Ort: Berlin - K17
Datum: 12.09.2004
20:05 – Freude, oh Freude! SKELETAL FAMILY, ein Urgestein des britischen Gothic Rock geben sich die Ehre im Berliner K17. Nachdem der Auftritt auf dem WGT mit der neuen Sängerin Claire Bannister trotz üblicher AGRA-Soundprobleme einen guten Eindruck bei mir hinterlassen hatte, betrete ich vorfreudig die Räumlichkeiten. Allein verwundert mich die Tatsache, dass das Konzert auf dem kleineren Floor stattfinden soll und kaum eine Menschenseele bisher anwesend ist. Aber eigentlich ist das normal, tröstet mich das Engelchen auf meiner linken Schulter, dass die Meisten erst kurz vor Beginn eintrudeln.
20:30 – Im Hintergrund läuft die „101“ von Depeche Mode. Ich habe keine Ahnung, ob das Konzert schon jetzt oder erst um 21 Uhr beginnen sollte, das Engelchen entscheidet sich bei einem kurzen Blick umher aber für zweitere Möglichkeit. Kaum mehr als 10 Leute sind nun wirklich kein würdiges Publikum. Ich hoffe, dass es noch voller wird, wenn nicht, tut mir die Band schon im Voraus leid. Die arbeitslose und etwas resigniert schauende Merchandiserin erst recht.
21:00 – So langsam könnte nun aber mal Bewegung in die Sache kommen. Jedoch bis auf kurze Tests der Lichtanlage und Nebelmaschine tut sich nichts, was die mittlerweile ca. 15 Besucher von den Barhockern an der Theke locken könnte. Langsam fängt das Teufelchen auf meiner rechten Schulter an zu zweifeln, ob das Konzert vor so wenig Menschen überhaupt stattfinden würde. Ich frage mich über einer Flasche Radler, wann für einen Musiker die Schmerzgrenze erreicht ist, werde aber in meinen Gedanken unterbrochen, als Keyboarder „Karlheinz“ und Gitarrist Stan aus dem Backstagebereich auf die Bühne und von der Bühne in den Zuschauerraum kommen, sich ein wenig unsicher umschauen und sich nichtsdestotrotz relativ gutgelaunt in ein Gespräch verwickeln lassen.
21:35 – Im Hintergrund dudelt mittlerweile irgendein Synthpop-Sampler. Die Spannung steigt explosionsartig, als der Gitarrist auf der Bühne an seinem Instrument herumhantiert. Geht es etwa los? Oder baut er schon wieder ab, wie mir das Teufelchen böse ins Ohr lästert? Weder noch, wie ich ernüchtert feststelle. Aber so langsam bewegen sich die ersten der ca. 20 Anwesenden in Richtung Bühne, wobei mir in diesem Fall das sichern von irgendwelchen besten Plätzen etwas widersinnig erscheint.
22:05 – Mehrere Menschen betreten gleichzeitig die Bühne. Ein unfehlbares Zeichen dafür, dass 1. das Konzert nun doch stattfindet und das 2. jetzt sofort! Vor lauter Euphorie fällt das Engelchen fast von meiner linken Schulter und hat es natürlich schon die ganze Zeit gewusst. Das Teufelchen schmollt. Krachend knüppeln die Drums drauflos, Synthies und Gitarre setzen ein, sich selbst aber anfangs nicht wirklich durch. (Das Teufelchen ist der festen Überzeugung, dass sich da jemand den Frust wegtrommeln will.) Alles in Allem hat der Sound heute eher den holprigen Charme einer überalterten Garagenband, doch der durchaus erfreuliche Anblick von Sängerin Claire macht bei meinem Engelchen so manches Manko wieder wett. Ihre Stimme hat dagegen erst einmal Mühe, gegen den lauten Sound anzusingen. Dafür ist sie mit Leib und Seele bei der Sache und bildet den energetischen Pol auf der Bühne, tanzt und springt vor ihren etwas stoisch anmutenden Bandkollegen herum und legt all ihr Herzblut in die Songs. Diese bieten einen repräsentativen Querschnitt durch das gesamte Schaffen von SKELETAL FAMILY. Bekanntes mischt sich mit weniger Bekanntem und wird sehr lebendig und mit kräftiger Stimme vorgetragen. Leider, so flüstert mir das Teufelchen mal wieder gehässig ins Ohr, überschätzt sich Claire dabei zuweilen. Und mit der Kompetenz einer alten Gesangslehrerin stellt es fest, dass Lautstärke allein nicht alles ist, wenn sie dadurch bis zu einen halben Ton höher als die Instrumente singt. Besonders unangenehm fällt dies bei den langgezogenen Tönen von „She cries alone“ auf, doch auch sonst scheint Treffsicherheit nicht das Pfund zu sein, mit dem sie wuchern könnte. Ich bin verwirrt, habe ich den WGT-Auftritt doch deutlich besser in Erinnerung. Das auf allerhöchstens 25-30 Personen angewachsene Publikum scheint in dieser Hinsicht ebenfalls gespaltener Meinung zu sein. Applaus gibt es mäßig, der Löwenanteil kommt dabei von den 4 Hardcore-Fans vor der Bühne, die aufgrund der erhöhten Bewegungsfreiheit fast schon discomäßig das Tanzbein schwingen und von allem ziemlich begeistert scheinen. Der Erinnerungswut wird auch zur Genüge gefrönt, allenthalben sieht man Fotoblitze den Zuschauerraum erhellen und ein, zwei Zuschauer wandeln zeitweilig, ganz auf ihre Videokamera konzentriert, durch die lichten Reihen. Während das Engelchen sich freut, dass das Konzert immerhin einigen Leuten zu gefallen scheint, fragt sich das Teufelchen, wer nun eigentlich enttäuschter sein wird: die Band vom Publikum, oder das Publikum von der Band?
22:55 – Die Band verabschiedet sich fürs erste liebenswürdig von der Bühne. Zeit, für die 4 Hardcore-Fans, sich ins Zeug zu legen. Und das tun sie auch: mit der Stimmgewalt brünftiger Hirsche röhren sie immer wieder im Chor „We want more!“, was das Engelchen entsetzt dazu veranlasst, ihren Alkoholpegel zu schätzen. Das Teufelchen amüsiert sich königlich…
Gnädigerweise kommen SKELETAL FAMILY schon nach wenigen Minuten zurück auf die Bühne und schlagen die ersten Töne vom Tanzflächenfüller „Promised Land“ an. Kurzzeitig kehrt Leben ins Publikum zurück, man wiegt sich vermehrt im Takt der wohlbekannten Klänge oder beginnt gar, zu tanzen. Selbst Gitarrist Stan geht nun etwas aus sich heraus und zeigt, dass er Spaß an der Sache hat. Nach einem weiteren ausgedehnten Lied aber hält die Band die Zugaben für ausreichend und verschwindet wieder in den Backstage. Wie befürchtet schlägt die Geräuschkulisse wieder in das „We want more!“- Gegröhle um, diesmal ergänzt durch ein paar englische aber unverständliche Phrasen des Gruppen-Alphamännchens. Ob es Lobpreisungen oder Drohungen sind, darüber können sich Engelchen und Teufelchen nicht einigen.
23:05 – Die Band erscheint ein letztes Mal unter Jubelrufen der Hardcorefraktion auf der Bühne, gibt aber kein Songmaterial mehr zum Besten. Stattdessen erklärt Claire – liebenswürdig aber bestimmt – das Konzert für offiziell beendet und begibt sich mit ihren Musikern in den Zuschauerraum. Auf dem Weg zur S-Bahn lausche ich noch dem letzten Streitgespäch zwischen Engelchen und Teufelchen. „Sie haben sich wirklich Mühe gegeben!“ – „Genützt hat es trotzdem nicht viel!“ Müde schnippe ich die beiden davon und fahre nach Hause…
helianthe
Copyright Fotos: Antje Wagler
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