Ort: Osnabrück – Rosenhof
Datum: 27.10.2023
…Hamburg, Frühjahr 1993. In einer Kneipe auf St. Pauli beschließen Jan Plewka und Christian Neander ein Band zu gründen. Ihre ersten Songs sind geschrieben, und so laden die beiden Leo Schmidthals, Stoppel Eggert und Malte Neumann in den Proberaum ein… So war das vor drei Dekaden mit den Anfängen von SELIG, einer der großartigsten deutschen Rockbands, die jetzt auf Jubiläumstour ist und mit ihren Fans „30 Jahre und endlich unendlich“ feiert. Den Anfang machten die Jungs, die seit 2014 ohne den Keyboarder Malte Neumann agieren, in Osnabrück, wo sich an diesem Freitagabend im Rosenhof zahlreiche Musikbegeisterte eingefunden hatten, die die Location noch aus der Zeit kennen dürften, als sie noch ein Kino war. Hier und da schienen Eltern ihren Nachwuchs mitgebracht zu haben, aber im Großen und Ganzen deckte sich der Altersdurchschnitt vor und auf der Bühne weitgehend.
Und die Osnabrücker zeigten sich beim Tourauftakt ebenso wie das Quartett auf der Stage bester Laune und sangen direkt beim Opener „Unsterblich“ vom 2017er „Kashmir Karma“ kräftig mit. Gleiches galt auch für die beiden ‚Oldies‘ „Kleine Schwester“ und „Arsch einer Göttin“, die bereits 1995 auf dem zweiten Album „hier:“ erschienen sind. Spätestens mit „Alles auf einmal“, das 2013 auf „Magma“ veröffentlicht wurde, wurde auch vermehrt das Tanzbein geschwungen, ehe das bassbetonte „Alles ist nix“ zum Klatschen animierte, bevor zu „Hey Ho“, das 2010 auf „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ das Licht der Plattenläden erblickt hatte, das allgemeine Armeschwenken einsetzte. Wirklich jeder Song wurde zelebriert, so auch „Neuanfang“, das zum allerersten Mal live gespielt wurde und so etwas wie ein Lied übers Musik machen war. Sehr cool und voller Emotionen! Apropos Neuanfang: eigentlich müssten SELIG ja von ihren 30 Jahren zehn abziehen, denn Anfang 1999 gaben sie ihre Auflösung bekannt und kündigten erst im August 2008 ihre Reunion an. Die folgte dann allerdings mit einem wahren musikalischen Paukenschlag, der auf den Namen „Und endlich unendlich“ hörte und der Kapelle im Frühjahr 2009 zum ersten Mal eine goldene Schallplatte bescherte. Von diesem Longplayer gab es die beiden Hits „Schau schau“ und „Wir werden uns wiedersehen“ zu hören und natürlich wurden die Stücke nach allen Regeln der Kunst abgefeiert, aber den Fokus hatten die Hamburger eindeutig auf ihre älteren Tracks gelegt. So groovte „Lass mich rein“ wie der Teufel und rückte Neanders Gitarrenspiel in den Mittelpunkt, um nahtlos mit dem psychedelisch angehauchten „High“ weiterzumachen, bei dem Jan seinen Kollegen die Bühne für ein ausführliches instrumentales Gegniedel überließ. Als er dann sah, dass Christian Plektren ans Publikum verschenkte, erinnerte er sich an die Zeiten, als der Backliner für die kleinen Plättchen in der Disco viel Gras bekam, wenn er sagte, dass sie von Christian Neander benutzt worden waren. Er vermutete zudem, dass inzwischen nicht mehr Gras, sondern Heizkissen benötigt würden, aber ganz so schlimm ist es dann doch noch nicht um die durchaus fit wirkenden Herrschaften bestellt. Ob Jans Erinnerung stimmt, dass „Garten“ zuletzt beim finalen Gig im benachbarten Ibbenbüren gespielt wurde, kann ich nicht sagen. Auch weiß ich nicht, ob der Abend tatsächlich ein Tiefpunkt war, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie damals gemeinsam mit der Osnabrücker Combo INSTANT KARMA auf der Bühne standen, ist tatsächlich groß. Heuer hatten es alle Anwesenden auf jeden Fall mit einem Höhepunkt zu tun! „Bruderlos“ war von wunderbarer Intensität und auch wenn Jan die hohen Töne vom 2013er „Myriaden“-Titeltrack nicht immer getroffen hat, tat dies der hervorragenden Stimmung keinen Abbruch. Die allererste Single „Sie hat geschrien“ wurde zunächst von Stoppels Schießbude dominiert, um dann von der gesamten Band performt und den Anwesenden mitgesungen zu werden. Ein Highlight war ohne Zweifel „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“, das ebenfalls lauthals mitgesungen wurde und den Rosenhof in einen riesigen Chor verwandelte, der sich in „Oho-Gesängen übte, mit denen SELIG sich um 21.50 Uhr ins Off verabschiedeten. Die Gesänge lockten den Vierer aber auch wieder auf die Bühne zurück und so wurde dieses fantastische Lied mit Mann und Maus noch einmal angestimmt.
Mit „Wenn ich wollte“ ging es knackig weiter – auch auf den Monitoren im Hintergrund, wo es Sequenzen des Videos zu sehen gab, das die zweite Singleauskopplung 1994 begleitet hat. Auf Bekleidung hatten die Beteiligten seinerzeit verzichtet, aber schon damals wurde darauf geachtet, dass es nicht wirklich was zu sehen gab. Nun, in jedem Fall wurde das Stück mit tosendem Beifall bedacht und auch „Die Besten“ ließen sich nicht lumpen: es gab eine ausgelassene Jam-Session auf die Ohren, die Zuschauerschaft sang kräftig mit und der Rosenhof verwandelte sich langsam in einen Hexenkessel. Nach einem weiteren kurzen Abgang kehrten zunächst Drummer Stoppel und Bassist Leo an ihre Instrumente zurück, um den rhythmusbetonten Anfang von „Ist es wichtig?“ zum Besten zu geben. Die Stimmung erreichte langsam den Siedepunkt und als Christian Leander im Anschluss zur Akustikgitarre griff, konnte das nur bedeuten, dass „Ohne dich“ als nächstes auf der Setlist stand. Noch einmal galt es, Textsicherheit zu beweisen, um auch diesen Hit gebührend zu begehen. Nach dem ruhigen Einstieg, ging es erneut in die Vollen, Neander wechselte wieder an die E-Gitarre und zeigte sein ganzes Können, bevor SELIG versprachen: „Wir werden uns wiedersehen“ – selbstverständlich war auch hier ein großer Abriss die Folge, bevor der Abend mit „Regenbogenleicht“ nach 135 hochenergetischen Minuten ein leises und dabei sehr eindringliches Ende nahm.
SELIG waren tatsächlich in Bestform und Jan Plewka fand lobende Worte für seine Crew, mit der es so perfekt sei, dass man sich nicht getrennt hätte, hätte man sie damals schon gehabt. Nun, dann dürfen wir ja hoffen, dass uns die Hanseaten noch lange erhalten bleiben und uns noch viele Konzerterlebnisse in dieser Intensität bescheren. Immerhin hat Kollege Plewka ja auch gefragt, ob auch alle zum 60. wiederkommen. Nicht nur die Musik war ein Genuss, auch die Spielfreude des Quartetts war deutlich zu spüren, Jan tanzte ausdrucksstark über die gelungen illuminierte Bühne und auf den fünf Bildschirmen in der Kulisse gab es immer wieder alte Videoausschnitte zu sehen. Was uns noch zu Jans Musiklehrer führt, der nach Meinung von Herrn Plewka vermutlich einen Schock erlitten hat, als er seinen ehemaligen Schüler erstmals bei MTV gesehen hat.
Setlist
- Unsterblich
- Kleine Schwester
- Arsch einer Göttin
- Alles auf einmal
- Alles ist nix
- Hey Ho
- Neuanfang
- Lass mich rein
- High
- Mädchen auf dem Dach
- Garten
- Bruderlos
- Myriaden
- Schau schau
- Sie hat geschrien
- Von Ewigkeit zu Ewigkeit
- Wenn ich wollte
- Die Besten
- Ist es wichtig?
- Ohne dich
- Wir werden uns wiedersehen
- Regenbogenleicht
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-POtthoff
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