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THE CHRISTMAS BALL 2009

Ort: Hannover - Capitol

Datum: 27.12.2009

Wenn nach dem ausgiebigen Genuss von Weihnachtsgans und Dominosteinen die schwarze Kluft ein wenig spannt, bietet es sich an, den Adventspfunden mit rhythmischer Bewegung den Kampf anzusagen. Wie gut, dass zu diesem Zweck in Hannover bereits zum dritten Mal zum Christmas Ball geladen wurde, wozu sich auch 2009 wieder eine illustre Schar angesagt hatte. Mit COVENANT und WELLE:ERDBALL waren auch zwei alte Bekannte vertreten, die bereits in den beiden vorangegangen Jahren mit von der Partie waren, während der Headliner FRONT 242 zum ersten Mal das schwarze weihnachtliche Treiben bestimmte. Die Belgier dürften zudem nicht ganz unwesentlich daran beteiligt gewesen sein, dass in dem ehemaligen Kino im Ihme-Zentrum keine Karten mehr an der Abendkasse zu bekommen waren.

Zum ersten Mal war der Hannoveraner Christmas Ball, der heuer Ableger in Köln und Würzburg erhalten hatte, restlos ausverkauft und bereits um 19.00 Uhr war die Konzertstätte gut gefüllt, so dass DESTROID aus Leipzig vor vollen Rängen eröffnen konnten. Es gab einen Mix aus modernem Future-Pop und alter Electro-Schule zu hören, für den federführend Frontmann Daniel Myer (ex-HAUJOBB) zuständig war. Bevor der Herr mit seiner zweiten Combo COVENANT erneut in Aktion trat, präsentierte er gemeinsam mit den Tasten-Kollegen Sebi und Ribi eigenen Gehirnschmalz, der nach einem smoothen Einstieg bald Fahrt aufnahm, so dass schon nach kurzer Dauer Bewegung ins Auditorium kam. Spätestens mit „Bird of Prey“ vom letzten Album „Loudspeaker“ hatten die Schwarzkittel Betriebstemperatur erreicht, so dass auch zu solchen Tracks wie „Bonewhite Light“ und dem finalen „Judgement Throne“ vom 2006er „Future Prophecies“ bei Lichtgewittern abgetanzt werden konnte. Für mich hätten die Songs noch eine Spur mehr Druck haben dürfen, der große Applaus zeigte jedoch, dass DESTROID mit ihrem Sound absolut den Nerv der Zuschauer getroffen hatten.

Nach einer schlanken Umbaupause von 15 Minuten legten SUICIDE COMMANDO noch ein paar Extra-Briketts auf und sorgten dafür, dass erst gar nicht geschwächelt wurde. Mit „Bind, Torture, Kill“ vom gleichnamigen 2006er Longplayer hauten der Belgier Johan Van Roy und sein Mann an den Tasten und Reglern gleich einen Knaller der SC-Discografie raus, die mit teilweise drastischen (aber SC-typischen) Videoeinspielern untermalt wurde. So durften bei „Dein Herz meine Gier“ entsprechende Bilder von pulsierenden Herzen ebenso wenig fehlen wie die Zurschaustellung von toten, recht entstellten Menschen bei „Love Breeds Suicide“. Nicht unbedingt etwas für zarte Gemüter, aber die wären auch mit den Elektroschockern aus dem Hause Van Roy ziemlich überfordert gewesen. Derweil hatte Mastermind Johan schon längst sein schwarzes Hemd und die rote Krawatte abgelegt, um im T-Shirt die stampfenden Beats der letzten Veröffentlichung „Hate Me“ zu zelebrieren; sozusagen eine kleine Vorschau auf die kommende Full Length, die am 22. Januar 2010 erscheinen soll. „Cause of Death: Suicide“ hat es hingegen bereits zum schweißtreibenden Evergreen gebracht, ganz zu schweigen vom Ausputzer „Time“, der bereits 1994 auf dem ersten Silberling „Critical Stage“ verewigt wurde. Mit dieser Nummer und fast sakral anmutenden Synthieklängen beendeten SUICIDE COMMANDO nach einer knappen Stunde ihr musikalisches Rollkommando und räumten das Feld für die Minimal Elektroniker von WELLE:ERDBALL, die während der Christmas-Ball-Tour krankheitsbedingt ohne Tastateur A.L.F. auskommen mussten.

Ersatzweise bediente Andy Catwalk, der eigentlich für die Pyro-Show zuständig ist, die W:E-Tasten und seine Sache wirklich ordentlich machte. Wie üblich hatten Honey, Plastique und Frl. Venus einiges an Equipment aufgefahren, um schließlich doch „nur“ zu zeigen, wie viele Geräusche in einen Brotkasten passen, bevor sie als Musik wieder herauskommen und was ein Uralt-Commodore-64 insgesamt so alles drauf hat. Dazu durften selbstverständlich auch die passenden Videoanimationen nicht fehlen und kurz nach Weihnachten waren nicht nur die Geräte zeitgemäß geschmückt, nein, auch die weiblichen Bandmitglieder hatten sich zu „Arbeit adelt!“ in ein sexy-Weihnachtsmann-Outfit geworfen, um die Kopfbedeckungen später als Verpackungen für CDs zu verwenden, die dann vermittels Nikolausmütze ins Publikum geworfen wurden. Anlässlich des 70. Geburtstages des „VW Käfer“ gab es auf der Stage sogar Schampus, der ebenfalls ganz nobel an die Fans weitergereicht wurde. Zuvor bekamen die Damen und Herren 60 Minuten die üblichen WELLE:ERDBALL-Standards mit nettem Posing der Damen Plastique und Frl. Venus, die natürlich neben Honey auch zum Mikro griffen. So geschehen beim „8-Bit-Märchenland“ oder auch „Ich bin aus Plastik“ und natürlich der Fifties-Nummer „0173-1923954“. Zu den Favoriten gehörten zweifellos „Telegraf“ (die Mädels waren inzwischen im Dirndl und drehten sich auf entsprechenden Vorrichtungen) und nicht zu vergessen der „Starfighter F-104G“, bei dem Papierflieger durchs Capitol schwirrten, nachdem bereits zu „Mensch aus Glas“ die verteilten Wunderkerzen brannten und hier und da die Funken stoben. Alles also ganz bewährt bei der WELLE:ERDBALL, wäre da mit „Die falsche Front“ nicht auch noch ein neuer Track gewesen. Nach viel NDW, Wave und Electro-Pling-Pling kam das Stück ein wenig frickeliger daher, man darf gespannt sein, was da noch auf uns zukommt.

Setlist WELLE:ERDBALL
Wir sind die Maschinen
Wir wollen keine Menschen sein
Graf Krolok
Mensch aus Glas
8-Bit Märchenland
Ich bin aus Plastik
Das Alpha-Tier
Telegraph
Und es geht ab!
Die falsche Front
Starfighter F-104G
0173-1923954
Arbeit adelt!
VW Käfer
Monoton & minimal

Für den weiteren Verlauf des Abends war das schon mal klar: COVENANT baten 20 Minuten später zum Tanz und es würde mich wundern, wenn die schwedischen Soundtüftler irgendjemanden im Capitol kalt gelassen hätten. Die Stimmung war jedenfalls von der ersten Minute an grandios; kein Wunder, wenn mit „Stalker“ gleich eine wahre COVENANT-Hymne den Eröffnungspart übernimmt! In der kommenden Stunde sollte sich weder etwas an der Qualität der Musik noch an der hexenkesselartigen Stimmung ändern, weshalb es nicht weiter verwunderlich war, dass erstmals auch eine Zugabe gefordert wurde. Für einen Moment sah es so aus, als wäre dergleichen nicht vorgesehen, denn die Stagehands machten sich schon an den Instrumenten zu schaffen und auch die Pausenmusik war ebenso wie das Licht angegangen, doch dann kamen Eskil Simonsson, Joakim Montelius und Daniel Myer noch einmal zurück, um das wunderbare „Dead Stars“ zu performen. Eskil (wie immer gestriegelt und gespornt) nahm dabei gleich auch noch ein Bad in der Menge, das wie es schien, etwas intensiver ausgefallen war als geplant, denn das Crowdsurfen ließ der charismatische Fronter dann doch ganz schnell bleiben. Mir persönlich ist es eh lieber, wenn er singt, wobei man die Band stellenweise auch tatsächlich mehr gehört denn gesehen hat, da doch den ganzen Abend über – insbesondere jedoch bei COVENANT – mit viel farbigem Nebel gearbeitet wurde. Auf die Ohren gab’s jedoch feinsten Electro, der umgehend ins Bein ging, auch wenn der Sound gelegentlich etwas übersteuert wirkte. Die grandiose Mucke machte solche Kleinigkeiten mit Leichtigkeit wieder wett, denn das was das Trio in Hannover ablieferte, war schon ein kleines best of (zu dem natürlich mindestens noch mal so viele Songs zählen, die leider in der Kürze der Zeit nicht gespielt werden konnten), zu dem sich außerdem noch ein neues Lied gesellte. Der Track war vielleicht eine Idee ruhiger als die übrigen Nummern, brachte jedoch ebenso viel Energie und Rhythmus mit, so dass ich beruhigt vermelden kann, dass es sich lohnt, auf neuen Studio-Output der Schweden zu warten. Bis dahin dürfen COVENANT gern zu jeder sich bietenden Gelegenheit spielen, live werde ich ihrer wohl in diesem Leben nicht mehr überdrüssig.

Setlist COVENANT
Stalker
Figurehead
Tour de Force
The World Is Growing Loud
Bullet
20 Hz
We Stand Alone
? (neuer Song)
Ritual Noise
Call The Ships To Port

Dead Stars

Im Gegensatz zu den Christmas-Ball-Konzerten in Köln und Würzburg hatte Hannover noch einen exklusiver Headliner: die belgischen EBM-Pioniere FRONT 242 gaben sich die Ehre! Seit den Achtzigern zählen sie zu den Vorreitern des EBM und gehören bis heute zu den erfolgreichsten Electrobands Europas. Und da Adel bekanntlich verpflichtet, hatten sich Jean Luc de Meyer und seine Jungs viel vorgenommen, um den Christmas Ball 2009 mit einem Feuerwerk ihrer größten Hits zu beenden. Nach dem Intro schickte sich mit „Modern Angel“ gleich einer dieser Hits an, das Finale standesgemäß zu eröffnen und langsam füllte sich auch die Stage mit den vier Herren, die zwar erkennbar in die Jahre gekommen sind, jedoch nichts von ihrer Agilität verloren haben. Derweil war die Menge bereits nicht mehr zu halten und gab sich zügellos den treibenden EBM-Klängen hin, wobei der Songtitel „Body To Body“ absolut wörtlich zu nehmen war. Einige der Electroheads dürften am nächsten Tag doch den ein oder anderen blauen Fleck gehabt haben, aber was soll’s… Entsprechend wurde ein hypnotischer Stomper wie „Circling Overland“ vom 1988er „Front By Front“ ebenso abgefeiert wie die Full-Speed-Nummer „Religion“ (1993 auf „ 06:21:03:11 Up Evil“ erschienen). Dazwischen gab’s immer mal wieder begeisterte „242“-Rufe zu hören, ehe „Funkahdafi“ den Schweiß treiben ließ und der „Commando Mix“ in die Vollen ging. Wie schon bei „Body To Body“ waren die Liedertexte Programm, weshalb später noch die Aufforderung: „Im Rhythmus bleiben“ erging, ehe der „Headhunter“ letzte Gefangene nahm. Inzwischen war die Uhr auf 1.05 Uhr vorgerückt, weshalb ich angesichts der mir bevorstehenden 130 Autobahnkilometer und der doch sehr kurzen Nacht darauf verzichtete, etwaige Zugaben abzuwarten.

Auch so lag hinter mir ein perfekter Abschluss der „besinnlichen“ Weihnachtstage. FRONT 242 haben einmal mehr bewiesen, dass sie auch im 28. Jahr ihres Bestehens (die zwischenzeitliche Trennungsphase vergessen wir mal) das Maß aller Dinge im Bereich der Electronic Body Music sind. COVENANT haben zweifellos das Zeug, Lahme wieder gehend zu machen, SUICIDE COMMANDO bringen auch die ödeste Weihnachtsfeier zur Raserei, WELLE:ERDBALL entführten zurück in die scheinbar rosarote C64-Welt und auch DESTROID konnten als Opener einige Punkte sammeln. Mit der Aussicht auf den nächsten Christmas Ball und zahlreiche Festivals, die bereits auf der Leinwand und vermittels Conférencier angekündigt wurden, dürfte der schwarzen Gemeinde das Jahr 2010 nicht lang werden.

Copyright Fotos: Cynthia Theisinger

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