter nur recht gewesen. Der Marsch durch die wunderschöne Natur und teils durch den Wald entschädigte immerhin für die Strapazen (abends musste man den gleichen Weg ja auch wieder zurück). Die Abfertigung beim Einlass ging erfreulicherweise schnell vonstatten und überall auf dem Gelände gab es kostenlose Wasserstationen. Bei Essenpreisen von im Durchschnitt 7 Euro erschien der Gedanke einer Diät gleich doppelt so sinnvoll, allerdings durfte man eigene Verpflegung mit aufs Gelände nehmen, für den nächsten Tag wussten wir also Bescheid.
Los ging es mit STAM1NA im Zelt, wo die Fans schon Minuten vorher mit Sprechchören loslegten. Schon seit ihrem Debütalbum sind die sie die Lieblinge der finnischen Metalszene und wer den mittlerweile zum Quintett aufgestockten Fünfer einmal gesehen hat, weiß auch warum. STAM1NA legen nämlich solche eine energetische Show hin, wie es nur wenige können, wobei es musikalisch doch etwas gewöhnungsbedürftig zuging: Thrash Metal trifft auf innovativ undefinierbar mit meist aberwitzig schnellem Gesang. Das Set begann mit „Paha Arkitehti“ („Der schlechte Architekt“), darauf folgte der Titeltrack zum aktuellen Album „Hammasratas“ („Zahnrad“) und die Fans waren in bester Laune. Gitarrist Pekka „sexy Pexi“ Olkkonen flirtete wir immer mit den Mädels in der ersten Reihe, fragt sich nur, ob diese eher an seinem durchtrainierten Körper oder am Hello Kitty-Gitarrengurt interessiert waren. Ein richtiger Solobattle durfte natürlich nicht fehlen, bei dem sogar Drummer Kake an Sänger Hyrdes Sechssaiter herumzupfen durfte. Daumen hoch für soviel Einsatz!
AT THE GATES befinden sich ja gerade auf großer Reunion- und gleichzeitiger Abschiedstour, das durfte man also nicht verpassen. Obwohl ich bisher auf Platte nie allzu viel mit den Göteborgern anfangen konnte, wollte ich mich live gern überraschen. So viel Überraschung gab es dann aber doch nicht, denn im Gegensatz zu den anderen Wegbereitern der Göteborger Szene wie DARK TRANQUILLITY oder IN FLAMES kamen Herr Lindberg und Co. doch recht monoton rüber. Es half auch nicht viel, dass bis auf besagten Herrn Lindberg da nicht viel an Show rüber kam. Wenn man bedenkt, dass dies eine der letzten Shows war, hätte man sich doch etwas mehr gewünscht. Den Fans tat dies kein Beinbruch, aber ich verdrückte mich nach einer Handvoll Songs dann doch lieber zu ENSIFERUM.
Ich war mehr als gespannt, wie man diese in ihrem Heimatland aufnehmen würde, denn wirklich oft bekommt man die Herren dort nicht zu sehen und wenn, dann meist nur in Helsinki. Doch ganz so frenetisch, wie ich es von früheren Konzerten dortzulande gehört hatte, ging es dann nicht zu. Immerhin hatten die Herren mal ihre Setlist umgestellt und sogar einige Überraschungen im Gepäck wie z.B. „The Wanderer“, „Windrider“ oder „Näitä Polkuja Tallaan“, ein bekanntes finnisches Lied, das die Fans bisher nur von der 20th Anniversary DVD kennen dürften. Wirklich textsicher war Gitarrist Markus, der hier wieder das Mikro ergriff, allerdings immer noch nicht und las ähnlich wie bei der DVD Show auch wieder ganz unauffällig vom Zettel ab.
Setlist ENSIFERUM
Tale of Revenge
One More Magic Potion
Ahti
Token of Time
Lai Lai Hei
Windrider
The Wanderer
Blood is the Price of Glory
Treacherous Gods
Näitä Polkuja Tallaan
Schräg gegenüber sollten nun AMORPHIS in wunderschönster Szenerie auf der Rantalava (=Strandbühne) spielen. Die Helsinkier haben seit Tomi Joutsen ja einen absoluten Senkrechtflug hingelegt und sind von den finnischen Sommerfestivals gar nicht mehr wegzudenken. Dementsprechend ist der Platz vor der Bühne Mangelware, hier ist jeder Fan von Metaller bis Ottonormalverbraucher vorhanden. Songmäßig gab es keine großen Überraschungen: „House of Sleep“, „Silent Waters“, „The Smoke“, „Divinity“ und auch mal wieder „Into Hiding“ und wie zu erwarten sorgte Fronter Tomi für die meiste Bewegung auf der Bühne. Nett aber nicht überragend!
Ich muss ja zugeben, mit PORCUPINE TREE nie besonders warm gewesen zu sein und sie höchstens Mal in den späten Nachtstunden zu hören, aber live können die Briten um Songschreiber und Produzent Steven Wilson absolut überzeugen. Mit ihrer recht eigenen Art Prog und Rock zu verbinden, zogen sie die Fans in eine andere Welt, auch hier und da war das etwas andere Naturharz zu riechen, aber wer braucht eigentlich Drogen, wenn man solche Musik zu hören bekommt? Es ist schwer zu glauben, dass dieser nach Schuljunge aussehende Mensch, der immer wieder das Mikrofon umklammert, als wolle er so seinen Songs noch mehr Gefühl verleihen, solch Meisterwerke vollbringt. Da es 15 Jahren Bandgeschichte erst das dritte Mal war, dass die Briten in Finnland spielen, war der Andrang natürlich groß, auch wenn die Fans eher bedächtig lauschten als groß die Post abgehen zu lassen. Mein Highlight des Tages!
Nach so viel Gefühl und musikalischer Genialität waren SONATA ARCTICA der reinste Kulturschock. Ich bin ja nicht gerade der größte Fan der Kombo und Toni Kakko gab sich auch alle Mühe, dass es dabei blieb. Was er da heute fabrizierte, war nur schwer als Singen zu bezeichnen, da mochte man sich manchmal das vor der Sonne schützende Kopftuch gleich etwas fester über die Ohren ziehen. Selbst „Kingdom for a Heart“ oder „Full Moon“, die mir sonst recht gut gefallen, versaute Herr Kakko total, das war mal echt ein Griff ins Klo. Immerhin bot man bühnentechnisch viel Show und Pyros, Henkka wanderte öfter mal mit seinem tragbaren Keyboard über die Bühne, ja auch ein Tastenspieler hat ein Recht auf Bewegung.
Setlist SONATA ARCTICA:
Black and White
Paid in Full
Kingdom For A Heart (mit kurzer “Dana” Einspielung)
Replica
Caleb
Full Moon
It Won’t Fade
Graveimage
?
Don’t Say a Word
The Cage
Mutprobe für die Ohren, Klappe die 2: NIGHTWISH. An Anette Olzon scheiden sich bekanntlich die Geister, denn auch wenn die Schwedin sicher ihren Charme hat und auch einige der alten NIGHWISH Songs („Nemo“, „Sacrament of Wilderness“) durchaus passabel singen kann, so vermissen vor allem die Ästhetiker unter den Fans doch einfach die Grazie Tarjas. Nachdem ich auf der Tour im Frühjahr gerade mal 6 Songs zu sehen bekam, war meine Meinung noch etwa gezweiteilt bzw. es war noch etwas Hoffnung da, dass Anette sich mittlerweile besser in die Stücke hineingefunden haben könnte – jedoch vergeblich. Wenn schlechte Sängerin gleich „Popularitätsschub und Platinauszeichnungen“ bedeutet, dann können die Fünf dafür gleich mal das Patent anmelden, denn was man den zahlreich erschienen Fans hier bot, war zumindest stimmlich eine Katastrophe. Vielleicht sollte man einen Fond für Toni und Anette einrichten, um den beiden mal eine Runde beim Gesangstrainer (und am besten auch gleich beim Stylisten) zu finanzieren. Da war „The Islanders“, was hauptsächlich von Marco Hietala gesungen wurde, doch die reinste Erholung. Ab zu MINISTRY!
Auch MINISTRY befanden sich gerade auf Abschiedstour und nach dieser ganzen „Kinderkacke“ (O-Ton Festivalbesucher) der letzten 2 Bands kamen die Helden des Industrial gerade recht. Auch wenn mir persönlich eher nach Geschredder der Marke IMPALED NAZARENE gewesen wäre, hatten die Amis genug ballernde Riffs im Gepäck, um auch noch den letzten Rest Energie aus einem herauszukitzeln. Das politische Motto ist seit jeher klar und wenn selbst ein Landsmann das „Fuck Bush“ von Fronter Al Jourgensen mit einem „Hell Yeah“ kommentierte, dann hat die Band wohl alles richtig gemacht.
Wenn zeitgleich ca. 60.000 Menschen auf einmal das Gelände verlassen wollen, kann das nur eng werden auf dem 2 Meter breiten Weg zurück zu den Bussen. Immerhin hatte man die Radfahrer, und das waren nicht gerade wenig, und die Fußgänger auf 2 verschiedenen Wegen zum Festival geleitet, doch herrschte trotzdem reges Gedränge. Auch vor den Bussen musste man erstmal Schlange stehen, so dass der Rückweg gleich doppelt so lange dauerte, wobei man ja nur bis zum Marktplatz gefahren wurde und danach wieder laufen musste. Platte Füße bekamen hier eine neue Dimension!
SAMSTAG
Metalmäßig stand heute die größte Flaute an, dafür gab es gleich eine ganze Handvoll glitzerbunter „Ich benutze mehr Haarspray und Make up als meine Freundin und schäme mich nicht, pinkfarbenen Plüsch zu tragen“- Bands. Transporttechnisch waren wir heute so schlau gewesen, den normalen Stadtbus (der leider nicht mehr nach Mitternacht fuhr) zu nehmen, der bis fast direkt ans Gelände heranfuhr und so zumindest auf dem Hinweg eine ganze Menge Fußweg ersparte.
POETS OF THE FALL machten am heutigen Tag den Anfang. Zwischen den ganzen Teeniemädels in den ersten Reihen kam ich mir ja fast schon alt vor, aber was macht man nicht alles für ein paar gute Fotos. Der Musik nach hätte man von den Finnen, die hierzulande trotz englischer Texte noch nicht wirklich viel Beachtung gefunden haben, eine weitere der typischen Glambands erwarten können, doch plötzlich standen da eine Handvoll Normalos auf der Bühne, allen voran Sänger Marco, der eher an einen Fred Durst denn einen Ville Valo erinnerte, aber nichtsdestotrotz immer wieder gern ein bisschen mit den Fans flirtete, auch mal neckisch das Shirt hochschob und seinen Nippel befummelte, mit den Hüften wackelte, aber vor allem eine tolle sängerische Leistung zum Besten gab (warum kann das kein Toni Kakko?). Musikalisch bekam man melodiereichen Rock mit einem guten Schuss Melancholie und 100% Ohrwurmgarantie zu hören. Kann man durchaus mal reinhören!
Bei OPETH durfte man gespannt, wie sie heute als einzige echte Metalcombo mit dazu nicht gerade wenig Anspruch ankommen würden. Doch schon nachdem POETS OF THE FALL die Bühne verlassen hatten, stürmten die ersten Hardcorefans die vorderen Reihen, so dass ich mich gleich mal die nächsten 1.5 Stunden bis Beginn um meinen Platz mit ein paar halbstarken 15jährigen kämpfen durfte. Mit „Heir Apparent“ legten die Schweden gleich mächtig los und „The Baying of the Hounds“ donnerte nicht minder wenig, man wollte den Fans wohl zeigen, dass OPETH nicht nur komplexe Songs schreiben, sondern live auch richtig Gas geben können. Mit Bedauern musste ich jedoch feststellen, dass Basser Martin Mendez jetzt auch unter die Kurzhaarigen gewechselt hat, was das Ende seines sonst so amüsant zu betrachtenden „Tenniszuschauerheadbangens“ bedeutete. Schön zu sehen war allerdings zu sehen, wie Frederik Åkesson sich mittlerweile toll in die Band eingefunden hat und sehr viel agiler als bei ARCH ENEMY rüberkommt (oder vielleicht trügt da auch der Schein, gegen eine Angela Gossow wirkt man wohl schnell zurückhaltend). Schade nur, dass OPETHs Crew sofort nach Ende des Sets mit dem Abbau begann, obwohl die Fans auch minutenspäter noch nach einer Zugabe verlangten. Das wird Mikael nach seiner Windpockenerkrankung wohl noch nicht wieder hundertprozentig fit gewesen sein.
Die Zeit der androgynen Männer ward nun mit 69 EYES eingeleitet. Songs wie „Gothic Girl“ waren Programm, denn Sänger Jyrki stelzte immer wieder mit pseudo-erotischem Hüftschwung über die Bühne (wo sind die DEATHSTARS, wenn man sie mal braucht?), während man im Publikum allerhand Jussi 69- Möchtegerns und Mittvierziger beim gegenseitigen Anbaggern beobachten durfte. Der echte Jussi mit seinen theatralischen Posen war hinterm Schlagzeug zwar noch ganz amüsant zu betrachten, aber warum ich nicht gleich zu FLOGGING MOLLY aufgebrochen war, blieb mir ein Rätsel.
FLOGGING MOLLY machten auf der Hauptbühne nämlich richtig Stimmung. Mit ihrem irischen Folk, wie man ihn nur allzu gern in den Irish Pubs hört, brachten sie die riesige Menge zum Klatschen und Hüpfen, auch wenn Frontmann Dave King trotz irischer Herkunft selbst nicht „wie Michael Stipe“ tanzen könne. Wie schon am Abend zuvor wurde mal wieder ein bisschen gegen den werten Präsidenten der Wahlheimat gestänkert, indem man ihm gleich „The Lightning Storm“ widmete. Ebenfalls bescheinigte man der Menge „crazy fucking people“ zu sein, das hört man in Finnland sicher gern.
Gay, gayer, HANOI ROCKS, so könnte hier sicher das Motto lauten. Zu meiner eigenen Sicherheit entschied ich mich, das Spektakel lieber von weiter hinten zu betrachten, denn die Altrocker strapazierten die Sehnerven doch mächtig. Ein Festivalbesucher brachte es sogar zu der Aussage „Der Sänger sieht aus wie meine Oma“, während ein anderer es gar nicht wagte, sich etwas zu Essen zu holen, in der Angst „die Band könnte in der Zwischenzeit an einem Herzinfarkt zugrunde gehen“. Nichtsdestotrotz muss man den Finnen aber doch zu Gute halten, dass sie trotz ihrer nicht mehr jungen Jahre immer noch mächtig Gas geben und auch vor Bühnengerüsten kein Haltmachen und mal eben dort hochklettern. Auch ihr 80er Glamrock hat mächtig Ohrwurmpotenzial und so können sich die Altmeister über einen gefeierten Gig freuen.
Wer dachte, THE ARK könnten den Grad an sexueller Desorientierung nicht mehr toppen, hatte sich mächtig geirrt. Goldene Jacken, hautenge rote Hosen und sogar bauchfrei, wer sich so auf die Bühne traut, hat wirklich keine Hemmungen. Doch nicht nur das Outfit schrie nach 70er, nein, auch die Musik schien eine Inkarnation aus ABBA mit Gitarrenmusik zu sein. Die Menge stand jedoch voll drauf und brachte sogar wortwörtlich die Erde zum Beben, retro ist wohl wieder angesagt.
Da ich bis zum Headliner HIM noch eineinhalb Stunden totzuschlagen waren und ich sämtliche Bekannte verloren und dank schlechten Handynetzes einiger Betreiber nicht wieder finden konnte, blieb kaum eine andere Beschäftigung, als sich die spielenden Bands anzuschauen. PRIMAL SCREAM klangen leider weder primal noch screamy (wo sind die waschechten Metalbands???), sondern einfach nur langweilig. Da es langsam eh recht kühl wurde, war also die letzte Hoffnung, MILLENCOLIN im Zelt, wo es immerhin warm war, anzutesten. Auch die Schweden hatten den Metal leider nicht mit der Muttermilch eingeflösst bekommen, aber Gute- Laune-Punk war um diese Zeit genau das Richtige, um sich etwas die Zeit zu vertreiben und bevor man sich versah, wippte man auch schon im Takt mit und begann durch die Gegend zu hüpfen. Dank wiederkehrender Handynetze fand ich auch bald meine Bekannten wieder, worauf es aufgehen konnte zur letzten Band des Tages.
Mutprobe für die Ohren, Klappe die 3. Obwohl mich HIM nie sonderlich vom Hocker gerissen haben und ich vor 3 Jahren nach einem grottenschlechten Gig jegliches Interesse an der Band verloren hatte, wollte ich der Band doch noch mal eine Chance geben. Und hurra, ein Wunder war geschehen, die Gothrocker schafften es doch tatsächlich mich zu begeistern, denn ihr Livesound hat doch noch einiges mehr für sich als das Geschmachte auf Platte. Klar, eine große Show musste man hier nicht erwarten, denn Ville Valo klammerte sich mit der immerwährenden Kippe lethargisch am Mikrofonständer fest und bestach allenfalls durch seine lustigen Gesichtsverrenkungen beim Singen, während seine Band ja eh nur Statisten sind. Doch die Songauswahl stimmte: „Wings of a Butterfly“, „Join Me In Death“, „Right Here in my Arms“ und dann noch ein, zwei Stücke, die sich nach „Venus Doom“ anhörten und wunderbar düster rüberkamen sowie einige ältere Sachen, die schön rockten. Wer hätte das gedacht.
SONNTAG
Heute stand in den frühen Stunden außer TERÄSBETONI, die wir uns, auch wenn sie sicher eine wertvolle Attacke auf die Lachmuskeln gewesen wären, sparten, sodass wir uns erst in den Nachmittagsstunden auf zum Gelände machten. Von den angekündigten 15 Grad plus Wolken und Regen war zum Glück nicht mehr viel zu sehen, stellenweise schien die Sonne sogar recht kräftig.
Auf der 5. kleinen Bühne der lokalen Turkuer Zeitung waren mir STALINGRAD COWGIRLS, namenstechnisch eine Anlehnung an die Leningrad Cowboys, wärmstens empfohlen worden. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, worauf ich mich musikalisch vorzubereiten hatte, war ich positiv überrascht, als hier echte Girlpunkpower auf dem Programm stand. Als verkappte Feministin freue ich mich ja eh über jede Frau in einer Band, aber eine ganz aus Mädels bestehende Truppe, die zudem noch echt Laune macht, setzt dem Ganzen natürlich die Krone auf. Enni, Henna und Riina waren mit bester Laune am Werk und zeigten, dass auch Mädels rocken können. Musikalisch präsentierten sie zwar nichts Neues, sondern eher die bekannte Variante Nu Punk, die man aus amerikanischen High School Filmen allzu gut kennt, doch so viel Spielfreude und Charisma gehört trotzdem belohnt. Daumen hoch!
Die meisten Metaller würden mich wahrscheinlich steinigen, doch seit Jahren wollte ich BULLET FOR MY VALENTINE mal sehen und hab sie wirklich immer verpasst. Die sollte sich nun ändern und fast schon hatte ich befürchtet, dass ich absolut enttäuscht würde, aber die Engländer haben ihre Hausaufgaben gemacht und hauen für ihre jungen Jahre ganz schön auf die Kacke. Große Posen, dicke Sprüche („We’re here to roooooock!“) und vor allem weniger Core und mehr Metal als erwartet. Auch wenn die Screams sicher noch ne Ecke brachialer klingen könnten und Matt Tucks klarer Gesang doch ne Spur zu Emo rüberkommt, geben die Jungs musikalisch echt Gas mit immer wieder netten Nackenbreckerpassagen. Sprüche wie „We’ve been playing many summer festivals but you’re the best crowd“ kann man sich natürlich schenken, die Wall of Death darf dagegen nicht fehlen, auch wenn sie etwas daneben geht, weil die Hälfte der Leute dann doch lieber weiter nen Moshpit veranstaltet. Rotzfrecher Gig der Extraklasse.
Da ich leider bereits um 20 Uhr am Hafen sein musste, um an nächsten Tag meinen Flieger von Stockholm aus zu erreichen, endete das Ruisrock 2008 leider an diesem Punkt bereits. Auf dem Weg zum Bus hörte ich zwar noch die ersten Klänge von KENT und auch APOCALYPTICA und TURISAS werden sicher gerockt haben wie immer, doch leider ruft die Pflicht in Deutschland. Im Nachhinein muss man sagen, dass das Ruisrock für einen Metaller sicher ne Spur zu wenig harter Klänge zu bieten hat(te), aber trotzdem durch seine idyllische Lage und den Strand besticht. Die großen Panikattacken durch die Menschenmassen blieben aus, wobei vor allem die Transportsituation sicher besser ablaufen könnte. Auch zerreißt es einem natürlich das Fotografenherz, wenn da Leute mit Kompaktkameras mal ein bisschen im Graben knipsen, während man selbst sich in der Menge mit etlichen Händen und Köpfen herumschlagen muss oder es gleich ganz vergessen kann. An dieser Stelle noch einmal ein großes Dankeschön an Audrey Dujardin für zusätzliche Fotos.
Trotzdem ist so ein Trip nach Finnland die Sache immer wieder wert.
Copyright Fotos: Juliane John/ Audrey Dujardin
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