Ort: Köln - Fühlinger See
Datum: 04.07.2008 - 06.07.2008
SAMSTAG
Nachdem ich im letzten Jahr meine Summerjam Premiere hatte, waren wir froh, auch in diesem Jahr wieder die Möglichkeit zu haben, von Europas größtem Reggae-Festival von der Bay Cologne am Fühlinger See berichten zu dürfen. Zu der 23. Ausgabe des international anerkannten Events wurden wieder 25.000 Zuschauer erwartet. Einige hatten aber scheinbar bei der Anreise weniger Glück, wie wir auf unserem eigenen Hinweg live mitbekamen. Während bei uns die Trauer noch groß war, schon wieder (wie auch im letzten Jahr) arbeitsbedingt den Freitag zu verpassen und wir uns dann am Samstag morgen auf den Weg nach Köln machten, mussten wir mit ansehen, wie bei Wuppertal ein großer Reisebus mit potentiellen Festivalbesuchern lichterloh am Rand der Autobahn brannte. Wir hoffen, alle Passagieren sind unversehrt geblieben und konnten letztendlich, vielleicht etwas verspätet, doch auch noch zum Festival kommen, denn lohnenswert war es allemal wieder.
Nachdem es Freitag wohl einige Regenschauer gab, meinte es am Samstag der Wettergott zunächst gut und zeigte das Festivalgelände in strahlendem Sonnenschein und ganzer Pracht. Die Location ist für derlei Veranstaltungen wirklich einmalig. Das auf der Insel gelegene Festivalgelände eignet sich von Größe und Aufteilung wirklich optimal. Doch leider schienen auch in diesem Jahr die Kapazitäten wieder arg an ihre Grenzen zu stoßen, denn beim Weg zur Insel, vorbei an den Campingplätzen, war zu sehen, dass wirklich jeder Zentimeter genutzt werden musste, um alle Besucher unterbringen zu können. In jeder Ecke und hinter jedem Busch, sogar an schrägen Hängen standen die Zelte dicht an dicht gedrängt. Frühe Zuschauer konnten natürlich die Umstände optimal nutzen und direkt am Ufer des Fühlinger Sees zelten, andere hatten wohl weniger Glück, zeigten sich indessen aber erfindungsreich und hängten kurzerhand ihre Hängematte oben im Baum auf, überdacht mit einer Plane als Schutz vor dem Regen. Not macht eben erfinderisch.
Was den Besuchern des Summerjam aber auf jeden Fall wichtiger war/ ist als optimale Zeltplätze, ist das einmalige Flair, das sich auch alljährlich im Motto des Festivals widerspiegelt. Hieß es im letzten Jahr noch „Meeting Cultures and Styles“ war das Motto 2008 „Uniting People of the World“. Und wirklich: Das Publikum war so international und bunt gemischt wie auf kaum einem anderen Festival in Europa. So konnte man noch recht unspektakulär des öfteren niederländische oder französische Wortfetzen aufgreifen, jedoch auch Sprachen, die man beim besten Willen nicht sofort einordnen konnte. Das Publikum war so bunt gemischt wie seine Hautfarben, Altersklassen oder Nationalitäten, was wirklich alle an diesem Wochenende verband, war die Liebe zur Reggaemusik. Doch ganz so harmonisch und „klischeemassig“ geht leider auch ein Summerjam in dieser Größenordnung nicht über die Bühne und so konnte man wieder von gestohlenen Wertsachen und aufgebrochenen Autos hören, ein wirklich sehr negativer Trend, der in den letzten Jahren auf nahezu allen Festivals zu beobachten ist und in den meisten Fällen nicht von den eigentlichen Festivalbesuchern ausgeht. Doch dank der großen Polizeipräsenz und einer netten und umsichtig agierenden Security ist es wohl zu keinerlei größeren Zwischenfällen gekommen. Nachdem wir uns also auf dem Gelände zur Genüge umgesehen hatten und schon überlegten, welche der internationalen Spezialitäten (den auch die Auswahl an Speisen war ungleich größer und ausgefallener als auf anderen Events) wir wohl als erste probieren würde (mein Favorit kam in Form von Pommes aus Holland 😉 ging es zunächst einmal zu den Bühnen, den bei allen äußeren Umständen war ja nicht ganz zu vergessen, was der eigentliche Grund eines Festivalbesuches ist.
Auch musikalisch setzte sich das komplette Konzept des Summerjams fort. International gemischt waren die Bands und unterschiedlich in allen Facetten des Reggaes die Musik. Auf der Hauptbühne startete der Samstag zunächst mit SEBASTIAN STURM, ein deutscher Künstler, dessen Karriere sich in den letzten Jahren stetig und rasant weiterentwickelte und der mit der JIN JIN BAND an seiner Seite bereits um die Mittagszeit mit seinem Roots Reggae die schon zahlreich erschienenden Besucher überzeugen konnte.
Ein kleiner Wermutstropfen beim Summerjam ist, dass gerade am Samstag viele Bands auf beiden Bühnen parallel spielen und man sich so entscheiden musste. Vielleicht wäre es besser gewesen, die Künstler zeitlich versetzt auftreten zu lassen, um so den Festivalbesuchern die Möglichkeit zu geben noch mehr Bands anzuschauen. Den die auf der Green Stage parallel auftretende und aus Rumänien stammende, aber mittlerweile in Deutschland lebende MISS PLATINUM mit ihrem Mix aus HipHop, R n B und Balkan Musik war allemal sehenswert.
Durch das Programm führten auch, wie im Vorjahr schon, auf der Green Stage GANJAMAN, der die Zuschauer im Namen der Liebe und der Gerechtigkeit begrüßte und extra deswegen am Samstag den Himmel blau angemalt hatte und auf der Red Stage ANDREW MURPHY, dessen Haare von Jahr zu Jahr länger werden… wurden, denn viel mehr ist nun nicht drin, wenn er nicht drauftreten möchte.
PANTEÓN ROCOCÓ war eine Band, die wir bereits vor 2 Wochen beim HURRICANE erleben durften und auf die ich mich nach dem dortigen Auftritt besonders freute. Während ich zunächst dachte, die Resonanz könnte geringer ausfallen als dort, füllte sich der Platz, kaum dass die Mexikaner ihr Set begonnen hatten, in Windeseile und verwandelte sich in einen brodelnden, tanzenden Hexenkessel, denn bei der mitreißenden Ska Musik mit lateinamerikanischen sowie Punk-Einflüssen war es auch extrem schwierig, still stehen zu bleiben. Optisch auch immer wieder einer Augenweide überzeugte wie immer nicht nur der Saxophonist als perfekter Selbstdarsteller, die gesamte Bläserfraktion zeigte semi-einstudierte Synchrontanzeinlagen. Vor dem Keyboard hing eine große FC St. Pauli Flagge und die Band unterstützte auch hier wieder das Projekt Viva Con Agua und bat die Besucher ihren Becherpfand in aufgestellte Sammelbehälter zu spenden, um Trinkwasserprojekte in Südamerika oder Afrika zu unterstützen. Ein Blick auf die Homepage des Projektes sei hiermit ausdrücklich empfohlen: www.vivaconagua.org/
Etwas ganz anderes gab es dann kurze Zeit später wieder auf der Red Stage bei JAH CURE, dessen Popularität schon wirklich Star-Ausmaße annimmt, die schon sehr erstaunen. Der Platz vor der Bühne war brechend voll, der Jubel und Applaus unglaublich laut, so sehr freute sich das Publikum auf den zum ersten Mal in Deutschland auftretenden Jamaikaner, der im Laufe seines Auftrittes auch allen Erwartungen gerecht werden konnte und irgendwie völlig über jeglichen Diskussionen um seinen 8jährigen Gefängnisaufenthalt stand.
Abwechslung zum traditionellen jamaikanischen Reggae gab es beim folgenden Auftritt des Afrikaners ALPHA BLONDY, der mit seiner offensichtlich sehr schüchternen Tochter an der Hand und einem breiten Grinsen im Gesicht die Bühne betrat und mit fast hypnotischen Rhythmen das Publikum tanzend in seinen Bann zog. Vorteil beim Summerjam, dass man sich solch relaxte Musik mit einem Cocktail in der Hand auf den Rasenflächen sitzend reinziehen konnte, wenn man denn nicht direkt vor der Bühne tanzen wollte. Wer etwas mehr Ruhe oder Abstand brauchte konnte sich an die Ufer der Insel zurückziehen oder sogar im See selbst mit einem Bad abkühlen. Dies war zwar offiziell untersagt, wurde aber dennoch geduldet und war (wie die Verfasser dieser Zeilen bestätigen können) äußerst angenehm und erfrischend.
Der Samstag ging nun so langsam in die heißere Phase über und schon wieder stand eine schwierige Entscheidung an: PATRICE auf der Red versus KY-MANI MARLEY auf der Green Stage. Da stand natürlich zunächst einmal der Name „Marley“ im Raum und wenn’s es um Reggae geht, ist das ja immer irgendwie schon Grund genug. So führte unser Weg also als erstes zum Bob Marley Sprössling KY-MANI. Dieser zeigte dann eindrucksvoll, dass er nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern in erster Linie wegen seiner erstklassigen Songs in die erste Liga der Reggae-Artists gehört. Ein paar Regentropfen fielen nun vom Himmel, störten jedoch nicht weiter und konnten den Spaß keinesfalls verringern.
Doch auch PATRICE wusste das Publikum von der ersten Minute seines Auftrittes an zu fesseln und zu begeistern. Mit seinem neuen Album „Free-Patri-Ation“ ist der Kölner, der also ein Heimspiel hatte, in den Medien und auf allen großen Festivals zurecht omnipräsent. Zunächst kam Patrice alleine mit seiner Akustikgitarre auf die Bühne, kurze Zeit später stieß die komplette Band hinzu und so begann ein mitreißender 1.5 stündiger Auftritt, der keinen Wunsch offen ließ.
Blieb also für diesen Tag nur noch der Headliner und das sollte in diesem Jahr SHAGGY sein. Mr. Bombastic ist sicherlich jedem mit diversen Hits aus den 80er und 90er Jahren ein Begriff, nur irgendwie war uns zweifelhaft, wie und ob er denn nun wirklich als Headliner dieses großen Festivals passen würde. Scheinbar ging es nicht nur uns so, denn das Gedränge vor der Bühne war beispielsweise bei JAH CURE am Nachmittag ungleich größer als nun bei SHAGGY. Der schien beim Betreten der Bühne alles andere als zufrieden, der Sound schien zu stören und irgendwie zeigte er uns das für unsere Begriffe dem Publikum eine Spur zu deutlich. So richtig überzeugen konnte er uns auch in der folgenden Stunde nicht, Hits wurden nur angespielt und wieder unterbrochen, insgesamt zu viel Show um zu wenig Musik und so entschieden wir uns den Tag mit einem Cocktail langsam ausklingen zu lassen und besuchten noch kurz das Soundsystem Zelt.
SONNTAG
Den Sonntag begannen wir dann ganze relaxt mit einem ausgiebigen Frühstück, ganz dekadent im Wohnmobil und danach mit einem erfrischenden (illegalen *hüstel*) Bad im Fühlinger See. Während wir dann zum trocknen am Ufer lagen konnten wir anderen bei Yoga-Übungen zusehen und bevor das Ganze nun zu entspannend wurde, gingen wir schnell zur Red Stage, wo kurze Zeit später DR. RING DING den musikalischen Sonntag eröffnete und sowohl mit seinen älteren Ska Songs als auch mit Dancehall das Publikum schnell auf seiner Seite hatte und zu diversen Mitsingparts überreden konnte. Nach einer halben Stunde gab sogar lautstarke Zugaberufe, die wegen des strengen Zeitplanes leider nicht befolgt werden konnten.
ANDREW MURPHY sagte stattdessen ein Stück Musikgeschichte an. Etwas ungeschickt nur seine Aussage, wer wisse schon, wie lange man DERRICK MORGAN noch live erleben könne. Der Mitbegründer und die Ikone des traditionellen Skas mag zwar blind sein und musste daher geführt und auf einem Stock gestützt auf die Bühne kommen, machte aber ansonsten noch einen sehr rüstigen Eindruck. Immer wieder beeindruckend ist, welche Aura er versprüht und so gab es nach jedem seiner Songs riesengroßen Applaus – wohlverdient.
Danach ging es kurzzeitig zur Green Stage, um einen Blick auf die uns unbekannten LOOPTROOP ROCKERS zu werfen. Seit nunmehr 17 Jahren muss das Trio in der schwedischen HipHop Szene sein Unwesen treiben und den nicht so unglaublich zahlreich Anwesenden gefiel die Darbietung allemal, doch uns waren 2 Sänger und ein DJ irgendwie zu wenig, optisch der Sänger mit Dreadlocks und verfilztem Bart natürlich ein Augenschmaus für meine Kamera.
Eine unbestrittene Ikone der Reggaemusik und Mitglied der Carribean Hall of Fame erwartete uns dann auch auf der Red Stage, zu der wir schnell zurückwechselten. Mit mehr als 20 veröffentlichten Alben, darunter vielen Klassikern, zählt KEN BOOTHE zu den bedeutendsten Musikern der Reggae Szene und konnte das Publikum mit seiner gefühlsbetonten wie gleichsam kraftvollen Stimme begeistern. Mittlerweile war es schon wieder sehr heiß und zu strahlend blauen Himmel tanzte die eine Hälfte des Publikums während die andere Hälfte die Musik auf dem Gras liegend genoss. Für beide Arten „Aktivität“ waren die Songs bestens geeignet.
Ganz im Gegensatz zu denen von MONO & NIKITAMAN. Wer hier still liegen bleiben konnte, musste schlicht taub sein. Über Jahre hinweg haben sich M+N den Ruf einer grandiosen Liveband erspielt und stellten das auch beim Summerjam wieder eindrucksvoll unter Beweis. Gerammelt voll war der Platz vor der Bühne und ab der ersten Minute sprang, sang und tanzte das Publikum zu den deutschsprachigen Dancehall Songs der Österreicher mit. Ein bisschen zweifelhaft finde ich es, den Song „Gras ist legal“ all denen zu widmen, die ihren Führerschein verloren haben, weil sie nur einmal bekifft Auto gefahren sind, aber vielleicht sind wir für derlei populistische Ansagen dann einfach wieder zu alt und zu vernünftig. Abgesehen davon aber ein wirklich mitreißender, toller Auftritt.
Ein Höhepunkt des Festival war dann sicher das Projekt TOSH MEETS MARLEY mit Junior Marvin (vocals/ guitar) und Fully Fullwood (vocals/ bass). Neben den beiden Bandleadern der Wailers und der Peter Tosh Band las sich die weitere Besetzung wie das Who is Who der Reggae Musiker Gilde: Tony Chin (vocals/ rhythm guitar), Vince Black (vocals/ lead guitar), Jawge Huges (vocals/ keyboards), Goerge Kouakou (vocals/ keyboards), Claudio Peppe (vocals/ percussion), Karl Wright (vocals/ drums). Der wahrscheinlich genauso wichtige Aspekt, warum das Publikum so abfeierte, war aber, dass die Songs nun wirklich JEDER kennt und mittanzen und lauthals mitsingen konnte, wenn Klassiker wie „I shot the Sheriff“ dargeboten wurden.
Wir machten uns nach dem Auftritt so langsam nach einem großartigen Musikwochenende auf den Heimweg und freuen uns bereits auf die 24te Ausgabe dieses tollen Festivals im Jahre 2009.
Copyright Fotos: Karsten Rzehak
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