Ort: Hamburg – Übel & Gefährlich
Datum: 19.11.2023
Nachdem ich SÒLSTAFIR zuletzt im Februar in Oslo gesehen habe, folgte an diesem Sonntag fast so etwas wie ein Heimspiel für mich, denn die Isländer, die gerade ihre Tour mit AMORPHIS beendet haben, standen als Headliner in Hamburg auf der Bühne. Nun gestaltete sich die Anreise von Osnabrück aufgrund von Dauerregen, Straßensperren und Baustellen (sogar der Bunker, in dem sich das Übel & Gefährlich befindet, war eine Baustelle) ein wenig nervenaufreibend, aber am Ende war ich just in time vor Ort und fand den Club im vierten Stock des Flakturms auf dem Heiligengeistfeld gut gefüllt vor.
Wobei: just in time stimmt nicht ganz. Es war zwar gerade erst 20 Uhr, aber der Opener CHILDTIME hatte offensichtlich früher als angekündigt begonnen. Die Jungs aus Kopenhagen hatten sich bereits warm gespielt und kamen mit ihrem energiegeladenen Progressive Heavy Rock mit Seventies-Anleihen bestens bei den Hanseaten an. Martin Haumann hinter der Schießbude und Daniel Bach am Stahlsaiter bildeten ein solides Rhythmusfundament, auf das die Zwillingsgitarren von Birk Hunter und Sänger Anders Folden Brink top aufbauen konnten. Mit seiner kraftvollen Stimme sorgte Kollege Brink zudem für atmosphärische Gesangsharmonien, sodass die sechs Songs ihrer Setlist nichts zu wünschen ließen. Auf dem Zettel hatten sie den Titeltrack ihres 2021er Debüts „And Yet It Moves“ und vom selben Silberling die Nummer „The Bite of Frost“ sowie vier Lieder ihres im September veröffentlichten Nachfolgers „Blossom & Plague“. Ein guter Einstieg einer jungen Truppe, von der wir hoffentlich noch mehr hören werden.
Setlist TIMECHILD
- Intro
- Call of The Petrichor
- Dying Tide – Part 3
- The Sign
- The Bite of Frost
- Burried In Autumn
- And Yet It Moves
In Windeseile wurde nun der Change-over vollzogen, um die Stage für THE ABBEY aus Finnland vorzubereiten. Nur 15 Minuten später stand der Fünfer auch schon im Rampenlicht. Es fehlte allerdings Janne Markus, der aus persönlichen Gründen nicht mit auf Konzertreise gehen konnte. Statt seiner hat Indrek „Insu“ Virronen (NAPOLEON, SKULLFUKK, KUL) vorübergehend die Krachlatte übernommen. Außerdem spielt Sänger Jesse Heikkinen den Sechssaiter und kümmert sich im Studio um Keyboard und Percussion, während Henri Arvola den Bass zupft, Vesa Ranta die Felle bearbeitet und Natalie Koskinen für die weiblichen Vocals zuständig ist. Somit waren auch für den Tourauftakt die Rollen verteilt und die 40-minütige Dark-Doom-Metal-Messe konnte beginnen. Während TIMECHILD aufs Gas gedrückt haben, zeigten sich THE ABBEY mit den Songs ihres Erstlings „World of Sin“, das im Februar das Licht der Plattenläden erblickt hat, von einer mystischen Seite, die dem Genre entsprechend mit einem reduzierten Tempo einherging. Den Gesang teilten sich Jesse und Natalie, die dem Ganzen wahlweise einen symphonischen oder sakralen Anstrich gab. Mitunter hatte die Dame allerdings angesichts des ‚gemächlichen‘ Sounds auch nicht wirklich viel zu tun und stand ein wenig statisch hinter ihrem Mikro, wenn sie nicht wie bei „Queen of Pain“ oder dem sphärischen „Starless“ selbst das Sagen hatte. Eine Nummer wie „Crystallion“ fraß sich jedoch durchaus ins Hirn und hier und da brachten THE ABBEY sogar einige stilistische Parallelen zu ihren Label-Buddies SÒLSTAFIR ins Spiel. Das Auditorium wusste den Vortrag auf jeden Fall zu schätzen und dankte mit freundlichem Beifall.
Setlist THE ABBEY
- A Thousand Dead Witches
- Widow’s Will
- Wueen of Pain
- Crystalliom
- Starless
- Old Ones
Nun wurde es aber Zeit für den Headliner des Abends, der um 21.30 Uhr zu Konservenklängen seine Plätze einnahm. Vornweg natürlich der charismatische Fronter Aðalbjörn Tryggvason, der SÓLSTAFIR 1994 mit aus der Taufe gehoben hat. Außerdem nahm wie üblich der stoische Sæþór Maríus Sæþórsson vom Publikum aus betrachtet links mit seiner Langaxt Aufstellung, während der Bassist Svavar Austman Traustason (auch bekannt als Pippi Langstrumpf oder sexiest man, wenn es nach Aðalbjörn geht) die rechte Flanke übernahm und Drummer Hallgrímur Jón „Grimsi“ Hallgrímsson von hinten den Überblick behielt. Los ging’s mit dem mitreißenden „Bláfjall“ vom 2017er „Berdreyminn“, bevor sich nicht minder massiv „Þín Orð“ anschloss, das 2011 auf „Svatir Sandar“ erschienen ist. Mit dem ebenso emotionalen wie gitarrengetriebenen „Akkeri“ wandten sich die Herrschaften ihrer aktuellen Langrille „Endless Twilight of Codependent Love“ aus 2020 zu. Von diesem Album stammte auch „Ör“, das mit einem Bluesgitarren-Einstieg überraschte und die Bandbreite der Post-Metal-Kapelle deutlich machte. Was den Sound jedoch immer eint, sind absolut intensive, atmosphärisch dichte Kompositionen mit einer enormen Gitarrenpräsenz. Da spielte es auch in der Hansestadt überhaupt keine Rolle, dass es eine halbe Stunde gedauert hat, bis das erste Wort an die Fans gerichtet wurde und die allermeisten Gäste die isländischen Lyrics wohl nicht verstanden haben werden. Eine Nummer wie „Rismál“ vom 2014er „Ótta“, die zunächst a cappella und mit reduzierter Begleitung vorgetragen wurde, verfehlt auf keinen Fall ihre Wirkung, die im Übel & Gefährlich durch einen kurzen Moment der Stille und Dunkelheit verstärkt wurde. Gleiches galt für „Lágnætti“, bei dem anfangs dezente Klavierakkorde zu hören waren, die später in einem totalen Abriss mündeten. Beim nachfolgenden „Rökkur“ legte Addi seine Elektro-Klampfe für einen Moment zur Seite und interagierte während des expressiven Vortrags mit seiner Anhängerschaft, die sich als nächstes auf ein Highlight der SÓLSTAFIR-Discografie freuen durfte. Auf dem Programm stand das wunderbare „Ótta“, das nach allen Regeln der Kunst abgefeiert und mit tosendem Applaus bedacht wurde. Dem Zeremonienmeister des Abends waren die Reaktionen der Crowd allerdings wohl noch zu verhalten, weshalb er die Menge zu Beginn von „Ritual of Fire“ (2005 auf „Masterpiece of Bitterness“ erschienen) zunächst einmal schreien ließ, um sich deren Anwesenheit zu versichern. Der Track gehört nicht unbedingt zu den Standards auf der SÓLSTAFIR-Setlist, gefiel aber mit einem sehr prägnanten Bass und hatte etwas, was ich als „SÓLSTAFIR-Disco-Style“ bezeichnen möchte. Man konnte sich dem treibenden Rhythmus wahrlich nicht entziehen und die Folge war eine totale Eskalation, mit der das reguläre Set um 22.55 Uhr endete.
Zwei Songs standen allerdings noch aus, die einfach nicht fehlen dürfen: „Fjara“ und „Goddess of The Ages“. So wurde dann auch in den vorderen Reihen eine Island-Flagge gehisst, während bereits die ersten Klänge von „Fjara“ für Begeisterung sorgten. Nachdem dieses Stück in der gebotenen Ausführlichkeit zelebriert wurde, begab sich der Mann am Mikro nach der Vorstellung seiner Mitstreiter und einigen Schreispielchen mit den Zuschauern für „Goddess of The Ages“ vom 2009er „Köld“ ins Getümmel und suchte die Nähe seiner frenetischen Fans, die am Ende des Gigs nahezu geschlossen die Arme in die Höhe rissen und um 23.20 Uhr vom üblichen, gut gelaunten Rausschmeißer-Song in die Nacht entlassen wurden, nachdem die Band sich noch einmal kollektiv verbeugt hatte. Mit stand noch eine Rückfahrt mit noch mehr Regen, Baustellen, Straßensperren und zwei Schwertransporten, die nicht überholt werden konnten, bevor, aber jeder Kilometer hat sich gelohnt und ich hoffe, dass der Vulkan, der gerade unter Grindavik im Süden Islands brodelt, nicht meine Pläne durchkreuzt, am Nikolausabend mit SÓLSTAFIR den Tourabschluss in Reykjavik zu feiern.
Setlist SÓLSTAFIR
- Bláfall
- Þín Orð
- Akkeri
- Ör
- Rismál
- Lágnætti
- Rökkur
- Ótta
- Ritual of Fire
- Fjara
- Goddess of The Ages
Copyright Fotos: Ulrike Meyer-Potthoff
Hinterlassen Sie einen Kommentar.
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.