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SPILLSBURY – PUNK SOUL LOVING BILL

Ort: Bielefeld - Kamp

Datum: 20.10.2005

Nachdem mich das aktuelle SPILLSBURY Album so in den Bann gezogen hatte, war es klar, dass ich an diesem Abend im Bielefelder Kamp aufschlagen würde. Live-Auftritte der Hamburger sollten ja einem audiovisuellen Erdbeben gleichen, von daher war ich einigermaßen gespannt, auch darauf, wie viele Fans sich meiner Neugier anschließen würden. Als wir gegen 20 45 Uhr den gemütlichen kleinen Laden erreichten, war es doch noch einigermaßen leer, um nicht zu sagen sehr leer! Aber nicht verzagen, wie üblich im Kamp füllte es sich dann doch noch zur Laufzeit, so dass man mit ca. 70 Nasen eine ordentliche Athmosphäre zaubern konnte.

Zunächst warteten alle gespannt auf die Vorgruppe, die da PUNK SOUL LOVING BILL heißen sollte. Das Internet bot folgende Infos über das musikalische Quartett (3 Herren plus Dame): PSLB gibt es seit Anfang 2002, sie sind schick und schnell und sehr entspannt im Umgang mit Musik, in drei Jahren komponierte man an die 150 Songs, von denen einige auch auf den eigenreleasten VÖs versammelt wurden. Aktueller Longplayer: „Industrie“. Die Hörproben deuteten auf experimentelle Retro-Elektronik hin, aber so richtig war ich nicht vorbereitet auf das, was da kommen würde. Zunächst startete man mit Projektionen selbstgedrehter Videos, welche den gesamten Auftritt über das visuelle Rückrat der Show bildeten. Billig, aber charmant und sehr innovativ gemacht, was da passend zum jeweiligen Song im Hintergrund ablief. Dann betraten die Künstler die Bühne: Alle 4 in weiße Anzüge gehüllt und optisch sehr heterogen. Da wäre ein Britpoppiger Gitarrist zu nennen (Matthias Albrecht) und ein Herr an den (analogen) Keyboards, der schwer nach 80er Schulfernsehen im Dritten ausschaute („Learning English – Lesson One“ mit Sacha). Dazu kam dann die hauptamtliche Sängerin Jana Duda, jung, spröde, auf merkwürdige Art und Weise attraktiv und voller Tattoos, die an allen Ecken und Enden hervorlugten. Dann die Überraschung: Die Truppe kommt aus Bielefeld, wieso habe ich bloß nie vorher von ihnen gehört? Die Stücke, die dann präsentiert wurden, kann man sicher mit den Attributen „schräg“, „minimal“, „intellektuell“ und größtenteils auch „tanzbar“ beschreiben. Die Bills wären sicher ein würdiger Vertreter des alljährlichen Warendorfer Kernkrach-Festivals, auf jeden Fall eine sehr interessante Performance, welche vom Publikum auch recht launig entgegen genommen wurde. Natürlich hatte man hier und heute auch einen kleinen Heimvorteil. Zur Setlist gehörte Neues wie „Rallyeweltmeister“, „Industrie“ und „Robert“, aber auch sehr merkwürdige alte Sachen, hier seien „Berlin“, „Im Wald gibt es Bären“ (war das Viech im Video das aus dem Tierpark Olderdissen?) und die offizielle OWL-Hymne zur Fußball-WM 2006 „Ich treffe den Ball nicht“. Die Positionen auf der Bühne wurden gerne mal gewechselt, hin und wieder erklang das Saiteninstrument, und der gute Klampfer Matthias wies in einer Technikpause daraufhin, dass er seine Hose erst heute für unter 10 Euro erstanden habe… so so. Der Sound erinnerte im Rhythmusbereich hin und wieder an alte DAF, aber insgesamt orientierte man sich doch deutlich mehr an MALARIA. Wirklich erfrischend anders dieser Auftritt und für mich die positive Überraschung des Abends, vor allem würde mich interessieren, wo Jana ihre abgedrehten Tanzschritte gelernt hat – Sind das Drogen oder gibt es entsprechende Kurse in Bielefällt?

In der aufkommenden Pause organisierte ich mir natürlich gleich mal das „Industrie“-Release, bevor das Warten auf den Headliner begann. Zeit, sich ein wenig im Auditorium umzuschauen, da war eine recht wilde Mischung am Start. Neben Studenten und fesch-alternativen Miezen waren auch 2 Protagonisten der Gothic Szene am Start, der gute Mastermind von THE DARK UNSPOKEN verteilte sogar emsig Werbepostkarten. Auf der Bühne befand sich seit unserer Ankunft ein Drumkit, was mit der Info konform ging, dass SPILLSBURY heuer erstmals ein Live-Schlagzeug auf Tour benutzen. 22 30 Uhr ging es dann endlich los, und zu meinem Erstaunen hielten die Anwesenden immer noch einen leichten Sicherheitsabstand zur Bühne. Egal, das Doppel „Eins Zwei Drei“ und „Fade away“ bot einen netten Einstieg ins Set, bei beiden Songs bediente Zoe Meißner die Gitarre, während ihr leicht an Ernie aus der Sesamstraße erinnernde Partner-in-Crime Tobias Asche den Bass zupfte. Viel Bewegung war bei diesem Dreier natürlich nicht möglich, und ich war ein wenig skeptisch, wie so der Funken überspringen würde. Aber dann legte die schlaksige Dame ihr Instrument beiseite und agierte ab Stück Numero 3 weitestgehend freihändig. Schon ging auf der Bühne richtig die Post ab, besonders bei den alten Liedern des Debüts. Jetzt wurde mir auf einmal klar, welche wilden Diskussionen es über das Album „2“ gibt, welches vielerorts regelrecht verrissen wird. Im Vergleich zum Vorgänger „Raus“ wurde hier doch die Handbremse eingelegt, das ganz wirkt teilweise regelrecht verträumt im Gegensatz zur punkigen Energie der alten Sachen. MIR gefällt das, aber damit war ich an diesem Abend eindeutig in der Minderheit. Man konnte förmlich spüren, wie sehr die meisten Leute Tracks wie „Was wir machen“, „Raus“ oder den kleinen Hit „Die Wahrheit“ herbeisehnten. Dann wurde mitgesungen und sogar ansatzweise gepogt, während man bei neueren Vertretern eher angewurzelt verharrte. Dabei sind Songs der Marke „Nein“, „Sag mir“ oder das hoch emotionale „Zwei von vielen“ wirklich gelungen. Ganz ohne Kritikpunkte geht es aber auch nicht: Das Duo ist wahrlich kein Meister der Unterhaltung, zwischen den Liedern nur Minimalansagen, schüchterne Stille, warten auf das DAT-Tape (die gesamte Elektronik kam vom Band). Als dann einmal Drummer Nico nach vorne kam, um rockstarmässig zu posen und nachher auch zu solieren, wirkte das fast wie eine Befreiung. Liegt das an der hanseatischen Zurückhaltung, dem Tourstress oder ganz einfach an den Charakteren? Understatement hat diese Musik doch gar nicht nötig. Nach einer guten Stunde war dann Schluss mit ElectroPunk, aber natürlich wurde auch an diesem Abend eine Zugabe gefordert, in die man mit „Kurz vor vier“ einstieg.

Es war sehr spät geworden, und in Anbetracht des freitägigen Arbeitstages verabschiedeten wir uns dann aus der Location. Ein überraschend eigensinnig intelligenter Support und ein in weiten Teilen solider Headliner boten für die nur 10 Euro Eintritt beste Unterhaltung. Allerdings befürchte ich, dass SPILLSBURY auf Dauer Probleme haben werden, ihre alten Fans zu halten, da bin ich gespannt, wie sie diesen musikalischen Spagat ohne Identitätskrise bewältigen werden.

Copyright Fotos: Jörg Rambow

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