Ort: Herford - Club X
Datum: 07.09.2006
Nach knapp 2 Jahren kehrte Alexander Kaschte mit seiner wüsten Truppe zurück nach Herford, im Schlepptau 2 überaus interessante Support Acts. Insbesondere die Italiener SPIRITUAL FRONT hatten es uns angetan und so standen wir dann auch pünktlich um 19 30 auf der Matte bzw. vor dem X. Dass die Zuschauerzahl sich im Vergleich zum damaligen Elfenbein-Gastspiel verdoppeln würde, war doch relativ erwartungsgemäß, ich hätte im Grunde sogar auf noch mehr als 200 Besucher getippt. Darunter ein kleiner Anteil Neofolker (wie singen AND ONE so schön: „Military Fashion Show“), die augenscheinlich kein Interesse am Headliner zeigten. Doch bevor die beiden bekannten Acts die Bühne enterten, war da noch die große Unbekannte im Line Up: MÜLLER OF DEATH aus Berlin!
MÜLLER OF DEATH? Allein schon der Name sorgt für ungläubiges Staunen, zumal selbst das Weltnetz nur wenige Infos preisgibt. Demnach handelt es sich hier um ein alteingesessenes Techno-Projekt aus der Hauptstadt, welches 2004 aus welchen Gründen auch immer (Ein COIL-Gig soll eine „Mitschuld“ tragen) plötzlich zum EBM-Industrial-Monster mutierte. Zunächst betrat nur Müller(1) links hinter den Reglern die Stage, sein HAUS ARAFNA-Shirt gab die Richtung vor. Harter, mittelschneller Industrial mit monotonen aber durchaus eingängigen Beats. Dazu wurden im Hintergrund Projektionen gezeigt, die eine deutliche Linie fuhren. Bilder von Gewalt, Gräuel, Kriegen und Perversion gehören zum Genre, dürften aber so manch sanftmütigem SAMSA-Mädel die Schuhe ausgezogen haben. Die hatten sich nämlich sofort nach Einmarsch ins X zur ersten Reihe bewegt und wollten ihre Plätze dann auch partout nicht mehr hergeben. So erblickten sie dann auch Müller 2, einen voll tätowierten Hünen, der über ein durchaus heftiges Einschüchterungspotenzial verfügte. Im wirklichen Leben ist er bestimmt ein ganz lieber, nehme ich jetzt einfach mal an. Der gute Mann brüllte sich nun durch die folgenden Kompositionen, die höchstwahrscheinlich allesamt vom Debüt „The Book of Sacrifice“ stammen dürften. Übrigens findet sich hier auch die Verbindung zu Kaschte. Der hat nämlich seinen Labelkollegen einen Remix zu „No Woman allowed“ erstellt. Insgesamt 45 Minuten dauerte das Martyrium (für die einen) bzw. die unterhaltsame Krachshow (für uns), vielleicht eine Viertelstunde zu lang, da doch recht monoton. Jedenfalls werde ich die Todesmüller weiter im Auge behalten, die möglicherweise einen etwas unglücklichen Bandnamen für eine größere Genrekarriere gewählt haben.
Der Abend würde lang werden, so viel war fürs erste schon mal klar. Doch nun galt unser ganzes Augenmerk den Italienischen Avantgarde-Künstlern SPIRITUAL FRONT, die mit ihren letzten Werken (einer Split mit ORDO ROSARIUS EQUILIBRIO und dem aktuellen Langspieler „Armageddon Gigolo“) Dauergast in meinem CD-Spieler sind. Die Umbaupause schritt schnell voran, zumal das Schlagwerk schon bereit stand und man sich ansonsten auf ein Keyboard und 2 Hocker beschränkte, intime Atmosphäre nennt man das wohl. Wobei die eigentlich aufgrund der Fanzusammensetzung nicht aufkommen konnte, dafür waren einfach zu wenig Liebhaber spektakulärer Tonkunst anwesend. Jedenfalls betrat das Quartett um den charismatischen Sänger Simone Salvatori erwartungsgemäß in schwarzen Anzügen mit weißen Krawatten die Bühnenbretter. Vorher hatte man auf der Leinwand noch einen Scorsese-Klassiker angestartet. „Raging Bull“ (deutscher Titel „Wie ein wilder Stier“) mit Robert De Niro als Boxlegende sollte in stilvollem Schwarz-weiß den Hintergrund für die nun folgende Performance bilden. Die beiden Saitenkünstler nahmen auf den Hockern platz und legten alsbald mit ihrem bewegenden Spiel los. Simone wirkte etwas unruhig aber auch engagiert und fand sich alsbald immer besser ein in den Mix aus Neofolk und Avantgarde Pop (inhaltlich geht es zumeist um sämtliche Spielarten der körperlichen Liebe…). Zur Setlist gehörten etwa 5 Songs der Gigolo-Scheibe (darunter „Jesus died in Las Vegas“ in einer modifizierten Version und „Slave“), 2 ältere Titel und das wunderbare „Song for the old Man“ von der „Satyriasis“-Kolloboration. Parts voller Pathos und Inbrunst wechselten sich mit ruhigen Passagen und dann fast wieder Prog Rockigen Elementen ab, sehr beeindruckend das Ganze. Und viel zu kurz, denn nach gut 40 Minuten verschwand man – noch ein paar Dankesworte murmelnd – schon wieder. Auch lang anhaltender Beifall der treuen Fangruppe konnte die Spiritisten nicht mehr zu einer Wiederkehr bewegen. Dennoch muss man „Feldherren“ Alexander ein großes Lob aussprechen, 2 so unterschiedliche Formationen mit auf Tour zu nehmen, die sicherlich im wirtschaftlichen Sinne mehr kosten als einbringen. Danke dafür und ab zum Headliner…
… der nicht nur die Vorbands von dem Rundgang oberhalb der Bühne angesehen hatte, sondern nun auch fleißig beim Umbau mit anpackte. Nicht nur Handtücher, zahlreiche Wasserflaschen und die allseits beliebte Handpuppe Trulla fanden ihren Platz auf der Bühne, sondern auch drei Notenständer und ein Barhocker. Das schien noch niemanden wirklich zu irritieren, was sich aber schlagartig änderte, als SAMSAS TRAUM die Bühne betraten, die noch in Dunkelheit gehüllt war. Erste „USA“-Rufe wurden laut, da die Band ihre Konzerte auf diversen Festivals jeweils mit „Es war einmal“ begonnen hatte. Statt einem losstürmenden Alex bekamen die Anwesenden dieses Mal die Ankündigung „Wir wollen euch ein paar alte, aber auch neuere Stücke in der Akustik-Version präsentieren – und hoffen, dass es euch gefällt“. Und so begann Herr Kaschte mit einer ungewohnten, aber durchaus ansprechenden Version von „Tineoidea“, untermalt von Gitarre und Saxophon, ohne Synties. Darauf folgte als neuer und bisher nicht auf CD erschienener Song „Versprochen“, der mit einer in den Songs von SAMSAS TRAUM wiederkehrenden Thematik über Liebe, Verzweiflung, Wahnsinn und Tod in einer nichtakustischen Version sicherlich noch mehr hergeben würde. Zwischendurch merkte Alex an, dass doch im Vergleich zum letzten Auftritt in Herford doch tatsächlich 130 Leute mehr anwesend seien („immerhin“ 200). Großes Lob an dieser Stelle, dass SAMSAS TRAUM, auch nachdem sie bei diversen Festivals die Hallen gefüllt hatten, bei kleinen Konzerten den Spaß nicht verlieren wie andere Bands, die sich dann witzlos durch ihre Setlist quälen und die Bühne schnellstmöglich verlassen.
Doch auch die gewohnte Härte fehlte nicht: Nachdem Herr Kaschte das Zebra in „Ich wünsch, dass das Zebra schweigt“ in hervorragender Performance gemimt und vor „Dort oben sterben Tiere“ angekündigt hatte, dass er nach der Show am Merchandise ein paar Bücher zum Thema veganes Leben verteilen würde, wurden Notenständer und Barhocker beiseite geräumt und der bei den Akustikversionen nicht anwesende Psycho 666 (bei dessen Anblick Alex selbst ab und zu lachen muss, wie wir im weiteren Verlauf des Abends noch erfahren würden) und die anderen betraten die Bühne erneut. Hatte sich vielleicht der ein oder andere Fan bis dahin gelangweilt, gaben SAMSAS TRAUM jetzt wie gewohnt Gas: Im wesentlich spielten sie die Setlist, die sie auch beim M’era Luna und anderen Festivals performt hatten, jedoch um das ein oder andere Stück angereichert. Eines musste man den wenigen Anwesenden lassen: „Also, was echt toll ist: Man muss euch gar nicht zum Klatschen, Singen oder Springen auffordern, das macht ihr ganz von alleine“. Man sieht, es macht doch die Qualität, und nicht die Masse. Von „Sisyphos“ über „Rache“ und „Einer gegen alle“ gaben die Jungs aber auch alles, was möglich war. Eingestehen musste Herr Kaschte allerdings, dass er die a.Ura-Texte nicht mehr so ganz beherrscht: Vor „Blut ist in der Waschmuschel“ holte er sich die Erlaubnis des Publikums, sein Textbuch benutzen zu dürfen, da er ihnen sonst das Lied nicht singen könne. Mit Textbuch ging es allerdings einwandfrei, und der ein oder andere Anwesende mag sich über diese Abwechslung gefreut haben.
Die dauernde Aufforderung eines Zuhörers, er solle doch „Monster“ spielen, konterte Alex allerdings mit den Worten, er wisse, dass derjenige das Lied unbedingt hören wolle, aber er werde es ganz sicher nicht spielen. Ein Lob und einen gesonderten Applaus bekam hingegen ein älterer Herr, der mit seiner Tochter gekommen war und sich im hinteren Teil des Raumes aufhielt und den Alex schon vor dem Konzert draußen gesehen hatte – ebenso wie einen Konzertbesucher, der sich verirrt hatte, an der falschen Seite der Halle gelandet war und ihn verzweifelt gefragt hatte, wo denn der Eingang sei. Zu wenig Publikumsnähe konnte man Alex an diesem Abend sicher nicht nachsagen. Und zu wenig Konzertengagement auch keine Minute: Ob beim „Stromausfall im Herzspital“ oder „Ein Foetus wie du“, er und der Rest der Band nutzten die Gunst der späten Stunde um zu rocken, tanzen, toben und vor allem, um ihre musikalische Bandbreite zu präsentieren.
Natürlich ließ man SAMSAS TRAUM nicht ohne weiteres gehen: „Zugabe“-Rufe wurden laut, die Jungs ließen sich nicht lange bitten und präsentierten weitere a-.Ura-Songs in Akustikversionen. Ungewohnt war vor allem, Herrn Kaschte nicht wild springend auf der Bühne toben zu sehen, sondern in sich gekehrt, konzentriert und einfach ruhiger, als man es von bisherigen Gigs gewohnt war. Das steht ihm allerdings nicht schlecht, vor allem nicht, wenn man bedenkt, wie viele Gesichter allein die Musik von SAMSAS TRAUM und dazu noch die seiner anderen bisherigen Projekte hat. Auf das kommende Werk darf man sich also freuen (übrigens produziert Alex derzeit insgesamt 4 verschiedene, um die Spannung noch etwas zu erhöhen…).
Zum Abschluss gab es dann noch etwas Schwung für den Heimweg mit der „Kugel im Gesicht“ und am Merchandise Autogramme für alle und ein paar nette Unterhaltungen. Da bleibt wohl nur noch die Bitte: Streicht Herford nicht aus der Liste eurer möglichen Tourorte, denn das wäre einfach zu schade – und dass ihr hier zumindest ein paar leidenschaftliche Fans habt, haben euch die Anwesenden doch bewiesen..
Setlist SAMSAS TRAUM
Tineoidea (akustisch)
Versprochen (akustisch)
Attentat (akustisch)
Dort oben sterben Tiere (akustisch)
Ich wünsch mir, dass das Zebra schweigt (akustisch)
Intro
Es war einmal
Sisyphos
K.haos-Prinz und Wind-Prinzessin´
Die Zärtlichkeit der Verdammten
Stromausfall im Herzspital
Für immer
Rache
Ein Foetus wie du
Endstation Eden
Blut ist in der Waschmuschel
Einer gegen alle
Bis an das Ende der Zeit
Das Mädchen aus dem Inneren des Ketten.Karussells
Der Junge lebt im Brunnen
Kugel im Gesicht
Copyright Fotos: Karsten Thurau
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